„Die Saat der Versöhnung geht auf“
Predigt über 2. Korinther 5, 19+20
im Gottesdienst am Karfreitag, den 10. April 2020 in der Stadtkirche in Schwetzingen

09.04.2020

Musik: John Dowland/Jacob van Eyck: Flow my tears

Liebe Mitfeiernde! An Karfreitag geht’s ums Ganze. Um Gott und Mensch. Um Gut und Böse. Um Leben und Tod. An Karfreitag 2020 geht alles noch einmal anders. Die Kirchenbänke leer. Aber mehr Menschen, die zu Hause mitfeiern, jetzt und im Lauf des Tages, als viele Kirchen sie fassen würden. Die Wochen bis zu diesem Karfreitag werden sich in unser Gedächtnis einprägen, da bin ich sicher.

Sie sind so anders, dass sich Menschen noch sehr lange von diesen Corona-Zeiten erzählen werden. Zeiten, in denen körperliche Nähe fast als Verrat gelten. Zeiten, in denen wir Zeit hatten- und sie doch nicht gemeinsam gestalten konnten.

Am Karfreitag geht’s ums Ganze! Das ist auch richtig im Blick auf unseren Glauben. Am Karfreitag entscheidet sich, wer wir sind. Und wer Gott ist. In der Schnittmenge dieses einen. Mensch war er wie ich und du. Zugewandt und verletzlich. Gemeinschaft liebend und immer wieder neu die Stille suchend. Voller Liebe und zugleich zum Widerstand bereit.

Gottes Platzhalter in dieser Welt war er. Gott so nah, dass er ihn zärtlich mit Abba, Vater anspricht. Gottes Ebenbild, ununterscheidbar, dass niemand sein Leben antasten kann, ohne Gott selber aus der Welt zu drängen. Gottes Sohn nennen sie ihn. Aber sie meinen: So auf Gottes Wirklichkeit hin offen und transparent, dass an ihm wie an keinem anderen klar wird wie menschlich Gott ist – und wie Gott uns Menschen gemeint hat.

Das tödliche Spiel der Mächtigen mit diesem einen wird zum Gericht der Menschen über Gott. Und damit zum vernichtenden Urteil, dem sich die Menschen selber aussetzen. Wer Gott an den Rand drängt, verliert selber die Mitte. Wer sich selber in die Mitte setzt, verkümmert womöglich in seiner selbstgewählten Isolation.

Der Skandal dieses Justizmordes, dem Jesus zum Opfer fällt, ging schon damals nicht einfach unter. Nach dem Karfreitag gibt es kein business as usual. Am Karfreitag geht’s ums Ganze. Auch damals schon. Im Palast des Hohepriesters. Und in der Gerichtslaube des römischen Statthalters. Am Karfreitag ist alles anders. Nicht erst heute. Auch damals schon. Am ersten Karfreitag der Geschichte.

Musik: Georg Philipp Telemann, Sonate f-moll,1. Satz

Am Karfreitag geht‘s ums Ganze. Nur zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen des Karfreitags schreibt einer einen Brief. Einer, von dem damals auch niemand wusste, was aus ihm werden würde. Der große Deuter des Lebens Jesu. Der große Interpret des Karfreitags. Paulus, Textilhandwerker und Rabbiner im einen. Der Radius seines Wirkens kann für ihn nicht groß genug sein. Weil er auch die Bedeutung dieses Karfreitags nicht hoch genug bewertet haben will.

Paulus denkt global. Geographisch. Und theologisch. In einem seiner Briefe nach Korinth schreibt er:

In diesem Christus war Gott selber präsent. Durch seinen Tod versöhnte er Gott und Welt. Was die Welt von ihm trennt, wirft Gott nicht mehr in die Waagschale. Größer als alle Worte ist das Wort der Versöhnung. Gott und Mensch – sie sind untrennbar verbunden.

