Veranstaltung zum Dominus Iesus
am 22. Juni 2001
in Hinterzarten

22.06.2001


Sehr geehrte Damen und Herren,

"Dominus Iesus" - und immer noch kein Ende! Warum sollen wir uns denn immer noch mit diesem Dokument der vatikanischen Kongregation für Glaubensfragen befassen - so werden sich manche im Blick auf den heutigen Abend vielleicht gefragt haben.

Es mag vielleicht gute Gründe geben, über diese Erklärung hinweg zur sogenannten Normalität überzugehen. Mir ist es lieber, im gemeinsamen Blick auf "Dominus Iesus" eine neue ökumenische Normalität zu gewinnen.

Ein triftiger Grund, um Dominus Iesus lieber erst einmal wieder ad actam zu legen, könnte die zeitliche Distanz zur Veröffentlichung sein. Schließlich heilt die Zeit doch alle Wunden, wie der Volksmund weiß. Also: Alles niedriger hängen. Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Das kann aber doch wohl nicht sein! Eine Erklärung, die von denen, die sie erarbeitet und veröffentlicht haben, sehr wohl ernst gemeint ist und die der Papst "mit sicherem Wissen und kraft seiner apostolischen Autorität bekräftigt und deren Veröffentlichung angeordnet hat, verdient sehr wohl, gelesen und Ernst genommen zu werden - auch noch ein dreiviertel Jahr nach ihrem Erscheinen.

Eine zweite Antwort in mäßigender Absicht lautet: Man muss vor allem zwischen den Zeilen lesen und das Hauptaugenmerk auf die durchaus konsensfähigen Aussagen legen. Dagegen meine ich. Nicht alles, wovon es heißt, wir könnten es gemeinsam unterschreiben, ist aus meiner Sicht unproblematisch. Zum anderen: Ich lese zunächst das, was wirklich da steht. Überdies glaube ich auch nicht, dass "Dominus Iesus" ein Dokument ist, das nur zwischen den Zeilen gelesen und verstanden werden will.

Es gibt auch noch eine dritte Position, die sich um die Erklärung herummogelt, dieses Mal aus der Sicht meiner evangelischenKirche. In sehr salopper Form hat es jemand so umschrieben: "Wenn es in Rom regnet, spanne ich noch lange nicht den Schirm auf." Gemeint ist: Wenn es um die Position von "Dominis Iesus" Kontroversen innerhalb der römisch-katholischen Kirche gibt, müssen wir uns damit noch lange nicht befassen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen:Warum betreibt ihr denn die Einmischung in die Angelegeneheiten anderer? Habt ihr dazu überhaupt ein Recht?

Dazu meine Antwort: Wenn sich eine der großen miteinander im ökumenischen Dialog verbundenen Kirchen zur Frage der Ekklesiologie, zur Lehre von der Kirche äußert - und wenn sie das gar in dem Sinn tut, dass sie die eigene Position gleichsam auf Kosten oder in Abwertung der anderen Kirchen bestimmt und festschreibt, dann kommen wir doch um unserer eigenen Glaubwürdigkeit willen gar nicht darum herum, hier Stellung zu beziehen.

Das bedeutet: Hier liegt mitnichten etwa eine Art der Einmischung in Angelegenheiten eines Dritten vor - das Argument, mit dem manche Staaten die Anprangerung ihrer Menschenrechtsverletzungen durch andere zu diskreditieren suchen. Der Diskurs zur Ekklesiologie ist immer ein öffentlicher. Und darum auch einer, an dem sich andere Kirchen des weltweiten ökumenischen Verbundes beteiligen werden und beteiligen müssen.

Ich erinnere mich, wann ich zu ersten Mal von diesem Dokument gehört habe. Und ich bin geneigt anzunehmen, dass auch da der Heilige Geist im Spiel war. In meinem Urlaub Ende August/Anfang September vergangenen Jahres an der Ostsee fast bei Flensburg hat aus für uns zunächst unerfindlichen Gründen unser Auto seinen Geist aufgegeben. Da standen wir also auf der Straße. Und nichts ging mehr. Der einzige Mensch der dabeistand und es beobachtet hat - im Gespräch mit einer Frau - das war der evangelische Ortspfarrer. Er hatte Urlaub und war sofort bereit, uns abzuschleppen. Kurz darauf machte ich bei ihm einen Dankbesuch mit einer nach mühsamer Suche gefundenen Flasche badischen Weines. Und da ich mich als Kollege geoutet hatte, kamen wir in ein ausführliches Gespräch.

