Eine kleine geistliche Rechtfertigung des Sommers

22.07.2020

Sitzung 2 in der Reihe der wiederaufgenommenen analogen Sitzungsreihe oder der Sitzungen in physischer Präsenz, wie es manchmal auch heißt. Wobei ich sage, dass ich auch in einer Video-Konferenz, vor dem Rechner sitzend, physisch präsent bin. Diese heutige Sitzung ist zugleich die letzte Sitzung des Landeskirchenrats vor der Sommerpause.

Summertime“ ist also angesagt. Und diese Jahreszeit spielt mir zugleich mein Thema zu. Die Jahreszeit, die wir derzeit haben. Den Sommer!

Eine kleine geistliche Rechtfertigung dieses Corona-Sommers 2020 in sieben Schritten möchte ich heute also wagen. Und ich hoffe, Sie kommen damit dann auch einigermaßen gut eingestimmt und beflügelt durch die Sitzung und den Tag.

 

Schritt 1
„Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Sie kennen diese Zusage Gottes an Noah nach der großen Flut. Der Sommer, die Abfolge der Jahreszeiten überhaupt, sie gehören zur Normalität eines Jahreskreislaufs. Die Erde kreist nun eben einmal in Form einer Ellipse um die Sonne, dazu leben wir auf der nördlichen Halbkugel – die Jahreszeiten ergeben sich dann gewissermaßen von selbst. Seasons as usual halt.  Kein Grund, Aufhebens darum zu machen.

Ich wünsche ihnen die Gelassenheit, zu der diese uralte Normalität verhelfen kann!

 

Schritt 2
„Alles hat seine Zeit! Arbeiten und sich Sorgen hat seine Zeit. Und die Arbeit unterbrechen und die Sorgen sein lassen hat seine Zeit!“

Dieser Sommer ist dennoch ein besonderer. Der Sommer im Corona-Jahr 2020. Der Sommer, auf den derzeit so viele hinleben. Nach all diesen Wochen, die seit März ins Land gegangen sind. Der Sommer der großen Hoffnung. Der Sommer, der daherkommt als eine elementare Unterbrechung all dessen, was uns da derzeit in Atem hält. Manchmal auch den Atem nimmt. Es hat eine ganze Reihe kleiner Unterbrechungen und Hoffnungszäsuren gegeben – nach jeder neuen Corona-Verordnung des Landes.

Der Sommer soll, ja er muss zur großen Hoffnungszäsur werden. Nicht weil hinterher alle anders ist. Schön wär‘s ja. Sondern weil auch das Hoffen auf andere Zeiten Kräfte kostet. Und das Aushalten der Gegenwart dazu.

Ich wünsche Ihnen die Erfahrung der großen Unterbrechung und der Hoffnungszäsur der sommerlichen Wochen!

 

Schritt 3
Jesus sagt zu denen, die ihm nachfolgen: An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis: Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist.

Erträglich ist dieser Sommer 2020 bisher. Nicht so unglaublich heiß wie in den Vorjahren. Ein Sommer, den wir eigentlich so richtig genießen könnten – wenn nicht klar wäre: Die Anliegen von Fridays fur Future sind mitnichten erledigt. Der mit Früchten voll behängte Feigenbaum vor unserer Haustür lässt mich eher an mediterrane Zonen denken. Die Winzer ändern im Akkord die Rebsorten, die sie anbauen. Unter den Insekten, die bei und auftauchen – wenn Sie’s denn überhaupt tun - sind zusehends solche mit Migrationshintergrund. Etwa die asiatische Buschmücke, die das West-Nil-Virus überträgt.

Ausbleibender Schnee im Winter – früh einsetzende Sommer, die so richtig heiß werden können – Boten, die sagen: Deutet die Zeichen der Zeit richtig! Ihr sind mittendrin in den klimatischen Veränderungsprozessen. Noch könnt ihr reagieren – aber dann schnell und durchgreifend.

Ich wünsche ihnen, dass sie den Sommer richtig genießen, um sich danach auch wieder mit ganzer Kraft engagieren zu können.

 

Schritt 4
Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?

In den Schulen markiert der Sommer den Zeitpunkt der Lernunterbrechung. Für uns könnten diese Wochen Anlass geben, uns ganz neu mit dem Thema Lernen zu befassen. Konkret mit der Frage: Was soll neu werden in der Kirche und in der Gesellschaft? Und: Wovon sollen oder müssen wir uns verabschieden.

Nicht nur um die Frage der Fortschreibung und Weiterentwicklung des Bestehenden soll‘s dabei gehen. Es geht nicht nur um Videokonferenzen oder um das Digitale Datenmanagement. Es geht vielmehr um einen Neuansatz auch in unserem Sein als Kirche. In unserer Theologie. In dem, wie wir öffentlich wahrnehmbar sind. In der Frage, wie wir Mitgliedschaft denken. Wie sich unsere sakramentale Praxis verändert.

