ISLAM UND CHRISTENTUM IM DIALOG – WAS TRENNT UND WAS VERBINDET BEIDE?
GLASHAUS FREIBURG-RIESELFELD 15. JUNI 2005

15.06.2005
These 1: Voraussetzung für den Dialog ist das Verstehen. Vorausset-zung für das Verstehen ist die Fähigkeit zur Unterscheidung. Voraussetzung für die Fähigkeit zur Unterscheidung ist die Kenntnis der Basisstrukturen.

Die Wahrheit gewinnen wir dabei immer nur in Gestalt der Annäherung und in Mehrstimmigkeit; nicht selten eher als „aufblitzendes“ Ereignis, das wir nicht festhalten können, als als ein festzuhaltender Besitz.


1 WAS IST RELIGION?

1.1 Religion ist ein Modell der Weltsicht und Weltdeutung, das sich auf die Anerkennung einer Wirklichkeit jenseits des rein Materiellen gründet, insbesondere auf die Anerkennung eines Bezugspunktes der Sinngründung außerhalb unserer selbst, meist in Form der Anerkennung der Existenz einer Gottheit.

1.2 Religion entwickelt Formen einer religiösen Praxis, die in der Regel (1) aus der kultischen Verehrung der Gottheit (Gottesdienste, Feste, Rituale!), (2) im die Götter gnädig stimmenden Opfer sowie (3) in einer entsprechenden Ethik (dem rechten Handeln gegenüber Mitmenschen und Mitwelt) bestehen.

1.3 Religionen unterscheiden sich – formal – u.a. hinsichtlich der Bedeu-tung der Gottheit (Ein- oder Mehrgottglaube, Gegenüber- oder Ineins-setzung von Gottheit und Natur/schöpfung), in der Art und Weise des-sen, was jeweils heilig ist, in der Weise der Tradierung der wesentlichen Inhalte (Heilige Schriften, „Werbe“praxis) etc.

1.4 Ziel von Religion – und daran muss sich jede Religion messen lassen - ist das (besser) gelingende (Über)leben bzw. ein Leben, das Glück und Sinn vermittelt (auch unter den Vorzeichen des Misslingens und Leidens).

2 WAS IST DAS CHRISTENTUM?

2.1 Das Christentum ist eine der drei großen monotheistischen Religionen, d.h. es bildet eine Gestalt von Religion auf der Stufe der Weiterent-wicklung resp. der Überwindung des Vielgottglaubens/Polytheismus. Zumindest am Rande bleibt anzumerken, dass ein nicht unwesentlicher Traditionsstrom des Christentums dieses ausdrücklich nicht als Religion definiert sehen will.

2.2 Das Christentum ist eine „Tochter“ des Judentums. Die ersten Chris-tInnen existierten als innerjüdische Sonderströmung (Paulus in Römer 11: als aufgepropfter Zweig des Ölbaums = des Judentums).

2.3 Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion (im Unterschied etwa zu einer Naturreligion). Sie hat also im eigentlichen Sinn keinen Stifter. Gott offenbart sich in verschieden Menschen (Propheten, Engel, in heiligen Schriften, im Sohn). – Ob Gott sich auch in der Geschichte offen-bart war eine der in den Kirchen hoch umstrittenen Fragen während der NS-Zeit, ebenso die Frage, wie sich die Offenbarungen der „Grün-dungszeit“ zu den heutigen Möglichkeiten der Offenbarung verhalten

2.4 Das Christentum ist eine Erlöserreligion. Sie gründet auf der Annahme, dass der Mensch durch entweder die „Ursünde“ Adams oder durch die Gefangenschaft in der Welt des Bösen resp. der Dunkelheit in seinen Möglichkeiten zum Guten gehemmt ist (am stärksten durch den Tod) und der Erlösung bzw. Rettung bedarf

2.5 Das Christentum ist seiner Lehre bzw. seinem Anspruch nach eine Be-freiungsreligion. Daher korrespondiert der Exodus-Tradition des Juden-tums („Auszug aus Ägypten“) die Ostertradition des Christentums als Befreiung vom Tod (das letzte Abendmahl Jesu war ein Passah-Mahl = Fest des Gedenkens an die Flucht aus Ägypten; der alte Ostertermin war der Passahfesttermin!).

