Einführung von Stefanie Esch als Gemeindediakonin
der Johannesgemeinde Merzhausen / Quartier Vauban
am Sonntag, den 3. März 2002 (Oculi)
in der Johanneskirche Merzhausen

03.03.2002
Liebe Frau Esch,

die zentralen Begriffe der Gegenwart heißen Globalisierung, Technisierung und Modernisierung. Die Welt, so heißt es manchmal, sei im Grunde ein großes, sich immer weiter entwickelndes Dorf. Und was immer sich an einem Punkt des Globus ereigne, habe Auswirkungen auf andere. Und sei’s an einem ganz weit entfernten Ort. An den Börsenkursen ist dies zu spüren. An den Wander- und Flüchtlingsbe-wegungen. Aber auch daran, dass wir seit zwei Monaten gemeinsam mit elf anderen Ländern eine neue gemeinsame Währung haben. Und dies alles in der Hoffnung, aber auch mit dem Anspruch, den Menschen zu dienen und unsere Lebensqualität zu erhöhen.

Das besondere Kennzeichen dieser vom Wissen umd die weltweite Vernetzung bestimmten Denkens ist das Internet. Geographische Entfernungen und zeitliche Unterschiede spielen hier keine Rolle mehr. Alles – so hat man manchmal den Eindruck - steht uns überall und zur selben Zeit zur Verfügung. Selbst der Zugriff auf den Kern des Lebens in Form der Forschung etwa den Stammzellen ist der Forschung nicht mehr länger verwehrt.
Wir dürfen mit guten Argumenten darüber ins Zweifeln kommen, wie hoch der Gewinn dieser Entwicklung für uns Menschen wirklich ist. Das soll heute aber gar nicht mein Thema sein. Ich will auf etwas anderes hinweisen. Globalisierung und weltweite Vernetzung ha-ben zwangsläufig auch Gegenbewegungen in Gang gesetzt. Auf der Ebene des Politischen, etwa im europäischen Vereinigungsprozess ist das die Regionalisierung.

Diese Regionalisierung entspricht der Einsicht: Wir können nicht immer nur global leben und handeln. Vom Wissen um die Zugehörig-keit zu einem weltweiten Netz können wir auf Dauer nicht leben.

Leben geschieht immer vor Ort. Leben braucht Nachbarn. Leben braucht den Menschen in Sichtweite. Den Menschen zum Anfassen und zum In-den-Arm-nehmen. Leben braucht nahbare Strukturen. Braucht Heimat. Heimat finden wir zuallererst da, wo wir wohnen. Da, wo wir etwas wiedererkennen. Wo wir Wurzeln schlagen. Mitten in der mobilen Gesellschaft brauchen wir Orte, mit denen wir uns identifizieren können. Orte, in deren Entwicklung wir uns einbringen können. Ort, die uns ans Herz wachsen. Eben Orte, die uns die Er-fahrung von Heimat ermöglichen.

Ihre Arbeit im neuen Stadtteil Vauban ist Teil dieses Heimatfindungsprozesses. Kirchliche Arbeit ist überhaupt immer ein Betrag zur Verwurzelung und zur Stärkung des Menschlichen. Dies gehört geradezu zum alten Erfahrungswissen der Kirche. Wie keine andere In-stitution auf dieser Welt weiß sich die Kirche global verbunden. Dies meinen wir, wenn wir in unserer Sprache von Ökumene sprechen. Und dennoch konkretisiert sich dieses Wissen immer lokal. Vor Ort. Kirchen und kirchliche Räume müssen in nächster Nähe und mög-lichst zu Fuß zu finden sein. Eine Architektur mit hohem Wiedererkennungswert hat dazu über Jahrhunderte mit beigetragen. Und un-übersehbare Türme mit unüberhörbarem Glockengeläut.

In der neuen urbanen Architektur und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ist dies nicht mehr so leicht zu realisieren. Den-noch: Auf eines kann Kirche – und können die Menschen – nicht verzichten: auf Räume, an denen gelingende Begegnung - an denen Kommunikation - möglich ist. Und auf Menschen, die Brücken bauen und die dem anderen und der andere gute, aufbauende, ja lebens-fördernde Worte zusprechen. Wobei all diese gute Worten immer eine Brechung des guten Wortes von den Menschenfreundlichkeit und der Weltzugewandtheit Gottes darstellen.

In diesem Erwartungshorizont, Mensch zu sein mit anderen und für andere – und dies zu sein im Wissen um das eigene letzte Getragen-sein von jener Kraft, die wir Gott nennen – in diesem Geflecht ist ihr Dienstauftrag angesiedelt und verortet, liebe Frau Esch. Und es ist die spannendste Aufgabe, die einem heutzutage überhaupt aufgetragen werden kann. Zumal in einem derart spannenden Stadtteil.

Sie können unter Strukturen arbeiten, die alles andere als traditionell sind. Ihr Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner spiegeln die Vielfalt gegenwärtiger Lebensentwürfe wider. Und sie erwarten von ihnen Eindeutigkeit und Klarheit in dem, was sie mit der ihren ü-bertragenen Aufgabe verkörpern. Wofür sie einstehen. Das ist nicht immer ganz leicht.

Sie sind eingebunden in ein kirchliches und gesellschaftliches Netz, in das viele mögliche Bündnispartner eingeknüpft sind. Kirche und Kommune, Stadtteilverein, Initiativen, Parteien. Gleichgesinnte, Ähnlichdenkende und Andersdenkende. Und weil dies so ist, will ich ihnen als Motto für ihre Tätigkeit hier als jenen Bibelvers zusprechen, der wie kaum ein anderer ihre Aufgabe umschreibt. Und der längst zu meinen eigenen Lieblingsversen gehört.

Es ist jene biblische Aufforderung aus dem aus dem 1. Petrusbrief:

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedem Menschen,, der von euch Auskunft erbittet über die Hoffnung, die in euch ist.

Diese Aufgabe wahrnehmen zu können, ist allemal ein Glücksfall. Und sie ist bei ihnen – das konnten viele längst spüren - in guten Händen.

Inmitten der Globalisierung den Nächsten wahrnehmen. In allem Vertrauen auf die Modernisierung an das vertraute Wissen um die be-wahrenden Kräfte Gottes zu erinnern. Bei allen Erfolgen der Technisierung an die alles übertreffenden und Berge versetzenden Mög-lichkeiten der Liebe zu erinnern. Dazu wünsche ich Ihnen Freude und Mut. Vor allem aber Gottes Segen. Amen.
Gott gebe der Hoffnung, die in ihnen ist, Flügel. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.