Da war es dann für mich zum ersten Mal hörbar. Das entrüstete evangelische "Haben Sie schon gehört?" Und da ich im Urlaub noch nicht gehört hatte, folgte auf dem Fuß die beinahe ungläubige Rückfrage, ähnlich der der Emmaus-Jünger, die ihrem Begleiter fast nicht glauben wollten, dass er von diesen Vorgängen noch wirklich nichts gehört hatte.

Nach meiner Rückkehr traf ich hier noch auf viele ähnliche Reaktionsmuster. Es kann keinen Zweifel geben: Die Erklärung, insbesondere die Ausführungen unter der Ziffer 17 haben viele Menschen empört, aufgebracht, auch verletzt. Sicherlich nicht beabsichtigt, aber dennoch auch nicht einfach so, dass man diese Reaktionen mit einer Hand einfach hätte wegwischen können oder sollen. Und ich hatte alle Hände voll zu tun, aufgebrachte Gemüter zu beruhigen und geplante Boykottmaßnahmen ökumenisch getragener Arbeit abzuwenden. Insofern diente auch meine eigene Stellungnahme sehr wohl der Beruhigung der Gemüter.

Und dass von den vielen Anrufen und Briefen, die mich danach erreichten, mindestens ein gutes Viertel aus dem Bereich der katholischen Kirche kamen, habe ich mit Erstaunen, zugleich aber auch mit ökumenischer Freude registriert.

Der erste Zorn ist verraucht. Längst sind wir in einer Phase konstruktiven Nachdenkens. Das ist - um es mit einem aktuellen geflügelten Wort aus einem anderem Zusammenhang aufzunehmen - gut so. Durch Frau Prof. Pemsel-Meier ist uns das Dokument ist profund vorgestellt worden. Und viele aus ihren Reihen drängt es sicherlich längst zum Gespräch, vielleicht sollte ich auch sagen zum ökumenischen Austausch.

Ich will mich darum im wesentlichen darauf beschränken, aus meiner Sicht bzw. auch aus der Sicht eines engagierten evangelischen Theologen einige hoffentlich weiterführende Einwürfe in Form von Anmerkungen und Fragen anzuschließen. Einem Gespräch mit dem Ziel, die Problemlage deutlich offen zu legen, kann dies nur dienlich sein.

1. Worum geht es denn im Kern tatsächlich? Ich will noch einmal ganz kurz den Punkt benennen, der die hitzigen Debatten insbesondere ausgelöst hat. Der Streit geht nicht darüber, ob die Kirche Jesu Christi nur eine einzige sei, wie man es immer wieder in den Medien, auch in dem kämpferischen Kommentar von Jürgen Busche in der Badischen Zeitung lesen konnte. Die Einheit und Einzigkeit der Kirche bekennen wir doch schon mehr als eineinhalb Jahrtausende etwa - im Apostolicum und im Nicaeno-Constantinopolitanum. Gegenstand der Kontroverse ist auch nicht die Frage, ob diese Una sancta catholica, diese eine katholische Kirche wahrhaftig und vollständig in der römisch-katholischen Kirche existiert. Die Erklärung benutzt dafür den Ausdruck subsistiert. Gegenstand der Auseinandersetzung ist die Frage, ob sie nicht auch in anderen Kirchen verwirklicht sein kann. Die Konzilsväter haben - so kann man das der Vorgeschichte von lumen gentium 8,2 entnehmen - wohlweislich offen lassen wollen und sie haben eben darum aus dem "est" ein "subsistit" gemacht.

2. Die äußeren Veranlassung dieses Dokumentes liegt, so haben wir es immer wieder gehört, in einer glaubwürdigen und notwendigen Positionsbestimmung der Kirche unter den Vorzeichen des Pluralismus und mit der Kirche konkurrierender Sinnstiftungsmodelle. Dass kann aber nicht die alleinige Stoßrichtung gewesen sein. Wie anders ist zu erklären, dass in der Note der Kongregation für Glaubenslehre, die die deutschen Bischöfe schon vor der Sommerpause des letzten Jahres erreichte, - und die geheim gehalten werden sollte - nicht mehr von "unseren beiden Kirchen" gesprochen werden sollte.

Wenn dieses Schreiben nur dem Zweck gedient hätte, darauf hinzuweisen, dass die Kirche Jesu Christi nur eine einzige ist, wäre dagegen ja nicht allzuviel einzuwenden. Wenn man aber im Lichte der Lektüre von Dominus Iesus weiß, dass mit der einen Kirche etwa die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen gar nicht gemeint sind, wird die - Sie erlauben mir die Formulierung - die Infamie gerade dieses Schreibens öffentlich bloßgelegt. Hier geht es beileibe nicht nur um Theologie. Hier werden gewissermaßen Besitzansprüche festgeklopft.

