Christmette 2015 in Schwetzingen: Vier weihnachtliche Findungen

24.12.2015
VERKÜNDIGUNG: VIER WEIHNACHTLICHE FINDUNGEN

Findung 1: Weihnachten feiern heißt ankommen

Heiligabend heißt dieser zu Ende gehende Tag bei uns. Von der heiligen Nacht singt ein Lied, das zu den berühmtesten Liedern der Welt gehört. Was macht diese Nacht so besonders? Was lässt sie heilig werden?

Hört wie diese Nacht damals zu einer besonderen, heiligen Nacht wird – bis heute. Hört, wie die Geschichte dieser Nacht ihren Anfang nimmt. Und Maria und Josef fündig werden auf ihrer Suche nach einem Dach über dem Kopf.
Lesung: Lukas 2,1-7
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie fanden sonst keinen Raum in der Herberge.


Gedanken
Ich suche nicht. Ich finde. Von Pablo Picasso stammt dieser Satz. Er könnte auch von Maria stammen. Oder von Josef. Es ist ihre Erfahrung. Weihnachten feiern heißt: Ich finde. Ich komme an. Ich bin am Ziel. Mag ein Menschenleben sich meistens anfühlen wie ein andauerndes Unterwegsein. Einmal hat es damit sein Ende. Dann geht’s nicht mehr ums Suchen. Dann geht’s ums Finden!

Das ist es, was uns diese altvertraute Geschichte so zu Herzen gehen lässt. Das ist es, was wir an Weihnachten feiern. Nicht die Herbergssuche. Sondern die Herbergsfindung. So müsste diese Geschichte eigentlich heißen.

Finden. Ankommen. Am Ziel sein. Die elementare Unterbrechung der Auf- und Ab-Bewegungen des Lebens. Der andauernden Suche nach etwas, von dem ich oft gar nicht weiß, was es wirklich ist.

Wenn ich finde, ist das meist gar keine große Geschichte. Ein junges Mädchen. Schwanger. Ihr Begleiter – ein Wanderhandwerker ohne festes Einkommen. Der verarmte Sprössling einer Familie, die den großen König David zu ihren Urahnen rechnen kann.

Der Kaiser schiebt sie hin und her. Wie unbedeutende Figuren im Siel des Lebens. Lässt sie nach Bethlehem gehen, weil die Vorfahren dort einst ihren Besitz hatten. Hoffnungslos überfüllt war das Städtchen. Für die Fremden ist eine Absteige doch gerade gut genug.

Dann wird gerade dort das Kind geboren. Ein Armeleute-Kind. Eigentlich ist eine Geburt schon Wunder genug. Aber ein Wunder reiht sich an das nächste. Unbedeutende Vorkommnisse eigentlich, die zu Wundern werden. Weil Menschen ans Ziel kommen. Weil Menschen fündig werden. Weil sie finden. Ein ums andere Mal.

So wird es für sie Weihnachten. So kann es bei uns Weihnachten werden.
Lied EG 37,1-4: Ich steh an deiner Krippen hier
3. Strophe solo

Findung 2: Weihnachten feiern heißt sehen lernen
Hört, wie die Geschichte weitergeht. Wie andere und anderes ins Spiel kommt. Irdische Gesellen und himmlische Mächte. So ineinander verwoben, dass man oben und unten nicht mehr unterscheiden kann.

Lesung: Lukas 2,15-20:
Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.


Gedanken
Ich suche nicht. Ich finde. Für die Hirten war gleich klar, dass es jetzt ums Finden geht. Dass sie keine Wahl haben, als sich auf den Weg zu machen. „Das habt zum Zeichen der neuen Welt Gottes,“ sagt der Engel. „Ein Kind in Windeln gewickelt!“
Wenn das alles ist – wenn das ausreicht, um Gottes neue Welt zu entdecken, ist der Weg nicht weit. Und niemand kann sich herausreden, er oder sie sei nicht gemeint.

