DIE PREDIGT DES KUCKUCKS
ZU GEHÖR GEBRACHT BEIM 5. HERRENALBER TOURISMUSGESPRÄCH
SLOW TOURISM – EIN NEUER TREND
TOURISMUS ZWISCHEN LANGSAMKEIT UND SINNLICHKEIT
DONNERSTAG, 20. JUNI 2013 – HOFGUT HIMMELREICH

20.06.2013
Jedes Thema hat seine Trends. Und jeder Trend reagiert auf eine Entwicklung, die neuerdings als Missstand verstanden wird. Und die womöglich auch einmal ein neuer Trend war. Vor dem Slow Tourism war womöglich der Fast Tourism. Und irgendwann war das mit dem Fast Tourism wie mit dem Fast food. Besonders bekömmlich war er nie. Aber jetzt wird offenkundig, dass er auch das Wohlbefinden und die Gesundheit beeinträchtigt.

Damit soll sich dieses Treffen irgendwie beschäftigen. Und Sie begegnen sich hier in einer Landschaft, die ohne den Tourismus zumindest eine andere wäre. Ich sage das ganz ohne Wertung. Der Schwarzwald als Tourismusregion fordert und fördert ohnedies einen Tourismus ganz eigener Art. Nicht wirklich slow also. Das geht nur noch ganz abseits. Aber auch nicht wirklich fast. Dazu stehen – gottseidank – noch zu viele Bäume im Weg. Und man muss auch noch Karten studieren. Und Wegweiser entziffern. Der Schwarzwald ist geprägt vom Tourism different. Dazu gibt es einen Zeugen. Einen unüberhörbaren Zeugen. Und einem mit tausendfachem - was sage ich – abertausendfachem Zungenschlag.

Ich rede vom Kuckuck. Nicht dem, den man im Schwarzwald auch hören kann. Nein, ich rede von dem Kuckuck, der eine ganze Industrie geprägt hat. Und der dies heute irgendwie auch noch tut. Nur manchmal nicht mehr hier. Sondern ganz weit im Osten dieses Planeten. Ich rede vom Kuckuck. Und der nach ihm benannten Uhr.

Die Kuckucksuhr gehört zum Schwarzwald wie das Wasser. Das in den Bächen und Seen. Vor allem das hochprozentige in den Flaschen. Das Schwarzwälder Kirschwasser.

Die Kuckucksuhr polarisiert. Sie ist verpönt als Ausdruck höchster Spießbürgerlichkeit. Und zugleich begehrt. Weltweit begehrt. Geschätzt und wertgeachtet als Repräsentant einer Region, dem zwei Töne reichen, die Weltläufigkeit seiner Herkunftsregion unter Beweis zu stellen. Erst unlängst ist sie mir wieder als regionaler Lockvogel ins Auge gesprungen. Und das nicht einmal wirklich im Schwarzwald.

- Photo (Schaufenster mit Kuckucksuhren) -

Und seit meiner frühen Kindheit habe ich die Kuckucksuhr meines Großvaters vor Augen. Sattler und Polsterer war er. Und in seiner Werkstatt hatte die Kuckucksuhr all die Jahre ihren festen Platz gehabt. Kurz bevor der Kuckuck sein stilles Kämmerlein verließ, war ein geheimnisvolles metallenes Räuspern zu hören. „Achtung!“, pflegte mein Großvater zu sagen. „Die Uhr warnt. Gleich erklingt sein Ruf.“

Ein kleines Häuschen, nachempfunden wohl einem Bahnwärterhäuschen, aus Holz – ja nie aus Plastik – mit Schnitzwerk reich verziert. Mit eisernen Tannenzapfen an den Zugketten, die das Werk der Uhr am Laufen halten. Und vor allem mit jener kleinen Tür über dem Zifferblatt, die es in sich hat. Im Wahrsten Sinne des Wortes. Denn stündlich hat das In-sich-Haben ein Ende, dann geht sie außer sich. Das Türchen öffnet sich. Heraus schnellt mechanisch angetrieben ein Kuckuck. Und er lässt seine Kuckucks-Terz aus zwei kleinen unsichtbaren Pfeifen so oft erklingen wie die Stunde, die es geschlagen hat. Ein kleines mechanisch angetriebenes System. Und welche Wirkung! Welche Erfolgsstory!

