Ansprache anlässlich der Verabschiedung von
Pfarrer Wilfried Schweikhardt
als Pfarrer der Paulusgemeinde Freiburg
am 20. April 2003 (Ostern)

20.04.2003
Lieber Herr Schweikhardt,

in diesem besonderen Gottesdienst wird heute unverkennbar und unüberhörbar gefeiert. Wir feiern zuallererst, was heute gefeiert werden muss. Das Fest der Ostern. Das Fest der Auferstehung Christi. Das Fest des Sieges des Lebens über den Tod.

In diesem Ostergottesdienst werden sie zugleich als Pfarrer der Freiburger Paulusgemeinde verabschiedet. Fast 27 Jahre haben sie der Pfarrer der hiesigen Gemeinde gelebt und gearbeitet. Und dies über die ganze Zeit in Begleitung und Unterstützung durch ihre Ehefrau.

Der Evangelische Oberkirchenrat hat aus Anlass ihrer Zurruhesetzung eine Urkunde ausgestellt, die ich ihnen jetzt verlesen möchte. Da heißt es:

Verlesung der Urkunde

Die Worte der Urkunde – sie umschreiben mit knappen Worten gleichsam die rechtliche Seite dieses Geschehens. Aber dieser Tag, dieser Anlass greift tiefer in ihre Lebensgeschichte ein. Und gerade deshalb wird auch ihre Verabschiedung in den Ruhestand gefeiert.

Nicht deshalb, weil wir sie gerne los hätten. Nein, wir feiern ihre Verabschiedung, weil sie nach mehr als einem Vierteljahrhundert Dienst an dieser Kirche, allen Grund zum Feiern haben.

Wir feiern dieses Fest ihrer Verabschiedung mit großer Dankbarkeit. Dankbar für ihren Einsatz in vielfältiger Weise ist der Kirchenbezirk, für den ich hier als Dekan spreche. Dankbar gewiss – und davon wird nachher gewiss noch in bunter Stimmenvielfalt einiges zu hören sein – sind auch die Menschen „ihrer“ Paulusgemeinde für sie lange Zeit, in der sie als zuständiger Gemeindepfarrer gearbeitet haben.

Dankbar sind zuallererst gewiss sie selber. Es ist ein langer, ein 38-Jahre-langer Weg in hauptamtlicher Verantwortung durch diese Gemeinde, auf den sie heute zurückblicken. Nach Studienjahren in Heidelberg, Bethel und Berlin schloss sich die Abschnitte des Lehrvikariats in Schwetzingen und die Zeit als wissenschaftlicher Assistent an.

1965 kamen sie als Pfarrvikar zuerst an die Friedenskirche in Mannheim; dann an die Friedenskirche in Heidelberg-Handschuhsheim. Für eine missionstheologische Ausbildung in Basel, die ihrem Leben fast eine andere Wendung gegeben hätte, haben sie ihren landeskirchlichen Werdegang dann für einige Zeit unterbrochen.

Ab Mai 1969 haben sie dann ihren Dienst als Gemeindepfarrer in Schiltach angetreten. Seit Juni 1976 sind sie Pfarrer der hiesigen Paulusgemeinde gewesen. Mit dem 31. März ging dieser Dienst offiziell zu Ende.

Bei der Lektüre ihrer Personalakte sind manche Konstanten ihres beruflichen Lebensweges durchgeschimmert. So heißt es etwa im Bescheid auf ihren ersten Jahresbericht aus dem Jahr 1966 – und ich zitiere hoffentlich mit ihrer Erlaubnis: „Ihre Predigten und Kasualreden zeigen, dass sie bei der biblischen Wahrheit bleiben, und sie erfreuen durch klares Christuszeugnis auch dort, wo sie durch den Text nicht ohne weiteres veranlasst sind. Außerdem verdient anerkannt zu werden, dass sie sich bemühen, Gottes Wort dem Menschen von heute innerlich nahezubringen und ihm zum rechten Verständnis und zur Anwendung des Wortes auf sein eigenes Leben zu verhelfen.“

Diese Beurteilung ihrer Verkündigung werden diejenigen, die sie oft haben predigen hören, gewiss bestätigen und unterstreichen können.

