PREDIGT ÜBER JESAJA 35,3-10
GEHALTEN IM GOTTESDIENST AM 9. DEZEMBER 2012 (2. ADVENT)
AUS ANLASS DES 150.TODESTAGES VON ALOYS HENHÖFER AM 5. DEZEMBER 1862
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN SPÖCK

09.12.2012
Liebe Gemeinde!

Wir haben heute den zweiten Advent! Das ist an sich schon Grund genug, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Als Gemeinde hier in Spöck und im benachbarten Staffort gedenken Sie aber auch noch eines anderen Anlasses. Und nicht nur sie tun das in großer Dankbarkeit. Auch als Landeskirche lassen wir uns gerne in diesen Dank einbinden.

Am 5. Dezember 1862 – das war damals der 2. Advent wie heute – verstarb Aloys Henhöfer im Alter von 73 Jahren. 35 Jahre lang ist er der Pfarrer von Spöck und Staffort gewesen. Und damit vermutlich länger als alle seine Nachfolger bis in unsere Tage.

Ein schöner, adventlicher Text ist für heute als Predigttext vorgeschlagen. Und es ist sicher reizvoll, wenn wir uns vorstellen, Aloys Henhöfer könnte uns heute die Predigt halten. „Gelehrt predigt er nicht“, hat Großherzog Ludwig einmal über ihn gesagt. „Aber die Worte gehen ins Herz.“ Predigen, so predigen, dass die Worte ins Herz gehen, darum soll’s vor allem gehen. Jeden Sonntag. Jeden Gottesdienst. Und darum auch heute.

Advent nennen wir die Zeit im Kirchenjahr, in der wir jetzt stehen. Advent heißt Ankunft. Und wo es um eine Ankunft geht, da geht es meist auch um’s Warten. Um’s Warten auf den, dessen Ankunft bevorsteht.

Worauf warten wir denn eigentlich im Advent? Darauf, dass alles besser wird? Darauf, dass einer kommt und uns sagt, wie wir aus allen Widrigkeiten herausfinden? Darauf, dass es endlich Weihnachten wird? Darauf, aber doch noch auf vielmehr warten wir. Worauf wir warten, das beschreibt der Predigttext für diesen 2. Adventssonntag in eindrücklicher Weise. Hören wir also auf Worte aus Jesaja 35, die Verse 3 bis 10:

3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.

Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.

10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.


Schöneres können wir vom Advent nicht hören. Schöner können wir vom Advent nicht reden. Besser können wir auch nicht in Worte fassen, worum es Aloys Henhöfer in seinem Predigen gegangen ist. Diese Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja, sie sind Worte, die zu Herzen gehen. Worte, die genau da ansetzen, wo unsere adventlichen Sehnsüchte verborgen liegen. 3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!

An Menschen richtet sich dieser Text, die hochgradig verunsichert sind. Sie schauen zurück auf die Zeit der Verbannung in Babylon. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass selbst große Katastrophen mit ihrer zerstörerischen Macht irgendwann einmal an ihr Ende kommen. Sie haben Wunder erlebt, kleine und große.

Die Gefangenschaft hat ein Ende. Jerusalem, die Stadt Davids und die Stadt Gottes, wird nach und nach wieder aufgebaut. Selbst der Tempel erhebt sich allmählich wieder aus seinen Trümmern. Dennoch stellt sich nicht das große Glück ein. Dennoch bleibt ein Hunger zurück. Dennoch bleibt vieles, was den Aufbau ausbremst. Vieles, was viel zu langsam vor sich geht.

Die Hände werden müde. Und die Seelen der Menschen sehnen sich nach Wärme und Licht. In diese Situation hinein gibt der Prophet die Botschaft weiter. 3 Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!

Ganz so unähnlich zur Situation Henhöfers ist das nicht, liebe Gemeinde. Auch in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, der Zeit, in der Henhöfer aufwächst, in der er studiert und zum Priester wird, auch in der Zeit gibt es Wunder zu bestaunen. Im Raum des Politischen zunächst. Baden kann sein Gebiet in wenigen Jahren vervierfachen. Der Markgraf wir zum Großherzog.

Auch kirchlich geht es aufwärts. Im Jahre 1821, nicht einmal zwei Jahre, bevor Henhöfer in die evangelische Kirche aufgenommen wird, haben sich die zwei evangelischen Konfessionen in Baden zusammengeschlossen. Fortan galt nicht mehr. Hier lutherisch. Und da reformiert. Ab sofort hatte Baden eine unierte, eine vereinigte Landesskirche. Bis heute.

Aber die Annäherungen gehen durchaus weiter. Evangelische und katholische Kirche kommen sich in vielfacher Weise näher. Die Aufklärung versucht den vernünftigen gemeinsamen Kern der Religionen herauszustellen. Dieser Kern, der alle Glaubenden verbindet. Alles andere ist nur menschliches Beiwerk. Und ist eigentlich unnötig. Die Einheit der Kirche, so scheint es, rückt näher.

