13.10.2013

Liebe Gemeinde! 

„Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!“ Manchmal, liebe Gemeinde, manchmal, finden wir hilfreiche Worte noch an ganz anderen Orten als den üblichen vertrauten. Als ein solches hilfreiches Wort für heute könnte sich auch dieser Satz erweisen. „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!“ Vom irischen Schriftsteller Oscar Wild stammt dieser Satz. Im vergangenen Jahr hat sich ein ganzer Kinofilm um diesen Satz gedreht

Wir müssen nicht darum herumreden. Für viele, die sie hier diesen Abschiedsgottesdienst in ihrer vertrauten Lukaskirche feiern, ist heute beileibe nicht alles gut. Für viele ist es ein Abschied in Trauer. Vielleicht auch in Wut und Nichtverstehen. Umso mehr ist es darum heute an uns, Ausschau zu halten, wie doch alles gut – oder zumindest erst einmal besser - werden könnte. Nicht über Nacht. Aber doch am Ende eines Weges.

Heute ist sicher nicht der Tag, an dem alles gut wird Da ist es mehr als ein billiger Trost, darauf zu setzen, was dieser Satz meint: Es ist auch noch nicht das Ende. Selbst wenn wir uns von einem vertrauten, einem liebgewordenen kirchlichen Ort verabschieden – dies ist nicht das Ende. Weder unser eigenes Ende. Noch das der Kirche. Und hoffentlich auch nicht das Ende unseres je eigenen Glaubens.

Unser Glaube braucht Orte der Verwurzelung. Das haben wir eben vor jeder der drei biblischen Lesungen gehört. Und eine Kirche ist in ganz herausragender Weise ein solcher Ort, an dem unser Glaube sich nähren – an dem unser Glaube Wurzeln schlagen kann. Das gilt auch für diese Lukaskirche. Hier hat der Glaube vieler Wurzeln schlagen können. Hier haben Menschen Trost und Halt gefunden. Hier haben sie ihrem Gott ihren Zweifel und ihre Enttäuschung entgegenschreiben können.

Ein solcher Ort wird zum Heimatort des Glaubens. Unseres je eigenen. Und des Glaubens der Kirche. Der Weg hin zu diesem Gottesdienst war auch ein Weg der Angst vor Entwurzelung. Und für viele war es darum auch ein Weg der Tränen. Das hatte und das hat auch sein Recht. Wäre es anders, dann hätte diese Lukaskirche die ihr zugedachte und über dreieinhalb Jahrzehnte wahrgenommene Aufgabe nicht erfüllt.

Unser Glaube braucht Orte der Verwurzelung! Drei Zugänge zu diesem Satz haben die biblischen Lesungen uns vor Augen und Ohren geführt. Und jedem dieser drei Zugänge zu den Orten des Glaubens haben die drei biblischen Lesungen ihren besonderen Farbton beigelegt.

Auf jeden dieser drei Zugänge, auf jeden dieser Versuche einer Antwort auf die Frage nach den Orten des Glaubens möchte ich jetzt einen Blick werfen. Und die Blickrichtung dabei so wählen, dass es ein tröstlicher und aufrichtender, ja ein Orientierung gebender Blick werden kann.

Schauen wir zuerst auf Jakob. Auf Jakob auf der Flucht vor seinem Bruder Esau. Auf Jakob, den Vorvater im Glauben. Auf Jakob, der flieht, weil er seinen Bruder auf schändliche Weise betrogen hat. Betrogen nicht um irdischen Besitz. Sondern um das Recht des ersten Segens.

Mit diesem Menschen wären wir fertig. Mit diesem Menschen müsste doch auch Gott fertig sein. Was Jakob da inszeniert hat auf seinem Raubzug des Segens, das war alles andere als gut. Und darum war es auch nicht das Ende. Als ihm nichts mehr bleibt, als der nackte Boden, um sich auszuruhen, da sieht er den Himmel offen. Da sagt Gott ihm seine Segen zu. Segen für einen fliehenden Betrüger.

Gott denkt nicht daran, mit diesem Jakob fertig zu sein. Und Jakob erkennt, dass dieser Ort der Bitternis sich als heiliger Ort erweist: „Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes. Hier steht mir der Himmel offen.“ Weil es nicht gut ist, ist es nicht das Ende. Jakob hat Zukunft. Hat überraschend Zukunft. Und steht nicht vor verschlossenen Türen. Sein Glaube findet auf’s Neue einen Ort der Verwurzelung.

Ganz anders der zweite Blick. Die besondere Botschaft, die Paulus nach Korinth richtet. Korinth erweist sich einmal mehr als Gemeinde im Aufruhr. Als Gemeinde im Richtungsstreit der Entscheidungen. Paulus klärt die Rollen. Nicht jeder ist für alles verantwortlich. Der eine plant. Der andere baut und setzt um. Der dritte hat den Nutzen davon. Und arbeitet mit dem, was ihm die anderen überlassen haben. Das macht die Welt nicht über Nacht besser. Aber es entlastet. Das kann auch sie hier entlasten.

