Vortrag am 28. Juni 2000 in Berlin
anlässlich des Pfarrtags 2000
in der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
"Priester - Heiler - Funktionäre -
Welche Zukunft hat der Pfarrberuf?"

02.06.2000

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

schon wieder das Thema Pfarrerbild! Hat doch erst im vergangenen Jahr der Vorsitzende des Gesamtverbandes, Kollege Klaus Weber über das "Skelett des Pfarrberufes" gesprochen. Ich werde die Thematik aber noch einmal von einer anderen Seite her aufrollen wie Bruder Weber im Vorjahr. Neben dem Bleibenden soll ganz bewusst auch das angesprochen werden, was sich in Hinsicht auf unser Berufsbild im Fluss und im Wandel befindet. Und es soll darum der Blick auch ganz bewusst in die Zukunft gerichtet werden.

"Priester, Heiler, Funktionäre" - diese Formulierung ist nicht zufällig so gewählt. So verweist schon am Anfang auf - positiv formuliert - mögliche Ausdifferenzierungen oder - negativ beschrieben - Engführungen des Berufsbildes Pfarrerin oder Pfarrer. Und sie ruft uns zugleich in Erinnerung, dass wir auch im Pfarrdienst in Konkurrenz zu anderen Leitbildern oder zu Leitfiguren im weiteren Bereich der Religionen oder der Sinnstiftungsangebote stehen.

Die Analysen, die den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft wie der Kirchen zu verstehen suchen, liegen vor. Sie brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Die Veränderungen in den Einstellungen der Menschen, die Unterschiedlichkeit der Milieus, der Abbau eines großen Konsens‚ der Gemeinsamkeit im Wertevorrat - all dies hat Folgen auch für das Berufsbild Pfarrerin oder Pfarrer.

Kein Grund also, sich zu wundern. Wo die Welt .unübersehbar in Turbulenzen gerät, bleibt der Kirche keine ökologische Nische für den Rückzug. Wenn in Folge säkularer Entwicklungen die Kirche in ihrer überkommenen Indentität auf dem Prüfstand steht, wird auch das Berufsbild der Pfarrerin und des Pfarrers davon erfasst. Ja vielmehr noch - in weitaus höherem Maße als in den kirchlichen Strukturen wird dieser Konflikt in der Person der Pfarrerin und des Pfarrers gleichsam personal verdichtet. Die Krise der Kirche wird als Krise des Pfarramtes und der Menschen, die es ausfüllen, öffentlich manifest. Nur noch mühsam verdeckt die schwarze Amtstracht evangelischer Predigerinnen und Prediger den darunter verborgenen Flickenteppich-Talar. Die zu Markenzeichen der Postmoderne erhobene Flickenteppich-Identität hat voll auf die professionellen Amtsträgerinnen und Amtsträger der Kirche durchgeschlagen.

Dabei sind die Diagnosen weitgehend gestellt und die Pflöcke der mannigfachen Positionsbestimmungen fast schon unverrückbar eingeschlagen. Zur Zeit werden nach meiner Wahrnehmung mindestens zehn Wege vorgeschlagen und diskutiert, die das Pfarramt in eine attraktive Zukunft führen sollen. Ich habe diese zehn Wege im Jahre 1996 in den Badischen Pfarrvereinsblättern und im Deutschen Pfarrerblatt schon einmal vorgestellt. Nachfolgend seien sie noch einmal vorgestellt:

Weg 1: Die unsystematische Einzelfall-Entlastung
Gemeint ist hier das Bemühen, arbeitsmäßig irgendwie "abzuspecken". Damit wird in unreflektierter Weise auf die Erfahrung der Überforderung reagiert. Dieser Verzicht nach dem Motto "Ich kann doch nicht alles machen!" wird von den gemeindlichen Leitungsgremien bzw. den Gemeindegliedern oft nichts als plausibel nachvollzogen, teilweise sogar als aggressiver Rückzug empfunden und erfährt deshalb von dieser Seite häufig auch keine Akzeptanz.

Weg 2: Der Verzicht auf gemeindefremde Tätigkeitsfelder
Im Unterschied zu Weg 1 werden hier bewusst diejenigen Anteile der gemeindlichen Tätigkeitsfelder als verzichtbar ins Visier genommen, die in Folge früherer Entwicklungsstadien dem Gemeindepfarramt angelagert worden und heute nur noch als sachfremd zu beschreiben seien.

