PREDIGT ÜBER JOHANNES 1,29-34
GEHALTEN IM GOTTESDIENSTANLÄSSLICH DER WIEDERINDIENSTSTELLUNG
DER PAULUSKIRCHE IN ETTLINGEN
AM SONNTAG, DEN 13. JANUAR 2013 (1. SONNTAG NACH EPIPHANIAS)

13.01.2013
Liebe Gemeinde! Wenige Wochen nach Weihnachten haben Sie schon wieder Grund zum Feiern. Die umfangreichen Arbeiten zur Sanierung und Renovierung Ihrer Pauluskirche sind weitgehend abgeschlossen. Auf neuen Stühlen sitzen Sie in einem neu zum Strahlen gebrachten Gottesdienstraum. Die Musik der Orgel erklingt von neuem im vertrauten Zusammenspiel der einzelnen Register.

Wie lange haben Sie auf diese Renovierung gewartet und hingelebt! Wie lange hieß es: Das machen wir dann in einem Aufwasch, wenn wir die große Renovierung in Angriff nehmen. Und nun sind Sie schon einige Zeit wieder in Ihre Kirche eingezogen. Haben sich längst auch schon wieder eingewöhnt. Sind im neuen Alten wieder daheim und vertraut.

Es ist gut und angebracht, den Abschluss dieses großen Projektes auch eigens mit einem Gottesdienst zu feiern. Grund genug gibt es im Rückblick zur Dankbarkeit. Für das Gelingen des Projektes überhaupt. Und für die Bewahrung aller, die hier gearbeitet haben. Dankbar können Sie sein für die erlebte Solidarität. Für die der ganzen Kirchengemeinde. Für die gewährte Gastfreundschaft in anderen Räumen, insbesondere auch die, die Sie in Liebfrauen erlebt haben. Das ist wahrhaftig keine Selnbstverständlichkeit!

Feiern können Sie in diesem Jahr ja auch den 60. Jahrestag der Grundsteinlegung Ihrer Pauluskirche. Mit 60 beginnt ja zumindest bei den Menschen das Jahrzehnt der Weisheit. Sie dürfen also gespannt sein, wie sich die Weisheit eines Kirchengebäudes zu erkennen gibt.

Und darum möchte ich Ihnen zum Fest der offiziellen Wiederindienststellung Ihrer Pauluskirche ganz ausdrücklich und von Herzen gratulieren. Persönlich. Und seitens der Landeskirche. Und dies ganz im Sinne des Namenspatrons Ihrer Kirche. Der verweist schließlich im ersten Korintherbrief darauf, dass alle sich mitfreuen, wenn eine Gemeinde Grund zur Freude hat.

Ich freue mich sehr, dass auch ich heute eingeladen bin mitzufeiern. Und dass Mitfeiern auch heißt, diesen Gottesdienst mitzufeiern. Und mein Festgeschenk gewissermaßen in Gestalt der Festpredigt zu übergeben zu können.

Der Predigttext für diesen 1. Sonntag nach Epiphanias ist auf den ersten Blick und beim ersten Hinhören womöglich kein Text für die Wiedereinweihung, die Wiederindienststellung einer Kirche. Aber beim zweiten Hinhören, beim geschärften Blick auf diesen Text könnte sich diese Beobachtung als eine vorschnelle erweisen. Hören Sie also, wie der Evangelist Johannes vom Auftreten Johannes des Täufers berichtet. Und von dessen ersten Blick auf diesen Jesus aus Nazareth.

Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt einer, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser.
Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.


Dreißig Jahre Leben in knapp drei Wochen, liebe Gemeinde! Es ist noch keine drei Wochen her, da haben wir an Weihnachten Jesu Geburt gefeiert. Und heute geht es schon wieder um den erwachsenen Jesus. Aus der Botschaft des Engels auf den Hirtenfeldern vor Bethlehem wird das Bekenntnis des Täufers. Aus dem „Euch ist heute der Heiland geboren“ das Zeugnis, mit dem der Predigttext endet: „Dieser ist Gottes Sohn!“

Woran erkennen wir das Besondere dieses Menschen? Warum wird ein Kind zum Retter erkoren. Warum wird ein unbekannter Mensch, der sich aufmacht in die Wüste, mit dem Ziel, sich taufen zu lassen, wie viele andere auch – warum nennt Johannes ihn dann Gottes Sohn?

Und was diesem einen gilt - ist es im Zeichen der Taufe nicht uns allen zugesprochen? Du bist mein geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter! Müssten diese Sätze nicht für uns alle gelten, die wir, wie dieser eine, Menschen sind - Menschen aus Fleisch und Blut? Wie können wir uns unserer Würde und unseres Wertes als Menschen sicher sein?

Wie können wir uns sicher sein, dass wir alle nicht einfach nur zufällig hineingeworfen wurden in unser Leben und in diese Welt? Wie können wir gewiss werden, dass wir alle in ganz besonderer Weise von Gott gewollte und gesegnete Menschenkinder sind. Menschenkinder. Und eben auch Gotteskinder.

