„NICHTS IST UNMÖGLICH BEI GOTT“
PREDIGT ÜBER MARKUS 10,17-27
GEHALTEN IM FESTGOTTESDIENST 75 JAHRE
EVANGELISCHE KIRCHE OBERFLOCKENBACH
AM 23. OKTOBER 2011 (18.S.N.TR.)

23.10.2011
Liebe Festgemeinde hier in Oberflockenbach!
75 Jahre wird ihre Kirche in diesem Jahr alt. 75 Jahre ist für eine Kirche eigentlich noch kein Alter. Es werden sicher einige heute hier mitfeiern, die noch älter sind als diese Kirche. Trotzdem gibt es gute Gründe dafür, dass sie diesen 75. Geburtstag nicht einfach übergehen. Drei möchte ich nennen.

Es ist zuallererst ein Grund zur Dankbarkeit, dass sie diese Kirche überhaupt haben. Dass ihre Mütter und Väter im Glauben hier vor Ort sie haben bauen können. Sie haben sich diesen Bau etwas kosten lassen. Und sie haben dadurch gezeigt: Die Kirche ist uns wichtig!

Zum anderen: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir Kirchen haben, die wirklich Gotteshäuser sind. Aus Beton oder gemauert. Mit einem Dach, das Wind und Wetter Stand hält. Mit Fenstern, die den Blick nach außen öffnen. Meist in unübersehbarer Lage. Längst nicht alle Christinnen und Christen in der weltweiten Ökumene können sich solche Kirchen leisten. Sie haben Wellblechhütten, feiern im Freien oder sind in irgendwelchen Hallen zu Gast. Jedes Kirchengebäude, das wir haben, ist ein Zeichen, dass wir es uns noch leisten können. Und wollen.

In vielen Ländern ist es einfach verboten, Kirchen zu bauen. Weil eine andere Religion das Sagen hat. Weil ein anderes Denken herrscht, das keine Kirchen neben sich dulden möchte.

Das führt zu meinem dritten Punkt. Ihre Kirche wurde im Jahre 1936 gebaut. Zur Zeit des Dritten Reiches. Ein Kirchenbau war auch da keine Selbstverständlichkeit. Eine menschenverachtende Weltanschauung versuchte damals, die Kirche zurückzudrängen. Versuchte, den Menschen einen anderen Heilsbringer unterzujubeln.

Und wo es ihr nicht gelingen wollte, der Kirche den Garaus zu machen, drängte sie sie aus der Gesellschaft heraus. Wollte sie in den Bereich des Religiösen einsperren. Manchmal stellten sich die Vertreter dieser Weltanschauung einfach daneben. Hingen die Hakenkreuzfahne neben das Kreuz. Von den Bildern aus der damaligen Zeit haben wir ja eben schon gehört.

Die Menschen haben am Ende viel Lehrgeld bezahlen müssen. Viele haben diesen Irrtum und diese Verführung mit ihrem Leben bezahlt. Die Gewalt der Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg war unvorstellbar groß. Dabei hatte doch schon die Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche bereits im Mai 1934 in Barmen festgehalten:

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden.

Und man hatte schon damals, 1934, bekannt:

Jesus Christus (…) ist das eine Wort Gottes, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Genau dazu sind Kirchen da. Genau darum leisten wir uns diese Häuser Gottes - mitten in der Welt: Um den Anspruch Gottes auf unser Leben unüberhörbar und unübersehbar zu machen. Um die Botschaft immer neu weiterzusagen: Gott hat sein Interesse an dieser Welt und an jedem einzelnen nicht verloren.

Seit 75 Jahren feiern Sie dies auch in dieser Kirche. Wird Gottes Gute Nachricht von hier aus weitergesagt. Darum ist es gut, dass sie diesen Geburtstag feiern. Und gerade darum gratuliere ich ihnen von Herzen.

Kräfte und Mächte, die sich als Konkurrenz zur Botschaft Gottes gebärden, gibt es nicht erst seit heute. Um ein Denken, das im Widerspruch zu dieser Botschaft steht geht es auch im heutigen Predigttext.