Nicht nur Henhöfer ist ein konfessioneller Grenzgänger. Einige treten noch vor ihm in die evangelische Kirche ein. Viele tun es ihm gleich. Mehrere Hundert Menshcen ais seiner Gemeinde in Mühlhausen. Die Wahl der Konfession – für die einen wird zur pragmatischen Vernunftentscheidung. Für die anderen Ausdruck des Glaubens. Aber die Konsequenz des Übertritts – sie ist für beide Gruppen gleich.

Henhöfer spürt. Diese Entwicklungen sind hilfreich. Aber sie lösen die Probleme nicht, die er sieht. Sie machen die Menschen nicht satt. Sie machen den Weg zu Gott auch nicht leichter. Was diese Menschen brauchen, ist ein Glaube, der ihnen hilft. Was sie brauchen, ist die wohltuende Nähe derer, die miteinander die Bibel lesen. Und die sich im Gebet an Gott wenden. Und die Hand anlegen, um die Welt zum Besseren zu verwandeln. Was den Menschen fehlt, das ist einer, der die müden Hände stärkt. Der die Seelen wieder hell macht. Und der den Schwachen zu ihrem Recht verhilft.

Genau so hat Aloys Henhöfer gepredigt. Genauso würde er auch predigen, wenn er heute diese Kanzel besteigen könnte. Er würde uns Mut machen, es mit dem Glauben zu versuchen. Er würde aufs Ganze gehen, würde eine Hirschpredigt halten, wie er das selber einmal genannt hat. Und sich nicht damit zufrieden gegen, einen Hasen zu erlegen.

Der Prophet aus Jesaja 35 geht auch auf’s Ganze. Er unterscheidet nicht den mächtigen Hirsch vom kleinen Hasen. Er verwendet andere Bilder. Bilder, die seine Zuhörer verstehen: Wo Wüste war, gibt es Wasser. Wo es öder war, gräbt man Brunnen. Wer gelähmt ist, kann plötzlich laufen. Wer blind ist, kann sehen. Wer taub ist, kann hören.

Wir wissen, wer diese Worte zu den seinen macht. Gerade ein halbes Jahrtausend später. Da sitzt Johannes der Täufer im Gefängnis. Auch er hat auf Wunder gehofft. Vor allem darauf, dass dieser Jesus endlich die Verhältnisse ändert. Und was bekommt er zur Antwort? Eben dies! Blinde sehen. Taube hören. Lahme gehen. Das ist kein Hase. Das ist der Hirsch.

Die Welt ist anders. Aber nicht so, wie wir uns das vorstellen. Sie ist anders anders. Es hilft nichts, wenn nur diejenigen wechseln, die die Macht haben. Anders wird sie, wenn wir nicht mehr leben wie reißende Löwen; wie der Prophet das nennt. Anders wird sie, wenn das ans Ende kommt, was Menschen Angst macht und einschränkt. Anders wird sie, wenn wir anders leben. Und anders werden.

Und dann greift er ein Bild auf, das wir auch an anderer Stelle im Jesajabuch finden. Das Bild vom heiligen Weg. Das ist der Weg, der in eine neue und andere Zukunft führt. Der Weg, auf dem der Mensche nicht des Menschen Wolf ist. Das ist der Weg, auf den Jesus sich bezieht, als Johannes an ihm irre zu werden droht.

Jesus bringt die Zeichen der neuen Zeit und die Zeichen des neuen Wegs miteinander in Verbindung. Und er tut dies im Blick auf seine eigene Person. Gegenüber Johannes dem Täufer. Ähnlich aber auch schon früher. In seiner Predigt in der Synagoge von Kapernaum: „Heute sind diese Worte erfüllt vor euren Ohren. Und vor euren Augen.“

Dass alles neu wird – das ist eine gute Nachricht. Das ist das Hirsch-Evangelium, das denen verkündigt wird, die sich mit Hasen nicht mehr zufrieden geben.

Aloys Henhöfer hat diese Botschaft zur Aufgabe seines Lebens gemacht. Zeitansage des Reiches Gottes – wo alle noch dabei sind, die irdischen Reiche zu stabilisieren. Nicht um Baden geht es ihm. Und nicht um Konfessionen. Sondern um offene Augen. Und um staunende Herzen.

„Christus in uns. Und Christus für uns!“ - so fasst er selber in Worte, was das Zentrum seines Wirkens als Pfarrer ausmacht. In Mühlhausen zuerst. Und mit großer Wirkung in die Kirche und in die Welt hinein. Für einige Zeit in Graben. Und dann für dreieinhalb Jahrzehnte in Spöck und in Staffort.

Henhöfers Wirken bleibt nie nur auf seine Gemeinde beschränkt. Er lockt Menschen von weither, die kommen, weil sie ihn hören wollen. Selbst der Großherzog lässt sich diesen begnadeten Prediger nicht entgegen. Obwohl der ihm ein ums andere Mal auch Zeit und Ärger kostet.

Henhöfer bringt sich ein in die Debatten seiner Zeit, wenn es um den weiteren Weg der Kirche geht. So wie der unbekannte Prophet aus Jesaja 35. Der Prophet kommt ins Schwärmen, wenn er die Zukunft beschreibt. Die Erlösten machen sich auf, um zum Zion zu kommen. Das ist das Bild der Zukunft mit Gott in jener Zeit. Die Völkerwalfahrt zum Zion.