3. Nun aber auch zum Dokument selber. Aus evangelischer Sicht können wir die Definition dessen, was Kirche Jesu Christi ist, so, wie Dominus Iesus es tut, nicht mittragen. Nicht deshalb, weil die Definition nicht von uns stammt, also nicht etwa aus Mimosenhaftigkeit, sondern weil diese Definition Kirche ungerechtfertigter Weise und in der Absicht einseitiger theologischer Vorteilsnahme eng führt.

Kirche wird - wie wir es gehört haben - definiert durch (a) die Taufe, (b) durch die gültige Eucharistie und (c) durch die volle Partizipation an der apostolischen Sukzession einschließlich (d) der Anerkennung des Iurisdiktionsprimates des Bischofs von Rom; verkürzt könnte auch sagen durch das rechte Verständnis der kirchlichen Ämter. Nur bei letzterem - konkret beim Jurisdiktionsprimat - gibt es einen Dissens mit den Orthodoxen. Dies verschafft ihnen zumindest das herausragende Zugeständnis, eine echte Teilkirche zu sein. Die Bericht vom Papstbesuch in der Ukraine haben einmal mehr das deutliche Werben des Papstes um die Orthodoxen öffentlich gemacht.

Wer, wie die Evangelischen, sich in Übereinstimmung nur noch im Blick auf die Taufe befindet, bekommt den Platz in der Vorhalle zugewiesen. Diese Gruppierungen werden unter "ferner liefen" - konkret unter "kirchliche Gemeinschaften" eingeordnet. "Der Geist Christi" - und jetzt zitiere ich - "hat sie zwar gewürdigt, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen", aber konstatiert wird bei diesen Christen am Ende aber nicht zuletzt "fehlende Einsicht".

Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass gerade diese Minder-Einstufung im evangelischen Bereich zu Verletzungen geführt hat, die diejenigen nicht so einfach mit der linken Hand abtun können, die sie verursacht haben. Ich kann doch meinem Nachbarn nicht die partnerschaftlich-gleichwertige Nachbarschaft aufkündigen und mich dann darüber echauffieren, dass dies zu - gelinde gesagt - athmosphärischen Störungen führen muss.

4. Die Differenzierungen in Schwesterkirchen, Teilkirchen und dann - wie in der Note vor den Sommerferien - auch Mutterkirchen halte ich grundsätzlich für hochproblematisch. Der Ausdruck Mutterkirche kann - wenn überhaupt - bestenfalls noch für die große ökumenische Kirche vor 1054 in Anspruch genommen werden. Die beiden großen Kirchenspaltungen - und viele kleine womöglich auch - haben nur noch Geschwisterkirchen zurückgelassen. Sie haben im einen wie im anderen Fall der Spaltung immer auch die römisch-katholische Kirche verändert zurückgelassen.

Im übrigen sehe ich auch eine Spannung in der Verwendung des Begriffes "Teilkirche". Es gibt tatsächlich die - im theologischen Sinn - Gesamtkirche. Und dann eben eine große Zahl von Einzelkirchen, die aber nicht grundsätzlich von der Möglichkeit ausgeschlossen sind, Kirche Jesu Christi im Vollsinn des Wortes zu sein.

5. Dies Unklarheit spiegelt sich auch wieder in der Interpretation des "subsistit in". Zwar wird in der Fußnote 56 der Erklärung der Eindruck erweckt, deren Interpretation decke sich mit der von lumen gentium 8.2. Wenn man aber die Redaktionsgeschichte dieses Konzilstextes genau wahrnimmt, kann man zu keiner anderen Überzeugung kommen, als dass die Konzilsväter eben gerade diejenige Tür offen halten wollten, die Dominus Iesus im Grunde zuschlägt. Wenn die Erklärung betont, dass die eine Kirche Jesus Christi in der katholischen Kirche subsistiert, meint sie damit eben die Kirche unter der Leitung des Bischofs von Rom und schließt die Subsistenz der Kirche Jesu Christi in anderen Einzelkirchen in aus meiner Sicht nicht nachzuvollziehender Weise einfach aus. Gerade an diesem Punkt ist die Enttäuschung über Dominus Iesus aus evangelischer Sicht am größten.

