„ECHO DES LEBENDIGEN SEIN“
OSTERPREDIGT 2005 ÜBER MATTHÄUS 28,1-10

27.03.2005
1. Je höher man in den Bergen in die Höhe steigt, desto dünner wird die Luft. An Ostern sind wir gewissermaßen auf dem höchsten Gipfel des Glaubens angelangt. Wird in dieser schwindelnden Höhe auch die Luft um unseren Glauben herum dünn? Erstes Osterfest nach der großen Flut in Ostasien. Zweites Osterfest nach dem Kriegsbeginn im Irak. Ohne Auswirkungen auf die Kette der Anschläge dort oder anderswo. Zwischen Darfour und Nepal. Ostern – gefeiert mitten in den gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Leben oder das Sterbenlassen von Terri Schiavo in den USA.

Ostern – die Luft ist wirklich dünn, wo sich Leben inflationär verbraucht. Wo der Tod aufgehalten, aber nicht aus der Welt geschafft werden kann. Einer Welt, die schon jetzt aus allen Nähten platzt. Dünne Luft, wenn wir von Ostern nicht mehr erwarten als eine Fortsetzung des gehegten und behüteten Weiter-so unseres Lebens, in das der Tod gnadenlos und unaufhörlich Lücke um Lücke reißt.

An Ostern muss sich doch zeigen, was unser Glauben wirklich wert ist. Ob er uns zu halten vermag. Weil er Grenzen überschreitet. Und ihn nicht einmal die Grenze des Todes mehr ins Wanken oder gar zum Absturz bringen kann.

Dünn braucht die Luft um unseren Glauben an Ostern also gar nicht zu werden. Im Gegenteil. Schließlich können wir österliche Sicherheit gewinnen aus den den alten und noch immer nicht versiegten Quellen. Den biblischen Berichten. Den Urkunden der Osterbotschaft. Den Briefen des Paulus. Wie etwa dem an die Gemeinde in Korinth, den wir als Lesung gehört haben. Vor allem aber aus den Osterberichten der Evangelien.

Der Osterbericht des Matthäus-Evangeliums soll in diesem Jahr als Predigttext unseren Osterglauben stärken. Damit die Luft um unseren Osterglauben auch wirklich nicht dünn wird. Mehr noch: Damit wir Ostern richtig feiern können. Denn an Ostern soll sich der Glaube endgültig aufs Feiern verlegen.

Hört also, wie Matthäus von der Auferstehung Christi berichtet:

- Oster-Evangelium Matthäus 28,1-10 -

2. Diesen Weg haben die beiden Frauen gewiss zeitlebens nie mehr vergessen. Früh am Abend, als der Sabbat zu Ende war und der erste Tag der Woche aufleuchtet, machen sie sich auf den Weg zum Grab. Zeichen einer durchgehaltenen Beziehung. Aber ohne Aussicht darauf, dass da noch irgend etwas irgendwie weitergeht. So schnell werden sie diese Geschichte nicht los. Eine erste durchwachte Nacht. Die Gedanken immer wieder bei dem Unfassbaren. Der, dessen Leben das ihrige so aus der Bahn geworfern hat: tot! Hoffnungen – in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Ein wesentlicher Teil ihrer Lebensgeschichte: null und nichtig gemacht. Erinnerung ja! Aber Zukunft nein! Aus und vorbei. Was bleibt, ist Trauerarbeit. Abschiednehmen an Ort und Stelle.

Keine Tränen mehr. Ein dicker Kloß im Hals. Den Stein vor Augen, der den Zugang versperrt. Den zum Grab. Und den in eine neue Zukunft. Lebensstarre breitet sich aus. Legte alles lahm, wäre nicht alles ganz anders gekommen. Wie Blitz und Donner bricht es über sie herein. Wie Zeichen einer Welt, der unsere Begrenzungen nichts anhaben können. Erdbeben. Engel. Entsetzen. Eine elementare Unterbrechung dessen, womit sie gerechnet haben. Wie elektrisiert erscheinen die beiden Frauen. Entwaffnet und am Ende ihrer Möglichkeiten dagegen die eingesetzten Wachen.

3. Ostern ist ein über die Welt und über uns hereinbrechendes Fest. Keines, das nur einfach fortschreibt, was war. Keines des einfach nur steil nach oben steigenden Kurses. Vielmehr eines, das uns aus einer anderen Welt entgegenkommt. Uns aus den alten Gleisen herausreißt. Uns neu in die Spur des Lebens setzt. Ostern bringt uns endgültig in heftigen Kontakt mit einer Welt, von deren Existenz wir irgendwie eine Ahnung in uns tragen. Über die wir aber nie verfügen können.