Neben den auf den Religionsunterricht bezogenen Reduktionsbemühungen gerät auch die Zusammenarbeit mit kommunalen bzw. vereinsmäßgen Organsiationen ins Kreuzfeuer der Kritik. Wichtig ist bei diesem Weg die Erkenntnis: Es gibt keine a priori verzichtbaren Arbeitsfelder. Alle sind Frucht eines historischen Prozesses bzw. des jeweils herrschenden Zeitgeistes. Die längere Tradition ist dabei ein gutes, aber nicht immer ausschlaggebendes Argument.

Weg 3: Die funktionale Entlastung des Pfarramtes
Seit dem Memorandum der ökumenischen Institute aus dem Jahr 1973 "geistert" das Funktionspfarramt als die Entlastung oder gar zukunftsfähige Fortschreibung des parochial gebundenen Pfarramtes durch viele, nicht zuletzt kirchenleitende Köpfe. Es gibt kaum einen Bereich pfarramtlicher Tätigkeit neben der Grundversorgung, für den nicht ein funktionaler Dienst parallel oder in Ergänzung als Mitanbieter auftritt. Was einst tatsächlich als strukturelle Reformidee in die Welt gesetzt wurde, steht heute aufgrund der zunehmend engeren Finanzspielräume oder aus ganz anderen Motiven heraus unter Rechtfertigungsdruck oder sogar zur Disposition.

Weg 4: Die Professionalisierung des Pfarramtes
Spätestens seitdem in vielen Pfarrämter nicht nur Anrufbeantworter, sondern auch PC und Fax Einzu gehalten haben, ist die vormalige Rückständigkeit des traditionellen Pfarramtes manifest. Vor allem im Vergleich mit Arztpraxen und Anwaltskanzleien betreuen Pfarrerinnen und Pfarrer ihre "Schäfchen" sowohl was die Ausrüstung angeht wie auch personell mit Mitteln aus der bürokratischen Dinosaurierzeit ("vormodernes System"). Nicht zuletzt hat immer wieder Herbert Lindner mit guten Argumenten für ein konsequentes weiteres Beschreiten des Weges einer ihrer Aufgaben angemessenen Ausstattung der Pfarrämter plädiert.

Weg 5: Professionalisierung der Arbeitsgestaltung
Parallel zum besseren Equipment der Pfarrbüros ist die Entwicklung des Typus des "Managerpfarrers" bzw. Pfarr-Funktionärs vor sich gegangen. Zeitplansysteme ersetzen der Terminkalender. Zielvereinbarungen die Arbeit nach traditionellen Gemeindeaufbaukonzepten, Prioritätensetzungen den (meist als erdrückend empfundenen) vormaligen Pflichtenkatalog in den gemeindlichen Hauptangeboten bzw. der Grundversorgung.

Weg 6: Freiberufliche Pfarrpraxis
Schon vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten wurde als Modell der Entlastung der einem übermächtigen Erwartungsdruck ausgesetzten Pfarrerinnen und Pfarrer das Modell der Pfarrpraxis propagiert (vgl. den Beitrag Christian Hungars in den Lutherischen Monatsheften, 23. Jg., 1984, S.10ff). In Erweiterung der unter 4 und 5 angeführten Wege wird dabei nicht nur an einzelnen Symptomen (Arbeitsplatz, -gestaltung) angesetzt, sondern die freiberufliche Existenz in ihrer in anderen Berufen - vor allem im therapeutischen Bereich - schon vorfindlichen Form als mögliches Vorbild der "Pfarrpraxis" gewählt. Der Pfarrer praktiziert zu genau festgelegten Zeiten und unter vereinbarten Bedingungen in fest umschriebenen Bereichen: der Pfarrer als freiberuflicher Heiler!

Dieser damals unter teilweise hämischer Kritik fortgespülte Gedanke steht doch zumindest ansatzweise in reizvoller Kongruenz zu der riskanten und auf Absicherung verzichtenden Lebensweise der ersten Missionare innerhalb der Jesus-Bewegung.

