PREDIGT
ÜBER 1. PETRUS 1,3-9
SONNTAG, DEN 28. APRIL 2019 (QUASIMODOGENITI)
IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN KARLSRUHE-RINTHEIM

28.04.2019
Liebe Gemeinde! Es ist nicht zu fassen, Gott! Der Glaube, dass alles Gute von oben kommt, wie das Sprichwort sagt, ein für alle Mal widerlegt. Der Schwarm von mehreren hundert Flugzeugen, der sich in dieser Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 über den Nachthimmel ausbreitet – die „Christbäume“, die zur Markierung gesetzt werden. Und dann die Spreng- und Brandbomben, die den Mantel des Schreckens über Rintheim ausbreiten – es muss die Menschen damals wie das Weltende angemutet haben – was sollte jetzt noch kommen. Die Apokalypse – sie war wirklich geworden!

Wo warst du, Gott, in dieser Nacht? Nicht mehr in deiner Kirche hier vor Ort! Auch die war zerstört. Wo warst du in dieser und in all den anderen Bombennächten? In Pforz-heim? In Dresden? In Freiburg?

Menschen haben so gefragt, da bin ich mir ganz sicher. Mehr als nur ein Überlebender hat mir das auch so erzählt. Die Bombennacht von Rintheim – war sie das Ende aller Möglichkeiten, Gott zu loben? Die vielen schrecklichen Tage und Nächte dieses ver-heerenden Krieges, die furchtbaren Lager, Auschwitz und Dachau – könnte es, so frag-ten sich viele, da je wieder ein Gotteslob geben?

Und doch haben die Menschen ihrem Gott nicht abgeschworen. Und wenn doch, dann längst nicht immer nur deswegen. Das Gotteslob, die Überzeugung, dass Gott sich nicht aus dieser Welt zurückgezogen hat, der Glaube, dass Gott diese Welt nicht ein-fach der Zersetzung und dem Nichts preisgibt – sie sind in der Welt – bis heute.

Wir feiern diesen Gottesdienst – und wir bedenken die schrecklichen Ereignisse dieser Bombennacht 1944 eine Woche nach Ostern, am Sonntag Quasimodogeniti, am Tauf-sonntag der Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte der Kirche. Bei unseren katholischen Geschwistern trägt er den Namen weißer Sonntag, nicht nur der weißen Kleider der Erstkommunikanten wegen. Auch wegen der Erinnerung im Blick auf die Taufen an diesem Sonntag eine Woche nach Ostern.

Damals, 1944, waren es gut zwei Wochen seit dem Fest der Ostern. Ostersonntag 1944 – das war der 9. April. Aber auch damals wird die Erinnerung an Ostern noch frisch gewesen sein. Mitten im Krieg. Gerade mitten im Krieg! Auch in diesem Jahr haben wir wieder Ostern gefeiert. Den Sieg des Lebens über den Tod. Die Unausrottbarkeit des Gottesglaubens, der Anwesenheit Gottes mitten in dieser krisengeschüttelten Welt.

EG 268,1: Strahlen brechen viele …

Liebe Gemeinde! Es ist nicht zu fassen, Gott! Der Glaube, dass ein besseres Leben möglich ist, ist gründlich widerlegt. In seinem römischen Verlies versteckt sitzt ein Christ der dritten Generation. In Anlehnung an den Jünger Jesu, der ihm besonders imponier-te, hat er sich den Namen Petrus gegeben. Seit seiner Taufe trägt er diesen Namen voll Stolz.

Es muss um das Jahr 90 nach Christus gewesen sein. Gerade war dieser Petrus aus einer Kleinstadt in Kleinasien, der heutigen Türkei, geflohen. Hier in der Hauptstadt des Reiches musste es doch möglich sein, ohne Angst seinen Glauben an diesen aufer-standenen Christus leben zu können.

