Besinnung am Beginn des gemeinsamen Pfarrkonventes
mit Landesbischof Dr. Ulrich Fischer
am 29. März 2001 in der Zachäusgemeinde

29.03.2001

Im Namen Gottes uns freundlich zugewandt-
Im Namen Jesu, dem wir Schwester und Bruder werden können
Und im Namen des Heiligen Geistes,
der unser Leben verwandelt. Amen.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.

Lied EG 98,1-3: Korn, das in die Erde

Psalm 46 (EG 726)
Mit Kehrvers EG 21: Seht auf uns erhebt eure Häupter
- am Beginn - nach "hören lässt" - am Ende
- anschl. Ehre sei dem Vater

Kurzansprache

Liebe Schwestern und Brüder,

der Blick in die Nachrichten hat gegenwärtig etwas Gespenstisches und zugleich Bedrängendes. Fast möchte ich sogar sagen etwas Apokalyptisches. Man muss sich nur die Bilder von den gestrigen Protest-Aktionen gegen den Castor-Transport in Erinnerung rufen. Man muss sich vor Augen halten, dass tagtäglich Abertausende von Rindern, Schweinen und Schafen getötet werden. Käulen nennt man das euphesmistisch. Resigneirt nehmen wiur zur Kenntnis, dass es scheinbar keine Alternativen zur Massenschlachtung gibt. Dabei müssen wir noch unseren Kopf freihaben, um wahrzunehmen, dass auf dem Balkan die siebte kriegerische Auseinandersetzung droht oder schon im Gang ist. Der Blick in den Nahen Osten zeigt nur noch einen Scherbenhaufen des einstigen Friedensprozesses. Es scheint, dass sich auf beiden Seiten endgültig die Hardliner durchgesetzt haben. Und wir Deutsche sind belastet von unserer Vergangenheit fast unerträglich untätig.

Anderes kommt hinzu. Die Entzifferung des menschlichen Erbgutes scheint gelungen. Der Tag, an dem der erste Mensch geklont wird, rückt unaufhaltsam näher.

Von den Naturkatastrophen, von den Erdbebenopfern, will ich gar nicht reden.

Während sich die einen einbetonieren lassen, erfreuen sich die anderen an ihrer täglichen Ration "big brother": Oder buchen ihren nächsten Urlaub. Freizeit, Wellness und Event sind gegenwärtig die Schlüsselbegriffe. Und dies alles im Angesicht weltweiter Schreckensszenarien.

Nein, ich will gar nicht und niemanden madig machen. Es gibt eben eine Gleichzeitigkeit des gänzlich Verschiedenen. Und manchmal hilft das eine, das andere überhaupt erst auszuhalten. Leben war immer in Grauzonen und an Grenzen angesiedelt. Es hatte immer eine Vielfalt an Facetten.

Wenn man die heutige ökumenische Tageslesung aus Lukas 21 liest, entdeckt man so manches Bekannte. Auch da die Auflistung großer schrecklicher Ereignisse. Mit den Farben der Apokalyptik wird vom Ende der Zeiten berichtet. Und erst dieser Tage hat eine ältere Frau mir gegenüber wieder von den Zeichen der Endzeit berichtet, die sie gegenwärtig wahrnimmt.

Ich kann mich der Fülle der Endzeitpropheten dieser Tage nicht anschließen. Zu oft haben sich diese Ankündigungen als falsche Prohezeiungen erwiesen. Zu oft wurden sie auch in bestimmten Traditionen unserer Verkündigung unangemessen instrumentalisiert.