Weg 7: Die spirituelle Leit- und Seelenführerfunktion
Auch die Möglichkeiten der Einbeziehung der Erfahrungen anderer Religionen haben zu einer Veränderung des Leitbildes für den Pfarrberuf geführt. Darauf hat mehrfach schon Dietrich Ritschl hingewiesen, u.a. bei seinem Vortrag auf dem Badischen Pfarrertag 1994. Neben Vorbildern aus den therapeutischen Berufen wird in diesem Zusammenhang vor allem das Bild des Priesters, des Weisen, des Rabbis, aber auch des mystischen Seelenführers, der teilweise sogar guruhafte Züge tragen kann, für eine Erneuerung des Pfarrberufs fruchtbar gemacht.

Weg 8: Die Idealisierung der Vergangenheit
Wo immer die Gegenwart Krisensymptome zeigt, wird in der Verklärung einer meist nur scheinbar heilen Vergangenheit ein möglicher Lösungsweg propagiert. Im Blick auf den Pfarrberuf ist das die Idealfigur des mit Autorität ausgestatteten, vollmächtigen Predigers und Gemeindeleiters und Seelsorgers. Zugleich werden auch frühere Formen einer autoritär strukturierten Gesellschaft erneut auf die Kirche übertragen. Die priesterliche Würde kommt dabei dem übermächtigen Einzelnen und nicht der Gemeinschaft als ganzer zu.

Weg 9: Kirche als Kontrastgesellschaft
Schon mehrfach in der Geschichte der Kirche - aus protestantischer Sicht exemplarisch in der radiklalreformatorischen Täuferbewegung - wurde der Weg in eine glaubwürdige und auch für Außenstehende attrakive Zukunft der Kirche in einer von anderen soziologischen Gebilden deutlich unterscheidbaren Eigenstruktur gesehen. Keine Verbindung mit Andersdenkenden oder -gläubigen, keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit dem Staat und eine am neutestamentlichen Liebes- und Gerechtigkeitsideal ausgerichtete Lebensweise - derart sind die wesentlichen Forderungen bzw. Kennzeichen der Vertreter/innen dieses Weges umschrieben. Die - und sei es auch nur teilweise -Umsetzung dieses ekklesiologisch argumentierenden und gerade nicht isoliert am Pfarramt einsetzenden Reformprohramms impliziert einen deutlichen Bruch mit den überkommenen kirchlichen Strukturen, was allerdings von den Befürwortern dieses Weges durchaus gewollt ist.

Weg 10: Die kontext- und personenabhängige und zugleich zielgruppenbezogene Vielfalt
Die letzte der hier vorgestellten Möglichkeiten unterscheidet sich insofern vo den übrigen neun und insbesondere den ersten acht, dass sie sich bei der Diskussion über mögliche Lösungswege nicht auf einen "Königsweg" beschränkt. Stattdessen begreift sie die vorhin beschriebene "Flickenteppich-Identität" der PfarrerInnen-Existenz als Chance. Auch das gegenwärtige Pfarrbild - für wie chancenreich man es auch hält - ist historisch bedingt und steht dadurch unter der Voraussetzung des semper reformandum. Und wie bei allen vergleichbaren Fortschreibungen führt dieser Weg in ein sich ständig verbreiterndes und von verschwimmenden Konturen gezeichnetes Delta der Vielgestaltigkeit.

Worin besteht dann aber dennoch das Verbindende? Was hält die Flicken des Talars zusammen? Die eine verbindliche und für alle gleichermaßen konsensfähige Antwort kann es gar nicht mehr geben! Wir müssen uns auf ein Dickicht mit vielen Trampelpfaden einstellen, manchen Weg gar wieder abbrechen und umkehren. In Zukunft werden die verschiedenen Paradigmen des Pfarrberufs weit mehr als am Anfang der Entstehung seines reformatorischen Ur-Ideals immer wieder neu erarbeitet werden müssen. Hierbei haben dann (beinahe) alle der oben skizzierten Wege ihr Recht, wenn auch nicht alle zur gleichen Zeit, mit dem gleichen Grad an Zustimmung und derselben Intensität. Tatsächlich werden Pfarrerinnen und Pfarrer sich eine Selbstbegrenzung aufzuerlegen haben, um das, was sie tun, dann besser, d.h. professioneller und mit mehr Zeitaufwand tun zu können. Im Rahmen dieser ernstlich erst noch zu führenden Prioritätendiskussion wird kein Bereich von vornherein außen vor bleiben können, nicht einmal die Gottesdienste. Vieles, was heute noch die Ausnahme darstellt, wird zur Regel werden.

