EDIGT ÜBER 1. KORINTHER 2,1-10
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 15. JANUAR 2006 (2.SONNTAG NACH TRINITATIS)
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN LÖFFINGEN
- MIT WIEDERINDIENSTNAHME DER XAVER-MÖNCH-ORGEL -

15.01.2006
Der Duft von Weihnachten liegt noch immer in der Luft, liebe Gemeinde. Die Erinnerung ist noch frisch. Die Weihnachtsbäume sind noch nicht alle abgeräumt. Das letzte Weihnachtsgebäck harrt in den leer gewordenen Dosen seinem endgültigen Verzehr entgegen. Die Geschenke sind gerade erst ihrem Gebrauch zugeführt. Die Bücher noch nicht alle ausgelesen. Da machen sie sich hier in Löffingen noch einmal ein Geschenk. Ein nachweihnachtliches zwar. Aber eben immer noch ganz nah dran an Weihnachten.

Das Epiphaniasfest – hier ihnen hier sicher eher als Fest der heiligen drei Könige begangen - es liegt gerade erst neun Tage zurück. Mehr als dreihundert Jahre lang haben die ersten Christen Weihnachten ohnedies erst am 6. Januar begangen. Und die meisten orthodoxen Christen tun das bis heute. Als auch im Kirchenjahr gilt: Wir sind an Weihnachten noch immer nah dran.

Ganz anderes scheint für den vorgeschlagenen Predigttext für diesen zweiten Sonntag nach Trinitatis zu gelten. Er schließt – und das ist ungewöhnlich genug – direkt an den Predigttext des vergangenen Sonntags an. Und er spricht – obwohl noch viel näher an Weihnachten dran als an der Passionszeit nicht mehr vom Christus in der Krippe, sondern vom Christus am Kreuz. Und er scheint beim ersten Hinhören zugleich ganz weit weg zu sein vom freudigen Fest der Wiederindienstnahme ihrer schönen Orgel.

Wie gesagt – beim ersten Hinhören. Denn dabei kann es heute ja keinesfalls bleiben. Hört also, worüber heute gepredigt und was uns heute Mut zum Leben machen soll. Ich lesen aus 1. Korinter 2 die Verse 1-10:

Als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht: »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.


Zu keiner Zeit verfügte die Menschheit über größeres Wissen als heute, liebe Gemeinde. Die Bibliotheken sind dicht gefüllt mit Büchern, die kein Thema aussparen. Die Medien, ob Zeitung oder Fernsehen, versorgen uns mit Informationen, sei es aus Politik und Wissenschaft oder aus Kultur und Unterhaltung. In den verschiedensten Talkshows breiten Menschen den ganzen Tag über aus, was für die Zuschauerinnen und Zuschauer anscheinend unendlich interessant ist. Und wer meint, genug an Wissen erworben zu haben, versucht, dieses Wissen bei Günter Jauch oder Jörg Pilawa in Geld und Bekanntheit umzusetzen.

Mit Hilfe des Internet haben wir längst ein Datennetz über den ganzen Globus gespannt, das es uns ermöglicht, die Trennung durch Raum und Zeit zu überwinden. Gleichzeitig kann ich mit Menschen auf allen Kontinenten in Kontakt treten. Und die Fülle der Informationen ist von niemandem mehr wirklich zu durchschauen oder gar zu bewältigen.

Kein Zweifel also, an Wissen mangelt es uns nicht. An Weisheit dafür aber umso mehr. Wissen, das ist die Fülle der Informationen und der Einblick in die kaum noch zu durchschauende Datenmenge. Weisheit, das ist die Kunst, aus diesem Füllhorn der Fakten so auszuwählen, dass wir uns auf das Lebensdienliche beschränken. Dass wir aufgrund unserer Erfahrung und unserer Überzeugung uns das wenige zunutze machen, auf dass es wirklich ankommt. Dass wir die Zusammenhänge durchschauen. Und dass wir wirklich erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

In seinem Brief an die Gemeinde in Korinth gibt Paulus sich aber nicht mit Erkenntnis der Weisheit an sich zufrieden. Er unterscheidet die Weisheit der Welt oder Menschenweisheit noch einmal grundlegend von der Weisheit Gottes. Und allein schon darin erweist er sich selber als überaus weise.

