PREDIGT
ÜBER JOHANNES 5,39-47
GEHALTEN AM SONNTAG, DEN 23. JUNI 2019 (1. S. N.TR.)
IN DER STADTKIRCHE IN KARLSRUHE

23.06.2019
Liebe Gemeinde! „Was für ein Vertrauen!“ So lautet das Motto des Kirchentages in Dortmund. Zur Stunde wird dort der Abschlussgottesdienst gefeiert. Im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes steht die Aufforderung: „Werft euer Vertrauen nicht weg!“ Was für ein Vertrauen, dass sie trotzdem hierher in die Stadtkirche gekommen sind, und nicht die Übertragung im Fernsehen vorgezogen haben.

Was für ein Vertrauen in die alten Texte und die vertrauten Lieder, die sich Sonntag für Sonntag zu einem neuen gottesdienstlichen Ganzen verbunden.

Der heutige Predigttext ist auf dieses Vertrauen auch angewiesen. Wäre ihm nicht biblische Dignität eigen, ich würde ihm sofort widersprechen. Nein, so nicht, lieber Bruder Johannes! Hat denn die evangelische Kirche in Karlsruhe mit dem Thema Israel und Palästina, Judentum und Christentum nicht gerade genug an Herausforderung, würde ich zurückfragen.

Und dann dieser Text, der einem das Blut des Vertrauens in den Adern gefrieren lässt. Da heilt Jesus am Schabbat einen Mann, der seit beinahe 40 Jahren krank ist. Bei dem Menschen, den er gesund gemacht hat, erntet er Staunen und Dank. Bei den anderen, die Zeuginnen und Zeugen dieser Heilung werden, erntet Jesus dafür umso heftigeren Wiederspruch. Und löst eine heftige Debatte aus.

Nein, Vertrauen ist hier nicht angesagt, eher das Gegenteil: Misstrauen! - und zwar in ordentlichem Ausmaß. Die Antwort Jesu, sie hat es aber auch in sich. Aus ihr stammen die Sätze des heutigen Predigttextes. Jesus – hier erleben wir ihn voller Emotionen. Jesus, Wutmensch. Eine Art Tempelaustreibung, ohne Stricke und Geisel, dafür mit der einschneidenden Kraft des Wortes. Ich lese aus Johannes 5 die Verse 39 bis 47.

Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind's, die von mir zeugen; aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet.

Ich nehme nicht Ehre von Menschen an; aber ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen.

Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? Meint nicht, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde; der euch verklagt, ist Mose, auf den ihr hofft. Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?


 Vertrauens-Lied Strophen 1+2

Worauf gründet unser Glaube, liebe Gemeinde? Auf Tradition, die verlässlich und überzeugend ist? Auf gute Argumente, die den Glauben anderer für mich so plausibel machen, dass er mir irgendwie einleuchtet? Gründet er auf die Sorge, dass mein Leben ohne eine Form des inneren Halts gefährdet wäre. Womöglich gründet er auch auf Vorbilder, die mit ihrem Glauben ihr Leben irgendwie gut im Griff haben.

All das hilft hier wohl nicht weiter. All das – verworfen in den Worten dieses Jesus, die uns das Johannes-Evangelium hier überliefert. In der Wut-Rede dieses Jesus an die, die anscheinend nicht erkennen wollen, was jetzt dran ist.

Was für ein Vorwurf an Menschen, die zur Gemeinschaft der Schriftreligion schlechthin gehören. Ihr stöbert durch eure heiligen Schriften. Und das Entscheidende, das verpasst. Das, was ihr über mich findet, das entgeht eurem Forschergeist.

Die Gemeinde des Johannes, sie klärt ihre eigene Rolle. Sie muss die Trennung von ihrer jüdischen Mutter-Religion reflektierend deuten. Sie gewinnt ihre Identität in schroffer Abgrenzung.

Der Evangelist Johannes will seinen Leserinnen und Lesern den Blick öffnen für die Rolle dieses Jesus aus Nazareth, dieses, wie er schreibt menschgewordenen Wortes Gottes. Und doch haben Worte wie diese denen, die dem Johannes nachgefolgt sind, über Jahrhunderte die Augen verschlossen: für die Würde dieser einzigartigen Religion, der wir unseren Gottesglauben verdanken. Für die Frömmigkeit dieser Menschen, die ihre Thora-Rollen vor dem Zugriff der Schriftverächter geschützt haben – wie Eltern ihre Kinder. Es ist ihr Gottesglaube, der sie hat durchhalten lassen: Was für ein Vertrauen!

