PREDIGT ÜBER JOHANNES 21,15-19
GEHALTEN AM SONNTAG, 14. APRIL 2013
(MISERICORDIAS DOMINI)
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN BRÜHL

14.04.2013
Liebe Gemeinde!
Er ist unbestritten eine des prominentesten Figuren der Jesus-Bewegung: Simon, der Fischer, genannt Petrus – der Fels. Er ist der Kopf der Gruppe der Jünger. Er ist der, auf den die Kirche gegründet sein sollte. Er ist der große Gegenspieler des Paulus. Bis heute ist er derjenige, auf den sich unsere katholischen Freundinnen und Freunde berufen als ersten in jener Reihe der Führungsgestalten der Kirche, die sie einige Zeit später Papst nannten.

Simon der Fischer, genannt Petrus, der Fels. An ihm kommen wir nicht vorbei, wenn wir die Anfänge der Kirche in rechter Weise in den Blick nehmen. In den Darstellungen der Kunst sehen wir ihn ins Bild gesetzt als knorrige, charakteristische Gestalt mit ausgeprägten Gesichtszügen. Häufig mit einem Schlüssel in der Hand. Er hat das Amt der Schlüssel inne. Er bestimmt, wer dazugehört. Und wer nicht. Er kann die Pforten des Himmels öffnen. Oder eben zur Hölle hinabfahren lassen.

Erstaunlich, welche Karriere dieser Petrus aufs Ganze gesehen gemacht hat. In die Wiege gelegt war sie ihm nicht. Petrus war nicht wirklich einfach nur ein Draufgänger, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Er war eher ein von starken emotionalen Impulsen gesteuerter Mensch. Und ein Taktiker dazu.

Als er mit seinen Freunden auf Bitten Jesu zum Fischen fährt und das Boot die Menge des Fischfangs kaum fassen kann, da bekommt er es mit der Angst zu tun. „Geh lieber weg“, sagt er zu Jesus. „Deine Gegenwart macht mich klein.“

Als er Jesus, der mitten auf dem Wasser geht, entdeckt, will er es ihm gleich tun. Will ihm übers Wasser entgegengehen. Aber er sinkt ein.

Als Jesus ihm seine Füße waschen will, setzt Petrus sich zur Wehr. „Ich sollte dir die Füße waschen. Nicht umgekehrt!“ Aber am Ende muss er sich fügen.

Als die Schergen des Hohen Rates Jesus verhaften wollen, nimmt er allen Mut zusammen und haut einem der Tempelpolizisten ein Ohr ab. Aber Jesus dankt ihm das nicht. Jesus denkt gar nicht daran, ihn deswegen zu rühmen. Stattdessen heilt er den Verletzten.

Jesus und Petrus – das ist eine nicht gerade unkomplizierte Beziehung. Denn als Petrus sich zum Beschützer Jesu machen will – als er ihm seine Unterstützung zusichert und sich zu der Aussage hinreißen lässt: „Ich werde mein Leben dran geben, um dich zu schützen!“ – da gibt Jesus ihm zur Antwort: „Noch bevor der Hahnenschrei den nächsten Morgen ankündigt, wirst Du schon dreimal geleugnet haben, mich überhaupt zu kennen!“

Nein, seelsorgerlich geht Jesus mit Petrus nicht gerade um. Er zeigt ihm immer wieder klar seine Grenzen auf. Aber Petrus ist da auch Realist genug, sich diese Grenzen einzugestehen. Spätestens dann macht er erneut diese Erfahrung, als er den Hahn dann krähen hört.

Tatsächlich: Dreimal hatte er mit beredten Worten bestritten, diesen Jesus überhaupt zu kennen. Meist wird davon mit den Worten berichtet, Petrus habe Jesus verleugnet. Ich finde allerdings, wir sollten wir vorsichtig sein. Petrus wollte Augenzeuge der weiteren Entwicklungen um diesen Jesus bleiben. Er wollte sich nicht verhöhnen lassen. Und schon gar nicht vertreiben. Die kleine Unwahrheit, die kleine Lüge, so dachte er doch, die macht die große Tat möglich. „Ich bleibe in Seh- und Hörweite!“ Petrus – im Hof des Hohenpriesters, am wärmenden Feuer – hier erweist er sich, so scheint es, als Meister der Lebensklugheit. Doch am Ende verzweifelt er über seine ach so kluge Strategie.

