Predigt über Hebräer 13,15+16
gehalten am Sonntag, den 6. Oktober 2002 (Erntedank)
in der evangelischen Kirche in Gundelfingen

06.10.2002
Predigttext
So lasst uns nun durch ihn - nämlich Christus -
Gott allezeit das Lobopfer darbringen,
das ist die Frucht der Lippen,
die seinen Namen bekennen.
Gutes zu tun
und mit andern zu teilen,
vergesst nicht;
denn solche Opfer gefallen Gott.




Liebe Gemeinde!

Das Erntedankfest ist eines der schönsten Fest im Kirchenjahr. Und auf alle Fälle am leichtesten zu verstehen. Das Erntedankfest erklärt sich selbst. Es braucht dazu keine Theologie. Keinen Akt des Glaubens wie an Weihnachten oder Ostern. Kein Bekenntnis zu einer besonderen Religion. Denn Erntedank wird überall gefeiert. Und schon so lange, wie es Menschen gibt.

Das Erntedankfest ist das älteste Fest der Welt. Die Hauptfeste der großen Weltreligionen sind alle zunächst einmal Erntefeste gewesen. Kein Wunder. Die ertragreiche Erne, der ausreichende Vorrat über den nächsten Winter oder die nächste Trockenzeit waren die Voraussetzung, um überleben zu können. Hinter dem Wetter, hinter der Erfahrung, dass es genug zu ernten gab oder dass die Ernte ausblieb, vermutete man willkürliche, zumindest undurchsichtige Entscheidungen der Götter.

Darum war es die wichtigste religiöse Handlung, die Götter bei Laune zu halten. Sie gnädig zu stimmen. Diesem Zweck dienten alle Opfer. Nicht irgendwelche Reste oder Übrigbleibsel wurden geopfert. Nein, man nahm vom Besten, was man hatte. Vor der Ernte bat man um Wachstum und Gedeihen. Nach der Ernte brachte man seinen Dank dar. Und dies alles im Rhythmus des Jahres. Und jedes Jahr auf’s neue. So sind die Erntefeste entstanden. Meist gab es gleich mehrere in jedem Jahr. Dazu kamen schon bald die Opferfeste der Herdenbesitzer. Das Einbringen der Ernte und das Wachstum der Herde. Beides garantierte das eigene Überleben und das der jeweiligen Sippe. Darauf konzentrierten sich alle Energien. Darum rankten sich alle Feste. Und all diese Feste sind Opferfeste. Das von den Göttern angenommene Opfer garantierte allein die Zukunft.

So beginnt die Kulturgeschichte der Menschheit zusammen mit der Geschichte der Religion. Schon auf der zweiten Seite der Bibel können wir dies bestätigt finden. Kain und Abel bringen Gott ihre Opfer dar. Von den Früchten des Feldes und von den Tieren der Herde. Beide bringen vom Besten, das sie haben. Einmal steigt der Rauch nach oben. Das andere Mal kriecht er am Boden entlang. Die tödlichen Nachwirkungen dieser Geschichte kennen wir alle. So ist das eben mit den wankelmütigen Göttern. Man kann nie sicher sein, ob sie zufrieden sind mit dem, was die Menschen ihnen opfern.

Doch die Geschichte der Menschheit ging weiter. Aus einzelnen Sippen bilden sich größere Einheiten. Staatsähnliche Gebilde entstehen. Auch Israel bekommt einen König. Zur Erfahrung der Ernte im Jahreslauf kommt damit die Erfahrung der Geschichte. So entstehen die nächsten Feste. Und manchmal werden Erntefeste umfunktioniert. An Passah gedenken die Israeliten der Erfahrung der Befreiung. Am Wochenfest feiern sie die Gabe der 10 Gebote. Und auch jetzt werden die Opfer nicht weniger. Sie sollen schützen vor den Feinden. Und sie sollen den eigenen Erfolg sichern.

