GEDANKEN – WORT IN DEN TAG – 3. MAI 2011

03.05.2011
Es sind schon verrückte Zeiten, in denen wir leben. Zeiten, in denen wir uns einem Alternativprogramm aussetzen, das für frühere Generationen noch unvorstellbar war.

Gestern Morgen noch Frühstücken in Deutschland. Und am Abend Einschlafen 3000 km weiter östlich am See Genezareth. Die Seele muss da erst einmal nachkommen.

Der See Genezareth ist ein guter Ort, um der Seele Gelegenheit zu geben anzukommen und zu neuen Aufbrüchen bereit zu sein.

Gleich mehrfach hat dieser Ort Bedeutung: Zum einen: Dieser See ist ein wichtiger Süßwasserspeicher. Ohne Wasser können wir nicht leben. Das werden wir in diesen Tagen wieder besonders erfahren, wenn die Sonne uns durstig macht. Dieser See erinnert uns daran, dass wir Wasser zum Leben brauchen. Dass dieses Wasser nicht unbegrenzt vorhanden ist. Und dass wir deshalb sehr sorgsam mit dem Wasser umgehen sollen.

Ein zweites macht diesen See zu einem besonderen See. Es ist ein landschaftlich schöner Ort. Davon werden wir heute sicher noch mehr zu sehen bekommen. Ein Ausflugsziel für die Menschen, die hier in der Nähe wohnen. Aber auch ein wichtiges Ziel für diejenigen, die wie wir von weiter her hierher kommen. Das hat mit einem weiteren Grund zu tun.

Von Bedeutung ist der See Genezareth auch durch seine Rolle in den Texten der Evangelien. Im Unterricht in der Schule spielen diese Texte häufig eine Rolle. Und erst vor zwei Tagen, an Quasimodogeniti, ging es im Predigttext wieder um eine der besonders schönen Seegeschichten. Im Text aus Johannes 21 ist der Auferstandene auf dem See seinen Jüngern erschienen.

Die Jünger, so lesen wir in dem Abschnitt müssen Jesus mit neuen Augen sehen lernen. Jesus definiert seine Beziehung zu ihnen ganz neu.

Überhaupt ist die Rolle des Sees meist eine, in der sich neue Perspektiven auftun. In der Nähe des Sees spricht Jesus zu seinen Anhängern. Einen zentralen Text aus der Bergpredigt, wie sie uns Matthäus zusammengestellt und überliefert hat, haben wir vorhin miteinander gesprochen.

Von einem Boot aus predigt Jesus ein anderes Mal. Oder er ist mit seinen Anhängern im Boot unterwegs und weist einen heftigen Sturm in die Schranken. Einmal erscheint er seinen Jüngern auf dem See. Und Petrus kommt ihm sogar auf dem Wasser entgegen.

Der See hat jedes Mal eine die Wirklichkeit erneuernde Funktion. Den Beteiligten werden die Augen geöffnet. So können sie zu einer neuen Sicht finden. Sie können sogar ihre Schritte ins Leben neu setzen. So wie Petrus. Er bekommt zwar nasse Füße. Aber er erfährt sich als gehalten. Und geht nicht unter.

Wir werden uns heute auch über den See fortbewegen. Ganz konventionell. Mit einem Boot. Eine Sturmstillung ist hoffentlich nicht nötig. Und über’s Wasser wird wohl auch niemand von uns gehen.

Aber der See wird uns anrühren. Die Erfahrung des Ortes wird die alten Texte in unserer Erinnerung wachrufen. Und die Erinnerung wird unsere Lebenslust stärken. Und womöglich auch unseren Glauben.

Darum ist es gut, dass der Aufenthalt am See am Anfang steht. Von hier aus setzen wir unsere Schritte in Neues. Lassen uns zu neuen Beziehungen anstiften. Wie die Jünger untereinander. Wie die Jünger zu Jesus, als der See zum alles verwandelnden Osterwasser für sie wird.

Neue Beziehungen: Untereinander. Zwischen Menschen jüdischen und Menschen christlichen Glaubens. Neues zu entdecken in der Beziehung zwischen uns und Gott. Dazu soll unser Pfarrkolleg dienen. Dazu soll es verhelfen.

Darum lassen wir uns ruhig ein auf diesen See. Wie wir uns einlassen auf das Wasser, das am Anfang unseres Lebens stand. Und unser Leben neu gemacht hat.

Neues Leben und neue Beziehungen! Was für ein Programm. Was für ein Ort. Hier am See Genezareth. Wahrhaftig: Es sind verrückte Zeiten. Gott sei Dank. Amen.

Gebet
Aufbrechen wollen wir heute Gott - aus dem Wasser mitten hinein ins Leben.
Spüren, warum du diejenigen glücklich preist, die sich auf dich verlassen.
Hören, aus welchen Worten wir uns im Leben nähren können.
Wagen, Schritte zu setzen über’s Wasser, getragen vom Glauben, dass du, Gott, es gut mit uns meinst.
Entdecken, dass du mitten unter uns bist und wir deshalb einen neuen Blick werfen können: auf uns. Und auf dich, Gott.

Und nicht mehr brauchen wir, als das, worum wir dich bitten mit den Worten Jesu:
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.