Nein, neu sind solche Problemlagen, wie sie sie hier ja auch kennen, beileibe nicht. Paulus entscheidet sich nicht für eine Seite. Er nimmt nicht einfach Partei. Er hebt die Alternative zwischen dem entweder- oder und dem sowohl als auch auf.

Nein, es ist nicht gut in Korinth damals. Darum war es auch in Korinth nicht das Ende. Korinth ist uns auch darin nah. Damit es gut wird, damit es überhaupt wieder gut werden kann, ändert Paulus die Blickrichtung. Er lenkt den Blick auf die übersehene Möglichkeit: „Wisst ihr nicht, dass ihr selber dazu beitragt, ob die Verwurzelung gelingt. Mehr noch: Gottes erster Ort der Verwurzelung des Glaubens, der seid ihr!“ Ich habe erst vor kurzem dieselbe Botschaft an ganz anderem Ort gehört. Bei einem Philosophen, der schreibt: „Was hinter uns liegt und was vor uns liegt, das ist unbedeutend im Vergleich zu dem, was in uns liegt.“ (Ralph Waldo Emerson)

Nicht beschwichtigen soll dieser Satz. Nicht um Beschwichtigung geht’s auch bei Paulus, als er nach Korinth schreibt. Die Situation ist nicht über Nacht eine andere. So schnell wird es nicht gut in Korinth. Aber Korinth damals ist genauso wenig am Ende wie Weinheim heute. Was Paulus erreicht, damit es besser wird, das ist der neue Blick auf die alte Situation. Die Relationen verändern sich.

Ja, es stimmt, unser Glaube braucht Orte der Verwurzelung. Ja, die braucht er wahrhaftig. Aber dass da etwas wachsen kann. Dass da etwas aufgeht. Dass da Bleibendes und Entscheidendes für unser Leben aufgehen kann, das nimmt uns selber in Verantwortung. Und diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen. Kein kirchliches Gremium. Keine Pfarrerin und kein Pfarrer. Kein scheinbar noch so wohlmeinender Mitmensch. Da bleiben wir Menschen gefordert. Mit den Möglichkeiten unseres Glaubens. Damals in Korinth. Und heute hier in der Weststadt von Weinheim.

Bleibt ein dritter Blick. Der Blick auf das Ende. Jetzt sei es Matthäi am Letzten, sagen wir manchmal, wenn etwas zu Ende geht. Heute ist es Lukas am Letzten. Und darum schauen wir noch einmal ganz ausdrücklich auf das Ende des Lukas-Evangeliums. Die Jünger werden es durchaus als ein unerwünschtes und ungeliebtes Ende empfunden haben, als Jesus sie endgültig verlässt. Nein, weil es noch nicht wirklich gut ist, ist es noch nicht das Ende. Auch nicht für den Evangelisten Lukas.

Lukas bringt ein Buch zu Ende. Das nach ihm benannte Evangelium. Aber er setzt gleich mit einem neuen ein. Mit der Apostelgeschichte. Die Geschichte Jesu mit den Seinen ist nicht geendet im Scheitern. Sie wird nicht entsorgt auf der Müllkippe der Geschichte. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk geht weiter. Und die Menschen feiern und stimmen weiter ein in das Lob Gottes.

Auch die Geschichte Gottes hier im Weinheimer Westen geht weiter. Am neuen gemeinsamen Ort. Geprägt von einem Abschied, der viele der neuen Möglichkeiten noch verbirgt hinter der Trauer des Verlorenen. Hinter dem Ungeübtsein darin, wie aus zwei Geschichten, aus zwei Traditionen Neues werden und wachsen kann. Nicht einfach weiter nur eine erweiterte Markusgemeinde. Nein, ein Zukunftsgemeinde, die sich speist aus der alles verändernden und neu verbindenden Kraft des guten, heiligen Geistes Gottes. Einer Visionsgemeinde, die sich daran macht, auszuloten, dass das, was hinter ihr liegt unbedeutend ist im Vergleich zu dem, was in ihr liegt.

Welche Gefühle auch immer diesen heutigen Tag prägen – und prägen dürfen: Als Gemeinde des gemeinsamen Weges sind sie längst aneinander gewiesen. Sind sie längst miteinander unterwegs. Kommen sie voneinander nicht mehr los. Übung wird dabei nötig bleiben. Verständnis für Umwege auf dem Zusammenwachsen unterschiedlicher Gemeindekulturen. Sensibilität für die unterschiedlichen Gefühlsgemengelagen. Auch für die Trauer, dass ein Ort der Verwurzelung so nicht mehr zur Verfügung steht.

Ohne Orte der Verwurzelung für ihren Glauben sind sie alle auch in Zukunft nicht. Die Kirche steht nicht auf dem Spiel. Die Zukunft der Kirche ist Gottes Sache. Wenn auch nie ohne uns. Am Ende wird ohnedies alles gut.

Heute sind wir eingeladen, aus dieser Überzeugung – in diesem Glauben – schon jetzt darauf zu vertrauen. Sie sind nicht am Ende. Sondern am Anfang eines neuen Weges, den Gott mit ihnen geht. Amen.

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.