PREDIGT
ÜBER JOHANNES 14,1-6
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 1. JANUAR 2017
(NEUJAHRSTAG)
IN DER CHRISTUS-KIRCHE IN MANNHEIM

01.01.2017
Liebe Gemeinde!
Wahrhaft festlich werden wir eingestimmt auf dieses neue Jahr. Mit einem prächtig-klangvollen Te Deum. Nicht irgendeinem. Sondern mit einer Komposition, die lange Zeit auch im säkularen Bereich als Proklamations-Musik zu festlichen Anlässen genutzt wurde.

Eine Einstimmung erleben wir, die hoffentlich nicht ohne Nachwirkungen bleibt. „Die erste Viertelstunde ist das Steuer-Ruder des Tages“. Sie gibt dem Tag also die Richtung vor. Wenn Augustinus Recht hat mit seinem berühmten Satz, dann könnte man ihn auch leicht aufs neue Jahr wenden: Der erste Tag ist das Steuer-Ruder des Jahres. Dieser Tag ist der, der ihm die Richtung gibt.

Mit dieser Musik am 1. Januar müsste es eigentlich ein gutes Jahr werden. Das Ruder des Jahres 2017, das könnte für uns das Te Deum sein. Dass Charpentier selber sein Te Deum als „freudig und sehr kriegerisch“ beschrieben hat, mögen wir nicht allzu wörtlich nehmen. Zumindest den zweiten Teil der Beschreibung. Aber das es ein freudiges Jahr werde, das wünsche ich Ihnen von Herzen!

Nur: Die allgemeine Stimmung nimmt eher den zweiten Teil der Charakteristik Charpentiers auf. Kriegerisch, allzu kriegerisch geht’s derzeit auf unserer Erde zu. Und längst nicht nur im schrecklich-direkten militärischen Sinn. Auf den unterschiedlichsten Feldern werden diese Auseinandersetzungen geführt. Und sie halten sich an keine Regeln – so wie’s die freudig-kriegerische Musik zumindest tut.

Ein Jahr zumindest der Ahnung liegt hinter uns, wie der Krieg auch im digitalen Netz noch mehr Wirkung erzielen könnte als bei der Beeinflussung einer Wahl. Handelskriege zeichnen sich ab. Kriege mit Worten oft. Da reicht der Tweed eines der sich anschickt, sein Land seinem Machtwillen zu unterwerfen. Und schon zeichnet sich neues Unheil ab.

Doch das Steuer-Ruder des Jahres 2017, das könnte für uns das Te Deum sein. Ein Text aus einer alten Tradition der Kirche. Mehr als 1500 Jahre alt. Immer wieder vertont bis in unsere Tage – wenn sie sich nur an die Te-Deums-geprägten Feierlichkeiten des 100jährigen Bestehens des Bachchores erinnern. Eine Proklamationsmusik zu einem festlichen Anlass auch damals.

Martin Luther hat das Te Deum einmal als drittes Glaubensbekenntnis bezeichnet. Und wenn ich mir in Erinnerung rufe, mit welcher Inbrunst die Übersetzung des Te Deum von Ignaz Franz – sein „Großer Gott, wir loben dich“ – in Gottesdiensten gesungen wird, da hat das Glaubensbekenntnis oft das Nachsehen.

Marc Antoine Charpentier hat das Te Deum mindestens viermal vertont. Sein Te Deum in D-Dur hat er wohl in der letzten Epoche seines Schaffens geschrieben, irgendwann am Beginn der 90er Jahre, des letzten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts. Es soll auf jeden Fall bei der Feier des Sieges der Franzosen im pfälzischen Erbfolgekrieg in der Schlacht bei Steenkerke im Jahre 1692 aufgeführt worden sein – nach dem Sieg gegen eine mächtige internationale Allianz wurde diese Musik damals sicherlich als „freudig und sehr kriegerisch“ empfunden.

Die Tradition hat dieses Te Deum im Lauf der Jahrhunderte eher vergessen. Und ganz so populär wäre es sicher nicht, hätte nicht irgend jemand im Jahre 1954 die Idee gehabt, diesem Stück seinen kriegerischen Zahn endgültig zu ziehen. Und sein Prélude zur Erkennungsmelodie der Sendungen der Euro-Vision zu machen. Eine kleine Europa-Hymne ist dieses Präludium seitdem. Und hoffentlich mehr als eine Reminiszenz an die kühne Vision, mit mehr Europa für weniger Krieg zu sorgen. Gerade auch in dieser Hinsicht könnte das Te Deum für uns – und nicht nur für uns - das Ruder des Jahres 2017 sein!

Als biblischer Komplementärtext, als Gegenwort für die Musik, werden für den diesjährigen Neujahrstag Worte aus dem Johannes-Evangelium vorgeschlagen. Eine kleine Passage aus dem Anfang dieser Abschieds-Reden Jesu auf dem Weg zu seiner Passion. Wie haben diese Worte vorhin als Lesung gehört.

Und wie das Te Deum könnten auch diese Sätze dem Jahre 2017 Orientierung und Richtung geben. „Euer Herz erschrecke nicht!“ Was für Worte - wie geschaffen für diesen vom Erschrecken begleiteten Übergang ins Jahr 2017 – denken wir nur an die schrecklichen Bilder aus Istanbul heute Nacht. „Euer Herz erschrecke nicht!“

Aber dieser Satz kann nicht das Steuer-Ruder dieses Jahres sein. Übergänge sind fast immer vom Erschrecken begleitet. Weil sie Phasen des Umbruchs markieren. Und zugleich Phasen des Bilanzierens. Übergänge halten fest, dass Sehnsucht und Wirklichkeit nicht deckungsgleich sind. Übergänge markieren die bleibende Differenz. Diese Differenz ist die Ursache jedes Erschreckens. Darum ist das Erschrecken kein Alleinstellungsmerkmal dieses Jahreswechsels. Und was dieses Jahr wirklich bringen wird, das wissen wir alle erst an seinem Ende.

