PREDIGT ÜBER DIE BEIDEN LOBGESÄNGE IN LUKAS 1
ZUM ABSCHLUSS DES PRÄDIKANTINNENAUFBAUKURSES
AM SONNTAG, DEN 20. DEZEMBER 2009 (4. ADVENT)
IM FBZ FREIBURG

21.12.2009
Heute ist der vierte Sonntag im Advent, liebe Schwestern und Brüder. Am Advent führt kein Weg vorbei, wenn es Weihnachten werden soll. Advent muss ein! Der Weg zum Fest der Geburt Christi führt über die Tage des Advent.

Dass das Fest der Weihnacht einen adventlichen Vorlauf hat, das gilt nicht nur für das Kirchenjahr. Das können wir auch schon bei den biblischen Texten beobachten. So beginnt auch das Lukas-Evangelium nicht gleich mit seinem berühmten zweiten Kapitel. Dem „Es begab sich aber zu der Zeit…“ Am Anfang stehen – kunstvoll miteinander verflochten – zwei Berichte adventlicher Erwartung. Maria und Elisabeth, die beiden Cousinen, sind die Hauptdarstellerinnen, Zacharias und Josef die beiden Hauptdarsteller.

Gleich zweimal erscheint der Engel des Herrn, um die Geburt eines Kindes anzukündigen. Und beide Male sind die Angesprochenen überrascht. Schließlich ist die eine der beiden Frauen – Elisabeth - eigentlich zu alt. Und Maria, die andere, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, eigentlich noch viel zu jung. Und mit ihrem Josef dazu auch noch in einer nicht legalisierten Beziehung verbunden.

Zacharias, dem einen, verschlägt es die Sprache - so sehr, dass er über die Zeit der Schwangerschaft seiner Frau nicht reden kann. Josef, der andere, so beschreibt es zumindest Matthäus, hätte sich am liebsten aus dem Staub gemacht, wenn ihn nicht der Engel Gottes davon abgehalten hätte.

Sechs Monate liegen die Geburtsage des adventlichen und des weihnachtlichen Kindes auseinander. Am 24. Juni ist alljährlich Johannestag. Am 25. Dezember feiern wir die Geburt Christi. Und beide Male geht es um Erinnerung im Sinne des Adventsglaubens, nicht um historische Datumsgenauigkeit. Die wahren Geburtsdaten kennen wir bei beiden nicht.

Jesus und Johannes sind nach den Berichten des Lukas von Anfang an miteinander verbunden. Beiden ist ein Weg in die Wiege gelegt, der sie heraushebt aus der unendlichen Vielzahl möglicher Lebenswege, die tagtäglich ihren Ausgang nehmen.

Die vorgeburtliche Würdigung Jesu wird Maria in den Mund gelegt. Wir alle kennen jenen schönen Text, der nach dem ersten Wort seiner lateinischen Übersetzung den Namen „Magnificat“ trägt: „Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.“ Ein Lied von gewaltiger Aussagekraft und zugleich von anrührender Direktheit und Schönheit. Wir haben es als Eingangspsalm im Wechsel miteinander gebetet. „Die Gewaltigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungrigen macht er satt mit seinen Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Herodes hat schon gewusst, warum er sich in Acht zu nehmen hat vor diesem Kind.

Das zweite adventliche Lied wird nach der Geburt des Johannes gesungen. Genau dann, als Zacharias seine Sprache wieder findet. Nach der Geburt des einen und vor der Geburt des anderen – gewissermaßen also zwischen den Zeiten. Noch im Alten und schon im hereinbrechende Neuen. Zwischen dem „jetzt noch“ und „schon nicht mehr“.

Auch die Zeit dieses Liedes des Zacharias, ist eine Zeit der Erwartung. Auch sein Lied passt wunderbar in den Advent. Der Advent – das ist eine Zwischenzeit. Einbrechend in unser geschäftiges Treiben und zur Einkehr, ja zur Umkehr mahnend. Zugleich aber auch schon bestimmt und beglänzt von jenem Fest, an dem die adventliche Erwartung ans Ziel kommt. Advent ist überhaupt nur auszuhalten, weil wir wissen, dass es dann bald auch unaufhaltsam Weihnachten wird.

Wie das Magnificat verdankt auch das Lied des Zacharias seinen Namen dem ersten Wort seiner lateinischen Übersetzung. Es ist das sogenannte „Benedictus“.

Es lohnt sich, dieses Lied von hinten her in den Blick zu nehmen. „ ... und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens!“ So endet nämlich der Lobgesang des Zacharias. Allein schon diese letzte Bitte überbrückt die Distanz zwischen Zacharias und uns. Zwischen damals und jetzt. „ ... und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens!“ Diesen Satz sollte man eigentlich unter jede Seite unserer Tageszeitungen schreiben – so wie die Warnungen der EG-Gesundheitsminister auf den Zigarettenschachteln.

