Predigt über 1. Mose 22,1-14 am Sonntag, 17. März 2024 (Judika) in der Stadtkirche in Karlsruhe

17.03.2024

Liebe Gemeinde!

Es sind der Opfer genug! Jeden Morgen, denke ich das, wenn ich die Zeitung lese. Und jeden Abend, wenn ich das Heute Journal oder die Tagesthemen anschaue. Es sind der Opfer genug!

Eigentlich bestehen die Nachrichten kaum noch aus etwas anderem. Ein ums andere Mal stellen sie uns Opfer vor Augen. Kriegsopfer in der Ukraine. Längst nach Hunderttausenden zu zählen. In Gaza und Israel. Im Jemen. Zehntausende, die zu Opfern geworden sind. Flüchtlingsopfer auf dem Mittelmeer. Missbrauchsopfer in den Kirchen. Erschreckende Zahlen. Und immer sind das Opfer der Macht und der ungezügelten Lust, diese Macht auszuleben. Auch dann, wenn sich die mächtigen Täterinnen und Täter wunderbare Geschichten ersinnen, um ihr Tun zu rechtfertigen. Phantasien über den Lauf der Geschichte. Rechtfertigungsphantasien über menschliche Beziehungen.

Und dann spielt auch Gott dieses Spiel mit? Was ist das heute für ein Predigttext, in dem es auch um ein Opfer geht! Auch wenn es am Ende nicht dazu kommt. Schon der erste Satz bleibt mir beinahe im Hals stecken. Dieses eine Wort. Und Gott versuchte! Das „Führe uns nicht in Versuchung!“ – diese Bitte wäre hier doch auch hier dem Schlimmsten wehren können!

Aber hören wir auf diese Worte. Niemand wird hier sein, der diese Geschichte nicht kennt.

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

Unglaublich: Gott versucht den Abraham. Und die Bibel nennt das auch ungeschützt beim Namen. Diese unglaubliche Versuchung – ausgehend von Gott selbst. Ein himmlischer Test, ob denn sein Glaube ausreicht. Wie bei Hiob, als der Satan freie Hand bekommt. Die Austestung menschlichen Gottesglaubens als himmlische Inszenierung! Nein, so kann ich mir Gott nicht vorstellen. So will ich mir Gott auch nicht vorstellen. Und schon jetzt sei’s gesagt: So muss ich mir Gott auch nicht vorstellen.

Aber fürs Erste werde ich, werden wir den Text nicht los. Abraham lässt sich auf diese Versuchung ein. Kein Widerspruch, kein Nein, nicht einmal ein Aushandeln. Undenkbar in der Beziehung zwischen Gott und Mensch auch nur ein Widerwort zu wagen. Stattdessen: Die völlige, die gänzliche Unterwerfung. Das bedingungslose Einvernehmen.

Abraham rufe ich ihm unhörbar zu: Wag’s doch, nein zu sagen. Trau dich, Gott zumindest um einen Aufschub zu bitten. Eine Verhandlungspause. Vielleicht gereut ihn seine Aufforderung an dich. Vielleicht räumt Gott seinen Irrtum ein.

Stattdessen macht Abraham sich auf den Weg. Früh am Morgen, wie es heißt. Keine Zeit zu hoffen, dass doch noch alles anders kommt. Das Vertrauen, dass das Opfer einen Sinn hat, erstickt alles Dagegenhalten schon im Keim. Damals. Heute.

Fremd ist mir dieser Gott. Am liebsten würde ich ihm den Abschied geben. Aber ich komme nicht von ihm los. Weil Abraham nicht von ihm loskommt.

Das Lied vom fremden Gott
(Melodie EG 659: Die Erde ist des Herrn)

Fremd bis du mir, o Gott!
Soll‘n nicht nur Hohn und Spott
als Lohn mir bleiben,
muss mein Wort mutig sein.
Ich wehr‘ mit klarem Nein
dem bösen Treiben.

Nah bist du mir, o Gott,
reißt mich aus falschem Trott
hinein ins Leben.
Wo mich dein Geist durchweht,
mir neu vor Augen steht,
was du gegeben.

Abraham macht sich auf den Weg. Hören wir, wie es weitergeht:

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander

„Und gingen die beiden miteinander.“ Gleich zweimal kommt dieser Satz im Text vor. Und gingen die beiden miteinander. Es sind zwei, die da miteinander unterwegs sind. Abraham geht nicht allein. Isaak, das Opfer, geht an seiner Seite. Abraham scheut vor dem Opfer nicht zurück. Nachkommen hatte Gott ihm und Sarah verheißen. Wider alles Biologie. Wider alle Erwartung.

Aus dem kleinen Anfang der beiden Alten sollte ein großes Volk werden. Isaak ist der Anfang dieser Segensgeschichte. Aber Gott nimmt - so scheint’s – seine Zusage zurück.

