„ES IST GUT, AUF DEN HERRN VERTRAUEN UND SICH NICHT VERLASSEN AUF MENSCHEN.“
PREDIGT ÜBER PSALM 118,8
GEHALTEN IM RAHMEN DER AKADEMIETAGUNG
VERTRAUEN IN DIE TECHNIK – TRAU, SCHAU WEM!
AM SONNTAG, DEN 29. JANUAR 2017
IN DER

29.01.2017
Liebe Akademiegemeinde!

„Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.“ Dieses Zitat, das die Tradition Wladimir Iljitsch Lenin zuschreibt, will, hören sie im Rahmen dieser Tagung wohl nicht zum ersten Mal. Vielleicht auch nicht nicht zum letzten Mal. Wir sind ja noch nicht ganz am Ende.

Wenn sich nun auch noch die Predigt mit diesem Satz beschäftigt, dann wird er doch zumindest noch einmal in einen neuen Zusammenhang gestellt. Und er soll in dieser Predigt zwar das erste Wort sein, aber gewiss nicht das letzte Wort haben.

Drei biblische Annäherungen an das Thema Vertrauen haben wir eben als Lesungen gehört. Sie schwingen in der Predigt mit. Aber ihr Leit-Thema ist der Vers aus dem Eingangs-Psalm:

Es ist gut, auf den HERRN vertrauen
und nicht sich verlassen auf Menschen.


Ob das so apodiktisch gesagt werden kann. Und ob wir überhaupt eine Alternative dazu haben, zuallererst doch einmal den Menschen zu vertrauen, darum soll’s gehen in dieser Predigt.

In vier Schritten will ich mich dem Thema annähern. Und über jede dieser Annäherungen eine kleine Überschrift setzen.

Einsetzen will ich mit der Umformung eines anderen bekannten Satzes: Ich vertraue, also bin ich. Ohne Vertrauen geht nichts im Leben. Vertrauen ist der Sauerstoff, ohne den Leben diesen Namen nicht verdient. Ohne den Leben nicht wirklich Leben ist. Wer vertraut, gibt seinen Mitmenschen einen Vorschuss. Einen Vertrauensvorschuss. Vertrauen kann ich niemals einfordern. Aber ich kann mithelfen, dass ich vertrauenswürdig bin.

Der erste und entscheidende Schritt dahin ist der, dass ich meinen Mitmenschen selber mit Vertrauen begegne. Gewährtes Vertrauen schafft neues Vertrauen. Natürlich bringe ich dieses Vertrauen nicht einfach in gleichem Maße allen Menschen entgegen. Die Einschätzung meines Gegenübers kommt da zum Tragen. Vorausgegangene Erfahrungen der Verlässlichkeit.

Und wenn ich dann solches Vertrauen gewähre, gilt es am Ende immer dem Menschen. Auch da, wo – wie beim Tagungsthema - vom Vertrauen in Technik die Rede ist. Bei der Technik mag es um Zuverlässigkeit gehen. Um die realistische Einschätzung der Folgen ihres Einsatzes. Auch um eine gewisse Voraussagbarkeit dessen, was da kommen soll.

Vertrauen ist aber eine personale Kategorie. Sie basiert zuletzt nicht auf der statistischen Annahme, wie sich ein Mensch voraussichtlich verhält. Ihre Grundlage ist die Gewissheit, dass mein Gegenüber die für mich wichtige und angemessene Entscheidung trifft– ja eigentlich, dass er sich für mich entscheidet, in aller Freiheit - es auch anders tun zu können. Und ohne einen ökonomischen Vorteil zu erwarten. Ansonsten ginge es darum, ob sich etwas für ihn rechnet.

Wir erleben gegenwärtig so etwas wie eine Rückkehr der Kategorie des Personalen auch in der Politik. Die Entscheidung für eine bestimmte Person ist wichtiger als die für eine Partei oder für bestimmte Themen. Nicht nur die Präsidentenwahl in den USA unterstützt diese These. Sie können da genauso an die Landtagswahl in Baden-Württemberg denken. Oder an die Hoffnungen, die mit dem neuen Kanzlerkandidaten der SPD verbunden sind.

Wie auch immer - wenn ich vertraue, setzte ich auf die Option Mensch. Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen. Das ist dann zu allererst ein Widerspruch – ein himmlischer Einspruch gegen dieses optimistische Menschenbild. Gegen dieses Urvertrauen in diejenigen, mit denen zusammen ich auf diesem Planeten lebe und ihn gestalte. Die Option Gott, so scheint’s, hebelt die Option Mensch aus.

