PREDIGT
GOTTESDIENST IM DIAKONISSENHAUS
AM SONNTAG, DEN 29. OKTOBER 2017 (20. S.N.TR.)
IN DER KAPELLE DES MUTTERHAUSES IN FREIBURG

29.10.2017
Der erste Teil der Predigt, der sich mit der Kleinen Kirche der Ehe beschäftigt, wird als persönliche Trauansprache hier nicht veröffentlich, aber nach Nachfrage gerne zur Verfügung gestellt.

Liebe Gemeinde!

Jetzt auch noch herzlich willkommen in der großen Kirche! Herzlich willkommen in der Kirche, zu der wir uns vorhin gemeinsam im Glaubensbekenntnis bekannt haben. In der großen, weltweiten Kirche Jesus Christi – über alle Zeiten und alle Grenzen der Kontinente und Konfessionen hinweg.

Nach der Kleinen Kirche soll jetzt auch die große Kirche noch zu ihrem Recht kommen. In dieser großen Kirche, das wissen sie alle, wird derzeit gefeiert. Gefeiert wird die große Bewegung der Erneuerung, die vor 500 Jahren sichtbar wurde. Gefeiert wird die Reformation.

Natürlich steht dieses Feiern im Zusammenhang mit dem Thesenanschlag Martin Luthers. Aber Reformation meint noch viel mehr. Reformation bedeutet, dass die Kirche in 2000 Jahren nie an einem Punkt war, an dem sie sich hätte zurücklehnen können, weil sie keiner Veränderung mehr bedurft hätte. Erneuerung, Reform, und Reformation – sie haben die große Kirche von Anfang an begleitet. Bis heute.

Und wenn ich für die große Kirche auch ein Bild suche, so wie vorhin für die Kleine, dann wäre es das Bild eines Hauses der unaufhörlichen Reformation. Vier verschiedene Flügel hat dieses Haus. Und es wird sie nicht wundern, dass sie die Namen dieser Flügel längst schon kennen.

Allein aus Glauben – so heißt der erste Flügel. Und in der Lesung vorhin wurde gleich im ersten Satz der Glaube der Epheser gewürdigt: „Nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus“. Glauben heißt Vertrauen. Glauben heißt, darauf hoffen, dass das, was war, noch nicht alles ist. Glauben heißt von der Aussicht leben, dass wir noch Großes im Leben vor uns haben. Gerade dann, wenn wir gar nicht mehr damit rechen.

Der zweite Flügel trägt den Namen Allein aus Gnade. Das lateinische Wort für Gnade, nämlich gratia, ist verwandt mit dem deutschen Wort gratis. Wo es um Gnade gehrt, da geht es darum, dass uns das Wesentliche im Leben zufällt – unverdient. Und ohne, dass wir ein Recht darauf hätten.

Der dritte Flügel heißt Allein die Schrift. Unser Leben braucht Quellen. Quellen, aus denen wir das schöpfen, was unseren Durst nach Leben stillt. Solche Worte hat Gott für uns. Worte, die unserem Leben Sinn und Richtung geben. Worte, uns unverhofft zugesprochen, die uns neu sehen lassen, was wir vorher gar nicht wahrgenommen haben.

Alle drei Räume sind auf den vierten Flügel ausgerichtet. Dieser Flügel trägt den Namen Allein Christus. Christus ist der Präzedenzfall eines Lebens voller Vertrauen auf Gott. Präzedenz heißt vorausgehend. In Christus ist vorweggenommen, was uns am Ende allen zugesprochen ist. Trotz aller Kargheit ein Leben in Fülle. Trotz aller Bedrängnis ein Leben in Hoffnung. Trotz aller Lieblosigkeit ein Leben in Liebe. Trotz aller Verletzlichkeit ein Leben in Ganzheit. Trotz der Bedrohung des Todes Leben für immer. Bei Gott.