Die Frage des Jahres in diesem Text – das ist für mich die Frage des Thomas. Als Zweifler charakterisiert und stigmatisiert ist dieser Thomas - seit allem Anfang. Weil er nach einem Beleg für die Auferstehung Jesu gefragt hat. Unser Fragen heute ist vermutlich viel grundsätzlicher als diese erste Frage des Thomas. Gerade deshalb ist er mir sympathisch. Und deshalb will ich seiner zweiten Frage zum Recht verhelfen. Der Frage, die er hier im Bericht des Evangelisten Johannes stellt. „Wir wissen nicht, wo du hingehst“, sagt Thomas. Und er fragt: „Wie können wir den Weg wissen?“

Das wäre ein gutes Steuer-Ruder für dieses Jahr! Die Frage nach dem rechten Weg! „Wie können wir diesen Weg wissen?“ Jesus bindet diesen Weg hier an seine Person: Der rechte Weg – das bin ich. Die Wahrheit des Lebens – die bin ich. Und er schließt am Ende mit dem Satz: „Niemand kommt zum Vater, niemand kommt zu Gott - außer durch mich.“

Gefährlich ist dieser letzte Satz: „Niemand kommt zum Vater, außer durch mich.“ Missbraucht durch die Jahrhunderte hindurch. Wo immer ein Alleinvertretungsanspruch formuliert wird, sind Konflikte vorprogrammiert. Wo immer jemand die Wahrheit in Anspruch nimmt, allein für sich, wird die Wahrheit der anderen diskreditiert.

Nicht nur auf dem Feld der Religionen ist das so. Das hat sich in vielfältiger Weise gezeigt auch im gerade zu Ende gegangenen Jahr. Politischer Alleinvertretungsanspruch. Nur der eigenen Nation. Nur der gleichen Hautfarbe. Und desselben Denkens. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Und sie marschieren. Und sie terrorisieren. Und sie vergiften die Einsicht, die Jesus hier auch in Worte fasst: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ Dieser Satz allein reichte schon aus als Steuerruder für dieses Jahr 2017. Untermalt und unterstrichen durch das Prélude des Te Deum von Charpentier: Eurovision – hier sogar ins Himmlische gewendet. Überlebens-Vision für die ganze Menschheit.

Und wenn Europa uns im neuen Jahr wieder mehr bedeutet, als dass wir es zur Projektionsfläche unserer Unzufriedenheiten machen. Wenn es nicht nur um Märkte geht und um Macht, sondern auch um ein Mehr an Gerechtigkeit und an Frieden – dann erwiese sich dieses Te Deum einmal mehr als ideale Auftaktmusik für dieses Jahr 2017. Als Steuerruder, dessen Richtungsvorgabe wir sorglos folgen könnten.

„Ihr könnt den Weg nicht finden, außer durch mich!“ Unerhört und anmaßend ist dieser Satz, wo die Mächtigen unserer Tage ihre Machtansprüche auf ihn gründen. Und fast hat es den Eindruck: Jede Woche wird die Liste all derjenigen länger, die auf ihr „außer durch mich“ bauen.

Erträglich wird dieser Satz nur, wenn er „von außen“ kommt. Erträglich wird er nur, wenn es Gott ist, der diesen Anspruch formuliert. Dieses „außer durch mich“ des Jesus von Nazareth – für mich beschreibt es keinen Absolutheitsanspruch einer Religion. Es beschreibt vielmehr die Notwendigkeit, den Allmachts-Phantasien irdischer Machthaber ein wirksames Korrektiv entgegenzusetzen.

Der Verweis auf Gott ist das Angebot eines Steuer-Ruders am Beginn des Jahres 2017. In zahlreichen Veranstaltungen wird in diesem Jahr des großen Jubiläums der Reformation Martin Luthers gedacht. Seine Frage war die nach dem gnädigen Gott. Seine Antwort der Verweis auf den, der von sich gesagt hat: „Der Weg zum rechten Leben – der bin ich!“

Solus Christus – Christus allein heißt die Antwort in der Sprache Martin Luthers. Te Deum – Dich, Gott, loben wir, heißt die Antwort der Glaubenden der Alten Kirche, als sie die Sätze des Te Deum formuliert haben. Der eine wie der andere Satz ist Menschen über Hunderte von Jahren immer neu zu ihrem Steuer-Ruder geworden.

An uns ist es, unser eigenes Steuer-Ruder für dieses Jahr 2017 zu finden.
An uns ist es, Gott in der Weise zu denken, dass wir unsere je eigenen Weg finden und nicht in die Irre gehen.
An uns ist es, von Gott in der Weise zu sprechen, dass Menschen aufmerken auf ihrer je eigenen Suche nach der Wahrheit, die sie durchs Leben tragen kann.
An uns ist es, Gottes Schönheit aufleuchten zu lassen, damit ihr Glanz auch unser Leben schön macht. In Musik und Tanz. Im Hören und im Beten. Im Singen und im Schweigen. Und in den schönen Harmonien des Te Deum in D-Dur von Marc Antoine Charpentier.

Wenn das Te Deum in mein neues Jahr hinein klingt - wenn ich mich seinem Steuer-Ruder anvertraue - , wird dieses Jahr 2017 gewiss nicht gleich einfacher. Aber ein Jahr des Herrn wird es allemal werden und bleiben – dieses Jahr 2017. Wie gut, dass dieses Te Deum mir heute zum Steuer-Ruder wird. Amen.









Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.