Deshalb komme ich zu meinem zweiten Schritt. Auch hier steht wieder ein Satz am Anfang: Ich vertraue, deshalb kann ich realistisch sein. Vertrauen will gewagt werden, aber es ist vor Blauäugigkeit zu schützen. Niemand – kein Mensch, keine Institution, auch nicht ein gut funktionierendes Produkt der Technik ist in jeder Hinsicht vertrauenswürdig. Vertraue ruhig! – Trau! Aber schau, wem dieses Vertrauen gilt!

Vertrauens-Realismus ist gefragt. Ich kann niemandem zu jeder Zeit und bei jedem Thema mein Vertrauen schenken. Und auch solches Vertrauen für mich einfordern. Das hat nicht mit einem negativen Menschenbild zu tun. Die in der Bibel formulierte Einsicht, dass „das Dichten und Trachten des menschliche Herzens böse“ sei, „von Jugend auf“ (1. Mose 8,21), war damals schon so tendenziös wie heute. Wer so spricht, verfolgt bestimmte Interessen.

Wahr ist: Vertrauen muss realistisch bleiben. Sonst wird es zur Überforderung. Ich kann das selber nicht leisten. Und es ist auch einer der Gründe, warum es im Protestantismus keine Heiligen gibt. Ein Mensch mag zum Vorbild taugen. Und er mag mein Vertrauen ein ums andere Mal rechtfertigen. Aber er kann sich in dieser Rolle auch übernehmen. Oder kann in ihr überfordert werden.

Zu den Grundfreiheiten des Menschen gehört, dass er versagen darf. Aber dass er trotz dieses Versagens nicht aus dem Spiel genommen wird. Dass er Gott recht ist und recht bleibt. 500 Jahre nach der Reformation hat sich diese Grundeinsicht nicht erledigt. Zumal in einer Welt, in der der medialen Heiligsprechung die Enttarnung meist auf dem Fuß folgt.

Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen. Ich muss einen zweiten Zugang zu diesem Satz wagen. Womöglich bilden die beiden Teilsätze gar keinen Gegensatz. Vielleicht sie beschreiben sie den Weg, trotz der Erfahrung enttäuschten Vertrauens weiter auf den Menschen zu setzen.

Es ist das Recht des Menschen, hinter allzu großen Erwartungen zurück zu bleiben. Es ist das Recht des Menschen, Irrwege zu wagen und wieder umzukehren. Das biblische Motiv der Vergebung und der Buße meint genau dies. Es ist das Recht des Menschen, nichts anderes zu sein als eben: ein Mensch. Ich kann Menschen vertrauen. Aber mein Lebensglück garantieren, das müssen sie nicht.

Daher kommt jetzt der dritte Schritt in meinen Blick. Auch hier wieder ein Satz zu Beginn: Ich vertraue, deshalb glaube ich. Was ich eben zu beschreiben versucht habe, führt uns mitten hinein in die Welt der Theologie. Und in die Mitte des christlichen Glaubens. In diesem Jahr wird womöglich mehr als sonst Martin Luther als Gewährsmann herangezogen. Auch Luther war beileibe kein Heiliger. Nicht für alle Zeit. Und nicht für alle Themen.

Zum Thema Vertrauen kann man bei ihm aber immens hilfreich fündig werden. Luther führt hier eine wichtige Unterscheidung ein. Er unterscheidet – im Lateinischen – securitas und certitudo. Im Deutschen Sicherheit und Gewissheit. Securitas bzw. Sicherheit – das ist der planbare und gewissermaßen auch einzufordernde Teil des Vertrauens. Hier geht es um logische Folgerungen und Weiterführungen der vorhandenen Ausgangs- und Rahmenbedingungen. Vertrauen in die Technik gehört in den Bereich der securitas. Aber auch für viele Bereiche des gemeinsamen Agierens und Kooperierens von Menschen.

In einem Betrieb brauche ich die zumindest relative Sicherheit, um Abläufe planen zu können. Mit der certitudo, der Gewissheit, kommt noch einmal eine andere Kategorie in den Blick. Es ist da gewissermaßen wie bei der Liebe. Ich kann sie nicht berechnen und kann sie nicht einfordern. Aber ich kann mich im entscheidenden Moment auf sie verlassen.

Glauben meint, auf Gott zu setzen im Geist der Gewissheit. Ja, eigentlich im Vertrauen auf den Heiligen Geist, der ja gerade dies meint: Nicht den Ansichten der Situation, sondern den Möglichkeiten und Aussichten zu vertrauen. Wenn Luther von fides, von Glauben spricht, meint er gerade dies: Sich in aller Zerrissenheit unseres Lebens darin gründen, dass der Augenblick immer nur etwas Vorläufiges an sich hat. Und einen begrenzten Blick auf die Wirklichkeit ermöglicht.