Durchlässiger werden wohl auch die grenzen der bisherigen Berufsbilder in der gemeindlich-pastoralen Arbeit. Dies wird auch Auswirkungen auf das bisher in Geltung stehende Ordinationsverständnis haben. So wird es auf den Versuch ankommen, gewissermaßen zu einem neuen Mix bestehender Berufsbilder zu kommen bzw. sogar zur Definition von Berufsbildern, die es bisher noch gar nicht gibt.

Im Blick auf die überkommene Struktur des traditionellen Pfarramtes ist es auffällig, dass mindestens zwei Entwicklungen, die aus der industriellen Revolution herrühren, am Pfarramt zumindest teilweise vorbeigegangen sind. Gerade an diesen Punkten entzündet sich aber nicht zuletzt die Diskussion um eine Reform des Pfarramtes und des Pfarrbildes. Nicht wirklich vollzogen wurde im Pfarrdienst a) die Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz sowie b) die Entwicklung vom Generalisten zum Spezialisten.

Die Folgen der nicht exstierenden Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz, man könnte auch sagen, von Dienstbereich und Privatbereich, ist aus meiner Sicht und aus den Erfahrungen, die ich in meiner Kirche gemacht habe, ein wesentliches Grundelement für die subjektiv so erlebte oder objektiv gegeben Überlastung von Pfarrerinnen und Pfarrern.

Im Konflikt zwischen einem eher auf den Generalisten bzw. die Generalistin abhebenden Pfarrbild und dem eines Spezialisten oder einer Spezialistin spiegelt sich ebenfalls eine vertraute Kontroverse. Dem Gemeindepfarramt "klassischer" Ausprägung steht der übergemeindlich und nach eigener Wahrnehmung und eigenem Anspruch professionell arbeitende Fachmann oder die Fachfrau gegenüber, nicht selten verbunden mit parallel arbeitendenen Strukturen und der Konkurrenzsituation zwischen dem gemeindlichen und einem eher übergemeindlichen Ansatz. Ich habe oben schon darauf hingewiesen. Und die Frage sei erlaubt, ob wir auf dem gegenwärtigen Weg der Konsolidierung denn tatsächlich auf dem richtigen Weg sind, wenn wir in dem eben beschriebenen Konfliktfeld uns zu keiner richtungsweisenden Entscheidung durchringen.

Um die Thematik der Frage nach dem Pfarrbild zu öffnen, müssen wir die Fragen wesentlich grundsätzlicher stellen. Im Blick auf die Zukunft darf es nicht allein um den Beruf des Pfarrers oder der Pfarrerin gehen, sondern um die Fülle tatsächlich vorhandener oder auch theoretisch möglicher Berufsbilder im Rahmen der Kirche. Zum anderen geht es auch nicht nur um hauptamtliche kirchliche Berufsbilder. Es geht um vielmehr: nämlich um die Kirche und unsere Kirchenbilder überhaupt.

Vieles, was wir und andere sich immer wieder als Frage stellen in Zielrichtung des Berufs der Pfarrerin oder des Pfarrers muss zuallererst als Frage formuliert werden hinsichtlich der Kirche als ganzer. Ein entsprechender Fragekomplex müsste dann auf folgende Fragen eine Antwort zu geben versuchen:


  • Was ist überhaupt Kirche? Und was ist sie für mich?
  • Was macht sie aus?
  • Was ist der Maßstab, an dem sie sich ausrichtet?
  • Wie soll sie aufgebaut sein?
  • Wie versteht sie sich selber?
  • Woran ist sie zu erkennen?
  • Was ist unverzichtbar?
  • Was gehört in den Rahmen des gleichsam nur Zweitrangigen?

