Predigt über Matthäus 13,44-46
gehalten am 12. August 2001 (9. Sonntag n.Tr.)
in der Ludwigskirche in Freiburg

12.08.2001

Leser/in 1
Hört eine Geschichte: In Südamerika könnte sie spielen oder irgendwo auf der Welt, wo das Land und der Reichtum nur wenigen gehören, aber viele in Armut leben.

Ein Landarbeiter arbeitet wie jeden Tag auf seinem Acker. Der Acker gehört ihm nicht. Der Landarbeiter arbeitet für einen anderen. Hart ist die Arbeit und schlecht bezahlt dazu. Im steinigen Boden kann der Pflug nur langsam und mit Mühe seine Furchen durch die Erde ziehen. Der Schweiß rinnt dem Arbeiter von der Stirn. Da streikt der Pflug wieder. Immer an derselben Stelle. Ein großer Stein - unter der Erdoberfläche verborgen - macht das Weiterpflügen an dieser Stelle unmöglich. Unfreundliche Worte stößt der Arbeiter aus, nicht würdig, hier wiedergegeben zu werden.

Es hilft nichts. Nun muss er graben. Den Stein mit bloßen Händen aus der Erde herausbuddeln. Niemand ist da, um ihm zu helfen. Leichter kommt er voran als vermutet. Er stößt nicht auf Fels, sondern auf Ton. Ein Krug kommt zum Vorschein. Mehr nicht. Doch der Krug lässt sich nur schwer hochheben. Leer ist der sicherlich nicht. Der Landarbeiter öffnet den Deckel. Da haut es ihn um. Münzen aus purem Gold bis obenhin. Wenn der ihm gehörte, dann hätte er ausgesorgt bis an sein Lebensende. Und der Patron müsste sich nach einem neuen Arbeiter umsehen.

Jetzt nur nichts falsch machen. Niemand hat zugeschaut. Also alles wieder herrichten wie es war. Den Deckel auf den Krug. Den Krug in die Erde. Und mit der Hand schnell eine Furche gezogen. Niemand würde etwas bemerken.

Dann schnell nach Hause und nachgerechnet. Das wenige, das er hat, und vieles wenige von anderen zusammengeliehen, muss ausreichen. Er geht zum Besitzer: "Diesen Acker", sagt er, "auf dem ich schon so viel geschuftet habe, den will ich haben. Du kann auf ihn verzichten. Aber ich habe ihn mit meinem Schweiß und mit Herzblut getränkt." Der Patron willigt ein. Die Summe, die sein Arbeiter ihm bietet, ist höher als der zu erwartende Ernteertrag.

Auf dem Heimweg kann der Arbeiter kaum an sich halten. Nun gehört er ihm: der Acker und vor allem der Schatz! Kein anderer wird einen Anspruch erheben können. "Ich habe einen Schatz gefunden. Der ist genug für mein ganzes Leben", hämmert es in seinem Kopf. "Jetzt hab ich‚s geschafft. Endlich und für immer. Ich kann‚s nicht glauben!"


Leser/in 2
Hört noch eine andere Geschichte. Im Orient mag sie sich zugetragen haben. Irgendwo in einem Basar, wo ein Verkaufsstand neben dem anderen liegt.

Ein Kaufmann handelt mit Schmuck. Alles, was man sich nur vorstellen kann. Kostbares Geschmeide. Glitzernde Armreifen. Perlen und Edelsteine aller Art. Er kauft und verkauft. Wird hereingelegt und haut selber auch andere über‚s Ohr. Schlitzohrig ist er geworden im Lauf der Jahre. Und erfahren dazu. Er kennt sich aus mit Schmuck. Sieht, was sich lohnt. Weiß, wovon man besser die Finger lässt.

Von einem großen Fund träumt er, solange er Kaufmann ist. Alle träumen sie davon, wenn sie abends beieinandersitzen im Kollegen- und im Freundeskreis. Sagenhafte Perlen soll es geben, rund und schön wie keine anderen. Ein Vermögen wert. Aber keiner hat je eines solche Perle gesehen. Ein Traum ist das. Der Traum jedes Kaufmanns.