Wie der eine sind wir alle berufen: Wir sind Gottes Botschafter in dieser Welt. Wir bringen zur Sprache, was im Argen liegt. Es ist das Amt dieses einen, das Amt Christi, das wir so wahrnehmen. Und zwischen allen Sätzen dieser eine Satz, den er uns aufträgt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Wäre alles aus gewesen mit dem Tod des Karfreitag - Paulus hätte dafür nicht den Neuanfang gewagt. Hätte dafür nicht sein Leben riskiert. Wer diesen eine ans Holz hängt, gibt der Barmherzigkeit den Abschied. Wer Gott mundtot macht, lässt es in der Welt kalt werden. Paulus ist nicht weltfremd. Er redet den Tod nicht schön. Schon gar nicht diesen Tod des Karfreitags. Paulus hat gut reden, im wahrsten Sinne des Wortes, weil er weiß, dass alles gut wird. Am Ostermorgen. Als der Tod an sein Ende kommt.

Von Versöhnung reden und schreiben – das kann ich nur, wenn ich weiß, dass das eine reale Möglichkeit ist. Versöhnung leben, das kann ich nur, wenn ich selber diese Erfahrung gemacht habe. Anderen das Amt der Versöhnung auferlegen, das geht nicht, wenn diese Aufgabe nicht längst unser aller Aufgabe ist. Wenn’s am Karfreitag ums Ganze geht, gebe ich mich nicht mit Halbheiten zufrieden. Das Wort von der Versöhnung – es macht nur Sinn, wenn es der alten Welt den Abschied gibt. Wenn ich mich darauf einlasse, dass das geht. 

Musik: Georg Philipp Telemann, Sonate f-moll, 4. Satz

Am Karfreitag geht’s ums Ganze. Gerade auch im Wort von der Versöhnung – an Christi statt. Und um Gottes Willen. 75 Jahre ist es her, da war das Wort von der Versöhnung keinen Pfifferling wert. Gestern war es genau 75 Jahre her, dass andere einem Justizmord zum Opfer gefallen sind. Der prominenteste unter ihnen: Dietrich Bonhoeffer, Theologe, Privatdozent, verdeckter Mitarbeiter der Abwehr. Aus Sicht der Nazis ein Verräter.

Ein Großer unter denen, die das Wort von der Versöhnung gedeutet haben. Ein Mutiger unter vielen, die ängstlich geschwiegen haben. „Wer nicht für die Juden schreit, darf auch nicht gregorianisch singen!“ Bei Dietrich Bonhoeffer geht es zeitlebens immer ums Ganze. Und die, die ihn töten, auf Geheiß des Führers, machen ihn erst recht groß. Und zum Zeugen des Auferstandenen bis heute.

75 Jahre ist es her, dass die Herrschaft des Unrechts, der Bonhoeffer zum Opfer fällt, auch hier in Schwetzingen an ihr Ende kommt. Nicht von einem Tag auf den anderen geht das. Und auch nicht ohne dass sich manche aus der Verantwortung stehlen wollen. Das ist fast überall so, wo’s ums Ganze geht.

Aber aus heutiger Sicht ist die Saat der Versöhnung aufgegangen. Dem Land mit der Herrschaft des Unrechts wurde der Weg in die Zukunft ermöglicht. Zurück in die Gemeinschaft der Welt. Eingebunden in die Verbindung der Staaten Europas. Bleibende Verpflichtung ist das.

Wenn wir auch nur ein paar unbegleitete Minderjährige, junge Menschen ohne Eltern und ohne Schutz aus den Lagern in Griechenland den Weg zu uns öffnen, ist das eine Antwort auf das Wort der Versöhnung. Zögerlich, zu zögerlich kommt diese Antwort bisher noch daher. Wenn Menschen aus Frankreich oder Italien Platz finden in deutschen Krankenhäusern, weil bei ihnen der Platz nicht ausreicht, ist das auch eine Antwort auf das Wort von der Versöhnung nach 75 Jahren.

Wenn wir uns dagegen wehren, von Neuem auf nationale Sonderwege zu setzen und Europa verächtlich zu machen, ist das auch eine Antwort auf das Wort von der Versöhnung.

Seit dem ersten Karfreitag geht’s immer ums Ganze. Um Sein oder Nichtsein! Und immer noch und immer neu um Leben und Tod. Wie gut, dass wir wissen wie Paulus: Am Ende siegt das Leben. Wie gut, dass am dritten Tag Ostern ist. Und wir darum heute schon feiern können. Amen.

NL 39,1-4: Freunde, dass der Mandelzweig

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.