Auch wenn sein Brief beinahe 2000 Jahre alt ist – er wurde in der Mitte der 50er Jahre des ersten Jahrhunderts nach der Geburt Christi geschrieben – grundlegend anders als heute ging es auch damals in Korinth nicht zu. Da gibt es Menschen, die sich bestens auskennen in den verschiedenen philosophischen Systemen, die auf dem Markt sind. Da gibt es Menschen, die sich im besten Sinn als Kenner der damaligen Religionen erweisen und aus den Schätzen der damaligen religiösen Szene ihre eigene Religion zusammenstellen.

Und ganz sicher mangelt es in Korinth nicht an den einfachen Menschen, die sich als Hafenarbeiter oder Händler, als Straßenverkäufer oder gar als Sklaven durchschlagen müssen. Ihr Schatz an Wissen ist beschränkt. Und ihre Weisheit bezieht sich insbesondere darauf, durch geschicktes Taktieren das eigene Überleben zu sichern. Kein Mangel also an Weisheit der Welt in Korinth. Und zumindest aus Sicht des Paulus an der Notwendigkeit, dieser Weltweisheit die Weisheit Gottes entgegenzusetzen.

Dieser Streit um die recht Weisheit macht sich für Paulus an der Bewertung seiner eigenen Person fest. Einen glänzenden Redner und einen beredten Vertreter seiner Botschaft wünschen sich die einen. Fernsehtauglich sollte er sein – so würde man heute sagen. Einen hohen Bekanntheitsgrad besitzen. Und die Einschaltquote erhöhen.

Paulus genügt diesen Ansprüchen offensichtlich nicht. Seine Briefe hinterlassen Eindruck, so sagt man ihm. Aber sein öffentliches Auftreten sei erbärmlich. Paulus ist selbstbewusst genug, dieser Kritik standzuhalten. Vielmehr noch: Er hält sie für völlig unangebracht. Schließlich geht es doch gar nicht um ihn. Vielmehr geht es um seine Botschaft. Um den geht es, dessen Geburt in der Krippe wir an Weihnachten gefeiert haben. Ganz unspektakulär. In einer Absteige am Rande der Stand. Und im Hinterhof des römischen Reiches. Auf den Christus in der Krippe kommt es an. Und nicht auf das Predigttalent des Paulus. Nicht auf dessen Medientauglichkeit.

Um den Christus am Kreuz geht es ihm. Um den, der keinem Konflikt aus dem Weg ging. Und schon gar nicht den Menschen, die den anderen im Wege waren. Um den geht es ihm, dessen Tod die Machthaber nicht gescheut haben. Weil sie endlich den Mantel des Schweigens über ihn hüllen wollten. Und von dem man spricht bis heute. Weil das Kreuz nicht sein Ende war. Sondern einen neuen Anfang gesetzt hat.

Weil am Ende nicht das Wissen, sondern die Weisheit die Oberhand behält. Die Weisheit, die sich auf das Wesentliche beschränkt. Und eben nicht zufrieden ist, wenn sie gut ankommt. Gottes Weisheit will verändern. Gottes Weisheit will verwandeln. Nicht einfach nur glänzen. Und blenden. Und den ungeschminkten Blick auf die Wahrheit verhindern.

Es ist Gottes Weisheit, die wir feiern. In jedem Gottesdienst. Mit einfachen Worten. Mit vertrauten Liedern. In Formen, die wir geerbt haben von denen, die vor uns dieser Weisheit Gottes getraut haben. Was macht denn einen Gottesdienst aus? Was macht einen Gottesdienst zu einem Gottesdienst? Zuallererst doch, dass wir es nicht selber sind, die sein Gelingen garantieren müssen. Dass es ein anderer ist, der da dient. Der uns seinen Wohltuenden Lebensservice angedeihen lässt, wenn ich das einmal so sagen darf.

Das englische Wort für Gottesdienst heißt ja Service. Und gerade das ist ja gemeint, wenn wir von Gottesdienst reden. Gottes Service für unsere geplagten Seelen. Gottes Service für die Forderungen und Überforderungen, die das Leben für uns bereit hält.

