ANSPRACHE
IM GOTTESDIENST ZUR ENTWIDMUNG DER JOHANNESKIRCHE
AM SONNTAG, DEN 12. APRIL 2015 (QUASIMODOGENITI)
IN MALSCH

12.04.2015
Liebe Gemeinde!

Abreißen und neu Aufbauen – das ist Kirche! Aufbrechen und sich neu auf den Weg machen – anders ist es nie gewesen, seit Menschen mit Gott unterwegs sind. Altes Loslassen und Neues Ausprobieren – genau darum geht es, wenn wir in wenigen Worten beschreiben sollen, was Kirche ausmacht. Beides gehört zusammen. Es bleibt nie nur bei dem einen!

An Ostern war das nicht anders! Gerade haben wir wieder davon gehört. Die Jünger haben sich in Sicherheit gebracht. Haben die Türen verrammelt. Haben sich ihrer Trauer hingegeben. Ihrer Enttäuschung. Ihrem Frust.

Da waren Lebensträume zerplatzt. Alles hatten sie aufgegeben. Ihren Beruf. Ihre Familie. Ihre Lebensplanungen. Alles hatten sie auf eine Karte gesetzt. Auf die Karte dieses Jesus. Dieses besonderen Menschen. Mit seinen besonderen Ideen. Mit seinen besonderen Vorlieben für die, die an den Rändern leben. Mit seiner besonderen Gottesbeziehung.

Und geendet ist es wie so oft. Der gute Wille allein reicht eben nicht. Auch nicht der gute Wille mehrerer. Oder gar vieler. Die Verhältnisse waren eben nicht so. Die Macht der Besatzer war stärker als die einer Gruppe von Gutmenschen. Die Macht der etablierten Religionshüter war stärker als das Gottes-Programm dieses Wanderpredigers und seiner Sympathisanten. Die Macht der Realisten war stärker als die Hoffnungen der Träumer von einer neuen besseren Welt.

Und alles liegt in Scherben, was ihren Einsatz als aussichtsreich hat aussehen lassen. Alles ist in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus, was ihre Zukunft ausgemacht hat.

Geblieben ist die Gemeinschaft in der Enttäuschung. Geblieben sind die verschlossenen Türen und die schützenden Mauern, hinter denen sich die ihrer Hoffnung Beraubten vor der Welt in Sicherheit bringen. Die erste Kirche – das war ein Ort des Rückzugs und der Sicherheit hinter Mauern.

Doch wenn Kirche Rückzug ist, dann ist sie auch Aufbruch. Es bleibt nie nur bei dem einen! „Da trat Jesus mitten unter sie!“ Das ist der Anfang des Neuen. Zumindest in der Kirche. Das Grab kann ihn nicht im Tod halten. Die Mauern und die verschlossen Türen können ihn nicht fernhalten von denen, die auf ihn gesetzt haben. „Da trat Jesus mitten unter sie!“ Und für seine Anhängerinnen und Anhänger wird es Ostern.

Sicherheit und Risiko. Abschottung und Aufbruch. Beides gehört zusammen, wenn’s um Kirche geht. Es bleibt nie nur bei dem einen. „Da wurden die Jünger froh!“ So geht der Bericht weiter. Trauer und Freude. Depression und Vertrauen in die Zukunft. Gottverlassenheit und Gottesnähe. Sie liegen ganz eng beieinander. Es bleibt nie nur bei dem einen. „Da wurden die Jünger froh!“

Und: Sie werden auch gleich in die Pflicht genommen. Kirche ist nie nur frommer Rückzug. Kirchenmauern sind nie unsere „feste Burg“. Weil Gott „unsere feste Burg ist“, sind Räume immer nur etwas Vorläufiges. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Kirche ist Sendung in die Welt. Die Unterscheidung zwischen der Welt und der Sendung in die Welt. Selber getröstet werden und andere trösten, das gehört zusammen. Es bleibt nie nur bei dem einen.

Diese Sendung in die Welt – das ist Kirche. Von ihren Anfängen. Bis heute. Der Bau von Räumen wurde den Jüngern nicht aufgetragen. Aber die Sendung in die Welt. Und wenn wir Kirchen bauen, dann gerade nicht, um uns diesem Auftrag, dieser Sendung zu entziehen. Sondern um diesem Auftrag besser gerecht zu werden.

Und so haben die Menschen Kirchen gebaut. Um Kirche zu bauen. Von den kleinen, verborgenen Hauskirchen der ersten Jahrhunderte. Bis zu den byzantinischen Hallenkirchen. Bis zu den großen romanischen Münstern. Bis zu den gotischen Kathedralen. Bis zu den vielen Dorfkirchen auch hier in der Umgebung. Bis zur Malscher Johanneskirche im Jahre 1963.

Vor wenigen Tagen war ich noch auf der Reichenau. Gleich drei Kirche - alle über 1000 Jahre alt - zeugen dort von der Kraft dieser Sendung in die Welt. Aber auch dort wurde nicht nur erhalten, sondern auch abgebrochen. Die großen Klöster dort – es gibt sie nicht mehr. Nur noch Gebäudeteile sind erhalten. Aber der Glaube an diesen Gott ist nicht von der Insel gewichen. Und schon gar nicht aus der Welt. Bis heute.