Und womöglich ließe sich diese Frage auch auf dieses Haus, auf dieser Pauluskirche hin wenden. Warum wird uns dieses Haus, errichtet vor 60 Jahren mitten unter anderen Häusern – warum wird es uns zu einem Ort, an dem wir hoffen, Gott zu begegnen? Wie wird uns diese Kirche, diese Pauluskirche zu einem Haus Gottes?

Der Predigttext, so hoffe ich, zeigt uns den Weg zu einer Antwort auf diese Fragen. Johannes, der Evangelist, lässt uns den anderen Johannes, nämlich den Täufer, zum hilfreichen Deuter, zum Wegweiser des Verstehens werden.

Da stellt sich also einer mitten hinein in die Reihe der Wartenden. Da kommt einer zu Johannes und wartet auf die Taufe, nicht anders als die anderen auch. Noch ist Johannes die Hauptfigur. Noch kommt es auf sein Handeln an, damit alles seinen Lauf nehmen kann. Und dieser andere, der steht einfach dazwischen. Ein Mensch unter Menschen.

So war er schon auf die Welt gekommen. Keine außergewöhnlichen Umstände. Außergewöhnlich höchstens die erbärmlichen Rahmenbedingungen. Die Unwirtlichkeit des Geburtsortes. Die Zwielichtigkeit der ersten Besucher nach der Geburt. Rauhbeinige Hirten. Und höchst verdächtige himmelskundige Magier, die die Wege ihre Lebens nach den Sternen ausrichten.

Wären da nicht die Engel gewesen – wir wüssten heute nichts mehr von dieser Geburt. Und von diesem Kind. „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Retter geboren!“ Dieses Kind erhält seine besondere Bedeutung im zugesprochenen Wort. Im Deute-Wort des Engels! Und aus dem Kind unter Kindern wird das Kind, das den Lauf der Welt verändert. Und das in Aufruhr und in Bewegung bringt, was als unveränderlich galt.

Dreißig Jahre später dasselbe Bild. Dieses Mal ist es nicht der Engel der deutet. Dieses Mal ist es Johannes der Täufer.„Ich kannte ihn nicht. Aber ich erkannte ihn am Geist, der über ihn kam. Sanft wie eine Taube. Das ist der, der schon war, ehe ich wurde.“

Und wieder stellt ein Wort des Zuspruchs den größeren Zusammenhang klar. Im Zeichen der Taufe ergreift Gott Gelegenheit, diesen einen Menschen zu würdigen. Ihn öffentlich zu machen als den, in dem Gott selbst sich einbringt und einmischt in diese Welt. Johannes erkennt, worauf es jetzt ankommt. „Ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.“

Worte des Zuspruchs, wie die des Johannes, sie deuten und legen offen. Solche Worte heben Menschen heraus. Und stellen sie in den großen Zusammenhang der unglaublichen Geschichte Gottes mit dieser Welt und uns Menschen.

Wie viele Tausend Menschen, Kinder wohl vor allem, Konfirmandinnen und Konfirmanden, aber auch Erwachsene, wie viele mögen hier in dieser Pauluskirche diesen Zuspruch der Taufe erlebt und erfahren haben. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist meine geliebte Tochter. Du bist mein geliebter Sohn. Du bist mein.“ Was dem einen galt, gilt in dem einen uns allen. Gottes Kinder sind wir. Gezeichnet vom Wort des Zuspruchs. Ausgezeichnet und gewürdigt durch Gottes Geist.

Nicht länger nur eine und einer allein. Sondern wir alle. Wir alle sind gezeichnet und herausgehoben als Geschöpfe Gottes. Wir alle sind gewissermaßen gezeichnet vom heiligen Geist. Wir alle sind heilig und Kinder Gottes. Das ist gemeint, wenn wir in der Sprache der Mütter und Väter der Reformation vom Priestertum aller Getauften, vom allgemeinen Priestertum reden.

Evangelische Theologie kennt keine in besonderer Weise heiligen Menschen. Weil sie allen Menschen diese Erfahrung des Heiligen zumutet. Zuspruch und Anspruch ist das. Und nicht einfach wohlfeil zu kaufen auf den Märkten dieser Welt.

Würdigungen für große Aufgaben, weltliche Heilig-Sprechungen – sie funktionieren heute meist nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Das kann man schön an den derzeitigen Schlagzeilen in den Medien sehen. Was Menschen heute herausheben und würdigen soll, das sind die Umfragewerte. Die zehn beliebtesten Deutschen führt uns der ARD-Deutschlandtrend allmonatlich vor Augen. Steinbrück um 12 Prozent abgestürzt, so hören wir’s auf allen Kanälen. Die Kanzlerin unangefochten vorne.

Manchmal macht mich diese Zahlengläubigkeit schier närrisch. Und im Jahr einer Bundestagswahl werden wir noch viel an neu ausgerufenen und dann wieder abgestürzten Heiligen ertragen müssen.