Der Sommer könnte den Kopf frei machen, um einfach einmal nachdenken zu können. Und alles ganz ohne Denkverbote. Ohne: Das geht ja sowieso nicht!

Ich wünsche ihnen, dass sie sich überraschen lassen von dem, was da an Ideen und Möglichkeiten in ihnen aufsteigt.

 

Schritt 5
Jesus sagt zu denen, die ihm nachfolgen: Mit dem Reich Gottes verhält es sich nicht so, dass ihr sagen könnt: Hier ist es. Das Reich Gottes ist euch ganz nah. Es ist mitten unter euch!

Diesen Sommer suchen viele ihr Erholungsheil in der Nähe. Das heißt: Sie verbringen ihren Urlaub zu Hause oder zumindest im Land. Urlaubsflüge an ferne Strände sind meist noch nicht möglich und wohl auch nicht angesagt. Mir macht das wenig aus. Mich zieht‘s nicht erst seit diesem Jahr im Sommer an die Ostsee. Aber vielleicht kann die heilsame Erfahrung der Nähe – auch im Sommerurlaub eine Umkehr im größeren Maßstab bewirken. Es gibt auch eine Regionalisierung der Lebensvollzüge. Nicht nur in den Produkten der Landwirtschaft. Sondern in vielem, was unser Leben ausmacht. Und unsere medialen Möglichkeiten erlauben uns Kontakte, ohne sie in Kilometern und mit dem Verbrauch fossiler Brennstoffe ermöglichen zu müssen. Bei unseren Sitzungen haben wir das ja auch schon ganz gut eingeübt.

Ich wünsche ihnen, die Welt um sie herum in ganz neuer Weise wahrzunehmen und auch schätzen zu lernen. Dann werden die Ausnahme von den eingeübten Regeln wirklich zu etwas Besonderem.

 

Schritt 6
Über Mose stellt Gott sein Volk vor die Wahl: Wählt das Leben, damit ihr am Leben bleibt, ihr und eure Nachkommen!

In diesem Sommer wird die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen und den nötigen Abstand einzuhalten, sicher nicht aufgehoben. Aber in einer Zeit, in der so viele andere Vorgaben außer Kraft gesetzt sind, in der mich die Uhr nicht gängelt und der Kalender aus vielen weißen Feldern besteht, übe ich mich ein wenig darin: ein Leben ohne einengende Vorgaben!

Hier zeigt sich die Begrenztheit gerade auch dieser Sommerwochen. Es gibt Spielregeln, von denen gibt es keinen Urlaub. In diesem Fall zumindest fürs Erste mal nicht. Aber bei anderen Spielregeln ist das doch genauso. Auch das Strafrecht wird im Sommer nicht für einige Wochen aufgehoben. Und die Pflicht, an der roten Ampel zu halten, doch auch nicht.

Leben geschieht immer zwischen Banden, die auch Grenzen markieren. Die Spurbreite ist manchmal größer, manchmal kleiner. Aber ich bin nie einfach mein eigener Gesetzgeber. Das Lebensrecht meiner Mitmenschen markiert die Grenze meiner Freiheiten. Das ist im Sommer nicht anders. Zumindest wenn’s ums Grundsätzliche geht. Kleine Freiheiten – die sind mir im Sommer aber schon gewährt. Ich kann meinen Tagesablauf selber bestimmen. Ich habe Zeit für Dinge, die sonst hintenanstehen.

Ich wünsche ihnen, dass sie das Feld der kleinen Freiheiten in diesen Sommerwochen inmitten seiner Grenzen lustvoll bespielen können.

 

Schritt 7
Ich will euch in ein schönes, weites Land bringen – in ein Land, wo Milch und Honig fließen.

In den letzten Wochen war viel von Verschwörungstheorien die Rede. Menschen, die der Meinung waren, irgendjemand hätte Böses mit ihnen im Sinn. Ich will sie heute nicht in diese Sitzung und in den Sommer entlassen, ohne sie mit dem gegenteiligen Gedanken zu infizieren. Gott hat Gutes mit mir im Sinn. Gott will, dass ich lebe und andere leben lasse. Dass ich mich am Leben erfreue. An meinem. Und am Leben der Menschen um mich herum. Ein Leben in Fülle ist uns zugesagt. In Fülle wohlgemerkt. Nicht im Überfluss.

Das ist nicht wenig. Und im Sommer wird mir das womöglich mehr bewusst als sonst.

Ich wünsche ihnen, dass sie sich aufmachen in einen Sommer, der dieses Versprechen einhält. Und sie gerade daraus Energie und Lust am Leben gewinnen. Wenn das gelingt, ist das nichts anderes als die Erfahrung von Gottes Segen.

 

Gebet
Diesen Sommer, Gott, lege ich in deine Hände, um ihn aus ihnen neu zu empfangen. Lass mich den nötigen Abstand gewinnen, stärke meine Zuversicht für das, was noch aussteht, und beflügle meine Hoffnung darauf, dass du mir begegnest. Gerade in diesen Sommerwochen 2020. Amen.

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.