Doch ein Verleugner, da möchte ich ihn schon in Schutz nehmen – ein Verleugner ist er ebensowenig wie Thomas, sein Jünger-Kollege, ein ungläubiger Thomas ist. Solche Urteile werden dem einen wie dem anderen nicht gerecht.

Die Tränen des Petrus sind nicht das letzte, was wir von der Beziehung zwischen Jesus und Petrus hören. Das Johannes-Evangelium hängt dieser komplizierten Beziehung ein weiteres Kapitel an. Im vollen Sinne des Wortes. Denn eigentlich ist das Johannes-Evangelium mit dem 20. Kapitel zu Ende. Das können Sie leicht selber überprüfen, wenn Sie das Ende dieses Kapitels nachlesen. Es handelt sich eindeutig um ein Schlusswort.

Aber irgendwie und bei irgendwem blieb da wohl Unzufriedenheit zurück. Im nachhinein muss das Evangelium wohl den Eindruck erweckt haben, es ließe wesentliche Fragen unbeantwortet. Und wichtige Entscheidungen offen. Und der Evangelist – oder Gefolgsleute, die ihm nahestehen – hängt dem Evangelium noch ein weiteres, ein 21. Kapitel an. In diesem Kapitel wird vor allem von Erscheinungen des Auferstandenen berichtet. Und von Petrus.

Es geht um die Beziehung, die Petrus und der Lieblingsjünger Jesu haben. Und es geht um die Klärung der Beziehung zwischen Petrus und Jesus. Und wieder kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jesus es dem Petrus ein weiteres Mal nicht einfach macht.

Dieser Teil des 21. Kapitels aus dem Johannes-Evangelium ist der heutige Predigttext. Hören Sie also, was in diesem letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums in den Versen 15-19 berichtet wird.

15Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
16Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 18Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. 19Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!


Ein merkwürdiger Dialog ist das, liebe Gemeinde. Ein Frage- und Antwortspiel der besonderen Art. Ein Jesus, dessen besondere Strategie gegenüber Petrus uns erneut Rätsel aufgibt. Und ein Petrus, der am Ende nicht getröstet und auferbaut zurückbleibt. Sondern über den es lapidar heißt: „Er wurde traurig.“

Sie merken es. Ich will mich etwas zum Anwalt des Petrus machen. Dieser Petrus, diese Gestalt aus Licht und Schatten, er ist mir nah. Ja, er tut mir fast leid, wie er da in das Kreuzverhör seines Meisters und Vorbildes gerät.

„Simon, Sohn des Johannes, hast Du mich lieb?“ Gleich dreimal richtet Jesus diese Frage an Petrus. Dreimal, genau so oft, wie Petrus die an ihn gerichtet Frage: „Gehörst du nicht auch zu diesem Jesus?“ mit „nein“ beantwortet hat.

Fast hat es den Anschein, jetzt bricht das Gericht über diesen Petrus herein. Jetzt muss er für sein Versagen büßen. Petrus ist all seiner Würden ledig. Simon nennt ihn Jesus nur noch. Keine Erwähnung des Namens Petrus. Kein Hinweis auf den Fels, auf den er seine Kirche bauen will. Petrus, seines Ehrentitels ledig. Petrus, gar auf dem Weg der Degradierung.

Nicht ganz. Zum Glück. Denn einmal formuliert Jesus seine Frage etwas anders als die beiden anderen Male. Er fragt: „Hast du mich lieber, als mich diese haben?“ Hielte Jesus den Petrus nur für einen Versager, wäre diese Frage unnötig und überflüssig. Natürlich scheint es zunächst, dass die anderen diesen Jesus lieber. Sie haben nicht in gleicher Weise versagt.

Oder eben noch viel mehr. Außer Petrus war keiner dabei in den Vorhöfen der Machthabenden. Und am Ende, als auch von Petrus nichts mehr zu sehen war - am Ende – unter dem Kreuz – da stand Maria, die Mutter Jesu. Da standen einige wenige andere Frauen, die diesen tragischen Ausgang mit Entsetzen verfolgten. Am Ende – unter dem Kreuz – da stand alleine noch der Lieblingsjünger Jesu. Da stand Johannes.

Das Verhältnis dieser beiden Jünger, das Verhältnis von Petrus und Johannes, das Verhältnis des Ersten aus der Jüngerschar zu dem, von dem es heißt, er sei der Lieblingsjünger – das ist das heimlich Thema dieses 21. Kapitels.