Dann - irgendwo bei einem Perlenhändler, als er wieder einmal auf der Suche ist nach neuen Perlen, da traut der Kaufmann seinen Augen kaum. Mitten unter vielen wertlosen Perlen sieht er die eine liegen Schöner noch, als er sie sich je hat vorstellen können. Der andere Händler ist unerfahren. Aufgefallen ist ihm die Schönheit dieser Perle schon. Aber ihren Wert kann er nicht einmal erahnen.

"Diese Perle will ich", sagt der Kaufmann. Und der andere nennt ihm einen Preis - so hoch, wie er noch nie zuvor einen Preis hat zahlen müssen. Alles, was er hat, würde er für diese Summe drangeben müssen. Aber ganz egal. "Ich zahle", sagt der Kaufmann, auch wenn er noch gar nicht weiß wie. Seine Augen sehen nur die Perle. Und in seinem Kopf ist nur der eine Gedanke: Ich muss sie haben. "Gut", sagt der andere. "Dann nimm sie mit. Sie gehört dir. Aber lass mit dem Geld nicht zu lange auf dich warten."

Himmlisch, das Gefühl, so eine Perle sein eigen zu nennen, denkt der Kaufmann und macht sich auf den Weg, um den Kaufpreis zu beschaffen. Allein wegen dieser Perle hat es sich schon gelohnt, Kaufmann zu werden. Verkaufen würde er diese Perle so schnell aber nicht.


"Wie mit diesen beiden Geschichten", sagt Jesus, "so ist es auch mit dem Himmelreich." Mehr als dieser lapidare Satz Jesu ist uns zu diesen beiden Geschichten nicht überliefert. Und beide Geschichten sind in der Bibel selber auch viel knapper wiedergegeben, als wir sie eben gehört haben. Drei kleine Verse aus dem 13. Kapitel des Matthäus-Evangeliums bilden den heutigen Predigttext. Und deren Quintessenz lautet eben wie gehört: "Wie mit dem Schatz im Acker und wie mit der kostbaren Perle, so verhält es sich auch mit dem Himmelreich."

Wo Jesus mit einem einzigen Satz auskommt, da soll viel mehr Worte daraus machen. Da soll ich predigen. Nun denn!

Zwei Gleichnisse haben wir gehört, die zu den kürzesten der biblischen Überlieferung gehören. Und kaum ein anderer Text vemag besser zu vermitteln, was der Kern jeder Taufe ist. Insofern sind die beiden Gleichnisse auch noch so etwas wie zwei kleine Taufgeschenke an Yannik und Anna-Karlotta.

Gleichnisse, das sind Geschichten, die in einem Bild von Dingen reden, denen unsere nüchterne Sprache nicht gerecht wird. Bilder sind bekanntlich die Sprache der Seele. Meist sind sie verständlicher als komplizierte und sachlich nüchterne Satzgebilde. Und sie sind einprägsam, weil sie bei den Erfahrungen von uns Menschen einsetzen. Darum sollen wir sie auch nicht mit den Augen des Verstandes lesen. Zum rechten Verständnis der Gleichnisse brauchen wir die Augen des Herzens.

Der Verstand sagt uns - ja ermuss und sagen - : diese beiden Menschen - der Landarbeiter und der Kaufmann - sie sind ganz gehörige Ganoven. Sie behalten ein Wissen für sich. Erwerben sich den Acker bzw. die Perle unter unlauteren Bedingungen. Wer sich heute so verhält, macht sich strafbar. Der Krug mit dem Gold gehört entweder dem, der den Acker besitzt, als der Krug gefunden wird. Oder er gehört sogar der Allgemeinheit. Heute würde der Krug vermutlich im Museum landen. Und der Besitzer des Ackers hätte - von einer Abfindung abgesehen - das Nachsehen.

Nicht viel anders verhielte es sich mit der Perle. Wehe, der Vorbesitzer bekäme heraus, dass sein Kunde ihn hinter‚s Licht geführt hat. Vermutlich brächte er ihn vor Gericht - und das völlig zurecht.