Er hatte es satt, jeden Morgen feststellen zu müssen, dass er wieder eine weitere Nacht überlebt hat. Er hatte genug davon, die Gottesdienste nur im Verborgenen zu feiern, während von draußen mit unüberhörbarer Macht und großer stimmlicher Gewalt ande-ren Göttern gehuldigt wurde. Dem Zeus und dem Hermes. Der Diana und der Isis. Und er war sich sicher, die Geheimpolizei des Kaisers hatte auch heute ihre Spitzel unter ihnen platziert.

Dann lieber nach Rom, hatte sich dieser Petrus gedacht. Dort muss doch alles nach Recht und Gesetz gehen. Dort müsste er sich gegen Verfolgung zur Wehr setzen kön-nen.

Petrus hatte sich geirrt. Gründlich geirrt. In Rom ist alles noch viel schlimmer. Die Chris-tinnen und Christen können sich auch hier nur heimlich treffen. Aus Angst vor Folter und Mord. Sie sind, so scheint es Petrus, auch resigniert und kleingläubig. In den Got-tesdiensten klingt der Hoffnungs-Hymnus bei manchen so schwächlich wie in Ephesus. Oder in Smyrna. Die Kräfte, um durchzuhalten, sie scheinen am Schwinden. Rom, die stolze Hauptstadt, für die Christen ruft es Babylon, die Stadt der Verschleppung der jü-dischen Oberschicht vor 600 Jahren in Erinnerung. Sie sprechen darum auch von Ba-bylon – und meinen Rom.

Wo warst du, Gott, in diesem Babylon des Schreckens? Wo warst du in diesen so schwierigen Zeiten? Petrus fragt sich das voller Sorge. Aber sein Glaube ist stark. Und Petrus ist wohlhabend und gebildet. Er hat Schreiben und Rechnen gelernt. Er hat un-ter seinen Bediensteten sogar einen ehemaligen Schreibsklaven. Ihm hat er den Na-men Silvanus gegeben. Ein enger Mitarbeiter des Apostels Paulus hatte diesen Namen getragen.

Und Petrus hat plötzlich die Idee: Er muss diesen Brief schreiben. Oder noch besser: Er muss ihn den Silvanus schreiben lassen. Nach seinen Vorstellungen. Ein kleines Büchlein der Hoffnung. Eine seelsorgliche Werbeschrift für das Durchhalten im Gottes-lob. Ein Mutmach-Buch, das den Himmel wieder neu in den Blick rückt.

Nein, er will nicht verschweigen, dass die Zeiten anderes nahelegen. Dass viele ihren Glauben am liebsten wegwerfen würden. Aber gemeinsam, gemeinsam würden sie eine Perspektive haben. Und am Ende würde alles in den großen freudigen Lobge-sang aller Getauften, aller Glaubenden einmünden.

Und Petrus schreibt diesen Brief.

Ich lese einen kleinen Abschnitt daraus. Dieser Abschnitt ist Teil des sogenannten 1. Petrusbriefes, den wir im Neuen Testament überliefert finden. Und er ist der Predigttext für diesen heutigen Sonntag Quasimodogeniti – eine Woche nach Ostern.

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbe-fleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.
Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.


EG 268,2: Zweigen wachsen viele…

Liebe Gemeinde! Es ist nicht zu fassen, Gott! Der Glaube scheint sich doch längst breit-zumachen, dass die Gewalt gegen Christinnen und Christen der Vergangenheit ange-hört. Nicht ohne Grund feiern die Menschen fröhlich ihre Ostergottesdienste. In der Kir-che St. Antonius in Colombo. In der Kirche St. Sebastian in Negombo. In der Zionskir-che in Batticaloa – und innerhalb weniger Minuten sind mehrer als zweihundert Men-schen tot. Jetzt sind wir nicht mehr an Ostern des Jahres 90 oder des Jahres 1944. Jetzt sind wir in der Gegenwart. Vor gerade einer Woche – Ostern 2019 auf Sri Lanka.

Seit zehn Jahren schien der alte blutige Konflikt zwischen den Religionen vorüber. Gottseidank. Tausende hatten ihr Leben verloren. Grund genug auch für die Christin-nen und Christen, dankbar uns zuversichtlich Ostern zu feiern. Und dann dieser Bom-benterror!