Für die Gruppe der Jesus-Anhänger, die den Evangelisten Johannes umgab, für sie war der Jünger Johannes die zentrale Figur aus dem Kreis der Zwölf, die mit Jesus unterwegs waren. Ein Kapitel früher wird berichtet, dass Petrus und Johannes einen Wettlauf zum leeren Grab veranstalten. Natürlich gewinnt Johannes. Aber der, der den Mut hat, ins Grab hineinzugehen, das ist dann doch Petrus.

Im abschließenden 21. Kapitel des Johannes-Evangeliums - und ganz besonders im Predigttext - ist es nicht anders. Mag Johannes der Konkurrent des Petrus gewesen sein. Und der Liebling vieler – der, der den größeren Enthusiasmus an den Tag legt – der, der sich ungestüm und mit Schmackes, wie wir sagen, für diesen Jesus immer wieder stark macht – und sei’s um den Preis des Versagens – das ist Petrus. Das ist der, der seinen Meister noch lieber hat als die anderen – um Jesus hier einfach selber zu Wort kommen zu lassen.

Einen spannenden Einblick in eine frühe Phase der Entwicklung der Kirche haben wir vor uns in diesem 21. Kapitel des Johannes-Evangeliums. Dem Petrus hängen die einen an. Dem Johannes die anderen. Aber auch letzte wissen, dass Petrus die Schlüsselfigur ist. Auch wenn er immer wieder ins Stolpern gerät. Und versagt. Und uns genau hierin so nahe ist. Uns, denen es nicht vergönnt ist, den Kopf an die Brust Jesu zu legen wie der Lieblingsjünger.

Aber der Konflikt zwischen diesen beiden Jüngern verlangte nach einer letzten Klärung. Petrus bleibt die Schlüsselfigur. Aber seine Rolle wird neu definiert. Der ungestüme Aktivist unterzieht sich einem Wandel. Er handelt nicht mehr aus eigen Antrieb. Er wird selber zum Geführten. Das ist das Geheimnis jener so schwierig zu deutenden Passage in der Rede Jesu: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen – und womöglich auch dahin, wohin du gar nicht willst.“

Die Ära des Hau-Ruck und des Ohr-Ab Petrus – sie ist vorbei. Petrus hat jetzt eine neue Rolle. Er soll weiter leiten und führen in der Kirche. Aber dadurch, dass er sich selber leiten und führen lässt.

Petrus erstrahlt in neuer Bedeutung. Doch wir – wir hätten doch noch ein letztes Kapitel an das Evangelium anzufügen. Eines, das unsere Beziehung zu diesem Petrus klärt. Wer ist dieser Petrus – für uns? Das Vorbild und der Erste in der Reihe der Kirchenführer? Der eine große unerreichbare Gestalt?

Ich glaube nicht. Petrus steht dafür, dass wir alle unsere Rolle finden in dieser Kirche, in deren Ur-Knall wir heute Einblick genommen haben. Petrus und Johannes, Paulus und Johannes, der Verfasser der Offenbarung, Maria, die Mutter, und Maria, die Freundin – und viele andere auch. Sie sind uns Vorbilder im Glauben. Und sie sind zugleich Platzhalter für jede und jede von uns. In all unserer Unterschiedenheit. In all unserer Zurückhaltung wie in unserem Drang zum Ungestümen. In unserem Glauben wie in unseren Zweifeln.

Und wir sind ihnen allen am nächsten, wenn auch uns dieser Rollenwechsel gelingt. Wenn wir nicht dabei stehen bleiben, uns selber zu gürten. Sondern uns einlassen auf das Wagnis, uns führen zu lassen. Und Wege zu riskieren, deren Ziel wir noch nicht kennen.

Es geht nicht um Entmündigung. Und es geht nicht um Entmachtung. Es geht darum, den Horizont zu wechseln. Oder den Horizont hinter dem Horizont wahrzunehmen. Um am Ende, dann, wenn wir gefragt werden: „Hast du mich lieb?“ auch antworten zu können wie Petrus: „Du weißt doch und du siehst doch, dass ich die lieb habe.“

Aber nichts wünsche ich mir mehr, als dass wir dann nicht traurig davon gehen wie Petrus, sondern gestärkt und getröstet. Und voller Lust am Leben. Amen.


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.