Und die Vorwürfe gehen weiter. Ihr habt doch Mose. Nicht einmal ihm schenkt ihr Glauben. Allein schon von ihm hättet ihr lernen können, was es mit mir auf sich hat. Und ihr erkennt nicht: Hier ist viel mehr als Mose!

Was für ein Vorwurf an Menschen, die den Glauben des Mose an uns weitergereicht haben. Dass sie den, in dem Johannes den Logos Gottes erkennt, dem Mose nicht vorziehen – schmerzlich haben wir alle lernen müssen, dass das ihr Recht ist. Und sind in diesem Lernen immer noch dabei.

Die Gemeinde des Johannes, irgendwo in Kleinasien des 2. Jahrhunderts, sie kann nur wachsen und großwerden, wenn sie die anderen klein macht. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis wir in der Nachfolge dieses Jesus aus Nazareth erkennen: Wahre Größe erwächst aus dem Mut, auch dem Anderen Raum zu geben. Wahre Größe wächst aus Machtverzicht.

Glaube, der anderen lässt, was ihnen heilig ist, und der des eigenen Heiligen gewahr wird - ohne darüber in Konkurrenz zu geraten. Dass auch ein solcher Glaube trägt, gerade ein solcher Glaube – was für ein Vertrauen!

 Vertrauens-Lied Strophen 3+4

Bleibt ein Drittes. Ein weiterer Vorwurf. Ihr nehmt Ehre voneinander an, statt allein Gott die Ehre zu geben. Hier geht‘s um den Kern des Glaubens. Des Gottesglaubens zumal. Hier geht’s um die rechte Unterscheidung. Die Unterscheidung nämlich zwischen Gott und Mensch.

Wie heilsam dieses rechte Unterscheiden ist: gelernt haben wir das von jenen, denen hier dieser Vorwurf gilt. Niemand ist frei davon, sich hier zu verfehlen. Die Gefährdung, sich selber an Gottes Stelle zu setzen, das ist womöglich die Grundgefährdung des Menschen schlechthin.

Die Gemeinde des Johannes ist davon so wenig frei wie wir. Und wie jene, an die der Jesus des Johannes sich hier wendet. Wie zentral, wie heilsam dieses Unterscheiden ist, das haben wir – dennoch! -von jenen gelernt, denen Johannes diese Fähigkeit hier abspricht. Aus ihren Schriften! Aus den Büchern des Mose!

Dass wir daran scheitern können, das gehört zur Begrenzung unserer menschlichen Möglichkeiten. Dass wir daran scheitern dürfen, ohne deswegen für immer aus den Bahnen des Lebens geworfen zu werden, das ist das alte Wissen von der Lebendigkeit Gottes, die den Neuanfang immer wieder möglich macht.

Nein, die Ehre, die Menschen einander erweisen, sie ist nicht von vornherein von Übel. Sie ist nicht einfach ein Zeichen des Widerspruchs gegenüber Gott. Es ist die Ehre auf Augenhöhe, die Wertschätzung im Horizont der Geschwisterlichkeit.

Die Ehre, die Menschen Gott erweisen, ist die Ehre der Anerkenntnis, dass meine Würde nicht in dem gründet, was ich kann. In dem, was ich in die Kreisläufe der Leistungsträger einbringe. Die Ehre, die ich Gott erweise, gründet vielmehr in dem, was ich bin. Sie gründet in dem, was Gott mich sein lässt.

Und: Sie begründet meine eigene Ehre. Sie begründet die Würde meines Menschseins, weil Gott sich selber einlässt, nicht mehr, nicht anders unter uns sein zu wollen, als als Mensch. Den Geschundenen nah und denen, denen der Boden unter den Füßen wegbricht. Den Hoffenden nah und denen, die es wider alle Vernunft noch einmal mit dem Leben versuchen wollen. Den Glaubenden nah und denen, die ihr Vertrauen nicht wegwerfen. Die im Gegenteil andere immer wieder neu mit diesem Vertrauen infizieren. Dass diese möglich ist, immer wieder neu. Was für ein Wunder! Was für ein Wunder des Vertrauens!