Die Atlanten der Wege des Unfriedens werden immer dicker. Und die Wege des Friedens immer schwerer begehbar. Irak. Und Afghanistan. Auch diese beiden Länder bleiben auf der Tagesordnung. Alle Jahre wieder.

„ ... und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens!“ Die letzten Monate haben gezeigt, dass das auch in anderen Bereichen nicht so leicht ist. Die Wirtschaft leidet nach wie vor unter einem massiven Vertrauensverlust. Ob wir die Talsohle schon durchschritten haben, wissen wir nicht. Die globale Auseinandersetzung arm gegen reich ist in vollem Gange. Bei der Weltklimakonferenz in Kopenhagen konnten wir das von Neuem beobachten.

Aushalten können und aushalten lernen, dass wir nicht anders leben können als in aller Vorläufigkeit, in aller Unfertigkeit, ja auch in aller Ungewissheit im Blick auf das, was auf uns zukommt – dies genau ist die besondere Herausforderung, vor der wir im Advent stehen.

Die Zeit des Zacharias und die Zeit der Maria – das war nicht weniger als bei uns eine Zeit besonderer Erwartung. Politisch von den Römern gedemütigt. Religiös in einer Phase der Aufsplitterung in einem nicht mehr zu überblickenden Richtungsstreit. Lokal unter der Herrschaft des Herodes, der um die Gunst des Volkes buhlte, ohne Aussicht, je einer von ihnen werden zu können. Nicht einmal durch die von ihm initiierten große Baumaßnahmen am Tempel.

Die Gegenwart drohte den Menschen durch die Finger zu gleiten. Vergeblich suchten sie eine neue tragende Grundlage, ein neues System stabilisierender Werte für die Zukunft. Da reagieren diese Zeitgenossen von Maria und Zacharias genauso wie viele es heute auch wieder tun. Sie suchen die rettenden Ideen in der Vergangenheit. In den Zeiten des glorreichen Königs David. Und sie halten sich fest an der Hoffnung auf einen neuen Spross aus jenem Stamm. Ja, selbst auf den Bund Gottes mit dem Stammvater Abraham wird Bezug genommen, um weniger ängstlich die Schritte in die Zukunft gehen zu können.

Und all diese Hoffnungen bündeln sich in der Erwartung des Messias, des Gesalbten Gottes. Er würde dem Tempelkult und der Gottesfurcht neue Nahrung und den Römern zugleich den Abschied geben.

In diesem Milieu, in diese Mixtur, diesem Cocktail von Stimmungen und Erwartungen hinein werden Johannes und Jesus geboren. Diese Stimmung ist der beste Nährboden des Advent. Aber Advent ist nicht diffuse, sondern konkrete Erwartung. Ist nicht vage Hoffnung, sondern begründete Aussicht auf bessere Zeiten. Der Advent legt frei, worauf es ankommt, und wofür es sich zu leben lohnt.

Das, wonach wir uns sehnen, ist längst Gegenwart. Das, wovor uns graut, ist längst mit dem Datum des Verfalls versehen. Nein, natürlich sieht auch unsere Welt noch nicht so aus, wie wir sie uns wünschen. Schon gar nicht so, wie sie nach Gottes Willen sein soll. Auch zweitausend Jahre nach jenem ersten Advent steht da Entscheidendes noch aus. Aber wir feiern Advent nicht ohne Aussicht. Wir feiern Advent, indem wir mit Zacharias singen: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.“

Aber hier müssen wir bei unserem Predigen noch einmal einhalten. Müssen uns besinnen auf dem schmalen Weg der Hoffnungen damals und unserer Hoffnungen heute. Die Zusagen Gottes, die uns Zukunft schenken sollen im Reich seines Christus – sie gelten nicht uns zuallererst. Wir sind gewissermaßen hinein genommen in jene Hoffnungs- und Glaubensgemeinschaft, der das Kind in der Krippe selbst entstammt. Und deren Lebenslichter immer und immer wieder zu verlöschen drohten. Der millionenfach der Garaus gemacht wurde.

Dass auch wir noch Hoffnung haben – dass wir Advent feiern können: Gottes Gabe ist es! Fest verankert in jener Krippe, auf die sich unsere Blicke schon in der kommenden Woche wieder richten.

Doch die Türen in Gottes neue Welt stehen tagtäglich offen. Es ist höchste Zeit für den Advent.

Und Gott,
der die Gewaltigen vom Thron stürzt
und die Niedrigen erhöht,
Gott,
der unsere Füße richtet
auf alle Wege des Friedens,
bewahre eure guten Gedanken
und eure Herzen und Sinne
in Jesus,
dem Grund unserer adventlichen Hoffnung
in diesen Tagen.
Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.