Predigt im Rahmen der Reihe „tierisch, tierisch“ in der Michaeliskirche in Stutensee Blankenloch

06.09.2020

Liebe Gemeinde!

Diese Predigt ist längst überfällig! In einer Kirche und in einer Gemeinde, die den Namen Michaelis trägt - die also den Michael als Patron hat - da darf, ja da muss es auch einmal um den Drachen gehen. Endlich einmal. Und in eine Predigtreihe, die sich mit Tieren aus der Bibel beschäftigt, passt er eigentlich wunderbar hinein, dieser Drache.

Ob der Drache denn tatsächlich ein Tier ist – diese Frage steht auf ihrer Website bei der Ankündigung dieses Gottesdienstes. Die Frage stammt sicherlich von Ihrem Pfarrer, der sich hier als schlauer Fuchs erweist. Die Fuchspredigt die steht ja noch aus.

Um den Drachen soll’s heute also gehen. Der Drache - ein Name, der sich vom griechischen Wort drakon ableitet. Schon Kinder wissen, was sie sich unter einem Drachen vorzustellen haben. Es gibt Tiere, die sind kuschelig und andere, die sind glitschig. Es gibt Tiere, die wirken bedrohlich wegen ihrer Größe und andere, die sind einfach nur putzig. Es gibt Tiere, die sind durchaus bissig und sie eignen sich nicht einfach als Haustiere. Andere sind harmlos und einfach pflegeleicht.

Auf den Drachen trifft das alles nicht zu. Beim Drachen ist alles anders. Beim Drachen, so wie ich die Bibel schildert, schon gar. Darum wird es heute auch gefährlich. Zumindest ein wenig. Beim Drachen geht‘s immer ums Ganze. Beim Drachen geht es um die Grenze zwischen Gut und Böse. Beim Drachen geht es um Leben und Tod.

Wir kennen den Drachen aus Märchen und Erzählungen. Aus Sagen und Heiligenlegenden. „Große Krallen, weite Schwingen und ein langer gezackter Schwanz“[1]“ – so findet man den Drachen beschrieben. So kennen wir ihn aus bildlichen Darstellungen. Er ist eine Mischung aus Raubtier, Vogel und Schlange. Dabei verbindet er vor allem die negativen, gefährlichen Eigenschaften dieser Tiere.

Nicht überall hat der Drache so schlechte Karten wie bei uns. In China gehört er zu den Tieren, die den Charakter eines Jahres positiv prägen. Seit dem 24. Januar 2020 hat in China wieder ein Jahr des Drachen begonnen. In einem aktuellen chinesischen Horoskop heißt es: „Fragen Sie sich in letzter Zeit immer öfter, wann endlich wieder bessere Zeiten für Sie anbrechen, dann werden Sie 2020 erfahren, dass Sie das Glück nicht verlassen hat. Versuchen Sie die harten Zeiten zu vergessen und bereiten Sie sich geistig auf eine lange Zeit positiver Veränderungen vor.“[2] Irgendwie so denke ich, muss dieser Satz aber vor Beginn der Corona-Krise geschrieben worden sein!

Auch in den neueren Kinderbüchern kommt der Drache gut weg. Man braucht keine Angst mehr vor ihm zu haben. Er wird zum Spielgefährten. Zum Begleiter und Beschützer.

Nichts davon gibt es in den älteren Drachengeschichten. Wo ein Drache auftaucht, da gibt es Auseinandersetzungen bis aufs Blut. Da gibt es Kämpfe, in denen nur einer überleben kann. Georg rühmen wir bis heute, indem wir ihm den Beinamen der „Drachentöter“ gegeben haben. Und eben auch der Erzengel Michael – Ihr Namenspatron! Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, wird berichtet, wie Michael mit dem Drachen gerungen. Es gibt eine große Zahl bildhafter Darstellungen dieses Sieges über den Drachen. Von Albrecht Dürer. Unter den berühmten Ikonen. Ja, wir für 13,11 € habe ich im Internet einen Mundnasenschutz mit Michael und dem Drachen entdeckt.[3]

Selbst in einem Gesangbuchlied (EG 396) kommt der Drache vor. Einem Lied, das die meisten von Ihnen kennen. Das Lied „Jesu, meine Freude“. Im 4. Vers heißt es da:

Trotz dem alten Drachen,
Trotz dem Todesrachen,
Trotz der Furcht dazu.
Tobe, Welt, und springe;
Ich steh hier und singe
In gar sichrer Ruh.
Gottes Macht hält mich in Acht,
Erd und Abgrund muss verstummen,
ob sie noch so brummen.

