PREDIGT ÜBER 2. PETRUS 1,16-19(20.21)
13. JANUAR 2008 (LETZTER SONNTAG NACH EPIPHANIAS)
IN DER LUDWIGSKIRCHE IN FREIBURG

13.01.2008
1. Noch einmal fällt das Licht der Weihnacht in diesen Gottesdienst, liebe Gemeinde. Schneller als sonst kommen die Sonntage nach dem Epiphaniasfest in diesem Jahr an ihr Ende. Der erste Sonntag nach Epiphanias ist zugleich schon der letzte. Mit dem kommenden Sonntag Septuagesimae beginnt dann bereits wieder die Vorpassionszeit.

Noch einmal also: Weihnacht! Weihnacht, die ausklingt. Zumindest was die Kirchenjahreszeit angeht. Am kommenden Sonntag wird in den Kirchen das weihnachtliche liturgische Weiß dem Grün gewichen sein. Dann ist die Epiphaniaszeit, kaum dass sie begonnen hatte, auch schon wieder an ihr Ende gekommen.

Epiphanias, das Fest, das wir am vergangenen Sonntag – also am 6. Januar - gefeiert haben, ist das Fest mit den älteren weihnachtlichen Datumsrechten. Und bis heute ist der 6. Januar der Weihnachtstermin der armenischen Kirchen. Und wie der 25. Dezember ist Epiphanias ein Lichterfest.

Die Bezugnahme auf dieses weihnachtliche Licht des Erscheinungsfestes war wohl auch ausschlaggebend für die Wahl des vorgeschlagenen Predigttextes. Es ist ein Text aus dem 2. Petrusbrief. Dieser 2. Petrusbrief ist die jüngste der neutestamentlichen Schriften. Und lange genug hat man sich in den ersten Jahrhunderten darüber gestritten, ob dieser Brief denn überhaupt zu Recht in den biblischen Kanon aufgenommen wurde. Nun gehört er aber dazu. Und aus seinen Worten soll an diesem Sonntag noch einmal die Gute Nachricht der Weihnacht aufleuchten. Womöglich also ein Weihnachtsschatz in irdenen Gefäßen. Aber eben doch ein Schatz. Eben doch Evangelium. Gute Nachricht.

Hören wir also, wie ein uns unbekannter Briefschreiber von den Grundlagen seines Glaubens spricht. Wir hören aus 2. Petrus 1 die Verse16 – 19 (20-21):



16Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. 17Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. 18Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. 19Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. (20Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist. 21Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.)



Liebe Gemeinde!

2. Drei Haftpunkte sind es also, die unserem Glauben festen Halt geben: (1) Die alten Texte und Geschichten. (2) Das Vorbild derer, denen wir das Wissen um die Möglichkeit des Glaubens verdanken. Und (3) die eigene Erfahrung. Das eigene Fragen genau wie der je eigene Glaube. Die eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte wie die eigenen Visionen.

3. Zunächst also die alten Texte und Geschichten. Alle großen Religionen waren zunächst vor allem Textreligionen und Erzählreligionen. Mit heiligen Büchern. Und mit grundlegenden, unverzichtbaren Geschichten. Gerade die zu Ende gehende Weihnachtszeit kann uns dies in Erinnerung rufen. Weihnachten ist vor allem das Fest einer anrührenden Geschichte. Und einer unglaublichen dazu. Anrühren kann uns die Geburt eines Kindes in armseligen Verhältnissen. Und unter widrigsten Bedingungen. Unglaublich ist die damit zugleich verbundene Botschaft. Es ist die Gegenwart Gottes, die uns anrührt, wenn wir den Blick auf das Kind in der Krippe richten.

Und zu der einen Geschichte kommen andere. Wie die von den sternenkundigen Magiern aus dem Osten, die sich auf den Weg zu diesem Kind machen. Oder die von Simeon und Hannah, deren Lebenshoffnungen sich am Ende doch noch erfüllen. Dabei bleibt dieses Kind auch nach seiner Geburt der Mittelpunkt vieler weiterer Geschichten. Wie etwa der, die wir heute als Evangelium gehört haben. Jesus wird im Kreis der Großen seiner jüdischen Religion etabliert. In ihm, so erzählt das Evangelium von der Verklärung Jesu, leuchtet wie in Mose und Elia Gottes Gegenwart auf. Auch das also eine Weihnachtsgeschichte. Allerdings eine, in der das Kind im Stall längst erwachsen geworden ist.