Der Kuckuck kann uns lehren. Und er hat uns eine Botschaft weiterzusagen, die einer kleinen Predigt gleich. Die Uhr in Häuschenform mit ihrem Bewohner, dem Kuckuck – was könnte sie uns sagen wollen? In sieben Punkten will ich mich daran wagen, uns ihre Predigt vor Augen zu stellen und ins Herz zu führen.

1. Zunächst – und dieser Punkt nimmt gleich das Thema der Tagung auf: Der Kuckuck ist nicht slow. Und auch nicht fast. Wir können ihn nicht hetzen. Und auch nicht ausbremsen. Der Kuckuck hat seinen eigenen unbestechlichen Rhythmus. Unabhängig und beständig. Unbeeinflussbar von allen äußeren Umständen. Ein unbestechlicher Chronist des Tages mit seinen 24 gleichlangen Stunden-Intervallen. Die Botschaft lautet also: Lass dich nicht hetzten! Ruft er uns zu. Finde deinen eigenen Rhythmus! Und halte ihn durch. – Kuckucksruf!

2. Der Kuckuck ist kein Star. Nein, zum König der Singvögel wird er es nicht bringen. Die Nachtigall wird immer nur verächtlich auf ihn herabpfeifen. Er beherrscht gerade zwei Töne. Keine Zwölf- und keine Fünftonmusik. Nein, es ist eine kleine Terz. Und doch reichen manchmal diese zwei Töne, um Gehör zu finden. Und um ein wichtiges Amt wahrzunehmen. Da mag die Nachtigall beim Bird-Contest im Schön-Singen Jahr für Jahr den Goldenen Ton mit nach Hause nehmen. Aber haben Sie schon einmal eine Nachtigallen-Uhr gesehen? Ich nicht. Und weltweit wird kein anderer Vogelruf so häufig nachgeahmt als der des Kuckuck. Die Botschaft lautet also: Bleib bescheiden. Oder Lerne mit der Begrenztheit deiner Begabungen zu leben. Übe die wenigen Töne, die du kannst. Aber übe sie richtig. Und du wirst sehen: Du wirst Gehör finden mit dem, was du zu sagen und zu singen hast. – Kuckucksruf!

3. Der Kuckuck lebt bescheiden. Er wohnt nicht in der Belletage. Er bnügt sich mit der Dachwohnung. Da hat er den besseren Überblick. Von dort oben wird er auch besser gehört. Und er hat weniger Verpflichtungen als es ein Kuckuckspalast mit sich brächte. Er kann sich auf seine originäre Aufgabe der Zeitansage konzentrieren. Und muss nicht tausend andere Dinge noch nebenher erledigen. Die Botschaft lautet also: Strebe nicht nach mehr, als du wirklich brauchst. Und was dir wirklich gut tut. Immobilien machen immobil. Ländereien verlangen Dienstpersonal. Verursachen kosten. Stehlen wertvolle Lebenszeit. Das gilt sogar schon für den Kuckuck. Und erst recht für jeden von uns. – Kuckucksruf!

4. Der Kuckuck ist zuverlässig. Er kündigt nicht die eine Stunde an. Bei der anderen versteckt er sich in seiner Kemenate. Weil ihm grad nicht drum ist. Weil er keine Lust hat. Oder grad nicht auf der Höhe der Zeit war. Der Kuckuck hat an solchen Gefühlsaufwallungen kein Interesse. Oder er liefert sich ihnen nicht aus. Er sagt, was die Stunde geschlagen hat, auch wenn er lieber schweigen würde. Der Kuckuck nimmt sein Amt ernst. Und gerade das schätzen die Menschen an ihm. Die Botschaft lautet also: Sei verlässlich. Und zeige den Menschen gerade so, dass du sie magst. Wie werden’s dir danken. Und es wird dir besser gehen, gerade weil du nicht deiner Trägheit nachgegeben hast. – Kuckucksruf!