Die Sendung der Jünger durch den Auferstandenen – sie nimmt immer wieder neue Formen an. Sie bewegt sich immer wieder auf neuen Pfaden. Abbauen und Aufbauen – beides ist immer nur zusammen zu haben. Es bleibt nie nur bei dem einen.

Und so haben die Altvorderen auch hier Kirche gebaut, noch ehe es die Johanneskirche gab. Gastweise in der katholischen Kirche. Welch ein Geschenk! Trennung und neue Zusammengehörigkeit – es bleibt auch hier nie nur bei dem einen. Und wenn wir als evangelische Kirche in zwei Jahren der 500. Wiederkehr des Anfangs der Reformation gedenken, dann tun wir dies als Auftrag zur Gestaltung der bleibenden Verbundenheit im Glauben. Und der Verpflichtung zu immer mehr bleibender Gemeinschaft als eine Kirche Jesu Christi.

Auf Namen bin ich bei meiner Spurensuche gestoßen. Namen von Menschen, die hier in der Region Kirche gestaltet haben: Pfarrer Eng und Pfarrer Berggötz, Pfarrer Bernau und Pfarrer Diener, Pfarrerin Ruth Reuter-Horstmann, später als Prälatin Horstmann-Speer meine Vorgängerin. Und dann immer wieder der Name von Pfarrer Hans-Georg Schmitz. Und jetzt doch auch schon wieder eine ganze Weile Pfarrerin Sandra Alisch. Und immer wieder neu die Namen von Frauen und Männern, die als ehrenamtlich Mitarbeitende, als Kirchengemeinderäte und Kirchengemeinderätinnen hier Kirche gebaut haben.

Und vor mehr als 50 Jahren haben einige dann wirklich auch Kirche gebaut. Haben als Kirchengebäude diese Johanneskirche errichtet. Für 68.000 DM. Und mit Unterstützung der Gemeinde, der ökumenischen Geschwister im Glauben und des Gustav-Adolf-Werkes. Sammlung und Versammlung, Gemeindeaufbau nur mit Gottvertrauen und Kirchenbau mit finanzieller Vorsorge – auch das gehört zusammen. Und mit sichtbarem Erfolg bis heute.

Dürfen sie diese Johanneskirche abbauen, die die Väter und Mütter ihrer Gemeinde erkämpft und sich am Mund abgespart haben? Manche werden sich das gefragt haben. Meist eher leise. Manche mit der unausgesprochenen Sorge, ob da Gottes Segen drauf liegen kann.

Ja, das darf man ruhig fragen. Und diese Frage kann man auch guten Gewissens beantworten. Ja, das darf man. Man darf auch eine Kirche abreißen. Wenn es gute Gründe dafür gibt wie hier bei ihnen. Wenn es verantwortlich geschieht. Und in Respekt vor dem, was mit diesem Kirchengebäude verbunden war. Und in der Erinnerung verbunden bleibt.

Was sie sich vorgenommen haben - das dürfen sie! Hier in Malsch. In dieser Paulusgemeinde. Mit Rauenberg, Rotenberg, Malschenberg, Rettigheim und was da an Orten noch alles dazu gehört. Abreißen und neu Aufbauen – das ist Kirche! Aufbrechen und sich neu auf den Weg machen – anders ist es nie gewesen, seit sich Menschen mit Gott unterwegs sind. Altes Loslassen und Neues Ausprobieren – genau darum geht es, wenn wir in wenigen Worten beschreiben sollen, was Kirche ausmacht. Beides gehört zusammen. Es bleibt nie bei dem einen!

Und darum können sie heute auch Abschied nehmen. Ruhig mit Gefühlen der Wehmut und der Trauer. Ruhig auch mit einigen Tränen. Aber ganz sicher auch mit großem Gottvertrauen. Wenn viele Christinnen und Christen weltweit nicht mehr Sorgen hätten als sie hier auf dem Weg vom alten zum neuen Gotteshaus – wir könnten alle ruhiger schlagen und gelassener in die Zukunft gehen.

„Da wurden sie alle froh, als sie den Herrn sahen!“ Diese Zusage bleibt. In dieser Johanneskirche hat sie gegolten. Und sie wird auch im neuen Kirchenzentrum gelten. Wenn die Fenster und Türen offen bleiben. Und Freud und Leid der Menschen dort seinen Platz hat. Im Gespräch. Im Zuhören und Trösten. In der Fürbitte. Und im Gottvertrauen.

Bei dem einen, das nur uns im Blick hat, kann’s nicht bleiben. Das andere, das den Blick aus den Kirchenmauern heraus über den Horizont hinaus richtet, gehört dazu. Beides steht der Kirche immer vor Augen. Beides weiß ich auch bei ihnen gut aufgehoben.

Der Weg dieser Johanneskirche geht zu Ende. Die Sendung in die Welt, an der sie Anteil haben, geht weiter. Und darum wiegt die Freude am Ende – hoffentlich! - schwerer als alle verständliche Trauer. Wenn nur der Auftrag keinen Schaden nimmt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“

Nach dem Abbruch bleibt Aufbruch angesagt. In der alten wie in der neuen Kirche. Aus der Johanneskirche hinüber in das neue Kirchenzentrum. Aus der Sicherheit der eigenen Paulus-Gemeinde mitten hinein in die Welt.

Abbrechen und sich immer wieder neu auf den Weg machen – das ist Kirche! Amen.



Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.