Gott dient uns. Mit dem, was wir an Zuspruch erfahren. Mit dem, was wir ihm ans Herz legen, wenn wir die Welt ins Gebet nehmen. Mit dem, was wir an Klagen vor Gott ausbreiten und wodurch Gott sich von uns provozieren, d.h. zur Lebenshilfe herausrufen lässt.

Gott dient uns. Auch dadurch, dass wir singend in sein Lob einstimmen können. Lieder und Choräle sind eine Sprechhilfe. Wir können uns bergen in den Worten derer, die Gott angerufen und angesungen haben, als von uns noch lange keine Rede war. Dabei ist unser Singen keineswegs eintönig. Und es klingt schöner, als es unsere Stimmen garantieren können. Unser Singen in unseren Gottesdiensten ist begleitet. Im wahrsten Sinn des Wortes. Es ist geborgen im Zusammenklang ganz anderer Töne. In den meisten Fällen ist es getragen vom schönen Zusammenspiel der Töne eines Instrumentes. Sogar einen Ehrentitel haben wir diesem Instrument beigelegt. König der Instrumente nennen wir sie: die Orgel!

Nirgends sonst sind Pfeifen eine Garantie für Qualität und Harmonie. Die Orgel ist der Glücksfall unserer Art des gottesdienstlichen Feierns. Man kann es auch ganz anders tun. Gott braucht keine Orgeln. Aber wir brauchen sie. Uns tun ihre Klänge gut. Und uns ermuntern sie zum Gotteslob. Und machen unser Singen und unsere Lieder schön. Geben uns einen Vorgeschmack auf die himmlischen Klänge.

Wer Orgeln baut. Und wer sie restauriert, braucht das dazu nötig Wissen. Wer sie aber spielen kann; wer ihrem Spiel lauschen und zu ihren Klängen singen kann, findet gewissermaßen im Spiel zur Weisheit des Gotteslobs.

Wer singt, verzichtet darauf, das Geheimnis Gottes zu ergründen. Wer singt, ist ganz nah dran an Gott, ja ist selber in Gott gegründet und geborgen. Und bekommt eine Ahnung dessen, was ganz tief jenseits des Geheimnisses Gottes Leben ermöglicht.

Die Worte der Predigt können dürr sein. Und die Worte unserer Gebete ein hilfloses Stammeln. Wenn wir aber singen, sind wir dem Geheimnis Gottes auf der Spur. Und kommen ihm nah, wenn unser Singen verbunden und verbündet wird durch den Klang der Orgel. Ihre großen und tief klingenden Pfeifen geben unserer Sehnsucht nach der Weisheit Gottes Grund. Ihre hohen Pfeifen geben der Aufgeregtheit unserer Worte den nötigen Beiklang. Und die vielen unsichtbaren und zugleich doch unverzichtbaren Pfeifen sind ein Gleichnis für uns selber. Nicht der äußere Glanz, sondern der unverzichtbare Zusammenklang – und sei es auch im Verborgenen – machen die Harmonie und das Zusammenspiel vieler erst möglich.

Gut, dass sie hier in Löffingen ihrer Orgel die nötige Pflege haben angedeihen lassen. Und sich derart dankbar erweisen für die vielen, denen sie hier und zuvor schon in Breitnau das gesungene Gotteslob ermöglicht hat. Wenn das keine Menschenweisheit ist.

Und mit unserer Menschenweisheit sind wir womöglich dann schon ganz nah dran an der Weisheit Gottes. Gott sende uns seinen guten heiligen Geist, dass wir ihn verstehen, wo es möglich ist. Und dass wir unser Nichtverstehen aushalten, wo wir den Weg vom Wissen zur Weisheit nicht finden können. Und selber immer wieder neu versuchen müssen, von der Krippe zum Kreuz zu gelangen.

Und der Friede Gottes, der herausklingt aus unserem Singen und aus dem Spiel der Orgel – und der höher als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Dekan Dr. Traugott Schächtele – Goethestraße 2 – 79100 Freiburg

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.