„HAUPTSACHE CHRISTUS WIRD VERKÜNDIGT!“
PREDIGT ÜBER PHILIPPER 1,15-21
IN DER MELANCHTHONKIRCHE FR-HASLACH
AM 26. MÄRZ 2006 (LAETARE)

26.03.2006
Liebe Gemeinde!

Heute ist Wahlsonntag! Seit Wochen hängt die Stadt voll von Wahlplakaten. Köpfe von Menschen sind da abgebildet, die für ein Programm und für eine Partei stehen. Als Kandidatin oder Kandidat an der Spitze. Oder als Vertreterin oder Vertreter der Interessen hier vor Ort. Neben den Menschen enthalten diese Plakate immer noch einen Satz. Eine Aussage zu einem konkreten Thema. Zu Arbeitsmarktpolitik. Oder zur Energiegewinnung.

Dann gibt es aber auch noch allgemeine Slogans. „Mehr Gerechtigkeit“ steht bei den einen. Für „in der Tat besser“ halten sich die anderen. „Ihre Zukunft – ihre Wahl“ sagen die dritten, während die vierten mit einem an ihre Farbe erinnern. Daneben macht die Universität auf ihren bevorstehenden 550. Geburtstag aufmerksam: „Freiburg - wir sind die Universität“. Und wir haben keine Mühe, uns mittendrin auch noch das Konterfei Philipp Melanchthons vorzustellen, unterlegt von einem schemenhaften Seitenaufriss dieser historischen Kirche. Und darunter mit fetten Lettern: „Melanchthon in Haslach – wir sind die Reformation!“

Wir alle kennen solche Sätze aus der Werbung. Sätze, die mit wenigen Worten zusammenfassen, worum es geht. Oder zumindest doch gehen soll. Sätze, die immer auch in der Gefahr stehen, schwierige Sachverhalte zu sehr zu reduzieren.

Schon die Reformation kannte solche vereinfachenden, aber werbewirksamen Kernsätze. Genauer gesagt vier solcher Sätze: Allein aus Glauben. Allein aus Gnaden. Allein Christus Allein die Schrift. Der Predigttext für diesen heutigen Sonntag Laetare umschreibt und umspielt im Grunde einen dieser vier reformatorischen Kernaussagen. Nämlich das „Allein Christus“. Und er verortet diese Aussage zugleich in einer ganz konkreten Lebenssituation, nämlich der des Apostels Paulus.

Der sitzt Mitte der 50er Jahre des ersten Jahrhunderts im Gefängnis. Vermutlich in Ephesus. Weil er wohl wieder einmal öffentlich Ärgernis erregt hat. Seine Gefangenschaft ist nicht besonders schwer. Er hat zahlreiche Kontakte nach außen. Empfängt regelmäßig Besuch. Schreibt Briefe. Unter anderem auch an seine Lieblingsgemeinde. An die in Philippi.

In Philippi hat Paulus die erste christliche Gemeinde in Europa gegründet. Ohne Philippi gäbe es keine christliche Kirche hier in Europa. Dann auch keine Reformation. Keine Melanchthongemeinde in Haslach. Und auch kein Jubiläumsjahr 450 Jahre danach. Wir tun also gut daran, uns an Philippi auszurichten. Und an dem, was Paulus nach Philippi geschrieben hat. 1500 Jahre bevor Markgraf Karl II. den lutherischen Glauben für alle Unertanen verbindlich gemacht hatte,.

Wir hören aus dem 1. Kapitel des Briefes nach Philippi die Verse 15 bis 21:

Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

Liebe Gemeinde, die Silhouette unserer Großstädte wurde über Jahrhunderte von den Kirchen geprägt. Am Werbeflyer für die Nacht der offenen Kirchen kann man das bis heute auch für Freiburg erkennen. Prägend ist natürlich die große Bürgerkirche – das Münster. Aber durch ihr Alter doch auch die hiesige Melanchthonkirche. Nach und nach mischen sich andere Gebäude unter die großen Kirchtürme. Der große Turm am Bahnhof. Der am Predigertor. An der das Stadtbild prägenden Kraft der Kirchen haben sie aber nicht wirklich etwas ändern können.

Grund zur Freude? Ja und nein. Die Vielzahl der Kirchen – in Freiburg sicher deutlich über 50 – ist nicht nur ein Zeichen des wachsenden Bedarfs an Gottesdienstplätzen. Da kämen wir durchaus mit weniger, aber dichter gefüllten Kirchen aus.

Die Vielzahl an Kirchengebäude – an traditionellen und großen, bedeutenden und weithin sichtbaren, aber auch an Kirchen mit ganz anderer, untypischer Architektur – sie ist auch ein Zeichen der Aufsplitterung der einen Kirche Jesu Christi in dieser Welt. Und auch in dieser Stadt.

Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen, sich in Ruhe den Gottesdienstanzeiger in der Freitagsausgabe der Badischen Zeitung durchzuschauen? Erstaunlich, wie groß die Anzahl der Gottesdienste an einem einzigen Wochenende hier in Freiburg ist. Über 100 habe ich gezählt. Welche eine Vielfalt! Welch ein Angebot an Gemeinden und Kirchen. Und welch ein Zeugnis für die Aufsplitterung der Kirche Jesu Christi! Und überall verbunden mit dem Anspruch, dass es um die Wahrheit geht. Um die Wahrheit des Glaubens. Und um die Wahrheit des Lebens.

Wie sollen wir diese Vielfalt bewerten? Als Ausdruck der Vielstimmigkeit der Wahrheit, die zumindest für uns Protestanten ein Ausdruck unserer Art zu glauben ist. Wahrheit – das wisse wir - ist nicht einfach so da, dass man sie herausfiltern und isolieren könnte. An die Wahrheit des Lebens nähern wir uns immer nur an. Erleben sie als eine vielfach gebrochene. Setzen sie zusammen aus ganz unterschiedlichen Fragmenten. Und wir können sie darum auch nie anders feiern als in Vielstimmigkeit.

Oder ist diese Vielfalt ein Armutszeugnis? Verrat am Evangelium. Ausdruck der postmodernen Beliebigkeit, in der alles geht und alles sein Recht hat. Wahrheit, die diesen Namen gar nicht mehr verdient. Die eigentlich nur noch Stimmengewirr ist.

Der Blick in den Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi ist hier sehr wohl erhellend. Wir alle haben ein Bild dieses Paulus. Er ist streitbar und streitlustig. Vor allem, wenn es um das geht, was er sein Evangelium nennt. „Und wenn ein Engel vom Himmel käme und euch ein anderes Evangelium verkündigt als ich - verdammt sei er!“ Das ist der Paulus, den wir kennen. Vor allem, wenn es um die Wahrheit geht.

Im Brief an die Gemeinde in Philippi klingt er plötzlich ganz anders. „Die einen verkündigen Christus aus Neid, die anderen aus Eigennutz. Die dritten aus Streitsucht und die vierten in guter Absicht. Warum auch immer – es macht keinen Unterschied. Hauptsache Christus wird verkündigt!“

Hauptsache Christus wird verkündigt! Kein Zweifel – dieser wahrheitssüchtige Paulus stellt hier mit keinem Wort in Frage, dass alle, die er hier anführt, Christus verkündigen. Und zwar mit vollem Recht. Der Markt derer, die religiös aktiv sind, war schon damals bunt. Und Paulus hat sich über manche sehr wohl geärgert. Aber über allen Differenzen hinweg gibt es eine Klammer. Hauptsache Christus wird verkündigt! Das ist der werbewirksame, einprägsame Satz für das Plakat der Kirchen in Ephesus oder in Philippi.

Ein unverzichtbarer Satz. Und zugleich einer, der uns durchaus bitter aufstoßen kann. Wir feiern 450 Jahre Reformation. In Bischoffingen habe ich am Freitag mitgefeiert. Heute als Auftakt des Jubiläumsjahres hier in der Melanchthongemeinde. Und in der nächsten Woche wird das auch ganz offiziell unsere Landeskirche tun. Mit einem großen Festakt, zu dem sogar eigens Bischof Huber als Ratsvorsitzender aus Berlin anreist. Und ich bin durchaus froh, dass die Kirchengemeindereiburg sie als Haslacher Melanchthongemeinde in ihrer Mitte hat. Schließlich feiern wir ansonsten gerade 200 Jahre evangelische Kirche in Freiburg.

Grund haben wir allemal, stolz auf dieses Jubiläum zu sein. 450 Jahre Reformation in Baden. 450 Jahre Protestantinnen und Protestanten! Paulus fragt uns heute dennoch ganz keck und ketzerisch: Ist das denn so wichtig? Hauptsache ist doch, Christus wird verkündigt. Wer dabei aber welche Marktanteile hat, das ist doch nur zweitrangig. In Sachen Christusglauben gibt es kein Quotengerangel.