Noch gehen die beiden miteinander. Aber Isaak ahnt, dass dies kein normaler Gang ist. Isaak spürt die Dramatik dessen, was sich da anbahnt. Abraham versucht, ihn zu beruhigen. Nimmt den guten Ausgang der Geschichte vorweg. Ohne dass er dafür nur den kleinsten Anhalt gibt. „Gott wird sich ersehen ein Schaf!“ Abraham wagt jetzt doch den unhörbaren Widerspruch gegen Gott. Wenn auch nur im ganz Kleinen.

Ist das der Glaube, dessen wir Abraham bis heute rühmen? Der Glaube, der auch uns zu Kindern Abrahams macht? Irrt hier womöglich Gott selber? Schießt Gott mit dem, was er Abraham zumutet, über das Ziel hinaus? Fast wage ich nicht diese Frage zu stellen. Irren ist menschlich, sagen wir schließlich. Also nicht göttlich

Abraham weist Gott einen Ausweg. Und er ist in seiner beschwichtigenden Antwort ein Bote kühner Hoffnung, wie alles doch auch ausgehen könnte. Aber sein Handeln straft seine Hoffnung Lügen. Der Irrtum hat am Ende auf Seite des Abrahams gelegen. Und wir sind froh, dass sein Irrtum nicht das letzte Wort hat.

Abraham, das wissen sie, ist eine zentrale Figur gleich für drei Religionen. Nicht nur für das Christentum. Sondern auch für das Judentum. Und für den Islam. Was bewundern gleich drei Religionen an diesem Abraham? Sie bewundern seinen Glauben. Halten ihn für vorbildlich. Und das vor allem wegen der Geschichte, um die es in der heutigen Predigt geht

Ob es wirklich Glaube ist oder Irrtum – das bleibt erst einmal offen. Es ist sein unbedingter Gehorsam, der Abraham womöglich im Irrtum verfangen sein lässt. Und ihn zum Weitergehen bringt. Sein unvernünftiger Gehorsam. Das Unvermögen, sich offen gegen Gott zu stellen – zugunsten des Lebens. Glaube – vielleicht, Auf jeden Fall nicht Einsicht. Und noch immer ist kein Stopp-Schild zu sehen. Noch gehen die beiden miteinander. Fast will mir der Atem stocken!

Wo mir der Atem stockt,
weil falscher Glaube lockt
zu irrend Treiben,
bleibt mir, o Gott, dein Wort.
An neuem Sehnsuchtsort
wag ich zu bleiben.

Recht bin ich dir! Zum Glück
gehst du, o Gott, ein Stück
mit mir auf Wegen,
in unbekanntes Land.
Der Zukunft Spur ich fand
in deinem Segen.

Jetzt kommt’s zum Schwur. Wie weit wird Abraham gehen? Und: Wie weit wird Gott gehen? Beide nähern sich dem Abgrund. Hören wir, wie alles weitergeht.

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn (…) opferte. (geändert TSchä)

Nun sind die beiden am Ziel. Auf dem Berg im Land Moria. Die Tradition setzt diesen Ort mit dem Tempelberg in Jerusalem gleich. Im Felsendom bekommt man diesen Ort gezeigt. Der Fels im Namen Felsendom bezieht sich auf den Fels, an dem sich diese Opfertragödie abspielt.

Ein Ort ungelöster Konflikte – bis heute. Ein Ort, an dem menschliche Gottesbilder und Gottes Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander der Menschen aufeinanderprallen. Von Anfang an! Womöglich ist es gar nicht Gott, der Abraham testet - mich würd‘s nicht wundern. Womöglich eilt Abraham mit seinem Gehorsam Gott entgegen. Ein vorauseilender Gehorsam. Ein Versuch, es Gott recht zu machen. Damit Gott ihn gerecht macht. Gewiss, der Text beschreibt anderes. Aber das Ende ist ein Gutes. Gottseidank! Gott greift ein. Bietet Einhalt. Hört!

Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.

Zeit, Atem zu holen. Zeit, den Text von hinten zu lesen. Ihm einen Sinn abzugewinnen. Von seinem guten Ausgang her. Zeit, noch einmal zu singen!

Wie blind, geh ich voran,
o Gott, fang ganz neu an
den Sinn zu ahnen,
den du hineingelegt
in das, was mich bewegt.
Folg neuen Bahnen.

Barmherzig bist du mir!
O Gott, wenn ich zu dir
den Zweifel trage,
entdeck‘ ich, wundergleich,
der Hoffnung neues Reich.
Seh‘ neue Tage

Diese neuen Tage, liebe Gemeinde, das sind die Tage, in denen wir leben. Wie bedrängend sie uns derzeit auch entgegenkommen mögen. Es sind neue Tage. Tage, die unter der Aufforderung stehen: „Lege deine Hand nicht an den Knaben!“ Schone das Leben! Und mach es nicht zum Spielball irgendwelcher Interessen!

