DAVID - MENSCH, MACHO, MONARCH
REDIGT AM SONNTAG, DEN 18.NOVEMBER 2018
(VORLETZTER SONNTAG IM KIRCHENJAHR)
IN DER STADTKIRCHE IN KARLSRUHE

18.11.2018
Liebe Gemeinde!

David - Wer ist David?
David - unübersehbar ist er Gast hier in der Kirche.

David - unauslöschlich in meiner Vorstellung als vollendete Figur Michelangelos in der Galleria dell Academia in Florenz - überlebensgroß und in Perfektion.

David - unaustrottbar in meinem Sinn seit meiner Kindheit als Urbild des Königs. Einer der ganz Großen der Geschichte. Mit Licht und Schatten zwar. Aber am Ende immer wieder von Gott ins Recht gesetzt.

David - wer ist David? Gäbe es ein Ranking der zentralen Figuren der Hebräischen Bibel, des Alten Testaments - er stünde in einer Reihe nur noch mit zwei anderen. Mit Abraham, dem Stammvater der an den einen Gott Glaubenden - bis heute. Mit Mose, der die Wahrnehmung der bleibenden Gegenwart Gottes, die Gründung für sein Volk im Glauben an den einen, als Lebensaufgabe zugeschrieben bekommt. In der Wüste auf dem Weg ins Land, in dem Milch und Honig fließen. Im Überbringen der Tafeln der Zehn großen Freiheiten: "Ich bin dein Gott. Du bist frei, keine anderen Götter zu haben!"

David ist der Garant der politischen Bedeutsamkeit. David ist der, der die ungebremsten Machtansprüche legitimiert. David ist der Fluchtpunkt aller Phantasien des politischen Rechtes zu sein, wenn man ihn unter seinen Ahnen hat. Von ganz zentraler Bedeutung auch für uns. Wenige Wochen nur noch - und hier in dieser Kirche und anderswo werden diese Worte wieder Rührung auslösen und die Herzen erweichen: "Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war." Es ist ausgerechnet Joseph, mehr gelitten als geliebt, der An-den-Rand-Gedränte, der die Geschichte unseres Glaubens verknüpft mit der r von Jesus aus Nazareth und seinem Urahn, dem König David, beide geboren in Bethlehem.

David, der erste große König nach Saul, der das Privileg hat, der erste König Israels überhaupt zu sein - und am Ende doch nur für eine Episode steht. Was dann folgt, ist die Dynastie der Daviden, der Nachkommen Davids auf dem Königsthron. Einen König aus dem Haus David habe er besiegt - so schreibt es der Aramäerkönig Hasael gegen Ende des 9. Jahrhunderts - der bislang einzige außerbiblische Beleg dafür, dass es diesen David auch real gegeben hat. Und dass er kein Produkt ideologischer Konstrukte und Phantasien ist.

Aber wer ist er wirklich? Wer ist David?

Wir singen die ersten beiden Strophen!

1. Was ist der Mensch, o Gott?
Stellt Sehnsucht oder Spott
mir diese Frage?
Wer bin ich in der Welt?
Was gibt mir Grund und hält
des Lebens Waage?

2. Nicht grenzenlos, doch frei
willst du mich, dass ich sei
dein Bild des Lebens.
Was mir an Plänen reift,
wonach mein Denken greift,
sei nicht vergebens.
David - wer ist David?


Wenn ich an David denke, kommen mir Geschichten in den Sinn.

Der kleine Junge, der den großen Riesen der Philister mit einer Steinschleuder außer Gefecht setzt und erledigt.

Der Meister der Harfensaiten, der den gemütskranken König Saul ein ums andere Mal aus den Dunkelheiten seiner Seele zurückholt ins Leben.

Der Hirtenjunge auf dem Feld, den keiner auf dem Plan hat, als der Prophet in Gottes Namen Ausschau hält nach einem neuen König.

Der machthungrige und liebeslüsterne König, der sich Bathseba an den Hof holt und ins Bett - und ihren Mann in den Tod schickt.

Der Vater voller Zuneigung, der um seinen Sohn Absolom trauert, obwohl der gegen ihn intrigiert und rebelliert.

David - wer ist David? An Wissenswertem und an Falten über ihn, dessen Stern um das Jahr 1000 in der Geschichte zu strahlen beginnt, besteht kein Mangel.

David, der Warlord im Dienste der Philister, der keine Skrupel hat, das eigene Fortkommen auch dadurch zu beschleunigen, dass er mit den Feinden paktiert.

