GOTT – EIN LIEBHABER DES HAPPY ENDS“
PREDIGT ÜBER LUKAS 22,31-34
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 25. FEBRUAR 2007 (INVOCAVIT)
IN DER LUDWIGSKIRCHE IN FREIBURG

25.02.2007
Maurice Duruflé: Choral "Veni creator spiritus"
HL EG 126,1-3: Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist (Gemeinde)
Variation 1


Liebe Gemeinde!

In der Kirche zu Lübben im Spreewald befindet sich gegenüber der Kanzel ein lebensgroßes Gemälde von Paul Gerhardt. Darunter seht der Satz zu lesen: „Theologus in cribro satanae tentatus“ – „ein Theologe, im Sieb Satans erprobt.“ In diesem Jubiläumsjahr Paul Gerhardts, dem Jahr seines 400. Geburtstages, wird uns auf’s Neue bewusst, wie sehr dieser Theologe "erprobt", gerüttelt und durch das Sieb Satans hindurchgeschüttelt wurde. Persönlich, mit dem Verlust von vieren seiner fünf Kindern, dem Tod seiner Frau und dem seines Bruders. Beruflich durch einen für ihn nicht auflösbaren Konfessionskonflikt, der zur Amtsenthebung von seiner Pfarrstelle an der Berliner Nicolai-Kirche führte.

Die Wirkungsgeschichte seiner fast 140 Lieder und Gedichte ist – Gott sei Dank! - gnädig mit ihm umgegangen und hat ihm mit dem Blick aus der nötigen Distanz Gerechtigkeit widerfahren lassen. Mit fast 30 Texten ist er nach wie vor der am meisten vertretene Liederdichter im Evangelischen Gesangbuch. Das Eingangslied zu diesem heutigen Gottesdienst war auch eine bewusste Referenz an diesen unübertroffenen Liederpoeten und bemerkenswerten Theologen – „ein Theologe im Sieb Satans durchgerüttelt und durchgeschüttelt“ – und dennoch für uns aufbewahrt. Bis heute!

Ich bin dankbar, dass mir der Predigttext für diesen Gottesdienst die Brücke zu Paul Gerhardt baut. Denn der Hinweis auf das Sieb Satans ist ein Zitat aus dem Predigttext dieses Sonntags. Sollten Sie heute also schon eine Predigt über diesen Text gehört oder gar selber über ihn gepredigt haben, nehme sie es bitte gelassen hin. Bestätigt sie das, was heute Morgen schon gesagt oder gehört haben, wird es nicht schaden. Eröffnet diese Predigt doch noch einen neuen Horizont, gilt doch hoffentlich dasselbe.

Gut, dass wir mit dem Lied vor der Predigt singend um die Gegenwart des Heiligen Geistes gebeten haben. Wir werden ihn gut brauchen können, denn im Predigttext für diesen heutigen Sonntag Invocavit tritt in der Tat eine Figur auf den Plan, die wir auch in der Kirche oft lieber verdrängen als dass wir uns mit ihr offensiv auseinandersetzen. Ich spreche vom Satan. Und einmal mehr bestätigt sich Martin Luthers Feststellung, dass da, wo der liebe Gott ein Haus baut, der Teufel gleich eines daneben stellt.

Hören wir also den Predigttext für diesen Sonntag Invocavit, den ersten der sechs Sonntag der Passionszeit. Er steht beim Evangelisten Lukas im 22. Kapitel, in den Versen 31 bis 34. Jesus hat eben das letzte Mahl mit seinen Jüngern beendet und steht kurz vor dem Aufbruch in den Garten Gethsemane. Er spricht in der Zusammenstellung des Evangelisten gleich mehrere Themen an. Eines entwickelt er im Dialog mit Simon Petrus. Da heißt es also:

31Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. 32Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. 33Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.

EG 126,4+5: Des Feindes List treib von uns fern (Vokaloktett)
Variation 2


Ich bin ein Liebhaber des Happy ends, liebe Gemeinde. Ich leide beinahe körperlich darunter, wenn ein Film die Chance des guten Ausgangs verpasst. Seit dem 21. Dezember 2006 läuft im Kino ein Film, der zwar kein inszeniertes Happy end aufzuweisen hat. Der aber dennoch das gute Ende irgendwie in greifbare Nähe rücken lässt. Ich spreche vom Film Babel, liebe Gemeinde. Dieser Film erhielt bei den Festspielen in Cannes den Preis für die beste Regie. Es lohnt sich, diesen Film des mexikanischen Regisseurs Innáritu einmal anzuschauen, auch wenn man dafür nicht allzu zart besaitet sein sollte.