Doch auf Dauer bleibt es nicht dabei, dass Früchte und Tiere geopfert werden. Die Geschichte der Opfer entwickelt sich weiter. Zwei Möglichkeiten stehen offen. Die eine ist die, dass man das Opfer verschärft. Nicht einmal vor Menschenopfer wird Halt gemacht. Die Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks ist eine im Kern eine schonunglose Kritik an solchen Opfern. Ich habe solche Opfer nicht nötig, sagt Gott. Mein Segen ist von solche Grausamkeiten nicht abhängig.

Der andere Weg neben der Verschärfung ist der der Vergeistigung. Nicht Früchte und Tiere werden geopfert. Sondern ideelle Werte. Ungegenständliches. Unser Einsatz, unser Leben werden zum Opfer. An diesem Punkt der Entwicklung steht der Hebräerbrief. Und er greift gleich beide Möglichkeiten auf.

Zum einen die Zuspitzung des Opfers. Jesu Weg durch diese Welt, sein Einsatz für die Menschen und vor allem sein Tod werden im Hebräerbrief mehr als in jedem anderen biblischen Buch als Opfer verstanden. Als Beispiel dient der religiöse Kult im Tempel von Jerusalem vor seiner Zerstörung. Am großen Versöhnungsfest geht der Hohepriester ins Allerheiligste. Für die Sünden der vielen bringt er ein Versöhnungsopfer dar. Einmal im Jahr. Und nur der Hohepriester allein. So versteht der Hebräerbrief auch das Wirken Jesu. Nur viel umfassender. Jesus, so lesen wir da, hat sich ein für allemal geopfert. Und zu gut. Und ohne die Notwendigkeit zur Wiederholung. Die Zeit der Opfer ist endgültig vorbei. Gott steht für immer auf der Seite der Menschen.

Und trotzdem spricht der Hebräerbrief weiter von Opfern. Wenn auch ganz anderen. Nämlich genau in den Worten des heutigen Predigtextes: Unser Lobopfer sollen wir Gott darbringen. Aber anders als bisher in den religiösen Opferzeremonien üblich. Die Frucht der Lippen, die sich zu ihrem Gottesglauben bekennen, sollen wir opfern. Auch hier werden wieder Früchte geopfert. Wenn auch ganz andere.

Früchte der Lippen - das ist ein schönes Wort für das, was wir sagen. Fast alles im Leben ist eine Frucht der Lippen. Gelingen und Misslingen. Liebe und Hass. Ja sogar Leben und Tod. Der Mensch ist ein sprechendes und zugleich ansprechbares Wesen. Gerade dies unterscheidet ihn von den anderen Tieren der Schöpfung. Und in unserem Reden und Schweigen, in unseren Worten, die wie Pfeile ins Mark treffen oder wie ein Mantel bergen und wohl tun - darin spiegelt sich wieder, wie es um uns und um unser Leben bestellt ist.

Die Früchte der Lippen - sie sind zugleich immer auch Früchte des Herzens. Und damit unser nach außen gekehrtes Innerstes. Faule Früchte können es sein. Aber eben doch auch das Beste, was wir anderen von uns geben können. Lippen, die Gottes Namen bekennen, das sind die edelsten Früchte. Da sind die Früchte, die wir Gott opfern sollen. So schreibt der Verfasser des Hebräerbriefes. Lippen, die Gottes Namen bekennen, das sind Lippen, die zu unterscheiden wissen zwischen Schöpfer und Geschöpf. Zwischen eigenem Erfolg und geschenktem Gelingen. Zwischen Haben und Sein.

Und damit führt uns der heutige Predigttext am Ende doch noch mitten hinein in den Kern des Erntedankfestes. Und zeigt uns einen Weg auf, in der Fülle der Erntefeste in der Geschichte der Religionen das Besondere unseres Feierns zu entdecken. Das klassische Ernteopfer der Religionen ist berechnend. Ich gebe, damit du gibst. Nicht um Dank geht es da, sondern um ein Geschäft. Den Göttern werden die Opfer nicht vorenthalten. Aber wer das Beste opfert, will dafür auch wieder das Beste haben.