Für diesen heutigen 18. Sonntag nach Trinitatis ist ein Text aus Markus 10 vorgeschlagen. Dort heißt es in den Versen 10 bis 17:

17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.« 20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! 22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. 26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?
27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.


Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem. Auf einem Weg, an dessen Ende ihn dort der Tod erwartet. Unterwegs verhandeln die Jünger die Frage, wer denn am Ende wirklich ins Reich Gottes kommt. Und wer draußen bleiben muss. Draußen bleiben müssen die, die sich gottgleich gebärden. Die sich so verhalten, als hinge die Zukunft der Welt allein von ihnen ab.

Das können wir dem Bericht entnehmen, der unserem Predigttext unmittelbar vorausgeht. Jesus stellt da den Menschen die Kinder als Beispiel vor Augen. Wenn ihr nicht so werdet, wie diese Kinder, werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen. Kinder sind offen und direkt. Kinder erwarten noch etwas vom Leben. Und sie sind beseelt von einem großen Vertrauen, dass alles irgendwie gut wird. So wie die Kinder sollt ihr sein, sagt Jesus. Dann steht euch das Reich der Himmel offen.

Der Predigttext leitet einen zweiten Gesprächsgang ein. Können denn die Reichen in den Himmel kommen? Eigentlich müssten wir jetzt genau hinhören. Denn weltweit betrachtet, leben wir nicht auf der armen Seite. Auch als Kirche. Auch nicht als badische Landeskirche. Wir haben wunderschöne Kirchengebäude. Wir haben 600 Gemeindepfarrer. Und noch einmal halb so viel in verschiedenen anderen Diensten. Im Religionsunterricht. In Krankenhäusern. In Gefängnissen. In der Bildungsarbeit. In der Diakonie. Allzu schlecht geht es uns als Kirche ja nicht.

Allzu schlecht geh es auch dem jungen Mann nicht, der da auf Jesus zugeht. Ja, der sogar vor ihm in die Knie geht. Am Ende der Geschichte hören wir: Er hatte viele Güter. Dieser junge Mann gibt sich mit seinem Reichtum nicht zufrieden. Er will glaubwürdig leben. Er möchte auch für andere ein Vorbild sein.

Aber er spürt. Irgendetwas fehlt ihm zu einem erfüllt Leben. Da kommt ihm dieser Jesus gerade recht. Ihn will er fragen. „Guter Meister“, fragt er ihn. „Was fehlt mir noch, damit ich wirklich so lebe, dass Gott Gefallen an meinem Leben haben kann?“ Und Jesus antwortet, wie die Menschen es von einem Rabbi erwarten. Er zählt dem jungen Mann die Gebote auf: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen. Du sollst die Wahrheit sagen.“

Der junge Mann hat ein gutes Gewissen. „Das tue ich doch längst alles.“ So fern ist uns dieser junge Mann gar nicht. An einen jungen Investmentbanker erinnert er mich. An einen, der sich engagiert. Der versucht, mitten in allen Krisen seine Geschäfte so abzuwickeln, dass er noch guten Gewissens in den Spiegel schauen kann.

Der junge Mann lebt wie die meisten von uns. Er versucht, mitten im Haufischbecken dieser Welt eine ehrliche Haut zu bleiben. Womöglich ist er sogar noch in seiner Kirchengemeinde aktiv. Ganz ähnlich wie der junge Mann, vom dem der Predigttext handelt.

„Jesus gewann ihn lieb“, heißt es im Text. Jesus spürt, dass er es ernst meint. Er spürt aber auch, dass ihn die Sorge um sein tägliches Geschäft in Beschlag nimmt. So sehr, dass für andere Gedanken kaum noch Raum bleibt. So sehr, dass Gott nur noch in die Randzonen seines Denkens vordringen kann.