Und jetzt singen wir diesen Vers auch!

EG 396,4: Trotz dem alten Drachen

Jetzt aber endlich zum Drachen in der Bibel. Und da hat der Schmusedrachen überhaupt keinen Platz. Im 74. Psalm heißt es etwa:

Du hast das Meer gespalten durch deine Kraft,
zerschmettert die Köpfe der Drachen im Meer.
Du hast dem Leviatan die Köpfe zerschlagen.

Ein erstes wird hier schon klar: Der biblische Drache kommt aus dem Meer. Auch wenn ich in den letzten Wochen, in meinem Urlaub, das Meer sehr zahm und freundlich erlebt habe: In der Bibel ist das Meer das Sinnbild des Chaos schlechthin.

Das ist schon auf der ersten Seite der Bibel so. Als Gott die Welt ins Leben ruft, muss er zunächst die Gewalt des Wassers eindämmen. Er schützt die Erde vor den Urwassern, indem er das Firmament wie eine Glocke über die Erde stülpt. Dann trennt er Land und Meer, um überhaupt einen Lebensraum zu schaffen. Der Lebensraum der Menschen – er wird dem Meer abgerungen.

Die Urfluten sind die Bedrohung schlechthin. In der Erzählung von Noah, der Geschichte von der großen Flut, da öffnet Gott die Fenster am Firmament, also am Himmel. Und die Brunnen der Tiefe, also die Zugänge zum Wasser unter uns dazu. Am Ende steht alles unter Wasser.

Hinter dieser Angst vor dem Wasser steht den Menschen damals eine alltägliche, besser müsste man hier sagen eine alljährliche Erfahrung. Wenn der Euphrat und der Tigris, die großen Flüsse im Zweistromland, über die Ufer treten, da musste man um sein Leben besorgt sein. Das ist bei den großen Hochwassern heute nicht anders. Und die vielen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer – sie können das Wasser nur als einen Ort der Bedrohung erleben. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich auch die evangelische Kirche daran beteiligt, diesem Ungeheuer des Meeres zumindest ein klein wenig Widerstand entgegenzusetzen.  

Und die Verkörperung dieses Wassers, das Wasser-Urtier schlechthin, das ist der Leviathan. Wer das Wasser besiegen will, der muss den Leviathan töten. Wenn Gott also der Schöpfer ist, der dem Urwasser Einhalt gebietet, dann gibt es keinen anderen Weg als den Leviathan aus dem Weg zu schaffen. Der Drache muss weg, damit aus dem Chaos der Kosmos Gottes werden kann.

Ähnlich wie den Drachen Leviathan gibt es auch den Drachen Rahab. In Psalm 89 heißt es:

Du herrschest über das ungestüme Meer,
du stillest seine Wellen, wenn sie sich erheben.
Du hast Rahab zu Tode geschlagen
und deine Feinde zerstreut mit deinem starken Arm.

Auch hier zeigt Gott seine Macht, indem er dem Meeresungeheuer, dem Meeresdrachen den Kampf ansagt. Dies gilt auch, als Israel sich aus der Verbannung in Babylon zurück in sein Land sehnt. Wenn Gott schon den Drachen besiegt hat, dann wird er auch mit den Königen in Babylon fertig werden. Deshalb lesen wir im Buch des (Zweiten) Jesaja (51,9):

Wach auf, wach auf, zieh Macht an,
du Arm des Herrn!
Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen
und den Drachen durchbohrt hat?

Der Drache erscheint als Verkörperung der Urgewalt am Anfang. Er ist ausgesprochen mächtig. Aber seine Macht ist, so scheint es, gebannt! In der guten Schöpfung Gottes hat der Drache nichts mehr zu sagen.