Wie die Geschichten sich gleichen! Wir stehen derzeit mitten in der Passionszeit. Judika. Keine zwei Wochen sind es mehr, da gedenken wir dieses Einen, von dem wir erneut sagen, sein Vater habe ihn nicht verschont. Dieses Einen, der sein Leben drangegeben hat. Gott selber also als Drahtzieher einer noch schrecklicheren Katastrophe. Weil da kein Widder auffindbar ist. Weil der, der da in den Tod geht, uns schont. Damit wir unser Leben heil davon bringen

Einer, der geopfert wird, für uns. Hat Gott am Ende also doch ein Opfer nötig? Dieses Mal ohne happy end wie bei Isaak. Braucht Gott am Ende zumindest dieses eine Opfer, um uns gegenüber wohl gesonnen, gnädig gestimmt zu werden? Und da wir Menschen eben nicht in der Lage sind, Gott ein würdiges Opfer darzubringen, opfert Gott sich gewissermaßen selbst? Gibt sich dran als Menschgewordener! So haben wir‘s gehört. So haben wir es weitererzählt.

Und dennoch: nur schwer nachvollziehbar! Und mit dem Gott der Liebe und dem Schöpfer dieser Welt doch kaum zu vereinbaren. Zumindest nicht blind. Und vorschnell. Zu viele Opfer haben wir zu beklagen seit diesem einen Opfer, das allen Opfern ein für alle Mal ein Ende setzten sollte. Jeden Tag kommen neue dazu! Keine weiße Fahne, die sie aufhält. Kein Widder, der in die Bresche tritt.

Aber solche Opfer, da bin ich mir sicher, solche Opfer sind Gottes Sache nicht. Und sie helfen mitnichten, Gott gnädig zu stimmen. Solche Opfer machen Gott bestenfalls zornig. Zornig auf die, die sie verursachen. Dargebracht dem Gott Machterhalt. Dem Gott Erfolg. Dem Gott der unbegrenzten Gier. Wir müssen alles drangeben, damit die Opfer dieser unglückseligen Machart ein Ende haben. Wo immer und wem immer sie gebracht werden.

Die Rede vom Opfer macht für mich nur in einer Richtung Sinn. Dann nämlich, wenn ich die befreiende und entlastende Erfahrung mache: Jemand tritt für mich ein, weil meine Kräfte nicht ausreichen. Oder weil er oder sie bereit ist, mehr einzubringen als ich es könnte. Mehr auch als andere es vermöchten. Weil ich dafür, dass sich ein anderer meiner annimmt, keinen Preis zahlen muss. Solche Opfer sind ein Geschenk! Gratis. Aus Gnade. Da ist einer, der hat meine Zerrissenheit, die Bruchstückhaftigkeit, die Unvollkommenheit meines Lebens zu seiner Sache gemacht. Und mir dadurch neue Lebensmöglichkeiten eröffnet hat.

Nur in diesem Sinn macht für mich auch die Rede vom Opfer Christi einen Sinn. Gott tritt für mich ein. Gleichsam stellvertretend. Macht meine Unmöglichkeiten dennoch zur Möglichkeit in seinen Augen. Solche Opfer kommen manchmal daher im Gewand des scheinbaren Irrtums. Wie bei Abraham. Wie bei dem, der am Karfreitag sein Leben lässt. Aus und vorbei sein Eintreten für eine Welt, die so aussieht, wie Gott sie gemeint hat.

Ein Irrtum wäre es gewesen, hätte Gott dieses Opfer nicht ins Recht gesetzt. Hätte Gott am Ende nicht das Leben den Sieg davontragen lassen. Bei Isaak. Vor allem aber bei dem, dessen Sieg über den Tod wir am Ostermorgen feiern. Gott setzt den Irrtum des Karfreitags ins Recht. Macht dem Scheitern den Garaus. Und bringt die Lieder des Lebens von neuem zum Erklingen.

Nein, nichts wird uns einfach erspart in diesem Glauben. Aber am Ende wartet nicht das Nichts. Nicht der Irrtum. Nicht das Scheitern. Und schon gar kein sinnloses Opfer. Es sind der Opfer genug! Wir alle haben Zukunft. Weil Gott will, dass wir leben. Amen.

Licht in der Dunkelheit
bist du, o Gott. Die Zeit
sie lehrt mich warten.
Falsch‘ Opfer willst du nicht.
Von Neuem strahlt dein Licht
in buntem Garten.
O Gott, du lädst zum Fest!
Ich kann, weil du mich lässt,
dein Herz bewegen.
Das Leben wird geschont.
Was Gott dem Abraham lohnt,
wird uns zum Segen!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.