David, der König gleich im Doppelpack - über Israel und über Juda.

David, der militärisch erfolgreiche und kühne Eroberer Jerusalems, das als neutraler Ort zur Hauptstadt beider Königreiche wird.

David, der Herrscher über ein Königreich unglaublicher Ausmaße für damalige Verhältnisse.

David, der Vorbereiter des Tempelbaus, dessen Verwirklichung er aber seinem Sohn Salomo überlassen muss.

David, der, der auch die Lade Gottes nach Jerusalem überführt und ihr dort Heimstatt gibt - was Gott ihm mit der Zusage dankt, dass seinen Nachkommen auf Dauer der Königsthron verbleibt.

David, der fürsorgliche Monarch, der mit seinem Sohn Salomo die Zukunft seiner Macht absichert.

Was wir von David wissen, ist Teil einer großartigen Geschichtsschreibung. Wer hier Geschichte deutet, will nicht dokumentieren, sondern legitimieren. Entstanden freilich mindestens 500 Jahre nach seinem Tod. Überliefert und bewahrt, nachzulesen bis heute zuerst in den biblischen Samuel- und Königsbüchern, im Geschichtswerk des Chronisten. Aber auch in den späten Schriften der Bibel der Griechisch sprechenden Juden in der Diaspora, im 2. Jahrhundert vor Christus. Diesen Text haben wir eben als Lesung gehört.

Wer Geschichte deutet, will nicht dokumentieren, sondern legitimieren. Bei den David-Bildern der Geschichte kann man das wunderbar sehen.

Haben fremde Reiche die Macht übernommen - die Assyrer im Norden, die Babylonier und die Perser im Süden - wird klar, wem die Loyalität der Menschen dennoch gehört: den Nachkommen in der Linie der Davididen, der königlichen Nachkommen aus dem Stamm Davids.

Drohen Teile des Landes verloren zu gehen, wird mit Davids Reich der Anspruch auf das Land begründet.

Gerät der Tempelkult mit seiner einheitsstiften Wirkung ins Wanken - dann ist David der große Liturg und Liederdichter, dessen Psalmen die Bindung an den Tempelkult wieder stärken sollen.

Als Christinnen und Christen stehen wir von Anfang an mitten drin in diesem Prozess der Legitimierung. Wenn dieses Kind in der Krippe, dessen Geburt wir bald schon wieder feiern, zum Retter der Menschheit werden - dann muss es ein Nachkomme Davids sein.

Wenn Herodes Angst hat um sein Königtum, dann doch nur, weil es wohl doch noch einen Ahnen des großen Königs der Urzeit gibt.

Wer von David spricht, spricht nicht von David, sondern von sich selber. Von seiner Sicht auf die Welt. Von seinen Wünschen, die Verhältnisse zu verändern. Spricht womöglich von seinem eigenen Willen zur Macht.

Wir singen die Strophen 3 und 4!

3. Ob König oder Hirt-
was aus dem Menschen wird,
bleibt uns entzogen.
Ob groß sein Kreis, ob klein,
muss nicht entschieden sein.
Gott schlägt den Bogen.

4. Er steht, strahlt wie ein Held,
und ist doch aufgestellt
nach unsren Plänen,
bleibt Mythos und Idee,
ihm tut kein Scheitern weh,
ihm mangeln Tränen.


David - wer ist David?

Wahr ist: Wir wissen über ihn viel weniger als wir glauben. Das Großreich, von dem wir lesen: Es hat es nie gegeben. Es wurde so frühestens 200 Jahre später Wirklichkeit.

Die Vorstellung von der Herrschaft über zwei Königreiche, über Israel im Norden und Juda im Süden - sie verlagert die historische Wirklichkeit späterer Jahre in die Zeit Davids zurück.

David, der große Dichter und Sänger der Psalmen und der Förderer des Tempelkults und des Tempelbaus - er hat den Tempel nicht gekannt. Und es sind nicht seine Lieder, die wir bis heute singen und beten.

Wer war David dann? Und wer ist David für uns heute? Hier in der Kirche? In Florenz? In unseren Gottesdiensten? In unserer Theologie? Lasse auch ich mich vereinnahmen im Sinne anderer Interessen, wenn ich diesen David groß mache und groß rede? Ist David ein großes Konstrukt? Ist er Thema und Gegenstand theologischer Fake-News-Produktion?

Mitnichten, liebe Gemeinde! Viel zu groß ist dieser David der Geschichten und der Geschichte, als dass ich ihn erledigen und aus der Welt schaffen kann.