5. Der Kuckuck versteckt sich nicht in seinen eigenen vier Wänden. In schöner Regelmäßigkeit verlässt er seine Wohnung. Er weiß, die frische Luft tut ihm gut. Und ohne Sauerstoffzufuhr kann er sein Singamt nicht richtig wahrnehmen. Es drängt ihn aber auch unter die Menschen. Schließlich hat er ihnen etwas zu sagen. Und er ist sicher: Wenn er wirklich einmal nicht mehr kann, dann werden sie auch nach ihm schauen. Er gehört einfach dazu. Die Botschaft lautet also: Verlass deine schützenden Mauern. Regelmäßig. Und immer wieder. Damit du nicht versauerst. Und verschroben wirst. Und weil die Menschen draußen auf dich warten. Du fehlst ihnen und du fehlst der Welt, wenn du dich ihr entziehst. Und das tut beiden nicht gut. – Kuckucksruf!

6. Der Kuckuck setzt einen Trend. Und er ist zielorientiert. Alle wissen, was sie an ihm haben. Wofür er steht. Wo sie ihn finden. Was seine Aufgabe ist. Eine klare message. Kein diffuses „Ich kann alles. Aber nichts wirklich gut. Diese Reduktion der Möglichkeiten, die Klarheit des Angebotes begründet den Erfolg. Erfolgsbetonte Minimalisierung der Möglichkeiten. Bei absolut garantierter höchster Qualität. Davon können wir nicht genug lernen. Die Botschaft lautet also: Konzentrier’ dich! Mach den anderen gegenüber klar, was du kannst. Und wofür du stehst. Finde deine Lücke. Aber die fülle dann wirklich gut. – Kuckucksruf!

7. Der Kuckuck ist offen für Veränderung.



Aber nicht grenzenlos. Die äußere Form mag sich ändern. Aber er möchte mit seiner Wohnstatt erkennbar bleiben. Eine Kuckucksuhr muss eine Kuckucksuhr bleiben. In aller Veränderung. Sogar sein Bewegungszentrum muss sich neuen Möglichkeiten nicht verschließen. Die Kuckucksuhr mit Quarzuhrwerk kann schon weh tun. Aber sie darf nicht zur Normalität werden. Sondern zur tolerierten Ausnahme. Damit sie noch mehr Menschen eine solches Kuckucks-Häuschen leisten können. Nur der Kuckucksruf selber – der darf nicht zur Disposition stehen. Der ist das unveränderliche Kennzeichen. Der macht den Unterscheid aus. Das Alleinstellungsmerkmal. Da geht’s um Sein oder Nicht-Sein. Die Botschaft lautet also: Verschließe dich nicht gegenüber den neuen Zeiten. Sei klug und halte das Maß. Lass Veränderungen zu, damit man überhaupt noch auf dich hört. Aber gib nicht auf, worauf es dir entscheidend ankommt. Lass die anderen spüren, was dich ausmacht. Und was für dich unter keinen Umständen zur Disposition steht. Finde deine wesentliche Aufgabe. Aber die halte dann auch durch. Entdecke deinen inneren Kern. Aber gib ihn dann unter keinen Umständen dran. – Kuckucksruf!

Eine kleine Kuckuckspredigt war das. In sieben Stücken. Und damit soll’s genug sein. - Am Ende hören wir nur noch auf das Gebet eines Uhren-Kuckuck:

Kuckucks-Gebet

Gott, du hörst nicht nur auf die Großen und die Berühmten. Auf die mit den schönen Stimmen, die sich einladen lassen, sie erklingen zu lassen: Mal hier, mal dort, mal leise, mal laut, mal seltener und dann wieder öfter. Du bist mit mir zufrieden. Denn es ist Deine Sonne, die dem Jahr seinen Lauf und dem Tab seine Stunden gibt. Du willst nicht, dass sich die Menschen hetzen lassen. Und du hast mir die Aufgabe anvertraut, ihrem Leben eine Rhythmus zu geben. Wenn sie sich nach mir richten, können sie aufatmen und durchatmen. Und wenn sie meine bescheidene Kammer sehen und meine wenigen Töne hören, können sie lernen, mit wenigem zufrieden zu sein. Daran möchte ich die Menschen erinnern. Mit jedem Ruf auf meiner Kehle. Und sie einladen, dir zu danken, dass auch ich unbedeutender Uhrenkuckuck mein Lebensrecht und meine Aufgabe habe. Amen. – Kuckucksruf!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.