Der Film entwirft ein Panorama von vier Handlungssträngen, in denen Menschen, wie durch das Sieb Satans geschüttelt, in persönliche Katastrophen geraten. Und erst nach und nach wird klar, dass der Film auch eine Erläuterung der These ist, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings ausreicht, um einen schweren Sturm auszulösen.

Da spielen in der marokkanischen Wüste zwei Jugendliche mit einem Gewehr, das sie eigentlich zum Schutz vor Schakalen mit sich führen. Sie zielen dabei zum Zeitvertreib auf einen in der Ferne vorbeifahrenden Touristenbus. Die schwere Verletzung, die eine amerikanische Touristin dadurch erleidet, zieht zu Hause deren Kinder und die illegal in der Familie arbeitende Haushaltshilfe in die politischen Konflikte zwischen den USA und Mexiko. Gleichzeitig bringen die Nachforschungen nach der Herkunft der Waffe, die den Konflikt ausgelöst hat, einen reichen Japaner in schwere Konflikte mit seiner heranwachsenden, gehörlosen Tochter. Und überall tragen auftretende Verstehensschwierigkeiten dazu bei, dass sich die Dynamik der Konflikte noch verschärft.

Dennoch endet der Film am Ende eben nicht in der großen Katastrophe. Er lässt Spielraum für die kleinen Auswege des Lebens. „Versöhnlerisch“ nennt ein ihn darum spöttisch ein Kritiker und schließt seine Besprechung des Films mit dem Satz: „Man darf den Saal in dem Gefühl verlassen, dass gnädiges Schicksal und guter Wille alle Übel dieser Welt kurieren können."

Der Kritiker hat mit gutem Gespür das nicht gänzlich ausgeschlossene und im Film auch nicht realisierte Happy end geahnt und deswegen mit seinem Spott nicht hinter dem Zaun gehalten haben. Denn irgendwie beschreibt der Film in der Sprache des zeitgenössischen Films eine Erfahrung, die am Ende Petrus genauso wie Paul Gerhardt vergönnt war. „Versöhnlerisch“ und „ein guter Wille, der alle Übel dieser Welt kurieren könnte“ – das liest sich beinahe wie ein säkulares Glaubensbekenntnis. Ein modernes Bekenntnis mit filmischen Mitteln zu einem Gott, dessen gnädiges Handeln nicht an der Grenze unseres Durchhaltevermögens zerbricht.

Es sind die großen Themen der Menschheit, die sich wie ein Kontinuum quer durch alle Zeiten und alle Weltanschauungen, vielfach auch quer zu den großen Religionen legen – Themen, die die Menschen immer wieder neu auf den Weg der Suche verlockt haben. Und wie so häufig kleidet sich diese Suche in die Gestalt der Frage nach dem, was sich hinter dem vordergründig sich Ergebenden als zusammenhaltende und Sinn gebende Klammer verbirgt.

Wie verhält sich etwa unsere offenkundige Begrenztheit, unser niemals ausgeschlossenes Scheitern - nicht selten verbunden mit der Erfahrung des Schuldig-Geworden-Seins – wie verhält sich diese Unzulänglichkeit zu unserer unverbrüchlichen Würde? Religiöser formuliert: Wie kommt Gott dazu, auf uns Menschen zu setzen? So sehr, dass Gott sich am Ende selber an die Bedingungen des Menschseins bindet; dass Gott, wie wir oft so schnell in unserer Kirchensprache dahinsagen, Mensch geworden ist?

Wo könnte der tiefere Grund dafür verborgen liegen, uns Verantwortung zuzumuten und zuzutrauen: Verantwortung für uns und für andere, Verantwortung für Kirche und Welt, wo wir uns offenkundig Aufgaben gegenübergestellt sehen, die unsere individuellen Fähigleiten und unser Handlungsvermögen nicht selten zweifellos übersteigen?

