„GIB UNS ALLEZEIT SOLCHES BROT!“
PREDIGT ÜBER JOHANNES 6,28-37
IM GOTTESDIENST IN DER STADTKIRCHE IN KARLSRUHE
AM SONNTAG, DEN 30. JULI 2017
(7. SONNTAG NACH TRINITATIS)

30.07.2017
Liebe Gemeinde!

„Die Reformation war auch nur eine populistische Bewegung!“ Diesen Satz habe ich unlängst gehört. Und zur Begründung dann weiter: „Sie springt einfach nur auf auf den antiklerikalen Zug ihrer Zeit. Sie macht sich die Klagen über den Ablass zu nutze. Sie verspricht eine neue Kirche und zersplittert doch nur die alte. Mit ihren Flugblättern verschafft sie sich die Deutungshoheit über die Fragen ihrer Zeit. Und scheut doch auch vor Fake News nicht zurück. Sie verspricht einfache Lösungen. Und präsentiert zugleich den, der’s richten soll. Die Kirche ist auch nicht anders als die Welt.“

Trifft das zu? Müssen wir uns daran erinnern lassen – 500 Jahre nach den Anfängen der Reformation? Und in einem Jahr, in dem wir doch lieber nur feiern wollen?

Zunächst: Wir leben in einer Welt voll von komplexen Fragen. Und zugleich in einer Welt voller Sehnsucht nach einfachen Antworten. Das war damals nicht anders als heute. Die Populisten dieser Tage wissen diese Situation für sich zu nutzen. Sie geben die politisch Verantwortlichen der Lächerlichkeit preis. Sie benennen die aus ihrer Sicht Schuldigen. Sie versprechen, alles anders und alles besser zu machen. Sie sagen „Wir sind das Volk!“ Und meinen nur sich selber.

Es gibt auch eine Art Populismus auf dem Feld der Religion. Nicht erst heute. Davon berichtet der heutige Predigttext. Ich lese aus Johannes 6 die Verse 28 bis 37, habe also den vorgeschlagenen Predigttext um wenige Verse erweitert.

Da fragte das Volk Jesus: Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werke wirken? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Das ist Gottes Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. Alles, was mir der Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.

Liebe Gemeinde! „Was tust du für ein Zeichen? Was wirkst du?“ Die Frage, die an Jesus gestellt wird, legt die Absicht derer offen, die sie stellen. Es ist eine Art Bewerbungsgespräch, von dem hier berichtet wird. Die Menschen, die bei Johannes ganz summarisch „das Volk“ heißen, haben eine Sehnsucht. Eine populistische Sehnsucht. In ihren Gedanken haben sie für sich schon geklärt, wie das gehen könnte mit der Verbesserung der Verhältnisse.

Und keine Frage: Sie haben sich eine fromme Lösung gewählt. Sie bringen Gott ins Spiel. Was sie fragen, was sie wissen wollen, das haben sie geklärt. Ihre Blicke, ja auch ihre Hoffnungen richten sich auf den einen, der so öffentlichkeitswirksam von sich Reden macht. „Glaubt an den, den Gott gesandt hat!“ Das war in ihrer Wahrnehmung die Bewerbungsrede Jesu. Keine Frage, dass Jesus hier von sich selber spricht.
Jetzt folgt das Bewerbungsgespräch. Jetzt wird erhoben, was Jesus drauf hat. Jetzt wird geprüft, ob dieser Jesus die Erwartungen erfüllen kann. Die populistischen Erwartungen der einfachen Antworten. „Was tust du? Was kannst du? Wozu bist du in der Lage“? Anders gefragt: „Was haben wir davon, wenn wir unsere Hoffnungen auf dich setzen? Stehst du wirklich mit Gott in Verbindung?“ Ihre Frage hat es in sich. Sie ist so gefährlich, so doppeldeutig wie die Frage der Schlange im Paradies mit ihrem „Sollte Gott gesagt haben ...?“

Die Menschen haben sich diesen Jesus nicht ohne Grund ausgewählt. Längst war an ihr Ohr gedrungen, dass er Tage zuvor fünftausend Menschen zu essen gegeben hat. Auch die hatten ihn schon gleich zu ihrem König machen wollen. Andere wundern sich, wie Jesus nach Kapernaum gekommen ist. Wo sie doch gesehen hatten, dass er gar nicht ins Boot gestiegen war. Auch dies wird in Johannes 6 berichtet, gerade bevor der Predigttext beginnt. Einer, mit dem die komplizierte Welt wieder einfach wird - einer, der die Regeln der Welt und der Natur außer Kraft zu setzen vermag – ein Wundertäter in ihrer Mitte - den Brotkönig - den wollen sie sich nicht entgehen lassen.

