ANSPRACHE IM GOTTESDIENST
MIT PFARRWAHL IN DER MARIA-MAGDALENA-GEMEINDE
AM DONNERSTAG, DEN 30. SEPTEMBER 1999
IM KIRCHENLADEN IN FR-RIESELFELD

30.09.1999



- nach jeder Vaterunser-Bitte wird jeweils eine Stimme abgegeben -

Das Rieselfeld, liebe Gemeinde, ist schon etwas besonderes.Diesem Eindruck kann sich keiner und keine entziehen, wenn mansich auf den Weg durch den neuen und immer noch wachsendenStadtteil macht. Neues, das zu wachsen beginnt. Unfertigkeit,die einlädt, die je eigene Phantasie ins Spiel zu bringen.Aufbruchsstimmung. Offenheit.

Die Besonderheit dieses neuen Stadtteils ist auch imkirchlichen Bereich zu spüren. Enge ökumenische Zusammenarbeit.Ein Kirchenladen, eingereiht zwischen andere Geschäfte, dereinlädt, doch einmal hereinzuschauen. Der Wettbewerb fürein kirchliches Zentrum am Laufen. VielfältigeKonzeptionsdiskussionen, die längst in die Gründung einerneuen Freiburger Pfarrei eingemündet sind. Die Formulierungeines Ausschreibungstextes für die neue Pfarrstelle, mitdessen Hilfe sie andere auf sich aufmerksam gemacht haben.Und einen gab es dann auch, der sich verlocken ließ zurreizvollen Aufgabe, hier als Pfarrer zu arbeiten.

Eine neue Gemeinde braucht aber noch mehr, braucht anderes,um Gestalt zu bekommen. Profil. Konturen. Ecken und Kanten.Vor allem anderen - vor allem Neuen - braucht auch dieKirche im Rieselfeld Konstantes, Bleibendes. Um fest zuwerden. Um einzuwurzeln. Rituale, die gut tun. Worte, dieentlasten. Spiritualität, die uns hilft, das Leben immerwieder zu feiern. Alte Texte, die sich uns immer wiederneu erschließen. Die uns Orientierung geben können. Geradedann, wenn richtungsweisende Entscheidungen zu treffen sind.Nur da, wo wir gut gegründet sind, können wir unsere Träumemutig in den Himmel wachsen lassen.

Ein solcher Gründungstext der Kirche ist das Vater unser.Bekannt wie kaum ein anderer. Millionenfach gesprochen inden sonntäglichen Gottesdiensten. Als Stoßgebet in denHimmel geschickt. Nachgeplappert. Inflationär dahin gesagt.Urkunde einer Gewöhnungskirche. Ein Lebenstext - oft seinesSinnes beraubt und zum Nichtssagenden degradiert. Und dennochvoller Wegweisung, die Sinn gibt. Voller Zeichen, diegelingendes Leben möglich machen.

Sieben Bitten hat der Vater-unser-Text. Sieben wahlberechtigteBevollmächtigte hat die Maria-Magdalena-Gemeinde. Das paßt gutzusammen. Nach jeder Bitte eine Stimme! Und zu jeder Stimmeeinen Wunsch für diese Maria-Magdalena-Gemeinde.

Doch zum Wahlgeschehen gibt es noch Vorgaben. Dazu wird jetztFrau Hartlieb einiges Notwendige sagen. Sie gehört demBezirkskirchenrat an und nimmt in dieser Funktion dieAufgabe der Wahlleitung wahr.


Erläuterungen zur Wahlhandlung

Alle: Laudate omnes gentes

Vater unser im Himmel - geheiligt werde dein Name!
Schon die Anrede ist anstößig. Symbol eines männlich geprägtenGottesbildes, so scheint es. Und das in einem Stadtteil, dermehr als viele andere mit seiner Namensgebung an Frauenerinnert. Doch kann diese Anrede durchaus auch eine kritischeFunktion enthalten. Etwa dann, wenn wir nicht einfach unsereVäterbilder, ein bisweilen einseitig patriarchalisch geprägtesDenken, auf Gott übertragen. Denkbar ist doch auch der umgekehrteWeg. Von dem, was wir mit Gott verbinden - Liebe, Offenheit,schöpferische Kraft - könnte so einiges zurückwirken auf unsMenschen. Auch auf uns Männer. Gott ist das Modell. Der Mensch- geschaffen als Mann und Frau - sein Spiegelbild. Ein hoherAnspruch ist das, den wir nur allmählich und in Fragmenten einholen.