Die Be-Deutung, die Gottes Geist uns verleiht, sie schwankt nicht vom einen auf den anderen Tag. Sie ist nicht abhängig davon, ob unsere Zustimmungswerte steigen oder fallen. Gottes Geist zeichnet uns Menschen ganz. Oder es ist nicht Gottes Geist. Gottes Geist kommt uns zu, ohne dass wir befürchten müssen, andere könnten ihn uns wieder entziehen.

Johannes der Täufer legt uns diesen Zusammenhang offen. An dem einen, der Mensch wird wie wir, eingereiht in die lange Schlage derer, die des Zuspruchs bedürfen. Und dann steigt dieser eine als Gezeichneter, als Herausgehobener aus dem Wasser. Wird in seiner Menschlichkeit selber zu zum sichtbaren Zeichen der Geistesgegenwart Gottes mitten in dieser Welt.

Die Erfahrung der Geistesgegenwart Gottes an diesem einen – sie hat Menschen eingeleuchtet und aufgeleuchtet. Immer wieder neu. Bis heute. Diese Erfahrung macht vor keinen Grenzen halt. Diese Erfahrung ist an keinen Ort gebunden. Und dennoch gibt es Orte, an denen hat es diese Erfahrung leichter. An denen wir uns diese Erfahrung leichter ins Bewusstsein rufen lassen. Orte, an denen das Heilige deutlicher und heller aufscheint. Orte des Heiligen eben.

Kirchen sind solche Orte. Auch diese Pauluskirche, die ganz neu in ihrem heiligen Glanz erstrahlt. Wir brauchen solche Orte in dieser Welt. Gebaut zwischen den Häusern in denen wir leben. Wie der, der sich eingereiht hat in die Reihe der übrigen Menschen.

Kirchen sind in gewisser Weise solche getauften Häuser. Häuser mit besonderer Würde. Orte mit besonderem Auftrag. Darum ist es gut, dass es solche Orte gibt. Darum ist es gut, dass wir uns solche Orte auch etwas kosten lassen. Und darum dürfen Sie sich heute zu Recht über ihre Pauluskirche freuen.

Kirchen müssen sich nicht einfach rentieren nach den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie. Sie müssen sich nicht rechnen. Sie sind Orte des Widerspruchs gegen alles vordergründige sich Ausrichten an Erfolgsbilanzen. Gegen alle Abhängigkeit von der Wankelmut täglich neuer Befragungen.

Kirchen sind Häuser der anderen Art. Sie bieten Menschen Heimat. Mitten in aller Fremdheit, die uns immer wieder umgibt. Kirchen wollen Orte der Ermöglichung von Nähe sein. Und plötzlich sehen wir uns doch ganz alleine vor Gott gestellt.

Kirchen vermitteln uns eine Ahnung der Geistkraft Gottes. Aber sie können Gott niemals dingfest machen in ihren Mauern. Es ist das herausragende Kennzeichen des Geistes Gottes, dass wir ihr überall begegnen können. Und nicht selten da, wo wir am wenigsten mit ihr rechnen.

Es ist gut, dass wir immer noch viele Kirchen haben. Aber eine Bedingung der Gegenwart Gottes sind sie dennoch nicht. Und womöglich haben Sie in den letzten Monaten des Umbaus auch diese Erfahrung gemacht: Manchmal ist es gerade der Auszug aus dem Vertrauten, der uns die Augen für Gottes Gegenwart ganz neu öffnet. Und wie Kirchen als heilige Orte im Grunde nichts anderes sind als Lebensorte, so trägt auch jeder andere der vielfältigen Orte unseres Lebens die Möglichkeit in sich, zu einem heiligen Ort zu werden.

Im Stall und in der Wüste war das so, bei dem einen, von dem wir im Predigttest gehört haben. In der Küche zu Hause kann das sein. Am Schreibtisch im Büro. In der Schönheit der Natur kann das sein oder sogar in den Konsumtempeln unserer Städte. Kein Ort ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es darum geht, der Gegenwart des Geistes Gottes auf die Spur zu kommen.

Wenn wir dann noch einen Ort des Rückzugs haben. Einen Ort, an dem all das unwichtiger wird, was uns sonst in Beschlag nimmt. Einen Ort, an dem Musik erklingt. Und der dann auch immer wieder wohltuende Stille für uns bereit hält. Einen Ort, an dem die Generationen sich treffen und Menschen mit ganz unterschiedlichen Träumen und Visionen – wo wir einen solchen Ort haben, wo uns eine Kirche geschenkt und bewahrt ist – da dürfen wir uns glücklich schätzen. Selbstverständlich ist das nicht.

Und wenn dann Gottes Geist sich auf uns niederlässt und uns einer zuspricht: Du bist Gott recht – dann kann ich mich nicht länger in Sicherheit bringen auf den Tribünen des Lebens. Dass ahne ich, dass ich gemeint bin. Dann lasse ich mich berühren von diesem Geist. Dann lasse ich mich anstecken. Und singe. Und höre. Und bete. Und schweige.

Dann ist es höchste Zeit, dankbar mitzufeiern im Fest des Lebens. Wie heute. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.