Andacht
am Beginn der Amtlichen Pfarrkonferenz
zum Thema „Kirchenraum-Pädagogik“
am 25. Juni 2003 in der Auferstehungsgemeinde

25.06.2003
Am Beginn dieser Pfarrkonferenz soll eine kleine geistliche Einstimmung stehen. Diese muss der Bedingung genügen, dem Referenten dieses Tages nichts wegzunehmen am Thema, an der Methodik, am möglichen passenden Liedgut, auch nicht am Erstzugriffsrecht auf den Kirchenraum.

Was bleibt mir also, als nach Alternativen zu suchen. Gleich vier Szenarien haben sich mir aufgetan. Und die Reihe wäre durchaus noch zu verlängern.

Wie hätte sich die Geschichte des Christentum auch entwickeln können, ohne dass sie zu unserer Parochialstruktur mit je eigenen Pfarrkirchen geführt hätte.

Das erste Szenario: Die Kirche der Gegenwart hätte sich herausentwickelt aus der alten frühchristlichen Struktur der Hauskirche. Der Erfolg des neuen Weges machte neue und größere Räume nötig. Anstelle der Pfarrkirche aller könnte die größere Eigenkirche oder Privatkirche stehen. Das mag in früheren Jahrhunderten irgend ein Reicher Bürger gewesen sein. Heute wäre es dann die öffentlich zur Verfügung gestellte Privatkirche etwa des Konzerns mit dem Stern. Oder die eines großen privaten Medienkonzerns – etwa die Kirch-Kirche. Oder der Walmart-Church-Center. Die technische Ausstattung wäre unserem Standard hoch überlegen. Die Gehälter all unserer Oberkirchenräte lägen auch in Summa unter dem Gehalt des Spitzen-Managers. Theologen – eigenständige Denkerinnen und Denker wären kaum mehr gefragt. Ihre Botschaft wäre schließlich auch zu subversiv.

Übrigens wäre da auch kaum Platz für Kirchenraumpädagogik. Höchstens für Marketing und eine angemessene Verschlankung der Botschaft. Die Kirch-Kirche als Alternative: nein danke!

EG 136,3
Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je,
darum musst du uns rüsten mit Waffen aus der Höh.
Du musst uns Kraft verleihen,
Geduld und Glaubenstreu
und musst uns ganz befreien
von aller Menschenscheu.


Das zweite Szenario: Die große Erfolgsstory wäre ausgeblieben. Die ambivalente, aber doch höchst wirksame Symbiose von Kirche und Staat hätte es nie gegeben. Die Kirche wäre eine ohne oder zumindest doch mit wenigen Flecken und Runzeln. Nach außen glaubwürdig. Ihre Klöster und geistlichen Zentren ein begehrtes Reiseziel für gebildete Globetrotter. Ihre charismatischen Führungsfiguren fänden gelegentlich sogar Platz auf den Werbeflächen der Haltestellen wie derzeit der Dalai Lama.

Die großen Kathedralen gäbe es nicht. Eher Lebenszentren oder Klöster. Tiefenwirkung wäre da bei wenigen. Staunendes Sympathie bei doch schon einem etwas größeren Kreis. Öffentliche Wahrnehmung der Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes? Vielleicht in zyklischen Abständen bei Zeitgeist-Magazinen. Kirchenraumpädagogik? Schon eher als bei Modell 1. Aber längst nicht in der Pluralität, architektonisch und theologisch, wie wir es heute erleben.

EG 611,2
Mitten in der großen Welt
Leben Christen, kaum beachtet,
manchmal gar verhasst, entmachtet,
mitten in der großen Welt


Das dritte Szenario ist gewissermaßen eine Variante des zweiten. Auch hier wäre die Erfolgsstory ausgeblieben. Zumindest auf Dauer. Das Phänomen Kirche findet sich nur noch in den Fußnoten einschlägiger Bücher. Oder als Dissertation im Fach historische Religion. Durchgesetzt hätte sich eine religiöse Alternative. Oder ein Bündel von Kleinst- und Privatreligionen. Oder gar die religionslosen Alternativen.