Viel zu viel an menschlicher Doppeldeutigkeit, an Leidenschaft und Lebenslust, an Höhen und Tiefen des Menschen Möglichen bringen die Erzählungen von David zum Ausdruck, als dass irgendjemand ein Interesse daran haben könnte, diesen Geschichte aus der Welt zu schaffen.

Viel zu viel an Menschlichem erkenne ich an diesem David, als dass es verdienstvoll wäre und Gewinn ermöglichte, künftig glauben zu willen ohne diesen einen aus der Reihe der drei Großen der Hebräischen Bibel.

Viel zu stark wird mein Blick auf Gott hin gebündelt und ausgerichtet, wenn ich mich einlasse auf diesen Großen der Könige biblischer Wahrheitssichten und -geschichten, als dass der Gottesglaube in Tradition und Aufbruch auf ihn verzichten könnte.

Wir singen die fünfte Strophe!

5. Die Wahrheit bleibt Fiktion!
Ist harter Arbeit Lohn
nur, was ich werde?
Der fromme Wunsch allein
reißt keine Grenzen sein.
Alt bleibt die Erde.


David - wer ist David? Ein Prototyp des Menschen ist er. Beispielgeschichten menschlicher Existenz sind in ihm verdichtet. Geschichten von Aufstieg und Fall. Geschichten von Macht und Machtverlust. Geschichten von Verhängnis und Vergebung. Geschichten von Gott und Welt, von Leben und Tod.

David - er ist und bleibt ein Großer - nicht nur als Skulptur hier im Altarraum und in Florenz. Er bleibt ein Großer in der Geschichte unseres Blickes auf die Welt. In der Geschichte der Möglichkeiten, Gott in unser Leben zu ziehen. In der Geschichte, in Schuld und Versagen nicht das Ende unserer Möglichkeiten zu sehen.

David - er ist der Prototyp des Menschen Möglichen - und gerade darin wirklich der Ahnherr dessen, der sein Menschsein ganz in den Dienst Gottes stellt - Jesus von Nazareth. An die Stelle interessengeleiteter Geschichtsschreibung - wie bei David - tritt die Erfahrung der Menschen- und Weltzugewandtheit Gottes. An die Stelle legitimierender Zuschreibung von Größe und Macht - wie bei David - tritt die Erfahrung des durchgehaltenen Ja Gottes - im ausgehauchten Leben und in der Erfahrung der Geschichte des leeren Grabes. Und des Lebens, das nicht verloren geht.

Menschliche Größe und menschliche Grenzen - In David ist uns eine Spur vorgebahnt, deren Begrenzung in seinem Nachkommen aus Bethlehem an ihr Ende kommt. Aus Geschichten wird Geschichte. Aus der Möglichkeit wird Wirklichkeit.

Aber es ist kein anderer Gott, der aus der einen wie aus der anderen Weise, Mensch zu sein, seine Spuren durch unser Leben zieht. Die Geschichte Davids ist ebenso wenig am Ende wie die Geschichte Abrahams. Oder die Geschichte des Mose.

Wenn wir jetzt auf die Tage zugehen, in denen wir in altvertrauten Worten wieder singen werden "Hosianna, Davids Sohn!", dann kann dieser David uns den Blick recht ausrichten. Eine Linie des Menschlichen und des Menschen Möglichen - über Abraham und Mose zu David - über Josef und den Sohn der Maria zu mir und zu dir.

Übrigens: Die Urgroßmutter des David war eine Frau auf der Flucht - aus wirtschaftlichen Gründen. Ruth, die Moabiterin entkommt dem Hunger und findet zu neuen Möglichkeiten des Lebens - für sich. Und am Ende doch auch für David.

David - wer ist David? Ein Mensch ist er - mehr nicht! Aber Gottseidank doch auch nicht weniger. In nichts anderem liegt seine Größe. In nichts anderem die unsrige. Deine und meine. Was sonst könnte mich heute singen und das Leben feiern lassen! Amen!

Wir singen die beiden letzten Strophen!

6. Es reicht, ein Mensch zu sein.
Was fehlt, lässt von allein
Gott in mich fallen
und schenkt, was mir gelingt,
und mich zum Singen bringt,
im Segen allen.

7. Ergreif dein Leben nur,
geh weiter in der Spur
ein Mensch zu werden.
Zum Bild, das Gott in mir
erschaffen, werd ich dir:
neu Mensch auf Erden!


Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.