ANSPRACHE IM GOTTESDIENST
MIT ENTWIDMUNG DES KIRCHENGEBÄUDES
AM SONNTAG, DEN 9.JANUAR 2011 (1.S.N.EPIPH.)
IN DER STEPHANUSKIRCHE IN MANNHEIM-SCHÖNAU

09.01.2011
Liebe Schwestern und Brüder!

Ein Kirchengebäude zu entwidmen heißt nicht, die Kirche aufzugeben!

Über viele Jahre konnten Kirchen gebaut und eingeweiht werden. Als Dekan hatte ich noch Gelegenheit, an der Entstehung, dem Bau und der Einweihung einer Kirche mitzuwirken. So lange ist das noch gar nicht her. Und ich kann mich an die großen Gefühle der Freude und der Hoffnung noch gut erinnern.

Umso schwerer fällt es uns heute, Abschied zu nehmen von dieser Stephanuskirche. Gefühle von Abschied und Trauer sind da. Gefühle von Unsicherheit und Fremdheit im Blick auf das Neue, das kommt. Vielleicht auch Enttäuschung darüber, dass sich diese Entscheidung zum Abschied nicht hat vermeiden lassen. Aber da ist bei vielen sicher auch das Gefühl da: Gottseidank hat diese Phase der Unsicherheit ein Ende, Gottseidank sind wir jetzt an diesem Punkt des Weges der Neuausrichtung auf die Zukunft angelangt. Jetzt wollen wir mutig nach vorne schauen.

Es hat viel an Kraft und Energie gekostet, bis hierher, bis zu diesem Gottesdienst zu gelangen. Und es ist bei aller Einsicht in die Notwendigkeit dieses Schrittes nie ein leichter, zumindest nie ein leichthin gegangener Weg gewesen.

Die Aufgabe eines Kirchengebäudes ist ja nicht nur eine Botschaft für die, die sie hier in dieser Gemeinde und in dieser Stadt leben. Es ist auch eine Botschaft der Kirche an die Welt, in deren Mitte die Kirche lebt und ihre Arbeit gestaltet. Da dürfen wir nicht einfach die Botschaft aussenden: Schaut her, wir werden eben kleiner. Und die Kirchen verschwinden so nach und nach aus dem Bild unserer Städte.

Nein, die Botschaft muss eine andere sein. Schaut her: Wir gehen verantwortlich mit dem um, was uns anvertraut ist. Auch mit dem Gebäuden. Wir passen unsere Strukturen an veränderte Rahmenbedingungen an. Wir bauen sie sinnvoll um. Und wir weichen dabei auch Schritten nicht aus, die uns wehtun. Weil wir wissen, dass wir Zukunft haben. Und der Zukunft entgegengehen.

Dass Kirche ist und was Kirche ist, ist nicht abhängig von den Kirchengebäuden. Es ist abhängig davon, dass die Gute Nachricht von der Menschenfreundlichkeit Gottes kommuniziert und weitergesagt wird. Sicher: Das ging nie ohne Gebäude, und seien es die Hauskirchen der ersten Christinnen und Christen vor 2000 Jahren gewesen. Aber der Reichtum der Kirche, das ist nicht der Bestand ihrer Immobilien. Das ist der Bestand des Glaubens, dass unsere Erde eine Zukunft hat, dass wir Zukunft haben. Und dass wir unsere Welt aus dem Blickwinkel dieser Zukunft her zu sehen lernen.

Denn ein Kirchengebäude zu entwidmen heißt nicht, die Kirche aufzugeben. Noch klingt die Erinnerung an Weihnachten in uns nach. Auch die Geschichte der Geburt dieses Kindes, um das es in allen Kirchen geht – sie begann an einem besonderem Ort. Keiner prächtigen Kirche, so wie sie sich heute über diesen Ort wölbt. Sie begann in einem Stall. Frei gemacht und als Unterschlupf zur Verfügung gestellt für ein Paar. Die Frau hochschwanger. Die Geburt ihres Kindes weist diesem Stall eine besondere Bedeutung zu. Macht ihn zum Urbild aller Kirchen. Eine Heimstatt der Menschenfreundlichkeit Gottes in der Unbehaustheit eines zugigen und windschlüpfrigen Unterstandes.

Viele weihnachtliche Darstellungen malen und die Bilder dieses Stalls vor Augen. Mensch und Tier leben da zusammen. Einfache Hirten, so wird berichtet, finden den Weg dahin. Und weise, mächtige Männer von weither. Aber als sich Maria und Joseph wieder auf den Weg machen, fällt der Stall in seine alte Bedeutungslosigkeit zurück. Da wird er gewissermaßen entwidmet. Wird wieder zu dem, was er vorher war. Ein einfacher Stall. Aber die Geschichte des Kindes von Maria und Joseph, sie geht weiter.

Mit unseren Kirchen ist das nicht sehr viel anders. Se werden uns geistliche Heimstatt. Aber auf Zeit. Als wanderndes Gottesvolk bleiben wir unterwegs. Auch im Sinn des Wortes. Wir haben hier keine bleibende Stadt. Nicht einmal in unseren Kirchen. Aber die Geschichte des Kindes, die begonnen hat in einem Stall. Die Geschichte, die über mehr als vierzig Jahre diesem Kind Heimat gegeben hat und denen, die in ihrem Leben nach diesem Kind suchen und fragen – diese Geschichte geht weiter. Auf neuen Wegen. Und in Gemeinschaft, die sich wandelt. Und die uns an Orte und auf Wege führt, die wir heute noch nicht kennen.

Dass diese Geschichte Gottes mit uns Menschen weitergeht, darauf kommt es am Ende an. Auch wenn uns manche Wege kräftig durcheinander wirbeln. Uns weh tun. Uns vor Trauer nicht verschonen. Unsere Behausungen sind allemal nur von vorübergehender Dauer. Aber sie sind Behausungen auf dem Weg Gottes mit uns Menschen. Sie sind Behausungen auf unserem Weg in die Zukunft. Einer Zukunft, in der wir jeden Tag aufs Neue die Gegenwart Gottes erleben und feiern dürfen. Das gibt uns Hoffnung.

Ein Kirchengebäude zu entwidmen heißt nicht, die Kirche aufzugeben. Wir werden nicht entwidmet von unserer Würde, Ebenbild Gottes zu sein. Wir werden nicht entwidmet von unserer Beauftragung, die usn seit unserer Taufe zugesprochen ist: Der Beauftragung, Gottes gute Lebensworte weiterzusagen.

Die Geschichte, die begonnen hat mit der Geburt dieses Kindes im Stall, sie geht weiter. Gut, dass wir unseren Platz in dieser Geschichte haben. Auch wenn uns dabei immer wieder der Aufbruch aus dem Vertrauten zugemutet wird. Keinen unserer Schritte gehen wir, ohne dass Gott unsere Wege mitgeht. Ohne dass Gott an unserer Seite ist. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.