MORGENANDACHT
MIT ANSPRACHE ÜBER LUKAS 9,62
AM 10. APRIL 2014
ANLÄSSLICH DER FRÜHJAHRSTAGUNG DER LANDESSYNODE
IN BADEN HERRENALB

10.04.2014
Liebe Schwestern und Brüder hier bei der Landessynode!

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Diesen Vers habe ich schon als Kind nicht verstanden. Und irgendwie auch nicht gemocht. Und das, obwohl ich im Dorf aufgewachsen bin. Und oft genug auch beim Pflügen dabei war.

Natürlich kenne ich die Bilder von Ochsen, die mühsam einen Holzpflug über den Acker ziehen. Und wenn diese Pflugführer allzu oft nach hinten schauen, kommen sie aus der Spur. Und die Furche verliert ihre Richtung.

Aber hier geht es ja nicht um einen Leitfaden für den rechten Pfluggebrauch. Es soll ja ums Reich Gottes gehen. Wenn es denn auch beim Pflügen seinen Sinn haben mag – für das Reich Gottes muss das ja nicht unbedingt auch gelten. Denn wenn alle, die irgendwann und irgendwie einmal zurückschauen, fürs Reich Gottes „nicht geschickt“ sind – dann werden wohl noch weniger hineinkommen als Reiche durchs Nadelöhr.

Hatte ich als Kind also meine Probleme mit diesem Satz, dann möchte ich heute energisch Widerspruch einlegen. Zumindest fürs Erste! Und um diesen Widerspruch zu untermauern, werfe ich mit ihnen einen Blick auf die vorausgehenden Verse, die die Sache nicht besser machen. Drei Menschen, so wird da berichtet, wenden sich an Jesus mit dem lapidaren Satz: „Ich will dir nachfolgen!“

Beim ersten der Drei hat Jesus wohl den Verdacht, er wäre der Unwirtlichkeit und der Unbehaustheit des Lebens mit ihm nicht gewachsen. „Schau dir die Füchse an. Und die Vögel. Sie leben komfortabler als du, wenn du mir nachfolgst!“ Was aus dem Ansinnen der Nachfolge geworden ist – wir wissen es nicht.

Von einem anderen ist die Rede. Der will Jesus ebenfalls nachfolgen, möchte aber zuerst noch an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen. Jesus antwortet kurz und bündig: „Lass doch die Toten ihre Toten begraben.“ Auch was dieser Mensch dann gemacht hat, wissen wir nicht. Ich wäre ziemlich sicher erst zur Beerdigung meines Vaters gegangen. Und hätte dabei dich allemal das vierte Gebot auf meiner Seite gehabt.

Der Dritte, der Jesus nachfolgen will, möchte sich vorher noch von seinen Angehörigen und Freunden verabschieden. Auch Martin Luther hat noch ein großes Fest gefeiert, bevor er ins Kloster ging. Aber was erhält dieser Mensch als Antwort: Eben diesen Vers, um den’s heute gehen soll. „Wenn du deine Hand an den Pflug legst und dann wieder zurückziehst, wenn du den Blick nach hinten richtest, ist im Reich Gottes kein Platz für dich.“

Da muss man doch wiedersprechen, liebe Schwestern und Brüder! Ich kenne solche Leute. Und ich kenne auch Leute, die meinen, solche Typen bräuchten wir. Auch in der Kirche. Toughe, streighte Typen – wie es heute heißt. Unverwirrbar zielorientiert. Menschen, die durchziehen, was sie sich vorgenommen haben. Die nicht nach links und rechts schauen. Und schon gar nicht nach hinten. Die sich wenig Sorgen um die machen, die sie womöglich doch auch hätten mitnehmen müssen. Die schnurgerade Furchen ziehen. Und dabei nicht einmal auf sich selber Rücksicht nehmen. Jesus, zumindest so wie Lukas 9 ihn uns schildert, hätten die also auf ihrer Seite.

Jetzt aber Vorsicht. Zum Glück gibt’s noch ein paar theologische profunde Ausfahrten, ehe wir so an diesen Vers herangehen. Und dabei womöglich nur ratlos zurückbleiben. Oder gar in einer Sackgasse laden.

Beim Satz Jesu vom Pflügen ohne zurückzuschauen, da ist noch einmal anderes im Spiel als der Verweis auf ein Beispiel aus der Landwirtschaft. Dieser Vers steht in einer bestimmten theologischen Tradition. Genauer gesagt, er steht für eine bestimmte Gruppe im letzten Viertel des ersten Jahrhunderts nach Christus - da gab es also Menschen, die Nachfolge womöglich so oder so ähnlich verstanden hat. Es bleibt offen, ob diese Gruppe ihre eigene Nachfolge so auch noch praktiziert hat oder ob sie ihre Vorstellung einfach in die Vergangenheit zurückprojiziert und als Forderung an andere gerichtet hat.

