PREDIGT
ÜBER OFFENBARUNG 21,1-7
AUS ANLASS DES 50-JÄHRIGEN JUBILÄUMS
DES GLOCKENGUSSES DER LUTHERKIRCHE IN HD-BERGHEIM
AM SONNTAG, DEN 20. NOVEMBER 2016
- LETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES -

20.11.2016
Liebe Gemeinde!
Wie gut, dass man den Himmel hören kann. In Worten der Liebe lässt er sich hören, die Menschen einander ins Ohr flüstern. In Musik lässt er sich hören, die zu Herzen geht und in uns etwas zum Klingen bringt. In der Harmonie des Singens. Im brausenden Jubel der Orgelpfeifen. Den Himmel kann man hören oder seine Nähe erahnen auch im intensiven Schweigen. Dann, wenn schwindende Kräfte einen Menschen keine Worte mehr finden lassen. Wenn wir uns heute der Menschen erinnern, die im zu Ende gehenden Kirchenjahr verstorben sind, werden sich manche an solche Situationen erinnern.

Den Himmel hören, das kann ich auch, wenn das Geläut von Glocken in meine Ohren dringt. Ich liebe den Klang von Glocken. Glocken, das ist Diakonie, die man hören kann! An meine letzten beiden Wohnorte bin ich gezogen, als es in den Kirchen dort noch keine Glocken erklungen sind. Als ich gegangen bin, gab es dort beide Male ein Geläut. Und ich habe kräftig daran mitgearbeitet. Weil ich weiß: Es ist gut, wenn man den Himmel hören kann.

Sei dem 1. Advent 1966 erklingen die Glocken ihrer Lutherkirche hier in Bergheim. Sie waren schon gegossen, ehe der Bau der Kirche fertiggestellt war. Fünf ordentlich gewichtige Glocken. Gegossen hier vor Ort in der Gießerei Schilling. Ich weiß nicht, wer von ihnen schon einmal bei einem Glockenguss dabei gewesen ist. Dass eine alt-ehrwürdige Handwerkstradition in die Postmoderne hineinragt – intensiver als bei einem Glockenguss kann man diese Erfahrung nicht machen. Die Kunst, den Himmel hörbar zu machen, ist eben eine uralte Kunst.

Und so möchte auch ich ihnen in diesem Jubiläumsjahr ihrer Kirche von Herzen gratulieren. Und zugleich ihren fünf Glocken meine Referenz erweisen. Der Predigttext für diesen letzten Sonntag im Kirchenjahr soll dabei helfen, diese Botschaft des hörbaren Himmels zum Klingen zu bringen. Um dieser Botschaft willen wurde dieser Kirche erbaut. Um dieser Botschaft willen wurden ihre Glocken gegossen.

Ihre Glocken sind besondere Kostbarkeiten. Das Besondere an Glocken, das ist zum einen ihr Klang. Jede Glocke hat eine ganz besondere Art, von sich Hören zu machen. Schon der erste Prüfbericht über ihre Glocken spricht von einem „tadellos gelungenen Geläut“. Das Besondere an Glocken das ist auch ihr Name. Hosanna heißen sie oder Frieden. Heimat oder Christus. Hoffnung oder auch wie in meiner früheren Gemeinde Mutmach-Glöcklein.

Ihre Glocken heißen anders. Sie tragen Sätze als Namen. Sätze aus einer Predigt ihres Namenspatrons Martin Luther. Es ist die Predigt, die er am Montag nach dem Sonntag Invocavit gehalten hat. Im Jahre 1522 war das. Die Welt war nicht nur in Wittenberg aus den Fugen. Der Übereifer der reformatorischen Heißsporne droht das ganze Projekt Erneuerung der Kirche zu gefährden. Da verlässt Luther seinen sicheren Ort auf der Wartburg. Und predigt in Wittenberg eine Woche lang. Jeden Tag eine neue Predigt.

Aus der zweiten von acht Predigten stammt der Satz, der den Glocken ihren Namen gegeben hat. Luther spricht davon, wie er den Glauben weitergeben – ich könnte auch sagen, wie er den Himmel hörbar machen will.

„Summa sumarum“, sagt Luther in dieser Predigt. „Predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s. Aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand. Der Glaube will willig und ungenötigt (angenommen) sein.

