DREI WÜNSCHE DER KIRCHE AN DIE KUNST
VORGETRAGEN ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DER KUNSTAKTION
DER EVANGELISCHEN ERWACHSENENBILDUNG
UND DES EVANGELISCHEN KIRCHENBEZIRKS
AM SONNTAG, DEN 8. JANUAR 2006 IN DER AUFERSTEHUNGSKIRCHE

08.01.2006
Die weihnachtlichen Gerüche sind gerade erst langsam dabei, sich zu verflüchtigen. Die letzte Schachtel mit Weihnachtsgebäck ist noch nicht ganz leer. Sogar mancher Christbaum steht noch. Die Wunschzettel sind allerdings nur noch das Papier wert, auf dem sie stehen. Ob erfüllt oder nicht, ob teilweise oder ganz – jetzt ist es zu spät.

Und dennoch schon darf ich wieder einen Wunschzettel schreiben. Dieses Mal an die Kunst. Genauer noch an diejenigen Vertreterinnen und Vertreter unter den Kunstschaffenden, die sich auf den Dialog mit der Kirche einlassen.

Drei Wünsche habe ich frei, so wurde es mir gesagt. Und mir stehen fünf Minuten dafür zur Verfügung. Das reicht auch völlig aus. Wenn der Wunschzettel zu voll wird, bleibt am Ende zu viel Unerfülltes oder gar Unerfüllbares darauf stehen. Das hat nur Enttäuschung zur Folge. Dann also keine Zeit verlieren und ran ans Wünschen. Vielleicht lässt sich das Christkind ja auf dieses nachweihnachtliche Wünschen ausnahmsweise noch einmal ein.

Ich wünsche mir – erstens -, dass Kunst und Kirche gemeinsam das Leben im Blick halten und es sich immer wieder – und bleibend! - zum Thema machen.

Das unverblümte Leben. So wie es wirklich ist. Mit seinen Tränen und seinem Lachen. Mit seinen Sehnsüchten und Enttäuschungen. Mit den kleinen Träumen der Gerechtigkeit, vielmehr aber noch mit dem Leiden an der tagtäglich sich am eigenen Erfolg freuenden Ungerechtigkeit. Das Leben mit seinem Scheitern, vielmehr aber noch mit seinen kleinen und großen Hoffnungen.

Nicht Thema-Beliebigkeit und Lebens-Vertreib sollen uns verbinden, sondern Wesentlichkeit und Wahrhaftigkeit. Methoden und Wege mögen unterschiedlich sein und bleiben. Womöglich auch die tragenden Säulen der beiden Systeme. Aber der Protest gegen alles Lebenzersetzende und die Förderung auch des unscheinbaren Lebensdienlichen – sie sollen Heimat finden unter unseren Dächern, ohne dass wir der Gefahr der Verzweckung erliegen. Es reicht, wenn uns der Geruch des Lebens in Bewegung hält.

2. Ich wünsche mir zugleich – und nach dem gerade formulierten ersten Wunsch womöglich überraschend -, dass wir uns unsere gegenseitige Fremdheit bewahren.

Wir sind beide stärker und gegenüber dem, was unsere Aufgabe ist, wahrhaftiger, wenn wir uns gegenseitig Exil bleiben, aber auch Exil oder zumindest Asyl gewähren. Wo wir uns gegenseitig in Dienst nehmen, die Kunst die Kirche oder die Kirche die Kunst, verdunstet womöglich unser je eigenes. Verdorrt unser jeweiliges So-sein aufgrund der sich die Luft nehmenden Abhängigkeiten.

Die Kunst kann viel für die Kirche tun, ihre Themen und Botschaften unter die Leute bringen und kommunizieren, aber sie darf sich nicht instrumentalisieren lassen. Die Kirche kann auch viel für die Kunst tun, ihr Räume und Menschen bieten, aber sie darf sie nicht erdrücken. Die Kunst hat ihre eigenen Globalität und ihre eigene Ökumene, ja sogar ihre eigenen Regeln der Inkarnation. Ich wünsche sie mir als Gegenüber, als redendes oder schweigendes Gegenüber, aber als brennend an Kommunikation interessiertes, das die bleibendes Fremdheit fruchtbar zu machen versteht.

3. Ich wünsche mir -drittens – dass die Kunst - unbeschadet des Konsenses oder Dissenses in den ersten beiden formulierten Erwartungen – sich in den von ihr gewählten Themen-Instrumenten immer wieder der Bildvokabeln der christlich-jüdischen Tradition bedient.

Dass sie die großen Geschichten und Themen der Bibel, die uns in Worten überliefert wurden, ins Bild setzt. Sie nicht verkommen lässt oder gar verschweigt.

Wie könnte man über Leben und Tod, über Versagen und gewährten Neuanfang arbeiten, und dabei die reich gefüllte Schatzkammer der biblischen Bilder und Themen einfach geschlossen lassen. Umso mehr wünsche ich mir das von der Kunst, als das Mittel der Sprache gegenüber dem des Bildes zusehends ins Hintertreffen gerät, weil wir die Übung des Lesens verloren haben. Umso mehr wünsche ich mir das von der Kunst, als viele in den Kirchen selber nicht mehr wissen, welche Schatz sie eigentlich zu hüten gewürdigt sind. Wenn uns das eigene als Fremdes - oder eben im Sinne des zweiten Wunsches aus der Fremde - entgegentritt, kann es heute oft viel leichter seine lebensdienlichen Kräfte freisetzen als das scheinbar allzu Vertraute.

Mehr habe ich auf meinem Wunschzettel nicht stehen. Doch wenn mir nur diese drei Wünsche erfüllt werden, kann es noch einmal Weihnachten werden – für die Kirche und für die Kunst!

Dekan Dr. Traugott Schächtele – Goethestraße 2 – 79100 Freiburg

Telefon 0761/708 63 26 – Fax 0761/708 63 93 – EvDekFr@online.de

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.