PREDIGT
ÜBER PREDIGER 3,1-12 / LIED 1 – STÜCK VOM HIMMEL
IM GOTTESDIENST ZUR EINFÜHRUNG VON JOCHEN PFISTERER
ALS GESCHÄFTSFÜHRER DES DIAKONISCHEN WERKES
IM KIRCHENBEZIRK FREIBURG-STADT
AM 9. MÄRZ 2007 IN DER KIRCHE MARIA MAGDAL

09.03.2007
Liebe diakonische Festgemeinde! Krisenzeiten sind große Gelegenheiten für Dichter und Poeten. Und das nicht erst heute. „Es wird zuviel geglaubt. Und zu wenig erzählt.“ In einem Gedicht unserer Tage steht das. Und weiter: „Es sind Geschichten. Sie einen diese Welt.“ Und anfügen will ich: Es sind auch Gedichte, die die Welt verändern. Und Lieder. So wie die von Paul Gerhardt. Ihnen, lieber Herr Pfisterer, haben wir heute gleich mehrere Lieder von Paul Gerhardt zu verdanken. Auch das, das wir eben gesungen haben: „Meiner Seele Wohlergehen hat er ja recht wohl bedacht. Will dem Leibe Not entstehen, nimmt er’s gleichfalls wohl in Acht.“

Ein unerschütterliches Grundvertrauen, durchgehalten auf krisenbedingt wankendem Boden. Das ganze Leben dieses Paul Gerhardt war eine einzige Krisenzeit. Pest. Verlust fast aller Angehörigen. Amtsenthebung wegen bekenntnismäßiger Unbotmäßigkeit. Und dann immer wieder diese Lieder mit dem weiten Horizont. Und dem guten Ende. „Alles Ding währt seine Zeit. Gottes Lieb in Ewigkeit!“

Ein solches Lied - etwa 2000 Jahre vor Paul Gerhardt entstanden - ist das, das wir vorhin als Lesung gehört haben. Eine Botschaft, die ganz sachte anklingt in dieser zuletzt gesungenen Liedstrophe. „Alles Ding währt seine Zeit.“ Oder eben mit den biblischen Worten: „Alles hat seine Zeit!“ Gedichtet und niedergeschrieben unter Umstände, die den unseren gar nicht so unähnlich sind. Eine Zeit mit einem Mangel an Visionen. Eine Hoch-Zeit der Pragmatiker. „Alles ist eitel“ können wir darum in diesem biblischen Predigerbuch lesen. Alles Eitel. Null und Nichtig. Und weiter: „Gott ist im Himmel. Und du bist auf Erden.“

Auf dieser Erde ist es an dir, dein Leben und deine Lebenswelt zu gestalten. Der liebe Gott ist erst einmal in seinem Himmel. Ganz weit weg. Zumindest nicht so da, dass er dir den dir zukommenden Anteil der Lebensgestaltung erlässt. So klare, so provokative Sätze lesen wir in der Bibel. Und gottseidank lesen wir sie dort. Sonst wäre die Bibel ja nur ein weiteres Standardwerk belagloser Richtigkeiten. Ein Buch bestenfalls von Relevanz für eingefleischt Religiöse.

Das Predigerbuch ist da ganz schön realistisch. Aber eben auch sehr pragmatisch. Positiver formuliert. Auch sehr lebensnah. „Alles hat seine Zeit!“ Aufbauen und Abbauen. Lieben und Hassen. Geborenwerden und Sterben. Alles hat seine Zeit. Alles kommt im Leben vor. Alles gehört irgendwie zu unserem Leben. Ehrlich gesagt: Meistens haben wir gar keine Wahl. Schön, wenn am Ende alles irgendwie gut ausgeht. „Fröhlich zu sein und sich gütlich zu tun“, so hieß es in der Lesung am Ende, das ist dann schon das Optimale, was wir erwarten können. Nicht mehr. Aber eben auch nicht weniger!

Ich will auf das Gedicht unserer Tage zurückkommen. Dieses Gedicht, auf das ich eingangs schon einmal hingewiesen habe. Ein Gedicht, eigentlich ein Lied, also ein gesungenes Gedicht, das ebenfalls bei uns Menschen und bei unserer Verantwortung einsetzt. Das passt nicht schlecht, wenn die Diakonie feiert. Ich will noch einmal daraus zitieren: „Nöte, Legenden, Schicksale, Leben und Tod“. Aber dann eben auch „Glückliche Enden“. Darum geht’s in diesem Lied. Darum geht’s im Leben. „Es gibt genug für alle. Es gibt viel schnelles Geld. Wir haben raue Mengen. Und wir teilen diese Welt.“

Jetzt will ich sie aber nicht länger auf die Folter spannen. Schließlich tragen wir alle ein wenig von dieser besonderen Sehnsucht herum, die dieses Lied in Worte und Klänge fasst. Der Sehnsucht nach einem Stück vom Himmel.