2.6 Das Christentum ist das Produkt einer Entwicklungsgeschichte mit dunklen und hellen Anteilen. Es wurzelt – siehe oben – in einer „altori-entalischen“ Religion und emanzipiert sich von dieser. Es enthält seine „Färbung“ und Prägung in einer mehrheitlich nichtchristlichen Umge-bung. Es profiliert sich in einer stark hellenistischen Umwelt (mit ihrer besonderen Weltsicht) und erhält eine starke Entwicklungsdynamik-schub (Staatsreligion) unter den Vorzeichen des römischen Reiches. Eine zusätzliche, aber grundlegende Veränderung erfolgt am Übergang zur Neuzeit durch den Individualisierungs- und „Verstädterungs“schub der Reformation (und ihrer Verbindung mit dem Humanismus).

2.7 Gegenwärtig stellt sich das Christentum weltweit in drei großen Tradi-tionssträngen dar: der Orthodoxie („Ostkirchen“, nationale Anbindun-gen), dem römischen Katholiszismus (mit einer weltweit – auch rechtlich - geregelten einheitlichen Struktur und dem Protestantismus (mit zentralen Hauptlinien, aber einem Delta an Nebenlinien).

2.8 Die neuen Zentren des Christentums und seine größten Wachstumsra-ten liegen nicht mehr in der „alten“, sondern in der Zweidrittel-Welt. Religion bildet weltweit längst einen Markt.

2.9 Das Christentum in unseren Breiten steht immer neu vor der Aufgabe, eine Balance zwischen Spiritualität, Bildung und diakonischem Handeln zu gewinnen.

2.10 Grundlage ist dazu eine selbstreflexive Haltung, die die Widersprüch-lichkeit der eigenen Geschichte mit der Botschaft in Beziehung zu setzen sucht und Widersprüche nicht verdrängt.

2.11

These 2: Jeder Dialog der Religionen muss sich von den jeweiligen Kli-schees voneinander verabschieden. Klischees polemisieren und polarisieren, aber sie dienen nicht der Annäherung an die Wahrheit.

These 3: Der Dialog soll nicht zur Eliminierung des anderen führen, sondern zur gemeinsamen Wahrheitssuche. Ich werde deshalb nicht Anfragen an den Islam formulieren, sondern gemeinsame Such-Felder.


3 WIE VERHALTEN SICH CHRISTENTUM UND ISLAM ZUEINANDER?

3.1 Christentum und Islam haben große Strukturanalogien miteinander. Sie sind verwandte „Geschwister“-Religionen. Was als große Unter-schiedlichkeiten erscheint, sind nicht selten unterschiedliche Gewich-tungen von Themen und Phänomenen.

3.2 Diese Verwandtschaft zeigt sich nicht nur in Strukturanalogien siehe unten). Sie zeig sich etwa in der Hochschätzung mystischer Strömungen, aber auch in der Anfälligkeit für das Phänomen des Fundamentalismus.

3.3 Mit dem Judentum und dem Christentum zusammen ist der Islam eine der drei monotheistische Religionen, für die Abraham eine zentrale Funktion hat. Für die ersten beiden ist Isaak als Sohn der Sarah der „Urvater“, für den Islam Ismael als Sohn der Hagar.

3.4 Die Ausgestaltung des Monotheismus ist aber unterschiedlich, insbe-sondere die Entwicklung der christlichen Trinitätslehre ist kontrovers.

Fragefeld 1: Wie verhalten sich Monotheismus und Trinitätslehre zueinander? Ist der Gott aller drei monotheistischen Religionen jeweils derselbe Gott?