Erst dann - also nach der Frage nach den "unveränderlichen Kennzeichen" - stellt sich als Folge dann der zweite Fragegang:


  • Wie organisiert sich die Kirche in organisatorischer Hinsicht?
  • Wie paßt sie sich ein in die anderen soziologischen Gebilde um sie herum?
  • Was an ihr ist - in Anführungszeichen "anpassungsfähig"?
  • Was an ihr ist bleibend unterscheidend?
  • Wie realisiert sie ihren Auftrag
  • Welche Leitungs- und Entscheidungsstrukturen gibt sie sich?
  • Welche Ämter gibt es in der Kirche?
  • Anders gefragt: In welchen Funktionsstellen bricht sich das Verkündigungamt der Kirche?
  • Oder im Sinne unseres Themas: Welche Berufsbilder gibt es in unserer Kirche?
  • Wie müssen sich diese Berufsbilder gegebenenfalls verändern?

Bei der Frage nach den Berufsbildern - zu unterscheiden von der systematisch-theologischen Frage nach dem Amtsverständnis - sind wir im Bereich dessen, worüber die Kirche pragmatisch und hinsichtlich der Erreichung ihrer Ziele verantwortlich entscheiden kann und muß - um jenen Auftrag sicherzustellen, der ihrer Entscheidungsbefugnis entzogen ist. Diese Aufgabe kann man - in Aufnahme einer Formulierung der Münchner Mc-Kinsey-Studie als "Kommunikation des Evangeliums von der Liebe Gottes" beschreiben - Kommunikation dabei gleichermaßen verstanden sowohl im umfassenden kommunikations-theoretischen wie auch im liturgisch- bzw. gottesdienst-praktischen Sinn.

Das Thema für diesen Pfarrtag ließe sich dann also folgendermaßen präzisieren und zugleich ausweiten:

Mit welchen Berufsbildern kann diese Kommunikation am wirkungsvollsten gewahrt und sichergestellt werden?

Dabei müssen wir uns über eine Vorentscheidung schon wieder im klaren sein. Grundsätzlich hängt diese Kommunikation des Evangeliums von der Liebe Gottes nicht von irgendwelchen Formen hauptamtlicher Mitarbeit ab. Daß wir überhaupt über Formen hauptamtlicher Mitarbeit sprechen ist - selbst in Zeiten des "gleitenden Sinkfluges" oder gar des Absturzes der zur Verfügung stehend Finanzen und in Folge davon auch der Zahl von Hauptamtlichen - im Vergleich mit der weltweiten Ökumene ein Zeichen einer relativen materiellen Prosperität - mit einem Spektrum, das sich allerdings auch innerhalb der EKD - auch zwischen unseren beiden Kirchen -weit auffächert. Man könnte auch von einer besonderen und keineswegs bis ans Ende der Welt zugesagten Phase himmlischer Zuwendung sprechen. Garantiert oder gar ein Kennzeichen von Kirche ist sie nicht!

Alle bisherigen Formen kirchlicher Veränderung gehen einen konservativen Weg. Sie versuchen primär zu bewahren. Und nur die wenigen noch zur Verfügung stehenden übrigen Ressourcen werden - wenn überhaupt - in einen Weg der mühsamen Fortschreibung eingebracht. Ich selber finde, wir müßten uns alle einmal der Mühe unterziehen, den umgekehrten Weg zu gehen oder zumindest zu denken. Es sind eigentlich nicht die innovativen Ideen, die uns fehlen. Nein, das schwierigste Wegstück ist wie immer das von der Erkenntnis zu deren Umsetzung; gleichsam also die Überwindung unseres Trägheitsprinzips.

Aus meiner Sicht wären drei Schritte nötig oder zumindest möglich, um auf dem Weg zu einer zweiten Reformation oder einer Neu-Erinnerung des Prinzips von der ekklesia semper reformanda auch einmal die vorhandenen Berufsprofile in unsere Überlegungen mit einzubeziehen.

  1. Wir müßten einsteigen in einen Weg der Verständigung darüber, wie das Evangelium von der Liebe Gottes überhaupt kommuniziert werden kann. Dabei müßten wir uns zunächst einmal darüber verständigen, was wir überhaupt weitergeben wollen. Wir müßten also vorrangig eine Art Prioritätenliste erstellen - ganz frei von finanziellen Erwägungen. Dabei müßten wir uns auch den Blick aus der Ökumene auf uns gefallen lassen.