Im Bescheid auf den zweiten Jahresbericht heißt es im Blick auf ihre wissenschaftliche Jahresarbeit: „Mit ihrer Frage „Wie verhalten sich Juden und Christen nach Römer 11 zueinander?“ haben sie sich einem hochaktuellen und wichtigen Thema zugewandt. Es war ihnen ein Anliegen, die gegenwärtige Gesprächslage recht zu erfassen. Aber sie haben gleichzeitig auch kritisch Stellung genommen.“

Auch dieses Thema – das Verhältnis von Juden und Christen – ist ein für sie bleibend wichtiges gewesen. In ihrer Doktorarbeit und in zahlreichen profilierten und durchaus diskussionswürdigen Beiträgen. Dieses Gespräch mit dem Judentum und unserer christlichen Beziehung zum Judentum ist noch keineswegs am Ende. Und unser christliches Zeugnis im Gespräch mit dem Judentum bleibt Gegenstand der Diskussion. Notwendigerweise. Und im Schatten von Auschwitz noch einmal ganz anders als zuvor.

Dass sie, lieber Herr Schweikhardt nun ausgerechnet am Osterfest verabschiedet werden, hat zum einen ganz pragmatische Gründe, die in der terminlichen Abstimmung liegen. Es ist – zum anderen – aber zugleich doch auch ein für sie stimmiger und programmatischer Termin.

Das Zeugnis vom gekreuzigten und auferstandenen Christus war für sie stets die Mitte des eigenen Glaubens und der gottesdienstlichen Verkündigung. „Ist aber Christus nicht auferstanden, so wäre unser ganzer Glaube Unsinn. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten“ Dieses österliche Bekenntnis des Apostels Paulus in seinem Brief nach Korinth haben sie auf ihre Weise und mit ihren Vorlieben und Begabungen ins Leben zu ziehen versucht.

An Ostern – da feiern wir den Präzedenzfall des neuen Lebens, das sich ausschließlich Gott verdankt. Und dem selbst der Tod keine Grenze mehr zu setzen vermag. An Ostern wird an dem einen wahr, was Gott für uns alle als Möglichkeit bereit hält. Der Sieg des Lebens, das am Karfreitag vom Scheitern gezeichnet war, erweist sich vor den Augen der Welt an dem einen, der noch die Zeichen des Todes an sich trägt. Und der dem Tod doch ein für allemal entronnen ist.

Gerade in Tagen wie diesen, an denen wir jeden Tag auf’s Neue durch Kriegsnachrichten aus dem Irak aufgeschreckt und in Unruhe gehalten haben, kann uns diese österliche Botschaft aufrütteln, damit wir im Einsatz für das Leben nicht nachlassen. Dabei bleiben wir auch an Ostern dabei: Die Sprache der Gewalt dient dem Leben nicht. Und es ist die Sprache des Ostermorgens, die wir an ihre Stelle setzen sollen.


Ich bin sicher: Nichts anderes werden sie predigen, wenn sie als frisch gebackener Ruheständler weiter von der Beauftragung ihrer Ordination Gebrauch machen. Insofern wird auch bei ihnen das i.R. eher in Rufweite als im Ruhestand bedeuten. Und dennoch: Sie haben ihren Ruhestand verdient. Und sie sollen ihn ganz bewusst auch annehmen und leben. Auch das möchte ich ihnen heute ganz bewusst und ganz persönlich vor den Ohren ihrer Gemeinde und manchen Gästen und Mitfeiernden zusprechen.