Kirchenraumpädagogik wäre eine Konventikel-Wissenschaft für gebildete Ruheständler. Aber ohne Gegenwartsbezug und Lebensrelevanz. Misserfolg macht weder reich noch schön noch attraktiv.

EG 262,3:
Schaue die Zertrennung an,
der sonst niemand wehren kann.
Sammle großer Menschenhirt
alles, was sich hat verirrt.
Erbarm dich, Herr.


Das vierte Szenario: Die Menschen hätten theologisch ernst gemacht mit dem religionskritischen Start des neuen Weges: Keine Priesterinnen oder Priester. Keine heiligen Orte. Schließlich ist die ganze Erde heilig. Schließlich sind alle Getauften zum Priester, Bischof und Papst geweiht. Und zur Priesterin, Bischöfin und Päpstin dazu. Schließlich sind die Gläubigen selber der Tempel Gottes.

Eine weniger nach materialistischen Gesichtspunkten aufgebautes System wäre das. Hochvergeistigt. Religionssoziologisch beispiellos. Theologisch einzigartig.

Kirchenraumpädagogik hätte sich dann dem Inneren der Seele und der glaubwürdigen Ethik zu widmen. Die wahren Kathedralen oder auch Bauruinen wären womöglich unsere Herzen.

EG 608
Ubi caritas et amor,
ubi caritas Deus ibi ist.


Wir wissen alle und wir können es überall sehen: Der tatsächliche Verlauf war anders. Kirchenräume auch in Freiburg allenthalben. Neuerdings vermehrt auch feilgeboten. Wir können uns unsere Kirche anscheinend nicht mehr leisten. Ist die Kirchenraumpädagogik als neuer Zweig der Praktischen Theologie schon gleich mit einem Verfallsdatum versehen?

Ehrlich gesagt: Ich glaube es nicht. Wer will schon das Münster unserer lieben Frau aus dem religiösen Verkehr ziehen? Oder viele unserer eigenen Kirchen. Und gerade weniger Kirchen verlangen einen noch angemesseneren, noch intensiveren, einen zugleich ökonomischen wie ökumenischen Umgang mit den vorhandenen Räumen. Oder Strategien, säkulare Räume in den Dienst der inszenierten Gottesbegegnung zu stellen.

Von daher möchte ich mich unbesorgt und neugierig auf diesen Tag einlassen. Ich hoffe auf eine Einübung in den Umgang mit Lebensorten. Ohne den Beigeschmack morbider Defensivstrategien.

Schließlich sind Kirchen als Gebäude in Stein gefasste Gleichnisse der Kirche als der Versammlung des Volkes Gottes. Auch wenn das Zelttuch womöglich theologisch sogar das angemessenere Material wäre. Aber womöglich sind Steine auch nichts anderes als wetterbeständiges und widerstandsfähiges Zeltmaterial.

Darum lade ich sie alle ein, miteinander den Weg durch diesen Tag zu gehen. Dazu ein kleines

Gebet einer Kirchenbank:

Gott, Zufluchtsort der Überflüssigen, mich braucht man wohl nicht mehr. Auf mir finden zu viele nebeneinander Platz. Ich bin zu schwer, um andauernd herumgetragen zu werden. Bestenfalls trägt man mich heraus, um mehr freien Platz zu schaffen, wie es heißt. Zudem haben längst der Holzwurm und der Zahn der Zeit ihre Spuren in mich gegraben. Dabei habe ich mehr von dir gehört als alle, die nur gelegentlich auf mir ihr Sitzfleisch ausprobiert haben. Nein, schlafen konnte man auf mir nicht. Dazu war mein Holz zu hart und die Lehne zu unbequem. Aber ich bin nicht mehr in. Nicht mehr flexibel genug. Zu viel hat man auf mir auf die lange Bank schieben können. Nicht einmal dem Geschäft deiner Vergebung konnte ich so noch dienlich sein. Muster mich nicht auch noch aus, Gott, widme mich um. Lass mich dem Leben dienlich sein. Und wenn du selber mal nicht mehr stehen kannst –vielleicht bin ich dann sogar dir noch einmal nütze. Obwohl du selber das Stehen am liebsten magst. Sogar noch lieber als meine kleinen Geschwister, die Stühle. Dir bin ich noch recht Gott, dafür danke ich dir. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.