    Vor einiger Zeit habe ich mit großem Interesse das Ergebnis einer ökumenischen Visitation unter anderem auch ihrer Kirche gelesen. Deren Ergebnise haben also vor den landeskirchlichen Grenzen - gottseidank! - keinen Halt gemacht. Neun Frauen - aus Europa, Afrika und Asien haben darin ihre Eindrücke zusammengefaßt und festgestellt, sie seien einer schweigenden Christenheit begegnet - Christen also, die ein hohes Maß an sozialem Engagement zeigten, aber kaum über ihren Glauben sprechen konnten. Wo die Kirche sprachlos wird, kann doch irgend etwas mit der Kommunikation des Evangeliums von der Liebe Gottes nicht stimmen.

  2. Die Erkenntnis dessen, was Priorität hat, müßte - und das wäre der zweite Schritt - zu einem Prozeß der Operationalisierung des als Notwendig Erkannten führen. Dabei sind dann folgende Fragen zu entscheiden:


    • Welche Kompetenzen sind für dieses Kommunikationsgeschehen erforderlich?
    • Wie können sie erworben bzw. gefördert werden?

  3. In einem dritten Schritt müßte festgestellt und festgehalten werden, bei welchem Personenkreis diese Kompetenzen schon vorhanden sind bzw. bei wem wir sie ausbilden und stärken müssen. Ohne einem Ergebnis vorgreifen zu wollen, bin ich sicher: Wir würden vermutlich nie auf die große Zahl von Hauptamtlichen kommen, die wir jetzt trotz aller Reduzierungen immer noch haben. Professionelle Kompetenzen sind nicht nur bei den von anderen Aufgaben freigestellten Personen anzusiedeln. Insofern sind wir gerade hier in einer ökumenischen Ausnahmesituation. Das dritte Jahrtausend wird einen Schub professioneller Ehrenamtlichkeit bewirken. Da bin ich mir ganz sicher.

Vermutlich würden wir bei dem von mir angeregten Gedankengang vielleicht noch zu ganz anderen Berufsbildern kommen. Zumindest zu weiteren Ausdifferenzierungen. Zur bezahlten Arbeit kämen bei den in der Kirche kompetent und professionell Mitarbeitenden noch alternative andere Modelle der Lebensssicherung hinzu. Pädagogische, wissenschaftlich-theologische, diakonische und organisatorische Kompetenzen würden sich womöglich ganz neu mischen lassen. Spannend wäre es, sich einmal auf diesen Weg einzulassen. Lernen könnten wir dazu bei Paulus ebenso wie bei den Erkenntnissen der Kommunikationswissenschaft, der Organisationssoziologie oder der Wirtschaftstheorie. Die schwieriger werdende Rolle der theologischen Fakultäten wird diesen Prozeß des Umdenkens ebenso beschleunigen wie die Berufsbilddiskussion, wie ich sie etwa aus dem Kreis der Religionspädagoginnen und -pädagogen in unserer Landeskirche kenne.

Nötig ist auf alle Fälle ein Zusammenwirken von Kernkompetenzen und Spezialisierungen. Die rechte Mischung könnte kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter womöglich auch für nichtkirchliche Gruppen äußerst interessant machen, etwa im neuen Berufsbild des Mediators oder Schlichters, vielleicht auch des Lebensberaters. Ich will einer möglichen Diskussion im Anschluss an meinen Vortrag hier aber nicht vorgreifen. Und es ist zunächst wenig hilfreich, wenn uns Menschen aus dem Kreis derer, die es schon immer gewusst haben, fertige Antworten vortragen. Ich bin schon froh, wenn wir zu den richtigen Fragen durchdringen.

Das Bleibende inkarniert sich im Wandel. Das macht vielfach Angst und es ist im übrigen auch anstrengend. Aber am Ende kann uns in der Kirche dieser Denkprozeß nicht erspart bleibenb - zumal in einer, die sich - und darauf sollten wir uns immer wieder besinnen - das gemeinsame Priestertum aller Getauften auf ihre Fahnen geheftet hat.

Unter diesem Vorzeichen sind die kirchlichen Berufsbilder nicht anders zu verstehen und nirgendwo anders einzuordnen als im Rahmen der paulinischen Anschaung von den gottgeschenkten Charismen, was ja im Grunde nicht anderes meint als Begabung.