- Einspielung

Typisch Grönemeyer, dieses Lied! In der bekannten und durchaus eingängig-monotonen, genauso aber auch einträglichen und erfolgreichen Art. Der Text nicht immer leicht verständlich. Der Akustik wegen. Aber doch wohl auch im Blick auf den Inhalt. In kurzen Sätzen stakkatoartig die Botschaft zu Gehör und unter die Leute gebracht. Einfache Sätze. Eine einfache Botschaft. Wie beim biblischen Predigerbuch. Alles hat auch hier seine Zeit. Leben und Tod. Lust und Trost. Feind und Sieg. Leben und Tod.

Aber trotzdem noch viel mehr auf die Menschen setzend. Ihnen alles zutrauend. „Wieso in seinem“ -gemeint – „in Gottes Namen. Wir heißen selber auch.“ Wir tragen doch auch einen Namen. Sind ein Unikat. Unverwechselbar. Voller Mut. Mit offenen Augen.

Ob ein Stück Himmel wirklich wird. Hier auf dieser Erde. Ob wir den Platz besetzen, den Gott uns einräumt und frei räumt. Ob wir merken, wie sehr es auf uns ankommt – das liegt an uns. „Kein Gott hat klüger gedacht!“ Weil wir selber klug denken können. Weil Gott uns gegenüber nicht im Vorteil ist.

„Religionen sind zu schonen.“ Also keine spanische Wand, hinter der wir uns in Sicherheit bringen können. Keine Delegation der Verantwortung von uns weg. Wir machen doch vieles richtig. Diese Welt –dein Heim! Diese Zeit – deine Zeit! Diese Möglichkeiten – mein Ziel!

Wenn’s uns andere nicht sagen. Wenn wir’s uns von anderen nicht gerne sagen lassen. Dann mag’s eben Herbert Grönemeyer tun! Als moderner Prediger und Poet. Wenn wir uns nicht gerne etwas sagen lassen, dann reicht die Einsicht, dass wir selber in der Pflicht stehen, um dann doch zuzuhören.

„Nichts gehört niemand alleine! Wir sitzen alle in einem Boot.“ Geradezu die Präambel zu einem Lebensentwurf diakonischer Existenz ist das. Einem Leben in gegenseitiger Vernetzung. Einem Leben in gegenseitiger Verantwortung. Einem Leben in gegenseitiger Fürsorglichkeit. Nicht oben und unten. Nicht einer oder eine für andere. Sondern eine und einer mit den anderen. „Jede ist ein anderes Rot!“ Ein roter Himmel geradezu. Schützend ausgespannt über uns alle. Ein grandiose Welt, die uns da überspannt.

Aber womöglich auch eine ebenso grandiose Überforderung. Diakonisch leben. Das ist ein Angebot. Kein Programm der Selbstrechtfertigung. Sondern eines der gegenseitigen Entlastung. Eines der gelebten Verantwortung. Ein Angebot, einmal von sich abzusehen. Um die Menschen und die Welt um uns herum in den Blick zu nehmen.

„Keiner hat sein Leben verdient!“ singt Grönemeyer gegen Ende. Um derart dann tatsächlich und endgültig ein Stück vom Himmel aufleuchten zu lassen. Das Wesentliche im Leben ist immer Geschenk. Wird uns zugespielt. Ist nicht machbar. Fällt uns zu. Gerade da, wo wir uns wagen. Wo wir gemeint sind mit unserer ganzen Existenz.

Mag Religion manchmal daherkommen im Gewand der nötigenden Moral – es gilt, den Horizont nicht aus den Augen zu verlieren. Und den sich öffnenden Himmel.

„Die Erde ist freundlich“, singt der Prediger und Dichter Grönemeyer. Weit mehr noch ist Gott freundlich. Freundlich und uns zugewandt noch einmal in einer ganz anderen Dimension. Weil Gott selber durch und durch Menschenfreundlichkeit und die Weltzugewandtheit ist. Aus dem geöffneten Himmel kommt uns diese Freundlichkeit Gottes entgegen. In dem einen, in dem er Mensch wurde wie wir. In jedem Menschen an unserer Seite.

Krisenzeiten sind große Gelegenheiten für Dichter und Poeten. Sie dichten und singen, damit wir uns gegenseitig unsere Freundlichkeit erhalten. Gerade in Krisenzeiten, Gerade, wenn die guten Zeiten wieder einmal auf sich warten lassen.

Und wer weiß, vielleicht sollten wir viel öfter ins Singen verfallen. Uns verleiten lassen, Geschichten zu erzählen. Uns anstecken lassen von den beflügelnden Worten des alten Dichters:

„Gott hat alles schön gemacht.
Er hat uns die Ewigkeit ins Herz gelegt;
auch wenn wir Menschen das Werk,
das Gott tut,
nicht ergründen können.
Dann merken wir,
dass es nichts Besseres gibt,
als fröhlich zu sein
und sich gütlich tun
in unserem Leben.“


Nichts Besseres gibt es, als auf das Stück Himmel zu setzen, das aufblitzt in den Liedern der Poeten. Und das unserem Leben seine Würde gibt unter dem grandiosen Dach der Welt.

Amen.

- Einspielung (Rest) -

R
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.