PREDIGT ÜBER 1. KORINTHER 15,1-11
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 11. APRIL 2004 (OSTERN)
IN DER MARIA MAGDALENA GEMEINDE FREIBURG

11.04.2004
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick.
Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Der alte Winter in seiner Schwäche
Zog sich in raue Berge zurück.


Haben Sie ihn erkannt, liebe Gemeinde, den Anfang des Osterspaziergangs aus Goethes Faust. Beim Weg hierher heute Morgen: Frühlingserwachen wohin man sieht. Frühlingsgefühle allenthalben. Das Rieselfeld erstahlt im gelben Blütenglanz der österlichen Narzissen. Die Natur schafft sich Bahn. Leises Grün ersetzt die winterliche Tristesse. In den Vorgärten werden die Gartenmöbel von neuem ihrer Verwendung zugeführt. Zweige im Haus und in der Natur mit buntem Osterschmuck behängt. Unübersehbar - so, als hätten alle nur auf diesen Augenblick gewartet - bricht Buntheit sich Bahn. Die Natur erwacht zu neuem Leben. Höchste Zeit, Ostern zu feiern. Ostern, ja bitte! Aber Auferstehung? Kein Thema. Auferstehung von den Toten? Einfach unmöglich!

Der Blick in die Nachrichten: Gewalt über Gewalt! Und kein Ende. In Israel. Im Irak. Mord und Totschlag in einer sich ständig schneller drehenden Spirale der Hoffnungslosigkeit. Maximale Gewinnspannen der Waffenexporteure. Flüchtlingsströme, die wir schon gar nicht mehr registrieren. Doch ein Mensch bleibt immer ein Mensch. Nie einfach nur ein Feind. Oder nur ein Ausländer. Der Friede wird gewagt. Von Menschen, die ihr Leben riskieren. Die dazwischen gehen. Die Einhalt gebieten. Mit humanitärer Hilfe. Mit politischer Einmischung. Mit neuen Friedenskonzepten. Mit Ostermärschen. Auch in diesem Jahr. Ostern ein guter Zeitpunkt für derartige Aktionen. Ostern, ja bitte! Aber Auferstehung? Kein Thema. Auferstehung von den Toten? Einfach unmöglich!

Beim Blick auf die Kirche – beim Blick auf unseren eigenen Osterglauben: Disparates, Verhaltenes, Uneinheitliches, was da zum Vorschein kommt. Was hätte Mel Gibson festzuhalten, wenn er nach der „Passion Christi“ auch einen Ostefilm drehen wollte: einen verwesten Leichnam? Ein leeres Grab? Weiße Tücher? Engel vielleicht noch? Eine Verständnis des Ostermorgens als Auferstehung hinein in eine Geschichte des guten Willens? In eine Geschichte der Weitergabe der Botschaft des am Karfreitag Getöteten? Oder in eine der radikalen Nachfolge? All dies gehört zu Ostern dazu. Ostern, ja bitte! Aber Auferstehung von den Toten? Einfach unmöglich!

Manchmal, liebe Gemeinde, manchmal wünschte ich mir, der Apostel Paulus lebte noch mitten unter uns. Er wäre kein einfacher Zeitgenosse. Selbstbewusst, rechthaberisch. Ungeduldig. An der Grenze zur Untoleranz manchmal. „Und wenn euch ein Engel vom Himmel etwas anderes predigte als ich - wer ihm glaubt: Verflucht sei er!“

Aber das ist nur die eine Seite dieses unübertroffenen Vordenkers christlicher Theologie. Auf der anderen Seite steht seine theologische Klarheit. Seine Fähigkeit, alles auf den Punkt zu bringen. Falsche Kompromisse abzulehnen. Wie etwa, wenn’s um Ostern geht. Da schreibt er, mehr als zwei Jahrzehnte, bevor das erste Evangelium geschrieben wurde, nach Korinth, wo die Parolen auch nicht altmodischer waren als bei uns:

Wenn aber gepredigt wird, dass Christus von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich und euer Glaube schlicht unsinnig.