6. Damit sind wir bei der Frage nach unserer ökumenischen Vision. Bei der Frage danach, wie wir uns die Erreichung der Einheit der Kirche tatsächlich vorstellen. Hier gibt es ja bekanntlich eine Fülle von Formeln, Sätzen und Positionsbestimmungen. Erinnern möchte ich an die Formulierung von der "versöhnten Verschiedenheit" und von der "Einheit in Vielfalt". Diese Formulierungen werden zu Unrecht als zu vage diskreditiert. Dahinter steckt doch die Überzeugung, dass die Einheit der Kirche nicht zwangsläufig eine organisatorische, sondern eine am Tisch des Herrn gemeinsam feiernd zu realisierende ist. Das Modell der Leuenberger Konkordie, für dessen Entwicklung wir evangelischerseits ja auch über 450 Jahre gebraucht haben, könnte unser ganz konkretes und auch ernstgemeintes Angebot im Blick auf eine Verwirklichung der Einheit der Kirchen sein.

Der einfache Weg zurück nach Rom ist evangelischerseits nicht mehrheitsfähig. Wenn erläuternd immer wieder der Satz zu hören ist, denkbar sei nur die Gemeinschaft mit, aber nicht unter dem Bischof von Rom, dann weiß ich nicht, wieviel Konsenskraft diese Formel in sich trägt. Tatsächlich haben wir auch evangelische Kirchen, die nicht episkopal, sondern presbyteral geleitet werden, und die gerade darin ein wichtiges Element ihrer Tradition sehen.

7. Evangelische Kontrovers-Theologie könnte sich veranlasst sehen, den Weg von Dominus Iesus einfach umzukehren, indem etwa dem römisch-katholischen Verständnis im Blick auf das Abendmahl und das Amt das evangelische unversöhnlich entgegensetzt und umgekehrt Anfragen an die Weise des Kircheseins des römisch-katholischen Partners stellt.

Dies kann meines Erachtens aufgrund des bisher in Konsens- und Konvergenztexten Erreichten kein ernstzunehmender Weg mehr sein. Im Verständnis der Präsens Christi in den eucharistischen Elementen sind wir einander genauso nah gekommen wie im Verständnis der Lehre von der Rechtfertigung. Unbestritten bleibt, dass in der Frage des Amtsverständnisses und wohl auch im Kirchenverständnis noch erheblicher Klärungsbedarf besteht. Zum Weg der Konsensökumene in mühsam erarbeiteten Dokumenten sehe ich aber nach wie vor nur die Alternative des gemeinsamen Feiern. Im Verzicht auf theologische Detailarbeit kann kein fruchtbarer Weg bestehen.

Ob der Weg von Dominus Iesus dabei ein hilfreicher ist, wage ich zu bestreiten; es sei denn, dass wir in der schonungslosen Proklamation des eigenen Standpunktes das Heil suchen. Insofern halte ich Dominus Iesus im ökumenischen Horizont gelinde gesagt für kein sonderlich hilfreiches Dokument.

Was die Ökumene nach "Dominus Iesus" angeht, so müssen wir tatsächlich unsere Visionen offenlegen. Wie stellen wir uns die von allen Christenmenschen herbeigesehnte Einheit vor. Als Rückkehr unter den Primat des Papstes? Als Anerkennung eines pästlichen Pastoral-Primats wie es "Sanctorum Communio" vorschlägt. Oder eben als die Verwirklichung, man könnte auch sagen "Fleischwerdung" der Formel von der "Versöhnten Verschiedenheit".

Ich selber hänge sehr energisch dieser dritten Möglichkeit an. Man muss mit der gemeinsamen Feier der Eucharistie nicht bis an Ende warten. Die Eucharistie stiftet auch Gemeinschaft, die eine tiefer Verbindung zum Ausdruck bringt als es eine Lehrgemeinschaft vermag.

Wenn wir uns heute Abend aber genau diesen Fragen stellen, wird offenkundig, dass wir die letzten Antworten nicht finden können, ehe wir die entscheidenden Fragen gestellt haben. Ich bin gespannt, zu welchen gemeinsamen Erkenntnissen wir heute Abend noch miteinander verlockt werden.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Fulbert Steffensky: Es ist eine Lust zwischen den Zeilen zu leben, zwischen den Häusern und zwischen den Welten. Es ist die Lust, in mehr Häusern beheimatet zu sein als nur in einem. Es ist die Unbescheidenheit, mehr Welten zu wollen als nur die eigene bescheidene Lebenswelt. Heimat verdummt, wenn man nur eine kennt. Wer mehr als ein Haus kennt, ist nicht mehr eingekerkert in ihm. Wer mehr als eine Kirchen kennen gelernt hat, lernt seine eigene zu lieben, und sie zugleich als begrenzt zu empfinden.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.