Noch einmal will ich die Lesung aus dem Epheserbrief in Erinnerung rufen. Dort haben wir gehört: Gott hat „Christus von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft. (...) Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde.“

Innerhalb dieser vier Flügel gibt noch eine ganze Reihe anderer Räume in diesem Haus. Sie tragen die Namen Auferweckung und Hoffnung, Dank und Liebe, Gemeinde und Kirche, Reich Gottes und Kraft, Machtverzicht und Dienst. Und immer kommen neue Namen dazu. Weil an dieser Kirche immer weiter gebaut wird. Diese Kirche ist nie fertig. Sie ist eine Kirche, die bleibend der Reformation bedarf. Und auf die wir trotz aller Reformbedürftigkeit bleibend angewiesen sind.

Der Theologe Fulbert Steffensky hat die Notwendigkeit dieses Hauses der großen Kirche einmal in die Worte gefasst: „Ich möchte, dass wir schätzen lernen, was wir an dieser zersausten und im Augenblick von allen Füchsen gerupften Kirche haben. Die Kirche als Ort des öffentlichen Gedächtnisses, die Kirche als Ort der alten Visionen, die Kirche als der Ort der verfemten Worte, Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Gnade, Vergebung, Trost, Zorn über Unrecht, Wahrnehmung der Welt aus der Per-spektive der Opfer. Wo gibt es einen Ort in unserer Gesellschaft, an dem diese Begriffe zusammenkommen und wo geübt wird, sie zu denken?“

Dieser Ort – das ist die Kirche. Die Kirche, von der wir vorhin im Glaubensbekenntnis gesprochen haben. Die Kirche als Ort des Glaubens. Aber noch viel mehr. Die Kirche ist auch ein Ort der Liebe. So wie die Kleine Kirche der Ehe, die wir gerade eben gefeiert haben. Und es gibt viele Kleine Kirchen – in ganz unterschiedlicher Weise. Weilmenschen ihre Liebe ganz unterschiedlich leben und ins Leben ziehen.

Die Kirche ist auch ist ein ganz konkreter Ort – aus Holz und Stein. Aus Glas und Beton. Wie abertausendfach in der Welt. Überall da, wo Menschen geschwisterlich miteinander umgehen. Überall da, wo Menschen miteinander nach Gott fragen. Und Gottes Gegenwart feiern. Unter einem geschützten Dach. Oder unter freiem Himmel.

Aber nicht erst seit 500 Jahren tun sie das. Vor 500 Jahren war nur ein wichtiger Schritt auf diesem Weg der unaufhörlichen Reformationen. Aber viele waren schon viel früher auf diesem Weg unterwegs. Sie waren unterwegs, als Abraham und Sarah miteinander Wege des Glaubens gegangen sind. Sie waren unterwegs, als Mose seinem Volk in der Sklaverei in Ägypten die Rettung durch den Gott der Liebe angekündigt hat. Sie waren unterwegs, als Jona im Bauche des großen Fisches der Kraft der Hoffnung vertraut hat. Sie waren unterwegs bei den Katharern und den Hussiten. Sie waren unterwegs auch beim Konzil in Konstanz.

Kleine Kirchen gibt es und große. Von allem Anfang an. Solche, die einem gleich in den Blick fallen. Und solche die eher verborgen bleiben. Solche aus Stein gebaut und solche, die wir nur mit den Augen des Glaubens sehen. Sie alle feiern wir, wenn wir der Reformation gedenken. Und wie wir glauben, so gedenken wir auch: Durch alle Zeiten hindurch und über alle Grenzen der Kontinente und Kirchen hinweg. Zugleich aber immer voller Dankbarkeit für die, die uns zu glaubwürdigen Zeuginnen und Zeugen des Lebens geworden sind. Und noch werden!

Lasst uns also feiern in diesem Haus der unaufhörlichen Reformation in diesen Tagen. Mit offenen Türen. Mit weitem Herz. Und mit großem Glauben. Was aus den Quellen des Glaubens fließt, reicht aus für alle. Das genügt. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.