Doch die Offenbarung des Johannes holt den Drachen aus der Vergangenheit zurück. Seine Macht, so spüren die Menschen, ist nicht wirklich gebannt. Im Gegenteil der Drache ist so mächtig wie eh und je.

Wir singen eine neue Strophe auf die vertraute Melodie (Text: T.S.):

Mächte und Gewalten,
finstere Gestalten,
böse Tat dazu -
dass wir sie besiegen,
mutig sie bekriegen -
Gott gib Kraft dazu!
Weist dem Drachen seinen Ort
bindet ihn in finstern Kammern.
Niemand hört sein Jammern.

Die Offenbarung des Johannes wurde in den 90er-Jahren des 1. Jahrhunderts nach Christus geschrieben. Die Menschen leiden unter der brutalen Macht des römischen Reiches. Gleich mehrfach taucht in der Offenbarung das Bild des Drachen auf. Er spielt durchaus keine Nebenrolle. Wenn Sie genau hinhören, entdecken Sie in dem Bericht auch den Hinweis auf den Kampf Ihres Patrons Michael mit dem Drachen. Aber diese Geschichte werden Sie hier ohnedies schon kennen. Ich streife sie also nur am Rande. Vom Drachen wird nämlich auch anderes berichtet:

Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Und sie war schwanger und schrie in Kindsnöten und hatte große Qual bei der Geburt. Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind fräße.

Im Hintergrund steht wohl die Bedrohung des neugeborenen Jesus-Kindes durch den König Herodes. Dass dieser das Kind töten will, ist nicht einfach nur ein Ereignis im Hinterhof des römischen Reiches. Es ist das Zeichen eines noch größeren, himmlischen Kampfes:

Und sie gebar einen Sohn, einen Knaben, der alle Völker weiden sollte mit eisernem Stabe. Und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und seinem Thron. Und die Frau entfloh in die Wüste, wo sie einen Ort hatte. (…) Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.

Im Himmel hat der Drache seine Macht verloren. Aber auf der Erde wütet er umso mehr. Denn die Geschichte geht weiter:

Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner und sieben Häupter und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern lästerliche Namen. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie Bärenfüße und sein Rachen wie ein Löwenrachen. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Thron und große Macht. Und die Menschen beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Macht gab, und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer kann mit ihm kämpfen?

Das Böse schlechthin, verkörpert im Drachen und dem anderen Tier. Und nichts kann böses Tun übertreffen, als die Infragestellung Gottes:

Und es tat sein Maul auf zur Lästerung gegen Gott, zu lästern seinen Namen und sein Haus und die im Himmel wohnen. (…) Und ihm wurde Macht gegeben über alle Stämme und Völker und Sprachen und Nationen. Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an.

Das Ur-Chaos des Anfangs – es wird auf Dauer gestellt. Das Böse ist zwar überwunden. Aber nur in dem Raum, dem wir Menschen den Namen Himmel gegeben haben. Auf der Erde ist das Böse, ist der Böse noch wirksam. Das Böse, so erfahren es die Menschen zur Zeit der Offenbarung des Johannes, das sind die Mächte, die die Menschen verehren, wenn sie Gott den Abschied gegeben haben.

Damals war das der römische Staat mit seinem Anspruch, das ganze Leben der Menschen zu bestimmen. Aber der Drache des Bösen ist nicht tot. Er erscheint nur in unterschiedlichen Gewändern. Verhält sich wie ein Chamäleon. Der Drache wechselt seine Rolle. Aber er gibt seinen Anspruch nicht auf, die Welt beherrschen zu wollen. - Erneut stimmen wir singend in das Drachenlied ein (Text: T.S.):

Unter vielen Namen
streut er seinen Samen,
gibt dem Finstern Raum.
Nur mit wachen Sinnen
wächst aus dem Beginnen
bald ein neuer Traum.
Freiheit, Glück und Zuversicht
stärken meinen Gottes-Glauben!
Niemand kann ihn rauben.