Erntedank ist Dank ohne wenn und aber. Ohne wenn ich, dann auch du wieder. Erntedank ist das Fest der Einsicht, wem wir uns verdanken mit Haut und Haar. Mit unserem Tun und lassen. Erntedank ist das Fest der Einsicht, dass es das Wesen Gottes ist, uns Frucht bringen zu lassen. Erntedank ist das Fest der staunenden Erkenntnis, dass wir alles vermögen. Aber doch nicht alles selber richten müssen. Dies in Worte zu fassen. Oder in beredte Sprachlosigkeit vor der Größe des Wunders des Lebens - das ist die beste Frucht der Lippen, die wir darbringen können. Das ist das einzige Opfer, das tatsächlich noch Sinn macht.

Gott will keine anderen Opfer. Weder in religiöser Spielart noch an den vielen Opferaltären der ach so modernen Welt. Gott will solche Opfer nicht.

Kaum Vorstellbar, in welchen Dimensionen wir heute Opfer zu beklagen haben. Und mit dem Gott der Liebe und dem Schöpfer dieser Welt doch kaum zu vereinbaren. Zu lang und zu bedrückend ist die Liste der Opfer unserer Tage. Dazu reicht der allmorgendliche Blick in die Zeitung: Kinder, die verschwinden und dann tot aufgefunden werden. Folteropfer. Verkehrsopfer. Kriegsopfer. Opfer der Verhältnisse.

Er hat sich geopfert. Das sagen wir manchmal über einen Menschen. Und wir meinen damit: Er oder auch sie hat sich über alle Möglichkeiten hinaus eingesetzt. Hat die Sache anderer zur eigenen und sich dabei kaputt gemacht. Gott will diese Opfer nicht. Und sie helfen mitnichten, ihn gnädig zu stimmen. Solche Opfer machen Gott bestenfalls zornig. Dargebracht werden sie dem Gott Macht. Dem Gott Erfolg. Dem Gott Kommerz. Und wir müssen alles daran geben, damit die Opfer dieser unglückseligen Machart immer weniger werden.

Die Rede vom Opfer macht für mich nur noch Sinn im Verständnis der Worte des Hebräerbriefes. Die Frucht unserer Lippen sollen wir opfern. Und die Frucht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen. Denn so gehen die Verse des Predigttextes ja weiter. Teilen macht reicher, nicht ärmer. Dies gilt allemal im Kleinen. Im Persönlichen. Aber es macht selbst wirtschaftlich Sinn. Das haben wir spätestens im Jahr 2000 gelernt, als wir uns in den Kirchen und auf den großen Konferenzen mit der Entschuldung der ärmsten Länder beschäftigt haben. Erlassjahr 2000 nannte sich die Kampagne. Und sie konnte sich auf biblische Vorbilder berufen. Wir sind noch lange nicht am Ziel auf diesem Weg. Aber die Richtung stimmt.

Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht. Denn solche Opfer gefallen Gott. Solche Opfer. Aber keine anderen mehr. Gott sei Dank, der will, dass allem Opferspuk ein Ende gemacht wird. Der selber allem sinnlosen Opfern ein Ende gemacht hat.

Das lasst und Feiern an Erntedank 2002: Längst ist Gott uns gnädig und uns zugewandt in seiner Menschenfreundlichkeit. Was wir zum Leben brauchen, gibt Gott uns umsonst. Die Früchte - auch die, die heute diese Kirchen zieren - sind dafür ein Sinnbild. Nicht opfern müssen wir sie, sondern teilen. Und dem danken, der keine anderen Opfer will.

Und der Friede und die Gerechtigkeit Gottes,
die wir bekennen als Frucht unserer Lippen
sei mit euch allen.
Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.