PREDIGT ÜBER PHILIPPER 2,5-11
IM GOTTESDIENST AM SONNTAG, DEN 20. MÄRZ 2016
IN AGLASTERHAUSEN

20.03.2016
Liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen in ihrer Kirche hier in Aglasterhausen! Aber Kirche – was ist das überhaupt?

Zunächst – ganz richtig – ein Gebäude. Es kann so aussehen, wie ihre Kirche. Klassisch, mit einem Kirchenschiff und einem Kirchturm. Es kann aber auch ein Gemeindezentrum sein, so ähnlich aussehend wie ein Vereinsheim. Manche neuen Gemeinden, meist aus dem Bereich der Freikirchen, treffen sich auch am Rande der Großstädte, in angemieteten Hallen. Und oft nicht den kleinsten! Auch das ist Kirche. Es gibt keine feststehende Norm wie Kirche auszusehen hat.

Aber Kirche ist mehr als ein Gebäude. Kirche ist auch eine Großorganisation. Wie unsere Landeskirche mir ihren 1,2 Millionen Mitgliedern. Mit Kirchenbezirken und Kirchengemeinden. Mit einem Oberkirchenrat, Synoden und einer großen Verwaltung. Mit Ältestenkreisen und Kirchen- und Posaunenchören. Mit Kindergärten und Diakoniestationen – ja, das alles ist auch Kirche!

Kirche, das ist auch und vor allem die Gemeinschaft der Heiligen, wie wir es im Glaubensbekenntnis bekennen. Die Verbindung all der Menschen, die irgendwie mit Gott rechnen. An Gott glauben, wie wir sagen. Weltweit. Über die Grenzen der Konfessionen hinweg. Ja, das ist auch Kirche.

Kirche ist, wenn sich Menschen zu einer großen Veranstaltung treffen, wie vor drei Wochen zum Tag der Engagierten in Sinsheim, wo sich mehr als 400 Menschen getroffen haben. Oder nächste Jahr beim Kirchentag, wenn es mehr als 100.00 sein werden. Aber auch in ganz überschaubarer Zahl in einem Hauskreis. Schon wo zwei oder drei beisammen sind in meine Namen - das hat Jesus gesagt – da ist Kirche. Oder da wird Kirche. Für diesen Moment. Aber reale, wirkliche Kirche.

Kirche war schon, bevor es Kirche gegeben hat, damals auf den Straßen von Jerusalem, als die Menschen Jesus zujubeln, weil sei gespürt haben: In diesem Jesus kommt ihnen der Himmel näher. Mitten im Laubhüttenfest, zu dem sich der Jude Jesus auf den Weg macht nach Jerusalem, und die Menschen ihm zujubeln: Hoschianah! Errette doch!“ Schon damals, am allerersten Palmsonntag, war Kirche.

Kirche aus Stein gebaut – oder Kirche auf Glauben gegründet. Kirche mit vielen Menschen oder in kleinsten Gruppen. Die Kirche, die wir vor Augen haben und zu der wir gehören. Und die Kirche der Menschen, die aus der Sicht Gottes recht leben – die Kirche einst und jetzt. Die sichtbare und die unsichtbare Kirche. All das ist Kirche.

Nicht im Widerspruch zueinander. Nicht im guten oder im schlechten Sinn. Nicht nur als wahre oder als unwahre Kirche. Sondern als Kirche, die der Weite Gottes entspricht. Als Kirche in gebrochener oder triumphierender Gestalt. Aber eben immer Kirche.

Überall kann Kirche sein. Auch da, wo wir sie gar nicht vermuten. Weil nie wir es sind, die Kirche gründen oder machen. Weil Kirche immer schon gewesen ist, ehe wir waren. Weil es bei Gott liegt, in einer Kathedrale wie in einer Kapelle, in einem Wohnzimmer wie in einem Zelt, in einem Stall wie in einer Flüchtlingsunterkunft Kirche aufleuchten zu lassen.

Was also ist Kirche? Es gibt noch einen weiteren Weg, diese Frage zu beantworten. Der heutige Predigttext bahnt uns diesen Weg. Ein Text aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi. In seiner Grundform aber wohl gar nicht von Paulus, sondern aus der Liturgie seiner Zeit stammend und von Paulus übernommen. Überarbeitet. Und ergänzt

Die meisten von ihnen kennen dieses Lied. Aber ganz so einfach will ich es ihnen nicht machen. Ich lese den Text zunächst also nicht in der Übersetzung und in der Sprache Martin Luthers, sondern in einer eigenen Übersetzung. Und weil es sich um ein Lied der Urchristenheit handelt, habe ich den Text gleich auch noch in Reime gegossen. Da heißt es also:

Fragt ihr euch, was denn Kirche sei
Und wie ihr recht könnt leben?
Wo Christi Geist bei euch dabei,
da wird’s Gemeinschaft geben!