So, liebe Gemeinde, so sollte es im Reich der Himmel zugehen? Solche Leute stellt Jesus uns als vorbildlich und lebensklug vor Augen? Das ist nicht ganz so. Und die beiden Gleichnisse wurden auch nicht deswegen erzählt. Das, worauf es bei diesen Gleichnissen ankommt, die Wahrheit des Bildes - die ist eine andere. Ich will versuchen, sie in unsere aktuelle Erfahrungswelt zu übertragen.

In diesen Tagen, liebe Gemeinde ist die Hochsaison der diesjährigen Sommerurlaubszeit. Millionen Menschen sind haben ihre vertraute Umgebung gewechselt. Sind unterwegs. Schlafen in Zelten oder unter freiem Himmel. In luxuriösen Ferienwohnungen. In Hotels. Sind hier ganz in der Nähe, im Schwarzwald. Am Bodensee. In den Alpen oder an der Nordsee. Andere sind weit weg: an Südseestränden, in der Karibik, Griechenland oder Nordafrika. Eben da, wohin sich nur ein Flug sich wirklich lohnt.

Entspannung suchen alle, die sich auf den Weg in den Urlaub machen. Die Unterbrechung ihres Eingebundenseins in die Alltagspflichten. Die beruflichen wie die häuslichen. Etwas Abenteuer und wohltuende Abwechslung. Und diejenigen, die zu Hause bleiben, stellen ihren Tagesrhythmus um, entdecken Neues um sie herum mitten im Vertrauten, steigen womöglich zum ersten Mal auf den Münsterturm oder auf einen der Hausberge der Stadt. Machen ausgiebige Spaziergänge. Suchen wie die Reisenden auch den kleinen Ausbruch aus dem Strauß der vertrauten Alltagsrituale.

Warum machen wir Urlaub? Warum begeben wir uns auf Wanderschaft? Oder gar auf Strecken über oft Tausende von Kilometern? Nur um hinterher mithalten zu können im Konkurrenzkampf des Vergleichens in der Nachurlaubszeit. Um den eigenen Mark-Wert bewerten zu können. Die Fähigkeit zum "länger, weiter, teurer" und mehr. Einiges mag da dran sein. Aber zufrieden stellt diese Antwort nicht.

Christof Hennig, Soziologe und Tourismusfoscher, gewinnt unserer Reisesehnsucht noch einen tieferen Sinn ab. Menschliches Leben, so sagt er, bedeutet in der Normalsituation eine Einschränkung unserer Lebensmöglichkeiten. Das dabei jeweils ausgeschlossene, das Nicht-Alltägliche, das gar Verbotene und Unterdrückte, muss uns trotzdem zugänglich bleiben. Die Religion ermöglicht uns diese herbeigesehnte Überschreitung unserer Grenzen. In diesem Sinn ist die Religion dem Reisen verwandt. Strukturanalog. Wie kaum eine andere Unternehmung ist das Reisen von religiösen Strömungen durchzogen. Ja, unsere heftige Reisementalität ist eine moderne Form der Pilgerfahrt.

Und wörtlich schreibt er dann: "Reisen bedienen unsere Sehnsucht nach dem universellen Bruch. Die Trennung von der heimischen Umgebung führt zu einer Schwächung der bisherigen Identität und des eigenen Lebensentwurfes. Auf dem harten Weg der Fremde wird der Reisende als Pilger zum unbeschriebenen Blatt, bereit für die Begegnungen mit dem Sacrum, dem Heiligen, das ihn verwandeln und heilen soll." Soweit das Zitat.

Noch knapper formuliert: Reisen dienen dem Ziel der großen Verwandlung. Und man könnte sich in jesuanischer Manier ein Gleichnis vorstellen. "Das Himmelreich gleicht einem reisewilligen Touristen, der die schönsten Plätze der Welt im Reisebüro, in den Bibliotheken und im Internet studiert und viele sehenswerte Stätten auch selber besucht. Doch da entdeckt er mit einem Mal einen Ort, weit weg und nur schwer zu erreichen - aber er ist sich sicher: er muss unbedingt dahin. Da liegt das Ziel seiner Lebensreise. Er nimmt Urlaub, gibt vor, sich wie immer auf eine Auslandssreise zu begeben, verkauft seinen Hausstand und macht sich klammheimlich auf den Weg an das unvergleichbare Ziel; macht sich auf die große Pilgerfahrt seines Lebens. Und kommt am Ende an, er weiß nicht wie. Wie mit dieser Reise, so könnte man auch diesen Gleichnis abschließen - wie mit dieser Reise, so verhält es sich mit dem Himmelreich."