Und schon haben sie die Namen ihrer Glocken. In einem Satz. Und jeder dieser Glocken will ich jetzt ein wenig zu Wort und zu Ton kommen lassen. In dabei immer auch ein Stück des wunderschönen Predigttextes aus der Offenbarung ganz am Ende der Bibel zur jeweiligen Glocke in Beziehung setzen.

„Predigen will ich’s!“ Das ist der Name der ersten Glocke. Sie ist die Taufglocke. Also „Predigen will ich’s!“

- Glocke erklingt -

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

Die Taufglocke lässt uns den Himmel der Neuwerdung hören. Wer abgetaucht ist und wieder aufgetaucht aus dem Wasser, ist ein neuer Mensch. Aber nicht nur ein Mensch kann neu werden. Neu werden kann auch der Himmel. „Ich sah einen neuen Himmel!“ Leben nicht einfach nur in etwas besseren Verhältnissen. Nein, auch Gott fängt neu an. Lässt neue Träume in uns aufsteigen. Träume von einer Welt in Frieden und Gerechtigkeit. Träume auch von einer neuen Erde, in der der Mensch nicht mehr des Menschen Wolf ist. Sondern Schwester und Bruder.

Neu werden können die Orte unseres Wohnens und Lebens. Das neue Jerusalem ist das Sinnbild der neuen Welt Gottes. Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Gott wird das neue Jerusalem nicht betreten, er habe denn zuvor das irdische betreten.“ Nirgendwo ist Gottes Gegenwart heute womöglich mehr nötig als in Jerusalem und der Welt, die diese Stadt umgibt. Nirgendwo ist Gott nötiger als im Mittleren Osten. Damit die Welt auch dort neu werden kann. Und vor allem friedlicher.

Neu werden können wir im Zeichen der Taufe. Neue Menschen, die den Himmel im Herzen tragen. Und die dem Himmel einen Ort geben wollen hier auf Erden. „Predigen will ich’s!“


Und sagen will ich’s!“ Das ist der Name der zweiten Glocke. Der Trauglocke. „Sagen will ich’s!“

- Glocke erklingt -

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

„Die Hütte Gottes bei den Menschen!“ Die Trauglocke lässt uns den Himmel der Gottesnähe hören. Das Wagnis, das zwei Menschen miteinander eingehen – es will dem Himmel einen Ort geben. Eine Keimzelle der Liebe. Ein Unterschlupf der Gottesgegenwart.

Viel weiter geht diese Botschaft als dass sie sich nur in einer Ehe verwirklicht. Der Himmel auf Erden – er ist allen Menschen verheißen. Viel weiter geht diese Botschaft als dass sie nur den Liebenden gilt. Es geht um weit mehr. Gott stellt unsere Welt auf den Kopf. Keine Tränen mehr und kein Schmerz. Keine Klage über den Tod. Stattdessen: Der Tod wird nicht mehr sein!

Viele, die hier sind, hätten sich diese Welt gewünscht. Als sie Abschied nehmen mussten von einem lieben Menschen. Aber der Tod ihrer Lieben, ja eigentlich unser aller Tod, er straft diese Zusage nicht Lügen. Auch für die Toten wird der Tod nicht mehr sein. Am Ende ist Leben. Am Ende ist Gottesnähe. Für alle. Und für immer. „Sagen will ich’s!“

Und schreiben will ich’s!“ Das ist der Name der dritten Glocke. Der Vaterunser-Glocke „Schreiben will ich’s!“

- Glocke erklingt –

Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!

„Schreibe!“ Das sagt der auf dem Thron. „Schreibe!“ „Schreiben will ich’s!“ Diese Glocke lässt uns den Himmel der Wahrheit hören.

Um die Wahrheit ist es nicht so gut bestellt. Was zählt, das sind die Interessen. Was zählt, das sind Macht und Einfluss. Was zählt, ist das eigene ich.

Wenn ich bete, gebe ich ab. Da gebe ich aus der Hand, was ich nicht ändern kann. Was mich überfordert. Beten heißt aus dem Vertrauensvorschuss Gottes leben. Das Vaterunser leiht uns Worte, wenn wir selber keine rechten Worte finden. Das Vaterunser verbindet uns aber auch mit den Unzähligen, die vor uns gebetet und geglaubt haben.