Diese paulinische Charismenlehre sei - so hat es Käsemann einmal gesagt - nichts anderes als die Projektion der Lehre von der Rechtfertigung in die Ekklesiologie. Begabt sind alle. Das ist der Anspruch. Unsere Wirklichkeiten müssen sich daran messen lassen. Mit dem Thema dieses Pfarrtages sind wir dabei auf einem guten Weg.

Welche Zukunft hat der Pfarrberuf?- das war meine Ausgangsfrage. Klar ist: Aus Ensemble kirchlicher Berufsbilder wird der Pfarrberuf auf unabsehbare Zeit nicht verschwinden. Im Gegenteil! Ich bin sicher, dass der Beruf des Pfarrers und der Pfarrerin der mit dem größten Gewicht bleiben wird. Dies ist keine Binsenweisheit. Theologisch ist bestenfalls das Amt oder es sind die Ämter im Sinne einer Beauftragung garantiert - nicht der hauptamtlich Mitarbeitende im Pfarrberuf, so wie er sich insbesondere seit der Reformation entwickelt hat.

Diese Bestandsgarantie für den Pfarrberuf muss allerdings nicht zugleich bedeuten, dass der größer Teil der Leitungsaufgaben bei hautamtlich arbeitendenden Pfarrerinnen und Pfarrern bleiben muss. Wenn es Veränderungen hinsichtlich der Kompetenzen des Pfarrberufs geben wird, dann im Sinne einer neuen Konzenatation auf die Kernkompetenz "Theologie"!

Die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer wird mittelfristig sicher weiter abnehmen. Aufgrund der Abnahme der finanziellen Möglichkeiten; aber vielleicht auch zugunsten und anderer neuer Berufsbilder. Auf der anderen Seite wird es hoffentlich immer wieder auch Modelle der Drittmittelfinazierung von Pfarrstellen geben - so wie etwa im mittelbadischen Allmansweier, wo ein ortsansässiger Fabrikant für zehn Jahre die Finanzierung einer halben Pfarrstelle übernommen hat.

Wichtig bleibt, dass wir als Folge der abnehmenden Finanzmittel nicht mit einem parallel verlaufenden Abschmelzen der Gehälter reagieren. Pfarrerinnen und Pfarrer sind Menschen, die eine Führungsaufgabe innehaben. Sie sind dafür sehr lange, länger als in den meisten anderen Berufen ausgebildet worden. Für diese Aufgabe braucht es hochqualifizierte Kräfte, die auch entsprechend entlohnt werden müssen. Dies hat nichts mit Besitzstandswahrung oder einer materiellen Gesinnung zu tun. Kriterium ist der Vergleich mit Berufen ähnlicher Anforderung und Qualifikation, insbesondere dem der Lehrerin bzw. dem des Lehrers an einem Gymnasium. Der Verweis auf die Lebenspraxis der Apostel, den manche hier gerne in gegenläufiger Absicht ins Feld führen, bringt keinen Erkenntniszugewinn. Bestenfalls in der Hinsicht, dass wir als Christenmenschen unter der Vorgabe des Priestertums aller Getauften alle in der Nachfolge der Apostel stehen.

Hinsichtlich weiterer Prognosen Hinweise für die zukünftige Entwicklung des Pfarrberufs will ich aus dem Ergebnis einer Arbeitsgruppe meiner badischen Landeskirche zitieren. Dies mögen sie mir nicht zuletzt deshalb erlauben, weil ich aus dem Teil zitiere, bei dessen Erstellung ich entscheidend mitgearbeitet habe. Das in diesem lila Heft vorgelegte Ergebnis, das im Jahr 1998 veröffentlicht wurde, trägt den Titel "Der Beruf des Pfarrers und der Pfarrerin - Überlegungen zur Zukunft des Pfarrberufs".

Im Blick auf mögliche Veränderungen heißt es da: v


Da sich Veränderungen eines Berufsbildes zwangsläufig auch auf die Ausbildung niederschlagen müssen, möchte ich ihnen auch votragen, was in dem Bericht als Schwerpunkte einer künftigen Ausbildung zusammengestellt wurde:




Mögliche Ängste hinsichtlich des wissenschaftlichen Niveaus der Ausbildung von Pfarrern waren dabei durchaus im Blick.