Glauben heißt sein Leben darauf zu gründen, dass da noch etwas aussteht. Dieses Größere, in dem ich mich gründe und auf das ich mich verlasse, das ist ein anderer Name eben für Gott. Und dieses Vertrauen, dass da noch etwas aussteht, das ist ein anderes Wort für Glauben. So erschließt sich dieser Satz dann doch noch in seiner Tragweite: Es ist gut, auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Menschen.

Bleibt ein letzter Schritt. Und auch noch ein letzter Satz: Ich habe Gott-Vertrauen, weil Gott Menschen-Vertrauen hat. Menschliches Leben gelingt, wenn es von einem tragenden Ur-Vertrauen geprägt ist, einem Grund-Vertrauen, dass allen Nachweisen meiner Liebenswürdigkeit und meiner Tauglichkeit vorausgeht. Insofern gibt es zwischen meinen menschlichen, in diesem Fall sogar meinen frühkindliche Erfahrungen und meinem Gottesglauben durchaus einen wichtigen Zusammenhang.

Es ist schon schwierig, Vertrauen in Gott zu haben, es ist manchmal fast unmöglich zu glauben, wenn alle Voraussetzungen fehlen, auf etwas zu bauen, was außerhalb meines Selbst liegt. Schwierig ist es, aber doch nicht unmöglich. Denn all meinem eigenen Gott-Vertrauen kommt Gottes Vertrauen in uns Menschen zuvor.

Das ist der tiefere und der eigentliche Sinn dessen, was wir an Weihnachten feiern. Nicht die rührselige Geburt eines himmlischen Prinzen. Nein, die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes bringt zum Ausdruck, dass Gott unendliches Vertrauen in uns Menschen hat. Vertrauenswürdig sind wir nicht, weil wir uns in jedem Augenblick als vertrauenswürdig erweisen. Vertrauenswürdig sind wir, weil Gott sein Vertrauen in uns Menschen setzt. Oder um diese Einsicht noch einmal in Worte Martin Luthers zu kleiden : „Gott liebt mich nicht, weil ich schön bin. Sondern ich bin schön, weil Gott mich liebt.“

Mit ist vor kurzem eine Geschichte begegnet, die diesen Zusammenhang anschaulich beschreibt – und eigentlich auch zu Herzen gehend: Ich bin schön, weil ich geliebt bin. Und da es in dieser Geschichte um einen erfolgreichen Erfinder geht, passt sie auch sehr schön in eine Tagung, in der das Thema Technik eine große Rolle spielt.

In der Geschichte geht es um Thomas Alva Edison, den großen Erfinder – nicht nur der der Glühbirne. Von ihm wird folgendes erzählt:

Eines Tages kam Thomas Edison von der Schule nachhause und gab seiner Mutter einen Brief. Er sagte ihr: „Mein Lehrer hat mir diesen Brief gegeben und sagte mir, ich solle ihn nur meiner Mutter zu lesen geben.“
Die Mutter hatte die Augen voller Tränen, als sie dem Kind laut vorlas: „Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule ist zu klein für ihn und hat keine Lehrer, die gut genug sind, ihn zu unterrichten. Bitte unterrichten Sie ihn selbst.“
Die Mutter hat ihn dann tatsächlich selbst unterrichtet. Und doch wohl nicht ohne Erfolg. Viele Jahre nach dem Tod der Mutter durchsucht Edison eines Tages alte Familiensachen. Plötzlich stößt er in einer Schreibtischschublade auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Es war der Brief seines Lehrers. Auf dem Blatt stand geschrieben: „Ihr Sohn ist geistig behindert. Wir wollen ihn nicht mehr in unserer Schule haben.“

Edison soll – so wird berichtet - nach dieser Entdeckung stundenlang geweint haben. Es war das Vertrauen seiner Mutter, das ihn zu dem Menschen werden lassen, zu dem er sonst womöglich nicht hätte werden können.

Bleiben zwei Einsichten: Kontrolle mag manchmal hilfreich sein, um Sicherheit zu gewinnen. Schließlich wird die Welt immer komplexer und unüberschaubarer. Doch richten kann sie’s am Ende nicht. Kontrolle mag also bisweilen sein. Aber Vertrauen ist allemal besser. Weil es unser Menschsein ernstnimmt. Und weil es uns leben lässt.

Und die zweite Einsicht: Es ist gut, sich auf Gott zu verlassen. Weil Gott sich auf uns Menschen verlässt. Und weil wir deshalb einander vertrauen können. Amen.
Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.