Wer betet, setzt auf Worte, die wahr sind und gewiss. Und die meine Möglichkeiten übersteigen. Gut, dass Menschen erst gemacht haben mit dem „Schreibe!“ Wir würden das Vaterunser sonst womöglich nicht kennen. „Dein Reich komme!“ – wie würden wir leben ohne diese Bitte. „Unser täglich Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld!“ Die Bitte um Brot, die Bitte um genügend Auskommen – für Millionen von Menschen ist das eine Überlebensbedingung. Und die Voraussetzung, um auch um Vergebung zu bitten.

„Schreiben will ich’s!“

Aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand .“ Das ist der Name der vierten Glocke. Der Abendmahlsglocke. Einladen will ich. Aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand!“

- Glocke erklingt -

Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

Abendmahl feiern heißt einer Einladung folgen. Der Einladung zum Leben in Fülle. Die Abendmahlsglocke lässt uns den Himmel der Gemeinschaft hören. Alle sind eingeladen. Nicht nur die mit der rechten Gesinnung. Nicht nur die mit der rechten Hautfarbe. Nicht nur die, die sich den Himmel leisten können.

Am Tisch des Herrn wird nicht abkassiert. Da fließt das Wasser aus de Quelle des Lebens umsonst. Am Tisch des Herrn wird alles neu. Brot und Wein statt kärglicher Krumen. Bruder und Schwester statt Konkurrentin und Feind. A und O, Anfang und Ende in einem anstatt ein X für ein U – und die Wahrheit bliebe auf der Strecke. „Es ist geschehen!“, sagt die Stimme. Es hat sich längst ereignet, was der Welt ein neues Gesicht gibt.

Das Ende der Zeit hat längst begonnen. Doch nicht in apokalyptischer Drohgebärde. Nein, in der Zusage der neuen Gemeinschaft am Tisch des Herrn. Und an den Tischen, um die wir uns versammeln mit Menschen, denen wir verbunden sind. An diesem Tisch geht niemand verloren. An diesem Tisch gibt es kein oben und unten. Leben und Fülle findet sich an diesem Tisch. Einladen will ich – ja! Aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand!“

Der Glaube will willig und ungenötigt sein. Das ist der Name der fünfte Glocke. Der Ewigkeitsglocke. Der Glocke – gegossen gerade auch für diesen Ewigkeitssonntag. Der Tod ist nicht die große Drohgebärde Gottes. Kein Mittel, den Glauben herbeizuzwingen. Um sich vor dem Tod in Sicherheit zu bringen. Nein! Der Glaube will willig und ungenötigt sein.

- Glocke erklingt –
-
Die überwinden, die werden alles ererben, und ich werde ihr Gott sein und sie werden mir Sohn und Tochter sein.

„Der Glaube will willig und ungenötigt sein!“ Zum Glauben kann ich niemanden zwingen. Wie ich zur Liebe niemand zwingen kann. Was ewig ist, kommt aus einer anderen Welt zu uns. Daher lässt uns diese Glocke den Himmel der Ewigkeit hören.

Ein unveränderliches Kennzeichen der Gegenwart ist die Schnelllebigkeit. Und das baldige Verfallsdatum. „Nichts ist für die Ewigkeit gemacht“, sagen wir. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die Wirklichkeit Gottes ist gewesen, ehe ich war. Und sie wird noch sein, wenn ich nicht mehr bin. Besser noch: Wenn ich mit meiner Endlichkeit eingetaucht bin in die Ewigkeit Gottes.

An Gott glauben heißt für mich: Damit rechnen, dass mir Gottes Himmel blüht. Mir. Und den vielen, die vor mir gegangen sind. Und nach mir noch gehen. Nicht umsonst begleiten Glocken unseren letzten irdischen Weg. Der Himmel klingt herüber. Und wölbt sich wie ein schützendes und tröstendes Dach über uns. Und über diese Erde. Als Christenmensch kann ich mir bestenfalls meines Sterbens sicher sein. Meines Todes gewiss nicht. Zumindest nicht meines ewigen Todes.

Söhne und Töchter Gottes zu sein – für immer. Das ist uns zugesagt. Wie gut, dass ich den Himmel hören und mein Leben einstweilen fröhlich genießen kann. Ehe ich mit eigen Augen und von Angesicht zu Angesicht sehe, was schon heute der Grund meiner Hoffnung ist: Gott, der von sich sagt: „Siehe, ich mache alles neu!“ Und der uns mit den Glocken schon heute den Himmel hören lässt. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.