Denoch sollten wir uns beim Blick in die Zukunft des Pfarrberufs keineswegs entmutigen lassen, ist doch dieser Blick oftmals schon nicht anderes als der Blick über den eigenen Gartenzaun und den eigenen Horizont hinaus. Das Pfarramt und die Gemeinde der Zukunft werden längst praktiziert: als Einzelfall. Als tolerierte Ausnahme. Als bewusst in Kauf genommene Überschreitung der bisher geltenden Vorgaben. Als innergemeindlicher Aufbruch vieler oder bisher auch noch weniger. Die im Gang befindlichen Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten, zugleich aber nur schwer wirklich steuern. Aber wenn wir uns mutig auf sie einstellen, lassen sie sich gestalten und fruchtbar machen. Und darauf kommt es am Ende schließlich an.

Sicher ist: Das Pfarramt der Zukunft wird - offensichtlicher als es bisher schon war - ein vielfältigeres und bunteres sein. - nicht nur in der Farbe der Talare.

An das Ende meiner Überlegungen will ich fünf kurze Thesen in Form sanfter Provokationen stellen.

  1. In der Theorie liegen alle Erkenntnisse für den Übergang in andere, dem gesellschaftlichen Wandel angemessene Formen des Kirche-Seins längst vor. In der tatsächlichen Umsetzung sind wir bestenfalls am Anfang.
  2. Auch in den Kirchen, die soziologisch betrachtet ja Großorganisationen bilden, regieren - wie anderswo auch - primär die Prinzipien der relativen Beharrlichkeit - um nicht zusagen der Trägheit - und der Besitzstandswahrung - und ich meine jetzt gar nicht im materiellen, sondern im strukturellen Sinn. In dieser Hinsicht hat die Kirche teil an den Gesetzmäßigkeiten der Welt, innerhalb derer sie existiert. Träger der Veränderung sind dabei die Ränder der Basis. Synoden und Kirchenleitung ziehen nach und fassen die neue Wirklichkeit in verfaßte Formen. Sie werden dadurch Garant, aber niemals Motor der Veränderung sein.
  3. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte wird sich die Kirche mindestens so sehr verändern wie in den letzten 500 Jahren. Dabei wird die Pluralität - zu unterscheiden vom Pluralismus - ein wesentliches Kennzeichen ihrer äußeren, sichtbaren Gestalt sein.
  4. Inhaltlich wird die Bedeutung von Religion und Spiritualität zunehmen. Hier haben die Kirchen ihr unterscheidbares Profil. Daneben wird es - wenn auch teilweise nur noch in exemplarischen Formen - das sozialdiakonische Engagement geben. Ein Teil der heute verfaßten Diakonie wird allerdings unter wirtschaftlichem Druck aus den bisherigen Organisationsformen aus und in andere, neue und eigenständige Organisationsformen "auswandern". Aus der als Verein organisierten Diakonie der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts werden Förderationen von diakonischen und weltlichen Anbietern, gemeinnützige GmbH und --wer weiß - in absehbarer Zeit auch einmal Aktiengesellschaften. Wir werden lernen müssen umzudenken. Beängstigen muss uns das allerdings nicht.
  5. Das stärkste Ferment jeglichen Veränderungsprozesses wird mittelfristig der weitgehende Zusammenbruch des bisherigen Finanzierungssystems sein. Theologie hat dann die Aufgabe, im Rahmen der notwendigen Umbauprozesse die Entscheidungs- und Gestaltungskriterien zur Verfügung zur stellen. Hauptamtliche, Ehrenamtliche und Menschen mir Fachkompetenz (auch von außerhalb der Kirche) werden in diesem Prozeß zusammenwirken.
  6. Dies alles setzt das Vertrauen in die Wirkung des Heiligen Geistes nicht außer Kraft - im Gegenteil. Dieses Grundvertrauen ist die Bedingung jeglicher Möglichkeit sinnvoller Veränderungsprozesse. Hauptamtliche haben dabei gegenüber Ehrenamtlichen keinerlei Vorteil. Bei der Frage der Hauptamtlichkeit geht es um Entlohnung und Freistellung, nicht aber um einen prinzipiellen Kompetenzvorteil. Professionalität wird zunehmend weniger eine Frage des Anstellungsstatus sein. Hierin kommt die Anschauung des allgemeinen Priestertums dann erst zu ihrer eigentlichen Verwirklichung und vollen Entfaltung.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
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