Religionen sind Erzählgemeinschaften. Und das Christentum zumal. Es ist auf Geschichten angewiesen. Ebenso auf Texte, die hilfreich deuten und klärend Orientierung geben. Solche Texte sind vor allem dann nötig, wenn sich Durststrecken einstellen. Wenn plötzlich alles in Frage gestellt scheint, was sonst scheinbar auf der Hand liegt. Texte sichern und nähren, wenn unsere Sehnsüchte nicht mehr aus uns selbst heraus befriedigt werden können.

Diese Situation ergibt sich immer wieder aufs Neue. Etwa damals, als die Evangelien geschrieben werden, weil die Welt doch viel länger Bestand hat und das Ende aller Dinge scheinbar über Gebühr ausbleibt. Eine solche Zeit des Hungers nach vergewissernden Texten, die Hoffnungslücken überbrücken, gibt auch den Anlass für den 2. Petrusbrief.

Der Schwung des Aufbruchs des sich neu etablierenden Christentums droht zu erlahmen. Und wie üblich schlägt jetzt die Stunde der Kritiker und Spötter. „Wo bleibt denn euer Herr?“, fragen sie. „Wollte er nicht bald wiederkommen? Wo bleibt denn die von euch angekündigte neue bessere Welt? Schaut doch her: Viel zum Guten hat sich doch wahrhaftig nicht geändert! Erfundene Geschichten sind das doch, die ihr euch selber ausgedacht habt. Meilenweit entfernt von aller Realität. Hoffnungen ohne festen Grund.“

Der unbekannte Christ aus der Mitte des 2. Jahrhunderts sieht sich im Zugzwang. Fühlt sich in die Enge getrieben. Aus dieser Abwehrhaltung heraus schreibt er seinen Brief. „Wir sind doch keinen ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.“

3. So kommt uns wider Erwarten der zunächst befremdliche Predigtext schneller nah, als es bei dessen zweifelhafter Vorgeschichte auch nur den Anschein haben konnte. Auch ihm geht es um die Grundlagen unseres Glaubens. In einer Zeit, in der er die Grundlagen des Glaubens gefährdet sieht. Und wie um die Seriosität seiner Position zu unterstreichen, nimmt er die Autorität des Petrus für sich in Anspruch. Schreibt den Brief in seinem Namen. Und unter Verwendung eines anderen, weiteren Briefs, den wir ebenfalls im neuen Testament finden. Dabei ist für ihn gerade jener Text von zentraler Bedeutung, den wir vor hin als Evangelium gehört haben. Er gibt sich als Zeuge jener Ereignisse auf dem Berg aus. So als wäre er selber dabei gewesen.

Es wäre allerdings völlig falsch, dieses Vorgehen aus unserer heutigen Sicht und unter Zugrundelegung heutiger urheberrechtlicher Gesichtspunkte zu bewerten und den Schreiber als Betrüger zu entlarven. Er tut nur, was damals durchaus gängige Praxis war. Und er tut dies, weil neben den Texten eben ein zweites unserem Glauben festen Grund gibt. Er bezieht sich auf glaubwürdige Zeugen. Glaube lebt fast immer davon, dass andere für uns zu Zeuginnen und Zeugen werden. Glaube vermittelt sich durch Menschen. Eltern oder Großeltern. Lehrerinnen und Lehrer. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kirche, haupt- oder ehrenamtlich. Menschen nicht selten auch, die wir gar nicht persönlich kennen, die aber durch ihr prägendes Vorbild für andere Menschen wichtig geworden sind. Unser Glaube nährt sich durch das Beispiel derer, die vor uns geglaubt haben und die mit uns glauben.

Der Autor des heutigen Predigttextes beruft sich auf eine der Säulen der Entstehungsgeschichte des Christentums. Auf keinen geringeren beruft er sich als auf denjenigen aus der Reihe der Apostel, der den Beinamen der “Fels“ trägt. Petrus! Bei ihm sieht er sich dicht genug an den Ereignissen, um die es geht. Von ihm gibt es tragende Geschichten zu erzählen.

Paulus macht ihm da schon mehr Mühe. Bei Paulus seien einige Dinge schwer zu verstehen. Und würden daher von den Leichtgläubigen verdreht, so schreibt er am Ende seines Briefes. Bei Petrus sieht er sich auf festerem Grund. Ihn macht er zum Kronzeugen seiner Verteidigungsschrift. Und eben diese Texte, deren Auslegung nicht der Beliebigkeit unseres Glaubens anheim gestellt sei, sondern nur denen, die aus dem Geist Gottes dazu berufen und befähigt sind. Am Horizont sieht man das kirchliche Lehramt aufleuchten. Nicht ohne Grund zählt man diesen 2. Petrusbrief zu den so genannten frühkatholischen Schriften.