Und dann kommt der Satz, der alles ins Wanken bringt. Der Satz, der auch uns heftig verunsichern müsste, wenn wir an uns denken. Und an die Zukunft unserer Kirche. „Geh hin, lass alles los, was dich in Beschlag nimmt. Verkaufe, was du hast! Dann hast du den Kopf wirklich frei, um dich über den Himmel Gedanken zu machen.!

Der junge Mann weiß: Das ist ihm zu schwer. Da fordert dieser Jesus zuviel. Und er macht sich davon. Traurig, wie es heißt. Denn er war sehr vermögend.

Das ist wirklich zu viel, denken womöglich auch wir. Und mg das auch für diesen jungen Mann gegolten haben. Dies ist doch keine Botschaft an uns.

Wirklich keine Botschaft an uns? Wieviel theologischen Scharfsinn haben Menschen verwendet. Wie viel an Argumenten haben sich Theologen und fromme Ausleger über die Jahrhunderte ausgedacht, um diesen Satz Jesu zu entschärfen. Nein, alles abgeben, was ich habe, dazu kann ich mich nicht durchringen. Alles verkaufen, was sie hat, das ist doch das Ende der Kirche. Dann hat sie doch keinen Ort mehr in dieser Welt.

Und Dietrich Bonhoeffer kommt mir in den Sinn. Er schreibt in einem seiner Texte, die während der Haft entstanden sind:

Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, „für andere da zu sein“.

Eine harte Kost ist das. Genauso hart wie Jesu Satz an den reichen jungen Mann. Manche haben das umgesetzt. Franz von Assisi etwa. Oder Mutter Theresa. Und viele Ungenannte Frauen und Männer in den Ordensgemeinschaften, die von der Armut geprägt sind.

Für die meisten von uns ist dieser Satz eine schlichte Überforderung. Wie sollte das auch gehen? Alles aufzugeben, was einem lieb und wert ist. Als einzelner Mensch. Als Kirche.

Mutlos müssten wir zurückbleiben, träfe nicht auch auf uns die Feststellung zu. Jesus gewann ihn lieb. Dieser Jesus – in diesem jungen Mann hat er uns alle lieb gewonnen.

Mutlos müssten wir zurückbleiben, wie das Kamel vor dem Nadelöhr, träfe nicht auch auf uns zu, was Jesus seinen Jüngern antwortet: „Verschlossen bliebe der Weg ins Reich der Himmel, wenn es nach euren Maßstäben geht. Dass ihr den Weg zu Gott findet – mit eurer Art zu leben. Mit eurer wohl situierten Kirche – es bleibt eine Möglichkeit für euch. Weil nichts unmöglich bleibt – bei Gott!“

Mut machen müsste uns das als Kirche auf dem Weg in die Zukunft. Mut für Wege in die Zukunft, die wir noch nie gegangen sind. Wege zu Menschen, die auf der Suche sind. Und die sich nach neuen, unerhörten Antworten sehnen.

Verlocken müsste es uns, Kirche für andere zu sein. Uns nicht nur um uns selber zu drehen. Reizen müsste es uns, sorgsam mit den vorhandenen Geldern umzugehen. Aber ohne nur die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Der wahre Haushalt der Kirche dreht sich nicht ums Geld. Er dreht sich um die Schätze, die wir bei Gott sammeln.

Dankbar müsste uns die Antwort Jesu zurücklassen. Weil wir ein ums andere Mal die Erfahrung haben machen können, dass bei Gott nichts unmöglich ist. Der Kirchbau vor 75 Jahren nicht. Und all das nicht, was Menschen in dieser Gemeinde und von dieser Kirche aus anderen an Gutem haben angedeihen lassen.

Nichts ist unmöglich bei Gott! Das ist das Motto für die nächsten 75 Jahre. Wie Kirche dann aussieht, darüber müssen wir uns zumindest heute keine Gedanken machen.

Nichts ist unmöglich bei Gott. Mehr braucht’s nicht, damit wir uns ohne Sorgen auf den Weg in die Zukunft machen können. Amen.


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.