Und sie locken ihn mit einer hochtheologischen Frage. „Jeder von uns weiß“, sagen sie, „dass Mose für Brot sorgen konnte. Mose hat unseren Vorfahren in der Wüste die Mägen gefüllt, als sie Hunger hatten. Wir haben gehört, du kannst das auch. Dann bist du der, den wir brauchen.“ Einer, der hungrige Mägen füllen kann, ohne große Programme, ohne politische Veränderungen, der ist attraktiv. „Was wirkst du? Was kannst du?“

Die Sehnsucht nach der einfachen Antwort. Nach dem Hoffnungsträger, der die Massen zufrieden stellt. Der alles wieder ins Lot bringt. Und auch gleich noch die Erwartung des Außergewöhnlichen erfüllt – Doch Jesus entzieht sich der Rolle, die das Volk ihm zuweist. Mehr noch: Jesus nimmt diese Sehnsucht gründlich auseinander, zerlegt das populistische Gieren nach einem Wundermann in göttlichem Auftrag.

„Ihr seid nur hier, um ein Zeichen zu sehen. Ihr seid gekommen, weil ihr auf Außergewöhnliches hofft. Ihr sucht den einen, der’s für euch richten soll. Zeichen genug hat es unter euch gegeben. Aber anders als ihr meint. Nein, nicht Mose hat euren Vorfahren zu essen gegeben. Sondern Gott. Aber die Zeichen bringen euch nicht zum Glauben.

Dabei braucht’s die Zeichen gar nicht. Weil Gott doch längst in eurer Mitte ist. Das Brotwunder macht nicht den groß, der es veranlasst. Sondern den, der es ermöglicht. Dass Gott in eurer Mitte ist – schon längst und für immer – dafür bin ich euch Zeichen. Das wahre Brot, das ihr zum Leben braucht, das bin ich.“

Erstaunliches geschieht. Kein Murren gegen die enttäusche Hoffnung. Kein Aufstand gegen diese Anmaßung: „Das Zeichen Gottes in eurer Mitte, das Brot des Lebens – das bin ich!“ Die Antwort, die Jesus gibt, verwandelt die populistischen Sehnsüchte. Die Sehnsucht der Menschen nach Brot – sie erweist selber als ein Zeichen. Als Zeichen der Erwartung nach erfülltem Leben. Als Beleg der Hoffnung, der Weg durchs Leben, vor allem der oft beschwerliche Weg, möge nicht für immer auch schon das Ziel meines Lebens sein.

Brot, das satt macht für immer: Gib uns solches Brot! Wasser, das den Durst löscht für immer: Gib uns solches Wasser! So hatte auch schon die samaritanische Frau am Brunnen Jesus gebeten.

Da steht noch etwas aus im Leben der Menschen! Brot und Wasser – sie sind unverzichtbar. Ohne Brot und Wasser ist Leben nicht möglich. Ohne Brot und Wasser geht unser Leben zugrunde. Das wäre die einfache Antwort.

Aber mit Brot und Wasser ist das Leben nicht schon am Ziel. Da steht noch etwas aus. Das wäre der andere Teil. Und zugleich auch mehr als das, was Luther in seiner Auslegung des Vatersunsers anführt. Uner täglich Brot: Das ist „alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“

All das ist wichtig. Aber Leben muss ich gründen. Leben verlangt nach Orientierung. Leben baut auf Verlässlichkeiten auf, die nicht nur in mir selber liegen. Die Menschen, die sich an Jesus wenden, wissen das auch. Ihnen steht der Sinn nach der Antwort, die nicht nur durch den Magen geht.