Die rechte Auslegung, so wie der Briefschreiber sie versteht, sie vermag ein Licht in ansonsten dunkle und obskure Zusammenhänge zu werfen. Sie lässt, so schreibt er, den Morgenstern in unseren Herzen aufgehen. Das Bild vom aufgehenden Morgenstern soll an den erinnern, in dem uns die Gottheit selber entgegenleuchtet.

Es ist vor allem dieses Bild, das diesen Text in die Nähe von Epiphanias rückt, in die Nähe des Festes, an dem wir das Erscheinen der Wirklichkeit Gottes im Kind der Weihnacht feiern. Die Erinnerung an den aufgehenden Morgenstern macht den Text aus dem 2. Petrusbrief noch einmal zu einem, der uns an die entschwindende Zeit der Weihnacht erinnern soll. Auch wenn sein eigentliches Thema nicht die weihnachtliche Ankunft dieses Morgensterns bildet, sondern dessen ersehnte Wiederkunft.

So wird am Ende auch der unbekannte Schreiber dieses Textes am Rande des Neuen Testaments für uns zu einem weihnachtlichen Zeugen des Glaubens. Nicht berauschend. Und nicht betörend. Aber Beispiel gebend in der Ernsthaftigkeit, mit der er sein Zeugenamt wahrnimmt. Beispiel gebend in der Weise, dass er unter widrigen Bedingungen und in einer frühen Durststrecke der sich bildenden Kirche an die verbürgende Funktion der alten Texte und der Vorbilder im Glauben erinnert.

4. Die Erfahrung der Kirche im Laufe ihrer Geschichte spiegelt sich dabei immer wieder auch in der Erfahrung des eigenen Lebens. Der dritte Halt unseres Glaubens, von dem ich vorhin gesprochen habe, ist die je eigene Erfahrung. Die eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte wie die eigenen Visionen. Die bedrückende Erfahrung, dass uns alles durch die Finger rinnt und wir kaum mehr zu eigenen Worten finden. Genauso aber auch beglückende Erfahrung, dass unser Glaube trägt und unsere Hoffnungen sich nicht als trügerisch und leer erweisen. Eine überraschende Erfahrung nicht selten, manchmal gegen allen Augenschein und alle Vernunft.

Die Geschichte unserer eigenen Gottesbeziehung ist allemal eine Geschichte, die sich abspielt zwischen tragender Tradition und neugierigem Aufbruch. Zwischen zersetzendem Zweifel und überschäumender Gewissheit. Zwischen Suchen und Finden. Zwischen Sehnsucht und Erfüllung. Wir können unseren Glauben nicht nur speisen aus andauerndem Erkenntnisgewinn und vorwärts strebender Gewissheit.

Nicht selten bleibt uns nicht mehr, als dass wir uns bergen in den alten Geschichten und im Glauben derer, die vor uns geglaubt haben und die mit uns glauben. Oder um doch noch einmal Paulus zu Wort kommen zu lassen: „Jetzt sehen wir erst durch einen Spiegel ein dunkles Bild.“ Dass wir auch sehen können „von Angesicht zu Angesicht“, dazu bedarf es des Leuchtens des aufgehenden Morgensterns und der Gewissheit seines Leuchtens, selbst dann, wenn Augen und Herz sie kaum mehr wahrnehmen.

5. Noch einmal fällt also das Licht der Weihnacht in diesen Gottesdienst. Das habe ich eingangs gesagt. Die Gute Nachricht des Textes aus dem 2. Petrusbrief lautet darum: Dieses Licht der Weihnacht leuchtet selbst dann, wenn wir es gar nicht mehr im Blick haben. Weil wir nach ganz anderem Ausschau halten. Oder wenn uns der Blick verstellt ist und uns für unseren Glauben nichts mehr bleibt als die Kraft des Vertrauens auf die alten Geschichten und die manchmal inhaltsreichen, bisweilen aber nur noch befremdlichen und doch erfahrungsgesättigten Texten.

Das Licht der Weihnacht scheint auch dann, wenn sich der Lauf des Kirchenjahres ausrichtet auf die Zeit der Erinnerung an den Weg des weihnachtlichen Kindes an die Grenzen des Lebens. Und in den Tod. Vom Licht dieses Morgensterns können wir leben und uns den Weg weisen lassen, bis es sich widerspiegelt und aufgeht im noch helleren Licht des Ostermorgens. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.