Und wieder können wir fragen: Wo warst du, Gott, an diesem Ostersonntagmorgen auf Sri Lanka? Wo warst du in diesen drei Kirchen und in den vier Hotels, die ebenfalls zeitgleich Opfer von Anschlägen geworden sind?

Vorschnelle Antworten helfen hier nicht weiter. Wir können dich, Gott, nicht einfach ver-antwortlich machen für all das, was Menschen den Glauben nehmen will. Wir können unseren Glauben aber auch nicht drangeben für all das Böse, das Menschen einander antun. Ostern wird es nicht trotz der Mächte des Todes. Ostern wird es, weil Gott dem Tod den Kampf des Lebens ansagt. Und ihm den Garaus machen will.

Ostern schafft die Passion nicht aus der Welt. Nicht die Passion, derer wir jedes Jahr neu gedenken, wenn wir uns an den Weg Jesu ans Kreuz erinnern lassen. Nicht jene Passionen, in denen schon die ersten Christinnen und Christen ihren Glauben mit dem Leben bezahlt haben. Nicht die Passionen der Bombennacht hier in Rintheim. Und auch nicht jene in Sril Lanka vor einer Woche.

Sollen wir deshalb unseren Osterglauben drangeben? Ja, manchmal scheint das die einzig verbliebene Möglichkeit. Aber am Ende ist es keine. Gottseidank.

Ostern ist das Ausrufezeichen Gottes in einer krisengeschüttelten, fragwürdig gewor-denen Welt.
Ostern ist Gottes Einspruch gegen den Irrglauben, alles, was uns betrifft, spiele sich nur ab zwischen Geburt und Tod. Und davor und danach gebe es nichts.
Ostern ist ein unübersehbares Fest des Protestes gegen die Handlanger des Todes mitten unter uns. Und wir sollen als Christinnen und Christen die Protestleute sein, die gegen den Tod aufstehen und das Wort ergreifen, (wie das ein bekannter Theologe einmal in Worte gefasst hat).

Vor einer Woche hat der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, in seiner Osterpre-digt auch auf die Anschläge von Sri Lanka Bezug genommen. Er hat vor Hass als Re-aktion auf die Anschläge gewarnt Und er sagt dann weiter: „Indem Christen einander vergeben und lieben bezeugen sie (jedoch), welchen Einfluss die Auferstehung auf unser Leben hat. Hierdurch wird für die Welt das Unsichtbare sichtbar.“ Ostern – das ist also nicht nur irgendein kirchlicher Feiertag. Es ist der Tag, der alles anders macht – wenn wir uns nur auf Ostern einlassen.

Da wird also doch so einiges von uns erwartet. Da bleibt dann immer noch einiges zu tun. Eine Woche nach den grässlichen Anschlägen von Sri Lanka Auch 75 Jahre nach der Bombennacht von Rintheim. Eigentlich an jedem Tag unseres Lebens.

EG 268;3: Gaben gibt es viele …

Liebe Gemeinde! Auch wenn es kaum zu fassen, ja kaum zu glauben ist: Etwas muss doch dran sein an diesem Osterglauben. Sonst würden wir uns an den Brief dieses un-bekannten Petrus nicht erinnern.
Etwas muss doch dran sein an diesem Osterglauben, sonst hätten sie ihre Kirche hier in Rintheim nicht wieder aufgebaut.
Etwas muss doch dran sein an diesem Osterglauben, sonst hätten ihn auch die be-drängten christlichen Schwestern und Brüder weltweit längst weggeworfen.

Der Glaube, liebe Gemeinde - er trägt. Der Glaube, der sich durch den Karfreitag nicht von dir, Gott, abbringen lässt. Der Glaube, der darauf traut, dass wir Zukunft haben. Und dass den Übeltätern nicht die Zukunft gehört. Sondern dass wir Zukunft haben bei dir, Gott.

Mehr braucht’s nicht als diesen Glauben. Er trägt. Sie und mich. Auch heute. Dir, Gott, sei Dank! Amen.

EG 268,4+5 (Dienste/Glieder)



Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.