Henhöfer und andere mit ihm übersetzen diesen Weg in ihre Zeit. Sie werben für die Rückkehr zum Augsburger Bekenntnis. Ja, sie machen diesen Text erst zum Bekenntnis. Geschrieben wurde er - aus damaliger Sicht - vor 300 Jahren. Genauer gesagt im Jahre 1530. Als eine Darstellung des evangelischen Glaubens gegenüber dem Kaiser. Ein menschliches Werk sei es zwar, dieses Augsburger Bekenntnis. Aber nichtsdestoweniger Gottes Wort.

Dieser Text aus der Feder Philipp Melanchthons, er wird zum Mittel, um die Kirche zur Sache zu rufen. Ein neuer, badischer Katechismus soll helfen, alles Reden vom Glauben in verständliche Worte zu fassen. So bleibt die Kirche über Jahre in Unruhe. Henhöfer bringt sich ein. Er kämpft. Und er erzielt auch Wirkung. Durch seine Schriften. Vor allem aber durch seine Predigten. In seinem Einflussbereich entstehen neue Werke und Vereine. Der badische Missionsverein zunächst. Der Evangelische Verein für Innere Mission Augsburgischen Bekenntnisses. Auch die spätere Gründung des Mutterhauses in Nonnenweier ist im Zusammenhang des Wirkens Henhöfers zu verstehen.

Widerspruch bleibt nicht aus. Separatismus wirft man ihm vor. Konventikelwesen. Die privaten Zusammenkünfte der Menschen machen Henhöfer verdächtig. Alle kann er nicht von seinem Absichten überzeugen. Die Religion der Vernunft und die Religion der Erlösung sind wie ungleiche Geschwister. Aufklärung und Pietismus kämpfen miteinander. Und sehen damals nicht, dass sie eigentlich von derselben Mutter geboren wurden. Von einer Kirche, die ihr Heil in der Vergangenheit sucht. In einem System von starren Sätzen. Anstatt in geschwisterlicher Gemeinschaft. Und im Vertrauen auf den, der für die seinen eingestanden ist. Bis zum Tod.

Nichts anderes würde Aloys Henhöfer uns heute sagen. Er müsste sich nicht einmal sehr fremd fühlen. Einiges, worum wir heute ringen in unserer Kirche – es würde ihm bekannt vorkommen. Die Debatten zwischen den Konfessionen. Der Versuch, im Gespräch zu bleiben und die Grenzen durchlässig zu machen. Und dabei mitten im Gemeinsamen das je Eigene zu suchen. Das, was das Evangelischsein ausmacht. Das Ringen darum, den Glauben in eigene Worte zu fassen. Die Suche nach dem Bekenntnis. Und nach dessen Elementarisierung, nach der Umschreibung des Wesentlichen in Gestalt eines Katechismus.

Die Sehnsucht der Menschen nach der großen Antwort, der Hirschpredigt. Und die dabei immer mit Hasen der unterschiedlichsten Art abgespeist werden. „Christus in uns. Und Christus für uns!“ Darauf würde Aloys Henhöfer ein ums andere Mal verweisen. Und diese Antwort profilieren auf dem Markt der Antworten, auf dem wir Menschen heute umhergehen. Und nach dem suchen, wovon wir leben können.

Leben in Erwartung. Das ist das Thema des Advent. Leben in Erwartung. Darauf kommt es an. Es kommt nicht darauf an, wie lange wir warten. Darauf kommt es an, auf wen wir warten. „Christus in uns. Und Christus für uns!“ Damit kann uns Henhöfer auch heute wieder neu zum adventlichen Boten werden. Das Warten können und das Ausharren, das hat ihn ausgezeichnet. „Harre, harre“ – das waren die letzten verständlichen Worte aus seinem Mund. Im entscheidenden Moment konnte er aber dann auch die Initiative ergreifen. Konnte er handeln. Und andere zum Handeln ermutigen.

Heute, an seinem 150. Todestag, müssen wir nicht einfach nur dankbar sein, dass wir ihn hatten. Wir können von ihm auch lernen. Bis heute.

Im 5. Jahrhundert nach Christus schließt der altkirchliche Bischof Possidius seine Beschreibung des Lebens des großen Kirchenvaters Augstinus mit den Worten: „Ich glaube, dass diejenigen am meisten von ihm gehabt haben, die ihn als Prediger in der Kirche selbst hören und sehen konnten, vor allem aber die, die es noch erlebt haben, wie er mit den Menschen umging.“ Ähnliches könnten wir über Aloys Henhöfer sagen. Und uns dabei verlocken, uns in seinem Sinn in adventlicher Erwartung zu üben.

Hilfreich können wir dabei den unbekannten Propheten aus Jesaja 35 an unserer Seite wissen. Und getröstet können wir mit ihm den Menschen zusprechen, worauf es ankommt im Advent: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Amen.

Prälat Prof. Dr. Traugott Schächtele – Kurfürstenstraße 17 – 68723 Schwetzingen

Traugott.schächtele@ekiba.de

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.