 Vertrauens-Lied Strophen 5

Wahrhaftig, es sind diese Mutmach-Menschen, denen ich die Kühnheit meines Glaubens verdanke. Es sind diese Mutmach-Menschen, die in mir etwas wachrufen, was meinen Senfkorn-Glauben wuchern und wachsen lässt.

Eine 16-jährige Schülerin, die die Politik zum Nachdenken oder gar zu einem Perspektiv-Wechsel bringt. Ordensschwestern in Asien und Landarbeiter in Südamerika, die sich den Mächtigen mutig entgegenstellen. Eine ehemalige Weltmeisterin im Bahnradfahren, eine junge Frau, die über die Medien andere mit ihrer Lebenszuversicht ansteckt.

Es sind Frauen in unserer katholischen Schwesterkirche, die mit Maria 2.0 einen Paradigmenwechsel in ihrer Kirche in Gang setzen wollen. Es sind die fast 100.00, die in den vergangenen Tagen in Dortmund ein Fest des Glaubens gefeiert haben – auch wenn ihnen vorher womöglich nicht zum Feiern war.

Es sind Menschen in Israel-Palästina, die auf eine gemeinsame friedliche Zukunft setzen – durch gemeinsame Schule, gemeinsame Wohnprojekte, gemeinsame öffentliche Kundgebungen. Dem Evangelisten Johannes würde der Atem stocken, wenn er sähe, was hier möglich ist.

Es ist dieser eine, der mit seinem Leben ein Zeichen setzt: der die Kranken heilt und die an den Rand Gedrängten in die Mitte stellt. Der Feinden den Wind aus den Segeln nimmt und Gräben der Entfremdung überbrückt. Es ist dieser eine, der wahrhaft Mensch wird und gerade dadurch Gott unter uns lebendig werden lässt. Es ist dieser eine, der die Hungrigen speist und die mutlose Realisten zum Träumen bringt.

Es ist dieser eine, der uns in Korn und Trauben die Fülle des Lebens zu kosten gibt. Der Gott unter uns lebendig macht und über Grenzen hinweg neue Gemeinschaft ermöglicht. Was für ein Vertrauen, dass dies möglich ist!

Nein, wegwerfen möchte ich dieses Vertrauen wahrhaftig nicht. Freuen möchte ich mich, dass es mich, dass es uns zum Singen und Feiern bringt. Amen.

 Vertrauens-Lied Strophen 6+7


(Melodie: Meine engen Grenzen)

1. Was für ein Vertrauen!
Ohne festen Grund nicht die Spur verlier‘n!
Gib mir Ziel und Richtung, leite meinen Schritt.
Wo der Weg entschwindet, da geh einfach mit!

2. Was für ein Vertrauen!
Der gelähmt lang war, kann jetzt selber geh‘n!
Lass auch im Erstarrten noch Bewegung sein.
Spür ich meine Grenzen, ist das Wunder dein!

3. Was für ein Vertrauen!
Trotz Verwirrung nicht in die Irre gehn!
Leg die Spuren offen, die ins Leben führ‘n.
Statt auf Hass zu setzen, stets die Liebe schür’n.

4. Was für ein Vertrauen!
Mutig geh wohin dich dein Glaube trägt.
Anders sein zu dürfen, dazu macht Gott Mut.
Wag’s, ein Mensch zu werden, Gott sagt: Es ist gut!

5. Was für ein Vertrauen!
Nur der Glaube haucht mir noch Hoffnung ein!
Schenk mir langen Atem, der auf Wandel setzt.
Mit den Mutmach-Menschen bin ich längst vernetzt.

6. Was für ein Vertrauen!
Mittendrin am Tag hier beim Fest zu sein.
Iss vom Brot des Lebens, das Gott dir erschuf.
Trink den Kelch der Liebe! Trau dem Lebensruf.

7. Was für ein Vertrauen!
Was mich engt und plagt muss heut von mir fliehn.
Sei mir Bruder, Schwester, reih im Kreis dich ein.
Gottes guter Segen wird heut mit uns sein!

Traugott Schächtele Juni 2019

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.