Im Zusammenhang des Predigttextes ließe sich fragen: Was lässt diesen Simon zum Petrus werden? Den hier so wenig standhaft geschilderten Anhänger Jesu zum Fels, auf dem Gott seine Kirche bauen will? Was ist das für ein Geist, der seinen Glauben zum Durchhalten verlockt und zum Leuchten bringt? Was ist das für ein Gott, versöhnlerisch und guten Willens, diese Welt von allen Übeln zu kurieren - ein Gott, der will, dass unser Glaube nicht aufhöre?

EG 126,6: Lehr uns den Vater kennen wohl (Vokaloktett)

Variation 3


Die scheinbar einheitliche Textkomposition des Lukas in den Versen des Predigttextes verdeckt in kunstvoller Weise, dass der Evangelist hier schon zwei Traditionen verknüpft. Zwei keineswegs identische Petrisbilder werden von Lukas theologisch in Beziehung gesetzt, um seine Antwort auf die Frage nach dem versöhnlerischen Gott plausibel zu machen: Petrus, der von Gott zum Durchhalten befähigte auf der einen Seite. Und Petrus, der schon bei der ersten großen Krise zum Verräter wird, auf der anderen. Petrus, die große und zugleich gespaltene Führungspersönlichkeit der Anfangszeit der Kirche!

Lukas verweist - zunächst - auf die Vorstellung des mit Gottes Hilfe gegen alle Widerwärtigkeiten des Lebens und durch sie hindurch aufrecht- und durchgehaltenen Glaubens. Hier tritt darum nicht ohne Grund der Satan auf - als diejenige Gestalt, die – wenn schon nicht in göttlichem Auftrag, dann zumindest ohne göttliche Hinderung – die Menschen auf Herz und Nieren prüft.

Der Satan als die große Macht der Versuchung, die nichts anderes im Sinn hat als eben den Nachweis unserer Verführbarkeit. Ein Motiv, das schon mehrere Jahrhunderte zuvor die Bearbeiter des Buches Hiob so treffend im Bild der täglichen Lagebesprechung in den göttlichen Gefilden umsetzen. Der Satan erscheint in der himmlischen Hofrunde und lässt sich seine irdischen Streifzüge absegnen. Nichts anderes hat er dabei im Sinn, als den Nachweis dessen zu erbringen sollen, was auch noch heute viel zu viele zu wissen meinen: Der Mensch ist schwach. Und mehr noch: der Mensch ist schlecht!

Jesus definiert hier seine Rolle als derjenige, der die diesen satanischen Proben Ausgelieferten gegen diese eitlen satanischen Koketterien immunisiert. Am Beispiel des Petrus wird konkret, was daher uns allen zugesprochen ist: „Ich habe für euch gebeten, dass euer Glaube nicht aufhöre!“ Und mit diesem Schutz ausgestattet, braucht dann auch die konkrete Umsetzung in ein Lebensprogramm nicht verwundern. Petrus wird in die Pflicht genommen und in Verantwortung gestellt: „Stärke deine Brüder! Und natürlich auch deine Schwestern! Nimm endlich die Realität zur Kenntnis. Übernimm Verantwortung. Sei, was du in meine Augen längst bist! Sei der, als der Gott dich gemeint hat!“

Wen wundert’s, dass Petrus dies missversteht. Ja, beinahe missverstehen muss. Wo Gott mit im Spiel seines Lebens ist, wird er doch Gefängnis und Tod und schon gar nicht den Teufel zu fürchten brauchen. Statt seine Befähigung zur Menschenwerdung zum Lebensprogramm zu machen, erliegt er offensichtlich der Hybris menschlicher Grenzenlosigkeit. Jetzt greift Lukas auf die andere Tradition zurück: Petrus, der Wankelmütige, ja der Verräter.

Doch Vorsicht, es reicht zu sagen, Petrus der Ambivalente, der Verstrickte. Und gerade darin der Exemplarische. Lange vor Paul Gerhardt ein „Theologus in scribro satanae versatus.“ Petrus leugnet in der Tat dreimal in Folge, dass er diese Jesus kennt. Aber er tut dies gerade, um in dessen Nähe zu bleiben. Wo sich die anderen durch Flucht entzogen haben, da sichert er sich taktierend die Augenzeugenschaft.