Ich halte es lieber mit dem letzten Satz der heutigen Tageslesung, der uns zugleich wieder die Verwandtschaft der Passionszeit mit der Zeit des Advent ins Bewusstsein rückt. Da heißt es nach der Aufzählung der zu erwartenden Schrecken im 28. Vers von Lukas 21:

Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Nicht die Fülle der angekündigten Schrecken bleibt am Ende. Sondern die Zusage der großen Verwandlung. Der großen Initiative Gottes zugunsten der Menschen. Zugunsten der Schöpfung. Hinter all dem, was ich eingangs in seiner Bedrohlichkeit aufgelistet und ernstgenommen habe, liegt eine Sehnsucht. Das Bedrohliche, ja sogar das noch so Abstruse sind verzerrte Sehnsüchte. Die Sehnsucht nach Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit etwa. Die Sehnsucht, frei zu werden von Krankheiten, denen wir nichts mehr entgegenzusetzen haben. Die Sehnsucht, dass unberechenbare und gefährlich strahlende Stoffe unser Leben nicht bedrohen. Die Sehnsucht, selbstbestimmt leben zu können. Das Leben nicht nur zu fristen, sondern zu gestalten und zu feiern.

Und keine Sehnsucht der Menschen ist - so glaube ich - größer als die nach Verwandlung. Nach der Verwandlung dessen, was ist. Nach unserer eigenen Verwandlung. Verwandlung ist die Übersetzung der dem Bereich des Religiösen zugeordneten, manchmal esoterisch missverstandenen Rede von der Erlösung in die Sprache unserer Sehnsüchte. Paulus hat die Rede von der Verwandlung geschätzt. "Wir werden verwandelt" - mit diesen Worten beschreibt er im großen 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes die Aussicht auf Lebens jenseits des Todes.

Aber zurück zur Formulierung der Tageslese aus Lukas 21: Seht auf und erhöht eure Häupter - die große Verwandlung eures Lebens ist nah. Seht auf uns erhebt eure Häupter - schon der erste Teil dieser Aufforderung ist eine gute Aufforderung. Niemand soll gebeugten Hauptes durch‚s Leben gehen müssen. Seht auf und erhebt eure Häupter - das ist die Einladung zum Blick hinter die Kulissen und hinter den Horizont. Die Zusage, dass wir nicht nur von unseren Ansichten und Einsichten, sondern vor allem von unseren Aussichten leben können - und sollen.

Die Zusage der großen Verwandlung - im Angesicht des allzu Bedrohlichen; sogar gegen den Augenschein - diese Zusage - sie ist unsere Profession. Deuten können. Und das Nicht-Deutbare - zumindest das gegenwärtig Unentwirrbare aushalten helfen. Das ist unsere Profession. Nicht das Ende aller Zeiten haben wir anzukündigen. Vielmehr die Botschaft von der Bewahrung seit Noahs Tagen unter dem Zeichen des Regensbogens.

Unsere Verwandlung ist nah. In diesem Glauben lasst uns die Passionszeit gestalten. Sieben Wochen einmal ohne Endzeitgeschrei, aber voller Hoffnungslieder. Nicht kleinreden ist uns aufgetragen. Sondern das rechte Maß anlegen. Unsere Verwandlung hat ihren Grund in der Botschaft des Ostermorgen. Im Fest des Lebens über die Macht des Todes. Keinem Leben bleibt seine Passion erspart. Manches gewinnt seine Ernsthaftigkeit sogar erst, wenn wir mit der rechten Passion ans Werk gehen. Ins Leben gezogene Passion und durch die Passion hndurch gewonnenes Leben. Davon zu reden. Dieses zu feiern. Das ist unsere Aufgabe. Und je näher wir dran sind an ihr, je mehr sie uns ins Beschlag nimmt, desto stärker werden wir selber zum Leben verlockt und zum Fest der Verwandlung. Darum: Seht auf und erhebt eure Häupter - damit wir den großen Verwandler nicht verpassen. Amen.

Gebet (nach Kurt Marti)Du willst uns noch einmal ganz neu haben, beleben mit deinem Geist, du, Gott, der du alles verwandelst. Laß uns, wenn‚s drauf ankommt. Im Gegner den Bruder, im Störer den Beleber, im Unangenehmen der Bedürftigen, im Süchtigen den Sehnsüchtigen, im Prahlhans den einst Gedemütigten und im Schwarzmaler den Licht- und Farbenhungrigen erkennen. Leicht ist das nicht. Es bräuchte dazu, o Gott, die Gegenwart deines Geistes. Amen.

SegenswortUnd die Freundlichkeit und der Segen unseres Gottes bleibe bei uns und begleite uns durch diesen Tag. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.