In der Mitte des 17. Jahrhunderts schreibt der englische Philosoph Thomas Hobbes ein sehr wichtiges Buch über den Staat. Der Mensch ist des Menschen Wolf, sagt Thomas Hobbes. Wir alle fallen im Grunde nur übereinander her, es sei denn, der Staat legt uns Fesseln an. Droht mit Strafen, wenn wir die Regeln des Zusammenlebens brechen. Aber dieser Staat, so bedrohlich beschrieben, ist ein gefährliches Tier. Und nicht ohne Grund nennt er den Staat darum den Leviathan. Gibt ihm den Namen des Meeresungeheuers in den Psalmen. Es ist das Bild eines Staates, das in diesen Corona-Zeiten in manchen Köpfen auch umherspukt.

Dabei ist dieser Staatsbegriff längst überholt. Wir haben heute einen anderen Staatsbegriff. In der Demokratie geht, so will es das Grundgesetz, alle Macht vom Volke aus. Gefährlich wird es dann, wenn sich andere auf diesen Thron der Gleichheit aller setzen wollen. Der Glaube an eine Ideologie – wie zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Glaube an ein Weltbild, das scheinbar alles erklären kann. Und scheinbar alles in Griff hat. Der Glaube an die Macht des Geldes oder die Macht des Marktes. Der Glaube an eine heimliche Verschwörung, wie wir es in diesen Tagen immer wieder erleben.

Ja, und irgendwie ist auch die Bedrohung durch Corona eine Metamorphose des alten Drachens. Und wir sind von Neuem dabei, ihm seine Grenzen zu setzen.

Höchste Vorsicht ist also dringend geboten. Der Drache ist noch nicht erledigt. Aber trotzdem macht uns die Offenbarung des Johannes auch Hoffnung. So wie sie es auch den ersten Leserinnen und Lesern schon gemacht hat. Denn im Himmel wird der Sieg über den Drachen bereits gefeiert. Noch einmal aus der Offenbarung des Johannes:

Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt, bis hin zum Tod. Darum freut euch, ihr Himmel und die darin wohnen!

Davon lasst uns jetzt auch singen (Text: T.S.):

Lasst zum Fest euch laden!
Nie mehr kann uns schaden,
Drachens böser Hauch.
Finstrer Menschen Ränke,
Gott, zum Guten lenke,
sind nur Schall und Rauch,
weil der Himmel sich ergießt
mitten in der Menschen Leben:
Zukunft ist gegeben!

Wo der Drache entmachtet ist, da ist der Himmel. Wo der Drache entmachtet ist, breitet sich Gottes Reich aus. Wo wir dem Drachen den Laufpass geben und die Götzen von ihren Sockeln stürzen, beginnt eine neue Zeitrechnung. Nein, kein Jahr des Drachens. Sondern viele, viele Jahre, die sich als Jahre des Herrn erweisen. Jahre, in denen wir Gott selber in unserer Mitte entdecken.

Und zum Abschluss singen wir noch einmal, dieses Mal wieder mit einem weiteren Vers des alten Drachen-Liedes von Johann Franck.

Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.

Und mit diesem Vers soll es sein Bewenden haben. Ihm ist nichts hinzuzufügen. Und der Drachen ist zum Schweigen gebracht. Amen!

Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
muss auch ihr Betrüben
lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn,
dennoch bleibst du auch im Leide.
Jesu, meine Freude.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Die Zeit der Drachen ist vorbei. Gottseidank. Amen.


[1] http://www.kinderbuch-couch.de/wormell-chris-georg-und-der-drache.html

[2] https://www.chinesisches-horoskop.guru/drache-2019/#:~:text=Das%20Jahr%20der%20Ratte%20beginnt,das%20Gl%C3%BCck%20nicht%20verlassen%20hat.

[3] https://www.redbubble.com/de/i/maske/Michael-und-der-Drache-von-SharoneMalka/51230357.9G0D8?utmsource=google&utmmedium=cpc&utmcampaign=g.pla+notset&countrycode=DE&gclid=Cj0KCQjw7sz6BRDYARIsAPHzrNIUWjeuEC754gKkR1jfJTiQI8Pt7hehX14ZrL9oROMEgxITSHM-e3MaAkNCEALw_wcB&gclsrc=aw.ds

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.