Von der Ware Weihnacht zur wahren Weihnacht
Sieben kleine Ausbrüche aus eingefahrenen weihnachtlichen Gleisen

10.12.2004
Keine Frage – kein anderes Fest ist so sehr mit Emotionen behaftet, hat seine Wurzeln so tief in der Kindheit vergraben und ist demenstprechend so restistent gegen alles, was uns aus den vertrauten Feierritualen herausreißen könnte. Aber kein anders Fest verkörpert so sehr die Botschaft, dass wir nicht mehr so weitermachen müssen wie bisher – und dass unsere Zukunft in der Wahrnehmung des gänzlich Neuen und so ganz andern liegt. Warum sollen wir uns die umwerfenden Erfahrungen Marias und der Hirten oder die bahnbrechenden Einsichten der Magier aus dem Osten (die die Tradition der drei genannten Geschenke wegen zu drei Königen gemacht hat) ersparen. Nachfolgend finden Sie darum sieben Wege, sieben „kleine Ausbrüche“, um aus den vertrauten Bahnen ausbrechen und auf neue Wege umsteigen zu können.

Ausbruch 1: Laden Sie einen Gast ein – nicht aus der Reihe derjenigen, die ohnedies seit Jahr und Tag mitfeiern, und nicht unbedingt Tante Heidelinde, die alles durcheinanderbrächte, sondern jemanden, der (die) nicht damit rechnet und die die eingeübte Festbalance neu austarieren hilft. Lassen Sie sich von der ersten Absage nicht entmutigen. Auch Ihr Weihnachtsgast muss sich ja erst von Vertrautem (oder von unweihnachtlichen Vorurteilen) lösen.

Ausbruch 2: Überraschen Sie eine (oder mehrere - aber nur ausgewählt wenige – auch hier tut Inflation nicht gut) Person in ihrer Nachbarschaft oder im KollegInnenkreis mit einer kleinen weihnachtlichen Überraschung, einer Karte oder einem kleinen Geschenk. Die unerwartete Aufmerksamkeit lässt aufhorchen und eröffnet neue Perspektiven. Gerade an Weihnachten wird diese Geste auch nicht missverstanden.

Ausbruch 3: Wechseln Sie den Festort – zumindest teilweise. Und damit verbunden gleich auch die Speisekarte. Der Stall des Weihnachtsgeschehens war kein warmes Wohnzimmer und schon gar kein Gourmet-Tempel (das kann am Tag darauf seinen Ort haben). Tauchen Sie einen „unwirtlichen“, sonst eher gemiedenen Raum in ein neues Licht. Oder gehen Sie einfach wie die Hirten in Gottes freie Natur. In den Wald. Auf einen Hügel. Nehmen Sie Kerzen mit (und etwas zum Essen) und lassen Sie sich Zeit, (neu) zu sehen und (nicht nur das weihnachtliche Glockengeläut) zu hören.

Ausbruch 4: Lesen Sie sich laut vor (a) das Weihnachtsevangelium (wenn Sie suchen: Lukas 2, eher weiter hinten in Ihrer Bibel) und (b) eine Geschichte aus der Aktualität – Literatur, ein Magazinbeitrag - , die für Sie etwas mit Weihnachten zu tun hat. Wichtig: Keine großen Diskussionen, dazu ist Weihnachten nicht der Ort. Die Texte wirken allemal selber.

Ausbruch 5: Singen Sie – unbedingt. An Heiligabend und Weihnachten mag das Verschenken moderner Unterhaltungselektronik Hochkonjunktur haben. Aber beim Fest wird gesungen oder nötigenfalls gebrummt. Wichtig ist die Vorbereitung entsprechender Kopien (warum stellen Sie nicht einfach ein kleines Liederheft zusammen?!), weil das Singen nur Sinn macht, wenn Sie über die erste Hälfte der ersten Strophe textlich hinauskommen.

Ausbruch 6: Schenken Sie nach vereinbarten Regeln. Sie müssen nicht in einem Anflug erzwungener Modernität auf’s Schenken verzichten (schließlich hat Weihnachten elementar mit dem Schenken zu tun!), aber lassen Sie das Fest nicht zur Warenschau verkommen. Geben Sie sich einen Rahmen (Thema, Wert und anderes mehr – es geht um Anregungen, nicht um Reglementierungen)). Alles „Enthüllen“ geschieht in Wertschätzung des einzelnen (also nicht alles parallel aus der Verpackung reißen). Es muss auch nicht alles an Heiligabend ausgepackt werden. Über Sie sich in Langsamkeit und der Kunst der genussvollen Erwartung.

Ausbruch 7: Lassen Sie das Fest ausklingen – die „Müllberge“ dürfen diese Nacht einfach liegen bleiben. Setzen Sie sich am Ende des Abend noch einmal zusammen und tauschen Erinnerungen aus. Besuchen Sie eine Mette, die Sie sorgfältig auswählen (nach Uhrzeit, Art (Musik- oder Wortschwerpunkt) und die dieses Mal nicht in der Kirche um die Ecke gefeiert werden muss (aber darf). Setzen Sie sich Weihnachten aus und gehen Sie einmal das Wagnis ein, sich nicht in „Sicherheit“ (Hektik, Aufräumen, Telefonieren, Fernsehen) zu bringen und Weihnachten zu verdrängen.

Eine kleine Nachbemerkung zum Schluss. Alles kann noch so gut vorbereitet sein. Nur: Weihnachten kann man nicht machen. Weihnachten muss es werden. Dies geht nur, wenn Sie sich darauf einstellen, dass alles noch ganz anders und die Nacht nicht „still“, sondern ganz „laut“ werden kann. Eben deshalb feiern wir ja dieses Fest. Wenn alles im Lot wäre, wäre Weihnachten überflüssig. Doch wenn Sie Glück haben (warum nicht), nehmen Sie in dieser Nacht aber auf wohltuende und heilsame Weise Zukunft vorweg! Den Versuch wäre es doch allemal wert.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.