Über die Frauen bricht Ostern herein. Gänzlich unverhofft. Gedeutet durch die Worte des Gottesboten. Und zugleich erträglich gemacht. Es sind die alten Worte, die wir auch schon von Weihnachten kennen. „Fürchtet euch nicht!“ Nur: Dieses Mal nicht fortgesetzt mit einem „Ihr werdet finden ... !“ Zumindest nicht gleich. Diese österliche Botschaft lautet: „Hier werdet ihr nicht mehr fündig. Er ist nicht hier! Da! Schaut, wo er gelegen hat!“

Das ist die Geburtsstunde des Osterglaubens. Des über sie hereinbrechenden Glaubens, der die beiden Frauen emporhebt in zuvor ungeahnte österliche Höhen. Doch statt dünner Luft die Erfahrung des Lebens in unüberbietbarer Konzentration. Den beiden Frauen begegnet der Auferstandene selber. Und wieder folgt das österlich-programmatische „Fürchtet euch nicht!“ Dieses Mal nicht genährt mit dem Hinweis auf die verblieben Leerstelle des Todes im Grab. Dieses Mal verbunden mit der Zusage: „Ihr werdet ihn sehen! Wenn ihr euch auf den Weg macht. Nach Galiläa.“

Galiläa wird einmal mehr zum Ort der Entgrenzung. Galiläa der Heiden nannte man jene Landschaft, in der Jesus seine Kindheit verbracht hat. Der See Genezareth. Kapernaum. Nazareth. „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Das war ein geflügeltes Wort damals. Nazareth wird zum Haftpunkt des Osterglaubens. Der Ort jenseits der Grenze des politisch Korrekten wie des religiös Zumutbaren. Das Synonym des Ortes jenseits der Grenze wird zum Ort der Erfahrung bewahrten Lebens jenseits aller unser Grenzen. Der Grenze der Vernunft. Und der Grenze der Erfahrung. Sogar – ja gerade - der Grenze dessen, was unser Leben ausmacht.

4. Was ist das für ein Leben, mit dem uns Ostern in so überwältigender Absicht in Verbindung bringt? Das zu unseren Erfahrungen so sehr im Widerspruch steht. Jenen Erfahrungen, die uns verführen, es besser doch mit dem Verfügbaren zu versuchen. Und uns auf das Vertraute und Einordenbare zu verlassen. Der Tod ist eben eine Grenze. Und eine uns in hohem Maße verunsichernde und verletzende, uns den Boden entziehende dazu. Die Tränen des Todes können nicht leichtfertig schön- oder gar weggeredet werden. Der Unerbittlichkeit des Todes muss darum die Unerbittlichkeit des Osterglaubens entsprechen. Sie gewissermaßen sogar überbieten. Er muss mehr an Höhe bieten als der Tod uns in Tiefen zu stürzen vermag.

Leben in Verlängerung, in einfacher Fortführung unseres vertrauten Lebens kann diesem Anspruch nicht genügen. Weil es dem Tod erwiesenermaßen nicht standzuhalten vermag. Leben, das diesem österlichen Anspruch standhält, muss von anderer Qualität sein. Kann seinen Urspruch nur aus der Quelle speisen, die wir Gott nennen. Leben als Neuschöpfung. Und siehe, es war wieder gut! Leben, das davon absieht, nur den eigenen Vorteil zu suchen. Leben in durchgehaltener Bereitschaft, sich selber dran zu geben. Leben aus der Kraft der Liebe. So wie der es vorgelebt hat, dessen Tod wir am Karfreitag gedacht haben. Und dessen unverbrüchliches Leben wir heute feiern.

Solches Leben ist keine Möglichkeit für uns. Aber deswegen noch lange keine Unmöglichkeit. Schon gar nicht, wenn Gott sich einmischt in die vielfältigen Spielarten des Lebens. Der über uns hereinbrechende Ostermorgen ermöglicht uns den neuen Blick. Schenkt uns die Perspektive, Lebens nicht vorschnell selber zu begrenzen. Ermöglicht uns den Glauben, der in ungeahnte Höhen führt.