Trotz der Unterschiedlichkeit im Detail: Alle drei Gleichnisse erzählen im Grunde vom unverhofften Finden eines Schatzes. Eines Fundes, der sich als Glücksfall erweist. Viele mögen von einem solchen Fund geträumt haben. Einmal im Leben den ganz großen Gewinn machen. Einmal im Leben einen großen Wurf landen. Die allermeisten geben sich dieser Illusion hin, wenn sie auf die große Verwandlung warten; die bessere Zukunft. Wenn sie auf die Zusage der neuen Stelle warten. Oder angeblich kurz vor dem scheinbar großen beruflichen Durchbruch stehen. Viele Millionen machen ihre Hoffnung an den zweimal pro Woche aus der Trommel fallenden Zahlen fest: Jede Woche Toto Lotto. Jede Woche mit dabei.

Dabei spricht alle Wahrscheinlichkeit und alle Statistik nur dagegen. Und dennoch hoffen allzu viele an jedem Tag ihres Lebens auf das große Glück. Oft ohne zu wissen, worauf sie im konkreten wirklich hoffen. Glück ist aber nicht nur das unverdient zufallende Glück. Es gibt auch das Glück des Tüchtigen. Den Menschen aus den Gleichnissen fällt ihr Schatz keineswegs unverdient zu. Sie haben ihn nur ohne allzu vieles Suchen entdeckt. Deshalb ist ein weiterer Teil der Botschaft des Gleichnisses eben dieser: Wenn der unverhoffte Fund wirklich zum gossen Glücksfall des Lebens werden soll, dann muss man, wenn‚s drauf ankommt, anderes, womöglich alles andere drangeben. Der Lohnarbeiter, der Kaufmann, der Reisende - sie bekommen ihren Schatz nicht als Gratifikation oder großzügige Zugabe. Sie erhalten ihn gewissermaßen im Tausch - auch wenn das, was ihnen winkt, das, was sie drangeben, um ein vielfaches übertreffen mag.

Mitten im Leben haben sie plötzlich etwas angerührt, was der große Schatz ihres Lebens sein könnte. Das ist das eine. Das durchaus wohltuende, manchmal glücklichmachende. Und gewiss das Leichtere. Diesen Schatz dann aber auch anzunehmen. In umzutauschen in die Münzen des eigenen Lebens; anderes, alles andere dafür dran zu geben. Das ist das andere. Und allemal der schwierigere Teil unserer lebenslangen Schatzsuche.

Mittlerweile gibt es einen nicht mehr zu überblickenden Markt von Anbietern und Reisebegleitern auf dem Weg zum entscheidenden Ziel des eigenen Lebens. Das Ziel, glücklich zu leben, ist längst zum ausgetüftelten Programm geworden. Und die Verdienstmöglichkeiten auf diesem Feld sind immens. Die Kirchen stehen manchmal hilflos und wie gelähmt vor dieser Fülle. Dabei können sie aus einem Schatz austeilen, der hilft, dem Leben auf die Spur zu kommen.

Die Botschaft der Gleichnisse Jesu ist eine Weise, diesen Schatz zu entdecken. Und zu heben. Das Entscheidende im Leben - so lässt sich diese Botschaft in Worte fassen - es fällt uns einfach zu. Ist Geschenk. Gottesgabe. Das ist der Kern der Botschaft Jesu Das ist die Botschaft der Taufe. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Gott lässt sich finden. Und der, dem wir die Gleichnisse vom Reich Gottes und vom Reich der Himmel verdanken, er ist selber menschgewordenes Gleichnis der Menschenfreundlichkeit und Weltzugewandtheit Gottes.

Gottes Schatz liegt im Menschen. Und das Reich der Himmel viel näher als wir denken. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.