Unübertroffen, Paulus! Keine Möglichkeit, sich hier durchzulavieren. Für ihn steht die Auferstehung nicht zur Disposition. Und er begründet seine Sichtweise mit einer Auflistung der Auferstehungszeugen. Einer Liste, von der wir wissen, dass sie ihm schon vorgelegen hat. Die also noch näher an die Ereignisse des Ostermorgens heranrückt. Es ist das älteste Bekenntnisstück, das wir im Neues Testament überliefert und bewahrt und bewährt finden:

Denn ich habe euch weitergegeben, was ich zuvor selber auch schon empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift;

Dies also ist der Vorläufer, man könnte auch sagen die Mutter aller christlichen Bekenntnisse. Auch unseres apostolischen und des nizaenischen Glaubensbekenntnisses. Und alle diese Bekenntnis gipfeln gewissermaßen in der Auferstehung am dritten Tage. Die wiederum ist für Paulus schon deshalb unumstritten. Weil viele Zeugen schließlich noch leben. Nicht wenige unter ihnen kennt er persönlich. Er schreibt nieder, was er weiß:

Gesehen worden ist der Auferstandene zuerst von Kephas, dann von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.

Das also war gleichsam die offizielle Liste. Die, deren Namen alle kennen.

Einschub (Leserin)
„Wir kennen sehr wohl noch andere Namen. Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Joses, Maria, die Mutter des Jakobus, Salome, Johanna. All diese Frauen hat Paulus einfach unterschlagen. Weil Frauen für ihn ohnehin nicht zählen. Dabei ist die Kirche auf uns Frauen angewiesen. Es ist genauso, wie wir es vorhin gehört haben: Stellt euch vor, die Frauen hätten in der Kirche das Schweigen gewahrt!

Es stimmt schon: Die Liste, die Paulus vorliegt, weiß von den Frauen nichts. Aber schon zwanzig, dreißig Jahre später ist das völlig anders. Als die Evangelien geschrieben werden, siebzig, achtzig Jahre nach der Geburt Christi, da ist die Bedeutung der Frauen als Osterzeuginnen nicht mehr wegzudenken. Da wird überall von den Frauen berichtet. Das ist selber schon wieder eine kleine Hoffnungsgeschichte. Oder ein kleines Osterwunder.

Aber jetzt noch einmal zurück zu Paulus. Schließlich geht’s für ihn an Ostern um’s Ganze. Mit Ostern steht und fällt für ihn der Glaube der Kirche. Mehr noch: seine eigene Sendung. Seine eigene Existenz. Darum fügt er der ihm vorliegenden Liste der Auferstehungszeugen noch einen Schluss von eigener Hand an; er ergänzt die Liste um einen letzten Namen:

Zuletzt von allen ist der Christus auch von mir gesehen worden. Ich bin also eine Art Nachzügler der Augenzeugenschaft der Auferstehung.

Paulus - er macht sich selber zum Garanten der Wahrheit der Ostern. Ohne Ostern wäre dieser Paulus im Meer der Namen der Antike versunken. Wäre nicht einmal eine Fußnote wert gewesen. Auferstehung von den Toten: Was uns Probleme macht, weil hier die Möglichkeiten unseres Denkens versagen – für Paulus ist es gewissermaßen das Fundament, ohne das alles ins Wanken gerät:

Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich und euer Glaube schlicht unsinnig.

Sitzen wir also einem unsinnigen Glauben auf? Feiern wir also ein verkapptes Frühlingsfest, wenn wir vorgeben, Ostern zu feiern? Zwei wesentliche Osterlinien der Bibel sind für uns von bleibender Bedeutung: Es sind die Berichte vom leeren Grab. Gleich mehrfach wird uns dies in den Evangelien berichtet. Und es ist das ganze Bündel von Erscheinungsberichten. „Er ist gesehen worden“, heißt es dazu in der Bibel immer lapidar. Dies sind gewissermaßen die Verankerungen des österlichen Fundaments unseres Glaubens. Hinter beide brauchen wir nicht zurück.

Immerhin ist diese Geschichte auch in ihren Nachwirkungen unübertroffen erstaunlich. Da werden verängstigte Fischer mit einem Mal aus ihrer Karfreitagsdepression herausgerissen. Und sie riskieren mutig Kopf und Kragen. Nicht nur, weil sie keine Wahl haben. Sondern weil sie das Leben wählen.

Da brechen Frauen einfach aus den ihnen zugewiesenen Rollen aus und übernehmen zentrale Führungsaufgaben in der Jesus-Bewegung. Da ist eine kleine religiöse Bewegung offenkundig gescheitert. Und ihre Leitfigur hingerichtet. Und zweitausend Jahre später ist sie noch immer nicht am Ende. Lockt noch immer Abermillionen am Ostermorgen zur gemeinsamen Feier.