Ihr Nachfolgebild hat etwas Drängendes. Es ist vermutlich, so sagen manche Ausleger, von der Erwartung des baldigen Endes aller Dinge her bestimmt. Aber selbst dann dürfen wir kritisch bleiben. Und noch einmal hätten wir Martin Luther auf unserer Seite – zumindest passt der Satz zu ihm und wird ihm deshalb zugeschrieben: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen!“

Wir dürfen also ruhig einmal die Gegenposition formulieren. „Wer seine Hand an den Pflug legt und nicht immer wieder auch zurücksieht, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Wer sich aufmacht auf den Weg ins Reich Gottes oder wer andere dazu ermutigen will, muss auch nach hinten schauen können. Sonst geht er oder sie womöglich in die Irre.

Der entscheidende Schlüssel für eine gelingende Zukunft – oft liegt er gerade hinter uns. So wie das verlorene Paradies hinter uns liegt. Und der Weg dorthin eigentlich nur mit einer radikalen Umkehr gelingen kann. So wie wir oft nur im Rückblick unser Leben richtig verstehen können. Nur dann, wenn wir aufhören, ohne Rücksicht Furchen in die Zukunft zu ziehen.

Überhaupt ist mir ein anderer Satz Jesu viel näher. Einer, der deutlicher seine Sprache spricht. Und der wie kein anderer zum Ausdruck bringt, worum es ihm geht. Ein Satz, der die Zukunft nicht nur im Zurückblicken gewinnen will, sondern geradezu in der radikalen Umkehr: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Kehrt um! Ändert euern Sinn! Blickt ohne Furcht zurück. Und erst dann auch wieder voller Zuversicht nach vorn.

Wenn ich zurückblicke, sehe ich, woher ich komme. Wenn ich zurückblicke, sehe ich auch, ob alle mitkommen. Ob ich mein Tempo verlangsamen muss. Wenn ich zurückblicke, setze ich mich den Erinnerungen aus. Und nur die ehrliche Erinnerung, setzt die Kräfte frei, die all das aufweichen und verwandeln, was dem vor dem Weg in die Zukunft als Hindernis aufbaut. Ja, manchmal hilft mir der Blick zurück geradezu zu erkennen, welche Richtung ändern, wenn es etwas werden soll mit dem Reich Gottes.

In der Holocaustfedenkstätte Jas Waschem in Jerusalem steht der Satz: „Die Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung!“ Das bedeutetet doch: Das Geheimnis der gelingen Zukunft liegt in der Vergangenheit. Theologisch gewendet: Die Furchen, die wir ins Reich Gottes ziehen, sind auf den Blick zurück geradezu angewiesen. Und sie vertragen ihn auch. Deshalb habe ich jedenfalls habe keine Angst, wenn die Furchen, die ich ziehe, nicht direkt und schnurgerade nach vorne laufen. So ideal verläuft das Leben selten oder nie. So ideal muss auch eine Tagung der Landessynode nicht verlaufen.

So verstanden passt der Spruch auch gut in die Passionszeit. Passion – das ist die Erinnerung an den Weg Jesu. Das ist der klärende Blick zurück. Damit wir uns auf die Zukunft, auf das Fest des Lebens an Ostern wirklich einlassen können.

Bis dahin laufen die Furchen Vielfalt unseres Lebens eben kunterbunt nebeneinander her – das eine Mal sich annähernd. Dann wieder auseinandergehend. So spiegeln die Furchen mit ihrem Muster allemal mehr vom wahren Leben wider als unendliche viele gerade Furchen nebeneinander. Und in denen verschlungenen und gewundenen Furchen können die Fürchte des Lebens ebenso wachsen und gedeihen wie in den geraden.

Und wenn das Reich Gottes sich dann wirklich auftut vor unseren Augen, überraschend, überwältigend, über uns hereinbrechend - dann – aber erst dann - mag das Bild des Pflügens zu seinem Recht kommen. Dann legen wir unsere Händen an den Pflug, ohne zurückzuschauen. Und feiern das Fest der Gerechtigkeit und der Gegenwart Gottes ohne Ende. Amen. 12/9

Lied: EG 97: Holz auf Jesu Schulter

Gebet

Gott, schon in der Vergangenheit, seit allem Anfang hast du Menschen die Richtung gewiesen.
In der Gegenwart lässt du uns Orientierung finden.
Aus der Zukunft kommst du auf uns zu, damit wir das Ziel unseres Lebens nicht verfehlen.
Wir bitten dich: Richte unseren Blick immer wieder zurück, Gott, gerade in diesen Tagen, in denen wir Bilanz ziehen nach sechs Jahren gemeinsamer Synodenzeit.
Richte unseren Blick immer wieder zur Seite, Gott, nach links und nach rechts, dahin, wo wir andere allzu leicht übersehen, die mit unserem Tempo nicht Schritt halten können und deren Furchen andere Wege mit anderen Biegungen nehmen. .
Richte unseren Blick nach vorne, Gott – dahin, von wo wir dich erwarten, dahin, wohin wir unser Vertrauen werfen, dass deine Welt im Kommen ist und wir Zukunft haben – bei dir.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.