Gottes Namen zu heiligen, heißt Gottes Andersartigkeitrespektieren. Nicht gemein machen. Nicht in unsere Kumpaneieinbinden. Gott ist immer die und der ganz an-dere. Unverfügbarund voller Überraschungen. Gott kommt von außen auf uns zu.Und ist am Ende doch tief in uns drin zu finden.

Alle: Laudate omnes gentes

Dein Reich komme!
Viele Reiche sind gekommen im Laufe der Weltgeschichte.Ebensoviele sind untergegangen. Auch das sogenanntetausendjährige hat nur 12 Jahre gedauert. Und wir habendie Folgen noch lange nicht verdaut. Reich - das klingtnach Macht; auch nach Gewalt, die die Macht aufrecht erhält.

Gottes Reich ist nicht von dieser Welt. Gottes Reich kenntweder Rassismus noch Terrorismus. In Gottes Reich ist derMensch nicht mehr des Menschen Wolf. Wo Gottes Reich sichausbreitet, da genügt es, einfach Mensch zu sein. Du zu sagen.Und ich. Aber nicht, um die eigenen Schäfchen ins Trockene zubringen. In Gottes Reich geht das Sein vor dem Haben. Da gibtes den Streit, der in den Frieden mün-det, nicht in den Krieg.

Vielleicht haben wir deshalb manchmal fast Angst, es kämewirklich. Es würde keine und keinen von uns unverändertlassen. Aber wir könnten endlich sein, wozu wir gemeintund gemacht sind.

Alle: Laudate omnes gentes

Dein Wille geschehe!
Eigentlich ist dieser Satz eine Zumutung. Mühsam lernen wir - einLeben lang - endlich zu uns selber zu kommen. Zu erkennen, waswir im Grunde unseres Herzens wollen. Es ist nicht leicht, ichwill zu sagen, wenn wir wollen, was uns zukommt. Und nicht, wozuandere uns verführen.

Kleine Kinder sagen gerne: "Ich will.." Aber sie sagen das, umunterscheiden zu lernen zwischen dem Wünschenwerten und demMöglichen. "Dein Wille geschehe!" Das kann ich nur sagen,wenn ich weiß, daß dieser Wunsch mir zugut kommt. Daß ergleichsam höherer Warte aus zu sehen ist, was ich selbergar nicht sehen kann.

Gott will nicht, daß wir unseren Willen aufgeben. Daß wir unsgängeln lassen. Wir dürfen, ja wir müssen erwachsen werden.Und wir sind es, wenn mein Wille / dein Wille sich aufgehobenweiß in jener Kraft, die die Liebe ist und die wir Gott nen-nen.Gottes Wille ist nichts als nur Liebe. Liebe, die ich wietergebeund die sich vermehrt, wenn wir teilen.

Alle: Laudate omnes gentes

Unser täglich Brot gib uns heute!
Das brauchen wir kaum zu beten in unseren Breiten. Wo es bei unsdoch mehr Brotsorten gibt als irgendwo. Weniger Brot wäre oftmehr. Und allemal gesünder.

Aber wir sind nicht die Mehrheit. Alle zwei Sekunden stirbtein Mensch an Hunger. Weil ihm Reis fehlt. Oder Getreide.Weil die hygienischen Bedingungen unzureichend sind.Unser täglich Brot gib ihnen Herr. Und gib uns, was wir zumLeben wirklich brauchen. Zeit. Geduld. Einen Menschen. EineUmarmung. Auch Erfolg. Warum nicht. Unser täglich Brot, dasist das, ohne das meinem Leben Entscheidendes fehlt. DiesesBrot muß gar nicht gebacken werden. Wir können es erdenken.Erarbeiten. Gewinnen durch Verzicht. Vermehren durch Teilen.

"Wes Brot ich eß, des Lied ich sing", sagt das Sprichwort.Warum nicht einmal Gottes Lieder singen vom Sieg derFreundlichkeit über Gewalt. Vom Sieg des Lachens übervergossene Tränen. Vom Sieg des Lebens über den Tod. Warumnicht Gottes Brot kosten. Uns auf den einlassen, der vonsich gesagt hat: "Ich bin das Brot, das euch leben läßt."Und der nichts anderes war als Gottes Ebenbild in unserer Welt.Der war und ist, was auch wir sein können, wenn wir von diesemBrot der Barmherzigkeit und Güte essen?!