Und ich möchte diesem Paulus darum gerne zurück schreiben: „Im Grundsatz, lieber Paulus, geben wir dir ja recht. Und immerhin haben wir hier in Freiburg schon mehr als dreißig Jahre lang die ACK. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen. Hauptsache Christus wird verkündigt. Und es muss gar nicht mit einer Stimme sein. Wir können ja froh sein, wenn sich ganz unterschiedliche Stimmen in diesen Chor einbringen. Sogar neue und bisher noch nie gehörte. Schließlich sind wir alle auf ganz unterschiedliche Weise religiös musikalisch. Haben einen unterschiedlichen Geschmack: Bei der Musik. Bei der Predigt. Sind unterschiedlich geprägt. Und sind durch unterschiedliche Formen der Liturgie ansprechbar. Die einen singen gerne Psalmen im Wechsel. Die anderen freuen sich auf einen Choral. Und noch einmal andere warten hoffentlich nicht mehr ewig auf die Musik, die sie sich in der Kirche wünschen. Hauptsache Christus wird verkündigt.

Und wenn wir uns übernehmen – kräftemäßig, finanziell, von den Menschen her – dann müssen wir eben reagieren. Und unsere Träume und Wünsche unseren Möglichkeiten anpassen. Hauptsache Christus wird verkündigt.

Nur: Ist das denn tatsächlich überall der Fall? Und jetzt, lieber Paulus, geht’s mir gar nicht mehr um die Form. Jetzt geht es mir um den Inhalt. Nicht überall, wo das Wort Christus im Mund geführt wird, geht es um das, worauf es unserer Meinung nach ankommt. Woran erkennen wir, lieber Paulus, dass es tatsächlich Christus ist, um den es jeweils geht?“

Es wäre spannend zu wissen, was Paulus uns zurück schreiben würde. Und in Ermangelung eines solchen Schreibens müssen wir uns selber an die Antwort wagen. Und hier kann uns dann die Erinnerung an das, was sich vor 450 Jahren ereignet hat, sehr wohl hilfreich sein. Was war denn entscheidend für die Väter und Mütter der Reformation? Hierzu könnte man gleich eine ganze Predigtreihe machen. Heute soll es genügen, dass wir uns an die eingangs schon einmal erwähnten reformatorischen Kernsätze erinnern.

Sola gratia – allein aus Gnade. Das heißt doch: Wir müssen’s nicht alleine richten. Wir müssen uns nicht übernehmen. Weil Gott und das Wesentliche im Leben zufallen lässt. Es widerfährt uns als Geschenk. Gratis. Weil bei Gott nicht Geiz geil ist. Sondern die überfließende Fülle.

Sola fide – allein aus Glauben. Das heißt doch: Religion funktioniert nicht nach dem Leistungsprinzip. Dass wir Gott recht sind, müssen wir nicht nachweisen. Darauf können wir uns einfach verlassen. Vor allen religiöse Aktivitäten. Verlassen wie auf ein festes Fundament. Weil bei Gott nicht die Gesetze des Marktes und der Ökonomie gelten. Sondern die der zuvorkommenden Liebe.

Sola scriptura – allein die Schrift. Das heißt nicht, dass Gott keinen Sinn hat für Bilder. Und wir über die Wahrheit nur in schriftlicher Form eine Aussage machen können. Allein die Schrift, das heißt, wir sind unseren Quellen verpflichtet. Und gerade der Quelle der biblischen Schriften. Natürlich kann uns jedes Wort zur Quelle der Wahrheit werden. Aber wir haben ein Maß, woran wir diese Wahrheit messen können. „Alles ist euch erlaubt“, schreibt Paulus einmal nach Korinth. „Aber nicht alles tut euch gut!“

Gut ist, wenn Christus verkündigt wird.

• Gut ist, wenn die Verkündigung unsere Freiheit stärkt. Die Freiheit eines Christenmenschen. Und diese nicht einschränkt.

• Gut ist, wenn die Verkündigung nicht verschweigt, wenn Menschen klein gemacht werden. Aufgrund ihres Geschlechtes. Ihrer Hautfarbe. Ihrer Überzeugungen.

• Gut ist, wenn es um den Menschen geht. Und nicht darum, dass jemand etwas anderes im Sinn hat. Die Stärkung seiner Macht. Oder das Geld derer, die von ihm Hilfe bei der Wahrheitssuche erwarten.

• Gut ist, wenn die Verkündigung hilft, die Gerechtigkeit zu mehren. Und nicht den Besitzstand zu wahren.

Dann wird Christus verkündigt. Und immer wieder neu entdeckt. Damals, vor 450 Jahren. Und auch heute immer wieder neu. „Dieser Christus ist mein Leben!“ So schließt Paulus im heutigen Predigttext. Leben, dem nicht einmal der Tod mehr Einhalt gebieten kann. Weil uns ein solches Leben erahnen lässt, wie Lebe sein könnte. Wie leben wirklich wird. Bei Gott. Für alle Zeiten.

Und der Friede Gottes, der weit hinausgeht über alle Möglichkeiten unserer Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in diesem Christus. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.