Die Antwort Jesu hat mich überrascht. Harsch, zu harsch wirkt sie auf mich. „Ihr habt das Zeichen. Und glaubt dennoch nicht. Ich will euer Brot sein. Aber ihr seid mit weniger zufrieden.“ In diesen Sätzen höre ich den Evangelisten Johannes reden. Höre sein „Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Jesus höre ich viel mehr aus dem anderen Satz heraus. Einem Satz, der über den vorgeschlagenen Predigttext ebenso hinausgeht wie der vorherige: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“

Keinen Alleinvertretungsanspruch, der hier vertreten wird. Keiner in christlicher Absicht. Mehr noch: Keiner, der sich nur auf Religion beschränkt. Die Frage 142 aus Johann Peter Hebels Katechismus kommt mir in den Sinn. „Wie erweisest du dich gegen diejenigen, welche nicht deine Kirchen- und Glaubensgenossen sind?“ Eine durchaus überraschende Frage aus einem Katechismus, der fast 200 Jahre als ist. Die Antwort Hebels, etwas verkürzt:

• Ich richte nicht, ich verdamme nicht.
• Ich hasse und verfolge nicht.
• Ich spotte nicht über das, was andern heilig ist.

Es ist mitnichten so, dass Menschen ihr Leben nicht gründen wollen. Es ist nicht so, dass ihnen nichts heilig ist. Denen nicht, von denen im Predigttext berichtet wird. Denen nicht, vor die Hebel sich schützende stellt. Aber auch nicht bei uns.

Aber die Frage bleibt im Raum: Wovon werde ich wirklich satt? Machen sich andere meinen Hunger zu ihren Zwecken dienlich? Die Antwort Jesu, von der der Evangelist Johannes berichtet, hat ein klares Gefälle. Ein Gefälle hin zum Gottesglauben. Sie begnügt sich nicht mit dem, was ich essen und mit den Händen greifen kann. Sie will mich tiefer gründen. Und sie will mich auf Gott hin ausrichten.

Hebels Hinweis auf das, was anderen heilig ist, muss mich nicht zum Schweigen bringen über das, was mir heilig ist. Aber vor der Klammer dessen, was ich sage, steht der Respekt vor dem anderen. Und neben dem Respekt die Bereitschaft zuzuhören. Und zu lernen. Das Brot des Lebens findet sich nicht nur bei uns. Wir leisten Suchhilfe. Aber wir sind nicht Bäckerin und Bäcker. Das ist allemal Gott selber.

Die komplizierte Welt wird mit dieser Antwort nicht einfacher. Aber mein Leben bekommt eine Ausrichtung. Und lässt mich an den Antworten, die ich für mich finden muss, nicht verzweifeln. Solche Antworten sind selten einfach, aber immer elementar. Solche Antworten grenzen nicht aus, sondern laden ein. Wer sich das Brot des Lebens schmecken lässt, will dies nicht für sich alleine tun.

Wie Jesus aus Nazareth, der das Volk auf dieses Brot verweist. Und auch der Frau aus Samaria das Wasser des Lebens anbietet.

• Wie die Reformatoren, die den einfachen Antworten ihrer Zeit etwas entgegensetzen, um die Kirche weit zu machen – durch Gottesdienste und Bibel in der eigenen Sprache. Durch das Vertrauen, dass sie in die Menschenfreundlichkeit Gottes setzen.
• Wie erfreulich große Teile unserer Gesellschaft, die sich den Menschen geöffnet haben, die Schutz vor Gewalt und ein schützendes Dach bei uns suchen.
• Wie unsere eigene badische Kirche, die immerhin seit einem halben Jahrhundert erkennt, welchen Schatz sie gewinnt, indem sie das Pfarramt auch für Frauen öffnet. Die erste, Pfarrerin Hilde Bitz, wird übermorgen beerdigt werden. Wie gerne würden wir auch unserer großen Schwesterkirche von diesem Brot weitergeben!

All dies ist möglich, weil Menschen vom Brot des Lebens gekostet haben und immer neu kosten. Und dieses Brot weitergeben an andere, die wie sie von diesem Brot essen wollen. Wem das Brot des Lebens schmeckt, dem vergeht der fastfood–Geschmack der populistischen Antworten.

Dass Kirche auch nicht anders ist als die Welt – wenn das so stimmte, hätte sie ihre Bestimmung verfehlt. Es stimmt: Kirche und Welt kommen nicht voneinander los. Mitten in der Welt ist die Kirche. Aber doch ohne in ihr aufzugehen. Da ist die Kirche zu finden, wo Menschen das Brot des Lebens für sich entdecken. Weil dieses Brot unverkennbar den Geschmack und den Duft Gottes verströmt.

Herr, gib uns allezeit solches Brot! Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.