Und vergib uns unsere Schuld!
Vergib‚ zumindest doch mir. Ich habe es schließlich nicht sogemeint. Die andere kann ruhig noch etwas schmoren. So einfachist das nicht mir der Vergebung. Ohne Vergebung kann keiner undkeine leben. Das wissen wir alle. Aber: Wer hat den Mut, dieBrücke zu betreten, von der wir nicht wissen, ob sie trägt undwie tief wir fallen.

Schuld klingt altmodisch. Klingt nach schuldig. Und nachverurteilt. "Ich bin mir keiner Schuld bewußt!", höre ichmanchmal. Das mag sein. Doch Schuld ist keine moralischeKategorie. Schuldig sind wir, auch ohne uns zu verfehlen.Schuldig sein - uns etwas schuldig bleiben, meint mehr als"Nobody ist perfect!"

Wir bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück. Ziehen dasSchweigen vor. Oder das Reden. Je nachdem. Was Schuld wirklichmeint, können wir erst wissen, wenn einer uns freispricht.Wenn die Last weggenommen wird. Wenn wir recht sind, oh-nevollkommen sein zu müssen. Wenn wir Gott recht sind, ohneden Aufbau unserer eigenen Leistungsschau. Gut, daß wirdarauf nicht warten müssen. Gott macht uns Mut zum Handeln.Gott gibt Freiraum für Fehler. Wenn wir aufhören, uns auf denWeg zu machen, verzichten wir darauf, loszuwerden, was unsdaran hindert zu leben.

Im übrigen geht die Bitte noch weiter: "...Wie auch wirvergeben unsern Schuldigern!" Es wäre doch allemal denVersuch wert. Es lebt sich wirklich einfacher, wenn wirnicht mehr alle Rechnungen offen lassen. "You are welcome,sagt man im Englischen, wenn einer Entschuldigung sagt."Du bist willkommen!" Und ich. Und die anderen eben auch.

Alle: Laudate omnes gentes

Und führe uns nicht in Versuchung!
Jetzt endlich wird das Vater unser zum Stoßgebet des modernenMenschen. Der Versuch der Verführung geschieht allgegenwärtig.Keiner, der sich nicht erwehren muß. Unsere Gesellschaft -zumindest unser Wirtschaftssystem speist sich aus dergelungenen Verführung. Werbung, die uns anmacht und Bedürfnissesuggeriert. Bilder, die zu Bildern in unseren Köpfen werden.Das Ideal der Jugend, der Schönheit. Der gelungenen Karriere.

Es gibt keine versuchungsfreien Orte mehr. "Sollte Gott gesagthaben, von diesem Baum dürft ihr nicht essen?!" Das ist dieauf Dauer gestellte Frage der Schlange. Es kann doch nichtsschaden nachzugeben. Wir haben ja sowieso keine andere Chance.Wer weiß, was er braucht, nimmt nicht mehr als das, was eroder sie zum Leben nötig hat. Führe mich nicht in Versuchung!Diese Bitte will uns anleiten zum heil-samen Verzicht.Versuchung meint, das Glück jenseits der Grenzen dessen zusu-chen, was uns guttut. "Ihr werdet sein wie Gott", verspracheinst die Schlange der Eva. Es gibt Grenzen, die Leben bewahren.Die immun machen, gegen alle Versuchungen, das Leben aufdas Vordergründige festzulegen. Gott ist die Fülle, die unsdavor bewahrt, in der Beliebigkeit zu versinken.

Alle: Laudate omnes gentes

Sondern erlöse und von dem Bösen!
Keinen Menschen gibt es, dem diese Worte nicht schon einmalüber die Lippen gekommen sind. Die Bosheit kämpft um ihrePräsenz. Ihr Hauptgewand ist das der Ichbezogenheit. Desunglückseligen Vergleichs, der immer zu den eigenenUngunsten enden muß. Das "mehr", das "stärker", das"reicher", auch das "einflußreicher" begründenKonkurrenzverhältnisse, die immer einen über die Klingespringen lassen. Die Böses gebieren.

Wir sind auf Orte gelingender Gegenbewegungen angewiesen.Die Kirche will und soll ein solcher Ort sein. Mit wirksamerGegenrede gegen Unworte. Mit Zuspruch gegen Schweigen. Mitder Verwandlung zerstörerischen Hasses in schöpferische Liebe.Es ist die Liebe - vielfach gebrochen und fragmenthaft, dochnie ohne Wirkung - es ist die Liebe, die dem Bösen Grenzensetzt. Gott, der Liebe ist.

Alle: Laudate omnes gentes

- Auszählung der Stimmen; dabei Fortsetzung des Singens -


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.