Bei jedem Krippenspiel ist das so: Man kann nie genug Hirten haben. Wer nicht Maria ist oder Josef, nicht ein Engel oder ein Weiser, der oder die wird ein Hirte. Oder eine Hirtin. So kommt jeder Mensch zu seiner Rolle im weihnachtlichen Geschehen. Ich bin mir sicher: Die Hirtenrolle ist die wichtigste in der Weihnachtsgeschichte. Weil sie für jeden und jede einen Zugang bietet, um mit verwickelt zu werden in dieses Geschehen. Um zu finden, wie die Hirten gefunden haben.

Weihnachtliches Finden heißt dann: mit den Augen der Hirten sehen lernen. Den offenen Himmel voller Engel zu sehen, statt einer Welt voller Feindseligkeit. Konzentriert den Klängen vom Frieden auf Erden zuhören. Anstatt den Sirenenklängen der Hassbeseelten zu erliegen. Nicht „Wir sind das Volk!“ zu rufen - und zu meinen: Nur wir – um die anderen auszugrenzen.

Die Hirten werden fündig, weil sie neu sehen lernen. Sie finden ein kleines Kind – und sehen den Anfang einer großen Geschichte. Am unwirtlichen Ort sind sie am Ziel. In einer armseligen Geschichte erkennen auch sie das Wunder der Weihnacht. Weil sie finden. Und sehen.

So wird es für sie Weihnachten. So kann es bei uns Weihnachten werden.

EG 48,1-3: Kommet, ihr Hirten

Findung 3: Weihnachten feiern heißt vertrauen
Sie kommen von weit her. Die Magier aus dem Osten, wie es wörtlich heißt in der Bibel. Die drei Könige aus dem Morgenland, wie wir sie in der Sprache der Tradition schon lange nennen. Hört, wie ein funkelnder Stern Menschen aus ihren vertrauten Bahnen herausreißt. Und sie hineinnimmt, in eine Verkettung von Ereignissen, die eine himmlische Leuchtspur über die Erde ziehen.

Lesung; Matthäus 2,9-11
Als sie nun den König Herodes gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Gedanken
Ich suche nicht. Ich finde. Königliches Selbstbewusstsein spricht aus diesem Satz. Suchen mögen die anderen. Die Untertanen. Die kleinen Leute. Kaspar, Melchior und Balthasar, wie sie längst heißen – jeder von ihnen ist sich sicher: Ich finde!

Vielleicht ist es diese große innere Sicherheit, die sie in unserer Vorstellung zu Königen hat werden lassen. Diese drei finden unter wahrhaft erschwerten Bedingungen. Gehörig Geduld müssen sie haben, denn es dauert, bis sie am Ziel sind. Vertrauen wird ihnen abverlangt, denn außer dem vagen Hinweis, irgendwo würde ein König geboren, haben sie nichts in Händen. All ihr sternenkundiges Wissen müssen sie einsetzen, um diesen einen Stern von all den unzähligen anderen zu unterscheiden.

Ein schier grenzenloses Vertrauen muss sie erfüllt haben, dass dieser Weg sich lohnt. Sonst wären sie dieses Risiko niemals eingegangen. Wären nie auf diese Reise ins Ungewisse aufgebrochen.

Wer das, was ihm wichtig ist, mitschleppt – durch Wüsten und über Meere, der weiß, dass er findet. Die Weisen vertrauen. Und sie finden: einen Stall – für sie ein himmelsbeschienener Ort. Sie finden: ein Kind – für sei ein König. Sie finden und geben. Und was für uns nach Reichtum aussieht – für sie ist es das, was diesem Kind zusteht. Und was für sie jetzt gar nicht mehr wichtig ist. Ihr Vertrauen grenzt an ein Wunder.

So wird es für sie Weihnachten. So kann es bei uns Weihnachten werden.