Auch Petrus hätte, wie die anderen, weglaufen können. Sein „Ich kenne den Menschen nicht“ sollte ihm gerade den Platz in der ersten Reihe der Passionsgeschichte sichern. Sein Vorgehen mag sich strategisch als sinnvoll erweisen. Doch der Preis ist der Verlust der Wahrhaftigkeit. Wo es um’s Bekennen geht, ist er mit dem Pragmatischen Lösungsweg zufrieden. Erscheint es ihm ausreichend, sich irgendwie ans Ziel zu mogeln, wobei der edle Zweck dann schon die weit weniger edlen Mittel heilt.

Doch höchste Vorsicht ist geboten, hier das eine gegen das andere auszuspielen. Hier ist die Gabe der rechten Unterscheidung gefragt. Und die Einsicht, dass hier nur der Geist Gottes selber den rechten Weg weist. Unser Bekennen ist gefordert, wo hinter einer scheinbar pragmatischen Entscheidung die tragenden Grundannahmen unseres Lebens tangiert sind. Unser Bekennen ist gefordert, wo der Verzicht darauf uns ansonsten schutzlos den Fängen dessen ausliefert, der unsere großen und kleinen Anfälligkeiten austesten will. Das Sonntagsevangelium, das wir vorhin gehört haben, hatte gerade dies zum Thema. Doch der Feind des Bekenntnisses ist das inflationäre Bekennen, das all unserer Bekenntnisse entwerten kann.

Petrus war im Angesicht des Prozesses gegen den, dessen Anhänger er in nicht zu überbietender Weise sein wollte, zu eindeutigem Bekennen gefordert. Zum „Ich kenne diesen Menschen wohl. Er hat mein Leben in die Perspektive Gottes gestellt. Sein Anspruch an mich ist größer als es eure Drohgebäden je sein können“

Doch Petrus verkennt die Notwendigkeit dessen, was jetzt für ihn an der Zeit gewesen wäre. Er verpasst den rechten Augenblick. Die Notwendigkeit des Bekennens. Das ist noch einmal etwas anderes, als die banale Einsicht des „nobody is perfect.“ Sich damit zufrieden zu geben, hieße zu verharmlosen, was im Predigttext als Sieben des Satans gemeint ist.

Leben heißt, auch mit unseren kleinen Lebensgeschichten immer verstrickt sein in die große Geschichte von Glück und Unglück, von Gelingen und Versagen, von Schuld und Vergebung, von Leben und Tod. Dabei ist der Geist oft willig, aber das Fleisch eben schwach, um es mit Paulus zu sagen. Hin und her gewendet, durchgeschüttelt im Sieb des Satans – so erleben wir unser Leben immer wieder. Selbst dann, wenn auf den ersten Blick ganz anderes angesagt sein müsste. Wo’s um’s Ganze geht, dürfen wir uns den Blick der Wahrhaftigkeit nicht verstellen lassen. Gut, wenn wir uns dann als solche wieder finden, die wissen - hin- und her gewendet und durchgesiebt sind wir – das ist das eine. Aber unser Glaube soll nicht aufhören.

Leben – getragen von einem Glauben, der nicht aufhören soll – das ist allemal etwas anderes als ein Leben, das immer heil und unversehrt bleibt. Und bewahrt von Schuld. Das ist ein Leben, das weitergeht, auch wenn der Hahn ein ums andere Mal kräht. Weil ein anderer für uns gebeten hat, dass unser Glaube nicht aufhöre. Und unsere Würde, die Gott allen Menschen zuspricht, unversehrt bleibt. Weil Gott unseren Glauben bewahrt. In versöhnlicher Absicht. Und am Ende alle Übel dieser Welt kurierend.

Wer so lebt - wer erkennt, wie unser Leben allemal getragen bleibt, erweist sich als Künstlerin und als Künstler des Glaubens. Wer so lebt, wird zeitlebens unterwegs bleiben. Am Ende aber die Erfahrung machen, die der große Künstler Pablo Picasso über sein Schaffen gestellt hat. „Ich suche nicht. Ich finde.“

Wir suchen nicht länger nur. Wir finden auch. Wir werden am Ende alle finden. Weil Gottes Geist uns gefunden hat. Damit unser Glaube nicht aufhöre. Weil auch Gott ein Liebhaber des Happy ends ist.

Und der Friede Gottes, der all unsere Fähigkeiten und unser Denken und Planen übertrifft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

EG 126,7: Gott Vater sei Lob und dem Sohn (Vokaloktett)
Variation 4


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.