Die größte Irrtumsgeschichte der Welt - ich glaube es einfach nicht. Und ich bin heilfroh, dass ich mich an diesen Paulus halten kann: „Nun aber ist Christus von den Toten auferstanden als erster in der Reihe derer, die zuvor schon gestorben waren.“

Bis heute lässt sich diese Botschaft des Ostermorgens nicht aufhalten. Mit dem leeren Grab und der Kette von Erscheinungen beginnt jene unglaubliche Geschichte der Hoffnung auf Leben jenseits des Todes. Die ersten Christinnen und Christen ringen um die rechten Worte für diese beispiellose Erfahrung. Auferstehung oder Auferweckung nennen sie jene österliche Gewissheit, dass nicht nur die Sache, sondern auch der Weg Jesu weitergeht. Und nicht in den Tränen des Karfreitags erstickt wird.

Ostern bedeutet nicht einfach ein paar zusätzliche Jahre. Den Tod verschieben, heißt nicht ihn besiegen. Ginge es Ostern nur um eine Verlängerung unseres Lebens hier auf dieser Erde, wären die Mediziner und die zum Klonen fähigen Wissenschaftler die wahren Oster-Evangelisten. Ihre Botschaft hieße: Wir haben euer Leben ganz gut im Griff.

Ostern bedeutet auch nicht einfach nur: Wir machen weiter. Wir halten durch, ganz gleich, wie aussichtslos sich unsere Sache darstellt. Ginge es an Ostern nur darum, einen einmal eingeschlagenen Weg auch durchzuhalten, ohne gleich wieder aufzugeben, dann wären die Psychologen und Berater gleich welcher Art, die wahren Oster-Evangelisten. Ihre Botschaft hieße: Wir bauen euch auf!

Oster bedeutet auch nicht einfach nur. Das Leben ist ein großer Kreislauf von Werden und Vergehen. Ginge es an Ostern nur um den Glauben an den Kreislauf endloser Widergeburten im Fluss des Lebens, dann wären die Verfechter des Karma und der Reinkarnation die wahren Oster-Evangelisten. Ihre Botschaft hieße: Alles Leben kommt wieder!

Alle drei angesprochenen Erfahrungsbereiche haben tatsächlich etwas mit Ostern zu tun. Sie sind Brechungen, Spiegelungen der Osterbotschaft. Aber Ostern, Auferstehung meint viel mehr. Die Botschaft des Ostermorgens reicht viel tiefer.

Ostern ist das Urereignis vorweggenommener Zukunft. Der auferstandene Christus der Präzedenzfall des Lebens überhaupt. Der Herr ist auferstanden – dieser österliche Jubelruf beschreibt eine völlig neue Weltsicht. Kein Menschenleben geht verloren. Kein Einsatz für andere ist vergeblich. Keine Träne und kein Lachen sind umsonst. Alles bleibt aufgehoben. Ja, wird von Neuem fruchtbar gemacht bei Gott.

Jesus, der Christus, lebt nicht einfach nur in der Erinnerung fort. Er bleibt gestaltend beteiligt an der Veränderung der Wirklichkeit dieser Welt. Denn Ostern heißt nicht nur: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Ostern heißt auch: Unser Leben hier wandelt sich. Bleibt vom Leben gezeichnet.

Deshalb ist Ostern ein kraftvolles Fest. Ein Fest mit Power. An Ostern geschieht etwas. An Ostern geschieht sogar das Entscheidende. An Ostern macht sich die Erfahrung fest, dass wir auf Dauer mit dem Leben davonkommen. Dass der Tod, der größte Feind des Lebens bis in diese Tage, am Ende nicht der Sieger bleibt.

Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus.

So schließt Paulus sein Osterkapitel ab, dessen Gedanken wir heute morgen gefolgt sind. Man darf sich aber auch gerne an Goethe halten.

Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!

So endet sein Osterspaziergang. Und wir dürfen gerne österlich anmerken: Vom wahren Mensch-Sein ist der Tod niemals zu trennen. Aber seit Ostern auch nicht mehr die Gewissheit der Auferstehung. Und der tragfähigen Hoffnung über die Grenzen allen Lebens hinaus. Darum noch einmal:

Der Herr ist auferstanden! - Er ist wahrhaftig auferstanden!

Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.