Genau deshalb feiern wir ihre Verabschiedung. Und vollziehen sich nicht nur als dienstrechtlichen Akt im Pfarramt. Der Ruhestand stellt sich frei von der Verpflichtung für die Fragen der äußeren Gestaltung und der rechtlichen und strukturellen Form, innerhalb derer Verkündigung geschieht. Der Ruhestand gibt ihnen die große Möglichkeit des Loslassens und der heilsamen Konzentration auf das Wesentliche. Ob er ihnen auch mehr Zeit gibt, was wir ihnen alle gönnen und wünschen, das steht auf einem anderen Blatt. Das ist vielleicht die anspruchvollste Aufgabe, die jetzt vor ihnen und ihrer Frau liegt.

Natürlich komme ich heute nicht darum herum, auch davon zu sprechen, was ihnen diesen Abschied schwer macht. Seit längerem – und schon vor meinem eigenen Dienstantritt beschlossen – wissen sie, dass ihre Pfarrstelle nicht mehr besetzt werden wird. Diese Entscheidung lag und liegt ihnen sehr schwer auf der Seele. Wer könnte das nicht verstehen. Doch wirft dies keineswegs den Schatten der Botschaft auf ihre Arbeit, sie sei vergeblich gewesen. Gottes Wort ist auch aus ihrem Mund wahrhaftig nicht leer zurückgekommen. Und andere werden auf ihre Weise dafür Sorge tragen, dass die Kette der Weiterabe der Guten Nachricht nicht abbricht. Es ist ein schönes Zeichen, dass sie, lieber Herr Keller, diesen Gottesdienst heute mit uns feiern.

Ebenso sehr am Herzen liegt ihnen, lieber Herr Schweikhart auch die Zukunft dieses Gotteshauses, für das sie sich mit vielen Kräften eingesetzt haben. Sie haben sich mit ihren Argumenten und mit ihren Einsprüchen nicht immer genügend gehört und verstanden gefühlt. Nicht nur ich weiß das. Und es hat immer wieder Bitternis gesät. Aber es hat doch nie außer Kraft setzen können, dass Gott im Regimente sitzt. Auch in dieser Stadt.

Darum möchte ich ihnen zusprechen und zurufen: Sie können nicht nur dankbar, sondern auch erhobenen Hauptes und voller Zuversicht in den Ruhestand gehen. Im Vertrauen, dass in dieser Kirche auch in Zukunft jene Botschaft verkündigt wird, für die der Namensgeber sein Leben eingesetzt hat. Und in der Gewissheit, dass andere den Stab, den sie getragen haben, vielleicht anders, aber nicht mit einem anderen Ziel weitertragen und weitergeben. Aus nicht allzu großer Entfernung werden sie wachen Auges verfolgen, was geht und was neu wächst.

Die Weitergabe des Evangelium vom neuen Leben in der Kraft der Auferstehung wird in dieser Stadt nicht aufhören. Und in der Innenstadt als immer wieder neu zu gestaltende Aufgabe auch die ökumenische Verbundenheit fördern. Darum wünsche ich ihnen mit vielen anderen, die heute mit ihnen feiern, das große Geschenk des Loslassens.

In ihrem ersten Visitationsbescheid als Pfarrer in Schiltach findet sich am Ende ein wohlgemeinter Rat. Ich weiß nicht, ob sie ihn immer beherzigt haben. Um so wichtiger erscheint es mir, wenn ich ihn darum jetzt noch einmal wiederhole. Denn er hat sich keineswegs erledigt. Da heißt es. „Nehmen sie sich, auch wenn die Arbeit noch so viel ist, jeden Tag Zeit für die Lektüre eines Buches. Wir möchten ausdrücklich betonen, dass sie ein gutes Gewissen haben dürfen, wenn sie das tun. Wenn man immer wieder geben und geben soll, dann ist nötig, wenn man immer wieder auch schöpfen kann.

Auf solches Schöpfen wird es für Sie beide jetzt ankommen. Noch stärker und mit noch viel größerem Recht. Gott wird ihnen dabei nahe bleiben. Und unter seinem Schutz und mit seinem Segen können sie ihre Schritte in die Zukunft mit offenen Augen und frohen Herzens und mit einem fröhlichen Glauben gehen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.