Als Gott ward Christus einst geboren.
Nicht wie die Götter all.
Der Gottheit Macht gab er verloren.
Zur Erde ging sein Fall.

Nur Mensch, nichts andres wollt er sein,
ihnen ganz gleich gemacht.
Starb dann den Tod am End allein,
von Herrschers Knecht verlacht.

So kam es, dass der Tod sein Lohn,
am Kreuz, nach Roms Gebot.
Wer ahnt die Auferstehung schon,
und hofft auf’s End der Not?!

Sein Christus-Nam’n will retten dich,
der über alle Namen.
Und beugen sollten alle sich,
die zu dem Christus kamen.

Im Himmel oder irdisch ganz
Erschallt, was sie bekannten:
Er ist der Herr, voll Himmelsglanz,
er, den sie Christus nannten!


Auch das ist also eine Antwort auf die Frage nach der Kirche! Eine schöne Antwort. Eine poetische Antwort. Kirche ist da, wo der Geist Christi unser Denken und Handeln bestimmt. Kirche ist da, wo es nicht nur auf die rechte Einstellung ankommt, sondern auch auf das rechte Handeln.

Es geht nicht darum, die Rechtfertigung allein aus Glauben auszuhebeln. Es geht darum, dass der echte Glaube auch zu einem rechten, oder zumindest zu einem besseren, Tun verhilft.

Dass das geht, das liegt an diesem Christus. Genauer gesagt: Das liegt am Vorbild dieses Christus. Am Vorbild seiner eigenen engen Beziehung zu Gott. Am Vorbild seines Verhaltens.

Wenn dieser Christus sich den Schwächsten zuwendet. Wenn dieser Christus die Armen selig preist. Wenn dieser Christus sich barmherzig verhält gegenüber denen, die gegen die geltenden Regeln verstoßen – dann bricht Gottes neue Welt in unsere alte ein. Dann haben wir eigentlich keine Wahl als es diesem Christus gleich zu tun. Und die Barmherzigkeit und die Menschenfreundlichkeit und die Zuwendung weiterzugeben, von der wir selber leben.

Und jetzt möchte ich dieses Lied des Paulus aus dem Philipperbrief doch noch in der Luther-Übersetzung vorlesen. Zunächst nur den ersten Vers. Da heißt es:

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

Darauf also kommt es dem Paulus an. Diesen Christus zu begreifen. Es ihm gleichzutun. Christus kapieren. Nicht Christus kopieren. Es ist seine unnachahmliche Haltung gegenüber seinen Mitmenschen, mit der Christus uns herausfordert. Es geht nicht um irgend eine abhakbare Liste des rechten Verhaltens. Nein, es geht um die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Leben. Vor allem gegenüber all dem, was mich beschwert und was mich einengt.

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

Im Sinne meiner Frage nach dem, was Kirche ist, wäre also die rechte Antwort: Kirche ist da, wo Geist und Gesinnung dieses Jesus aus Nazareth unser Zusammensein prägen. Was dieser Christus konkret gemacht hat, wollen sie wissen? Dazu lese ich ihnen jetzt weiter aus Predigttext vor. Wieder in der Sprache und Übersetzung Martin Luthers:

Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub,
Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen
aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden
und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.


Haben sie den Text jetzt erkannt? Es ist der berühmte Philipper-Hymnus. Ein Lied, das auf eigene Weise eine Antwort versucht auf die Frage: Was ist Kirche? Und dessen Antwort ganz einfach lautet: Kirche ist da, wo Menschen sich am Vorbild dieses Jesus orientieren!

Ein anderes Verhalten ist möglich, meint Paulus, indem er dieses Lied zitiert. Möglich im Raum der Kirche. Es ist möglich, weil einer es uns vorgelebt hat. Leben, auch unser Leben als Christin oder als Christ - es ist auf Vorbilder angewiesen. Und weil wir selber ein Vorbild haben, können wir auch anderen ein Vorbild sein. Weil wir selber erleben, was es heißt, Kirche zu sein, deshalb können wir diesen Raum der Kirche offen halten. Und auch andere ihr Wohnrecht in der Kirche zubilligen. Nicht nur denen, die uns nahe stehen.