5. Im Widerspruch dazu bleibt uns nur die Erstarrung im Vorletzten. Wenn wir uns gebärden wie die Wächter, die sich und andere vor österlichen Erfahrungen in Sicherheit bringen wollen. Wer Ostern ungeschehen machen will, darf sich nicht wundern, wenn am Ende nur ein Leben in starrer Kälte übrig bleibt. Leben in Lebendigkeit, Leben, das Ostern nicht einfach ausblendet, rechnet mit dem Unverfügbaren. Traut der eigenen Sehnsucht. Den Bildern ganz tief in uns von der Wirklichkeit Gottes, die sich mit der Tristesse der Realität nicht abgeben wollen.

Der Glaube, der sich bewähren will in den Niederungen unseres Lebens, der Glaube, der diese verwandeln will, nährt sich in der Höhe. Lebt nicht von dünner Luft. Sondern von der Aussicht, auch den Horizont hinter sich lassen zu können.

Der, den die beiden Frauen als den Auferstandenen erleben, wird zum Garanten der Möglichkeit dieser absoluten Grenzüberschreitung. Dieser Unterbrechung des lähmenden Kreisens um den eigenen Mittelpunkt. Ostern heißt, den Mittelpunk seines Lebens außerhalb suchen, um die eigene Mitte finden zu können. Ostern wird nicht, indem die Welt aller Schrecken beraubt ist. Da spricht eigentlich allein schon alle Erfahrung dagegen. Ostern wird, indem wir uns den vor Augen führen, den der Tod nicht halten konnte. Und ihn für uns zum Zeichen werden lassen, dass jetzt schon wahr ist, worauf wir alle erst zugehen. Der Jubel der Befreiung und das Festgeläut des Ostermorgens kommen aus der Zukunft auf uns zu. Machen sich vernehmbar. Sind zu hören mitten im Lärm unserer alltäglichen Geschäftigkeit. Das lässt uns Feiern. Schon hier und jetzt. Ohne Angst. Und mit großen Ausichten. Weil aus der Höhe alles seine rechte Größe bekommt. Und seinen Schrecken verliert.

6. „Fürchtet euch nicht!“ Dies ist die Konsequenz aus der österlichen Erfahrung des bei Gott bewahrten Lebens. Ein Glauben, der die Erfahrung des Ostermorgens nicht wegschiebt, verleiht Flügel. Das Echo der gewaltigen Energien und Kräfte, die das Grab öffnen und den herausgeheben, der dort verwahrt bleiben sollte, sollte man uns allerdings schon abspüren. Wenn wir angstfrei unsere Stimmen erheben für die, die keine Stimmer mehr haben. Wenn wir und verweigern, wo nur noch nach dem Nutzen gefragt wird und Barmherzigkeit zum Unwort zu verkommen droht. Wenn wir vorgeben, uns Nächstenliebe nicht mehr leisten zu können. Das österliche Echo lässt sich vor allem anderen dort vernehmen, wo dem Tod das letzte Wort entzogen ist. Und er keine Macht mehr über uns hat, obwohl wir ihn noch nicht endgültig los sind. Dort, wo wir das „Fürchtet euch nicht!“ ins Leben ziehen.

Das Echo, das aus der Zukunft Gottes österlich auf uns zukommt, bricht sich in immer neuen Klägen des „Fürchtet euch nicht!“ Bahn. Gott macht sich auffindbar und vernehmbar. Und lässt sich am Ende schmecken und sehen. Im Auferstandenen, der den beiden Frauen den Weg nach Galiläa und damit in die offene Zukunft jenseits aller Grenzen weist. „Sagt es unbedingt weiter!“, fährt der Auferstandene fort. „Meinen Jüngern. Meinen Freundinnen und Freunden.“ Damals in Galiläa. Und heute hier bei uns. Auch jetzt, wenn Brot und Wein zum Sinnbild dessen werden, dass sich Gottes Lebendigkeit eben nicht dingfest machen lässt. Sondern anstecken will.

7. Leben, dessen Lebendigkeit ansteckt. Das wär’s doch! Wo solches Leben sich Raum verschafft und einen Ort findet, da schwingt unser Glauben sich empor in vorher ungeahnte Höhen. Da lässt sich Gottes Gegenwart schmecken und sehen. Und Gottes befreiender Geist atmen. Da ist nichts mehr zu spüren von der dünnen Luft des Todes. Sondern nur noch Gottes Fruendlichkeit und Gegenwart selber. Da kommt das Lebens ans Ziel. Grund genug, das Leben und den Lebendigen zu feiern. Da ist Ostern. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.