EG 69,1-4: Der Morgenstern ist aufgedrungen

Findung 4: Weihnachten feiern heißt den Aufbruch wagen

Es kommt, wie es kommen muss. Es kommt, als sei die Welt schon damals keine andere gewesen als die unsere heute. Keine gute Geschichte kommt ohne diejenigen aus, denen das nicht gefällt. Nicht einmal an Weihnachten ist das anders. Bis heute wird Herodes diese Rolle nicht mehr los. Er ist der Bösewicht, die personifizierte Bosheit in dieser Geschichte mit der Botschaft, dass alles gut wird.

Hört, wie Herodes der Weihnacht den Garaus machen will. Und die Rechnung doch ohne Gott gemacht, der den Träumenden eine große Zukunft verheißt.
Lesung: Matthäus 2,13-15
Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen. Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und fand einen sicheren Ort in Ägypten und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes.

Gedanken
Ich suche nicht. Ich finde. Herodes hat mit Gewissheit so gedacht, als er dem Kind nach dem Leben trachtet, um einen vermeintlichen Rivalen aus dem Welt zu schaffen. Josef mag so gedacht haben, als ihn im Traum die Warnung des Engels erreicht. Josef vertrödelt keine Zeit im Abwägen von Alternativen. Er macht sich mit Maria und dem Kind auf den Weg nach Ägypten. Er entscheidet sich für die Flucht.

Man muss die Verbindungen also nicht suchen. Nicht die zwischen Gott und Welt. Ein Traum genügt, um beide miteinander in Beziehung zu setzen. Träume sind nicht einfach Schäume. Sie können den Einbruch des Göttlichen in unser irdisches Leben markieren.

Aber auch die andere Verbindung liegt auf der Hand. Die zwischen damals und heute. Kaum ist die heilige Nacht vergangen, ist nichts und niemand mehr heilig. Da bleibt der heiligen Familie nur noch die Flucht. Die Flucht vor Verfolgung. Die Flucht vor dem drohenden Tod.

Die drei Flüchtlinge teilen nicht die Religion ihres Gastlandes. Mit ihrem Neugeborenen sind sie auf soziale Fürsorge angewiesen. Und wenn es Obergrenzen für die Aufnahme gegeben hätte - sie hätten es womöglich gar nicht mehr rechtzeitig geschafft.

Die Welt war immer auch die Welt der Despoten – ob sie nun Herodes heißen oder Asad. Auch der römische Kaiser ist gewiss nicht weniger zimperlich gewesen als seine Nachfolger in unserer Tagen. Auch er bringt Menschen dazu, sich auf den Weg zu machen, die das freiwillig sicherlich nicht getan hätten.

Flucht ist kein Schicksal, das Menschen sich freiwillig aussuchen. Niemand ist dazu geboren, ein Flüchtling zu werden, auch nicht das Kind in der Krippe. Dennoch sind heute mehr als 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Das sind viel mehr als zur Geburt Jesu auf der ganzen Erde überhaupt gelebt haben.

Hätten die drei in Ägypten kein Asyl bekommen – wir wären heute Nacht nicht in dieser Kirche. Von Weihnachten wäre keine Rede mehr. „Seid gastfreundlich!“ – so ist bei einem der neutestamentlichen Briefschreiber zu lesen. „Denn schon manche haben ohne es zu wissen, Engel beherbergt.“

Finden – weihnachtliches Finden hat viele Facetten. Es bedeutet auch das Risiko einzugehen, sich auf den Weg zu machen. Aufzubrechen. Immer wieder neu. Und an anderen Orten der Möglichkeiten des Menschseins fündig zu werden.

Finden – weihnachtliches Finden – es lässt uns womöglich auch in der Armseligkeit der vielen Fluchtgeschichten auf das Wunder der Weihnacht stoßen. Kein Container, keine Kaserne, kein Hotel ist davon ausgeschlossen, zum Ort der Geburt eines Gotteskindes zu werden. Gott lässt uns fündig werden. Weil Gott will, dass sich das Gesicht dieser Welt ändert. Und sie neu wird. Ganz neu. Wie das Gesicht Gottes in einem Neugeborenen.

So wird es Weihnachten. So kann es bei uns Weihnachten werden. Auch in der Christnacht 2015. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.