Vorbilder können, ja sollen wir auch heute sein. Wir alle sind auf Vorbilder dringend angewiesen. Was aber sind die Kennzeichen, die Themen, mit denen wir – als Kirche weltweit oder als Gemeinde vor Ort - anderen Vorbild sein können?

Die Einmütigkeit allein kann es heute nicht sein. Dazu ist die Welt viel zu plural und zu bunt. Aber womöglich der Weg, wie wir zu Entscheidungen finden und Spannungen aushalten – über die Grenzen unterschiedlicher Ansichten hinweg.

Die bessere Gemeindestruktur allein kann es wohl nicht sein. Aber womöglich die Rücksicht auf die Schwachen – auch da, wo wir gänzlich anderer Meinung sind.

Die Idee einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft allein kann es nicht sein. Das versuchen andere auch. Aber wenn Paulus nach Galatien schreibt: Hier ist nicht Jude oder Grieche, hier ist nicht Sklave oder freier Bürger, hier ist nicht Mann oder Frau, dann hat er ein Programm aufgestellt, an dem wir uns heute noch abarbeiten. Und dessen Ursprung für uns in der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen liegt.

Und Vorbild zu sein für andere – da könnte den Gemeinden noch manches andere einfallen: Dass Gewalt keine Lösung ist. Dass wir nur eine Welt haben, die wir sorgsam pflegen müssen. Dass Reichtum zum Abgeben und Teilen verpflichtet. Dass wir Flüchtenden Schutz und Sicherheit gewähren müssen. Und ihnen die Wege nicht verbauen dürfen.

Es wäre schon spannend, wir könnten jetzt in ein Gespräch eintreten. Beim Kirchen-Cafè ist nachher ja vielleicht noch Gelegenheit. Wir könnten gemeinsam der Frage nachgehen, was Kirche denn heute ausmacht. Und wenn wir noch so vieles auflisten – ein Doppeltes bliebe aus meiner Sicht dabei bemerkenswert. Zum einen: Kirche existiert längst. Schon heute. In vielfacher Gestalt. Und in den meisten Fällen offen und einladend.

Aber es gibt noch ein zweites: So manches, was wir uns als Kirche gerne an die Fahnen heften, finden wir auch bei anderen. In der unsichtbaren Kirche- Wir haben die Menschenfreundlichkeit nicht für uns gepachtet. Freuen soll’s uns. Und uns daran erinnern, dass wir den Auftrag haben, Salz der Erde zu sein. Wenn das Salz seine Wirkung richtig entfaltet, kann man es zwar im Essen schmecken. Aber zu sehen oder gar wieder herauszulösen ist das Salz nicht mehr.

So kann’s auch mit dem gehen, was Kirche und christlicher Glaube in der Welt ins Leben gezogen haben. Und immer wieder neu ziehen. Es ist spürbar und da. Aber wir können es nicht alleine auf unserer Habenseite verbuchen. Ich finde das nicht schlimm.

So lebt und wächst Kirche. Mitten in der Welt. Seit 2000 Jahren. Oder im Verborgenen noch länger. Sie lebt, indem sie ernst nimmt, was Paulus einst nach Philippi geschrieben hat:

Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

So ist, so funktioniert Kirche.

Dankbar bin ich, dass es die Kirche gibt. Hier Aglasterhausen. Im Kraichgau. In Baden. Und weltweit. In vielen Formen und Denominationen. Nicht nur evangelisch und katholisch. Orthodox und charismatisch. Die Weite Gottes übersteigt unser Vorstellungsvermögen.

Dankbar bin ich dafür, dass wir alle Kirche sind. In bunten Farben und in großer Vielfalt und Weite. Und nichts wünsche ich der Kirche mehr, als dass es ihr gelingt, offen zu bleiben. Dass Menschen sie als Ort erleben, an dem sie immer wieder neu miteinander anfangen können. Dass Menschen sich immer neu Vorbilder finden. Und vor allen anderen das Vorbild dieses Jesus aus Nazareth.

Dankbar bin ich, wenn Kirche immer wieder den Mut findet, neue Wege zu gehen. Weil wir das Beispiel Christi vor Augen haben.

Darüber können wir uns zu Recht freuen. Das dürfen wir immer wieder auch feiern. Und uns zum Mahl der Freude an Gottes Tisch einladen lassen. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.