3.5 Islam und Christentum sind auch beide Offenbarungsreligionen. Unterschiede gibt es hinsichtlich der „Medien“ der Offenbarung, insbesondere dahingehend, dass für die Christen Jesus Christus – und nicht der Prophet - die zentrale Offenbarung Gottes ist.

Fragefeld 2: Welche Bedeutung hat Jesus jeweils in den beiden Religionen?

3.6 Christentum und Islam sind zwar schwerpunktmäßig unterschiedlich auf dem Planeten Erde verteilt, sie sind aber auch konkurrierende Anbieter auf dem Markt der Religionen. Beide formulieren den Anspruch, (absolute?) Wahrheiten über Gott und Mensch auszusagen.

Fragefeld 3: Wie verhalten sich (diese absoluten) Wahrheitsan-sprüche der beiden (und anderen) Religionen zueinander und zu den anderen Religionen und Weltanschauungen?

3.7 In den heiligen Schriften spielt die Gewaltlosigkeit eine maßgebliche Rolle. In der Wirkungsgeschichte spielt die Gewalt dagegen eine unrühmliche Rolle.

Fragefeld 4: Welche Rolle spielt Gewalt jeweils dem Anspruch bzw. der Lehre nach?

3.8 Christentum und Islam scheinen sich in ihrer Beziehung zwischen Staat und Religion zu unterscheiden. Unsere Verfassung trennt Staat und Kirche. Es gibt keinen christlichen Staat (mehr), aber doch noch islamische Staaten?

Fragefeld 5: Wie definieren Christentum und Islam ihr Verhältnis zum Staat und zur Demokratie?

3.9 Das moderne Christentum betrachtet sich als Religion nach der Aufklä-rung, was etwa für die Ausbildung des Toleranzgedankens eine wichtige Rolle spielt. Dem Islam wird oft vorgeworfen, er habe die Aufklärung noch vor sich.

Fragefeld 6: Wie verhalten sich beide Religionen zu Aufklärung, Moderne, Toleranz etc. ?

3.10 Über einen langen Zeitraum haben sich beide Religionen mit der Gleichstellung der Frauen schwer getan. Hier sind gegenwärtig doch Unterschiedlichkeiten und „Ungleichzeitigkeiten“ zu beobachten.

Fragefeld 7: Wie steht es jeweils um die Rolle bzw. um die Gleich-wertigkeit von Mann und Frau?

4 WEITERE FRAGEFELDER

Fragefeld 8: Erfahrungen mit dem Leben als Muslim/a in Deutsch-land; Probleme und Perspektiven

Fragefeld 9: Bedeutung von Strömungen, Konfessionen, Untergruppie-rungen

Fragefeld 10: Was ist dem Islam, was ist dem Christentum, was ist den Menschen überhaupt heilig?


5 DAS ZIEL DES DIALOGS VON CHRISTENTUM UND ISLAM

5.1 Verstehen und Unterscheiden können, um das Gemeinsame zu finden.

5.2 Sich gemeinsam einsetzen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

5.3 Gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen über das Materielle hinaus den Blick auf Gott richten

Abschluss-Zitat zum Thema: Die eigentliche Grenze verläuft heute nicht zwischen den Religionen und Kulturen, sondern trennt Stadt- und Landbevölkerung, Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete. Der kulturelle Horizont einer bürgerlichen Familie in Rabat, Kuala Lumpur oder Sao Paulo – die Literatur, die gelesen, die Berufe, die ausgeübt, die erotischen Bande, die geknüpft, und mittlerweile sogar die Mahlzeiten, die verspeist werden – dieser Horizont ist dem Horizont einer europäischen Familie gleichen sozialen Ranges näher als demjenigen eines Bauern oder Slumbewohners, der ein paar Autominuten entfernt lebt. Navid Kerami, Islamwissen-schaftler, Berlin

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.