Geistliches Wort zu 2. Timotheus 1,7-10 für die EKIBA-Website

27.09.2020

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal in einem Fernsehstudio sitzen würde und sagen wer- de: Der klügste Satz, den ich heute gehört habe, war ein Bibelzitat von Paulus!“ Von der Publizistin und Moderatorin Thea Dorn stammt dieser Satz. Geäußert hat sie ihn vor einiger Zeit abends in der Talk-Runde bei Markus Lanz.

Es gibt Sätze der Bibel, die gehen einem Menschen unwiderstehlich unter die Haut. Sogar dann, wenn jemand – wie Thea Dorn in derselben Sendung - von sich behauptet, nicht gläubig und „strukturell eher trostlos“ zu sein. Auf dem Weg zum Studio hatte sie an einer Kirche ein Banner hängen sehen, auf dem stand zu lesen: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Dieses Bibelzitat“, so fährt sie fort, „hat mich in einer gewissen Weise umgehauen, weil ich den Eindruck habe, wir lassen uns im Augenblick massiv vom Geist der Furcht leiten und nicht vom Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Und ich glaube, dass das nicht gut ist, wenn die Gesellschaft anfängt, sich vom Geist der Furcht bestimmen zu lassen.“

Was für Thea Dorn damals im Blick auf die ersten Monate des Lebens unter Corona-Bedingungen gemeint war, scheint auf eine allgemeine Erfahrung gemünzt. Sonst hätte der Schreiber des 2. Timotheusbriefes diesen Satz nicht gleich im Anfangsteil seines Briefes so geschrieben. Es ist das Selbstzeugnis eines Menschen, der sich selber als in der Tradition des Paulus stehend versteht. Und der wirklich in einer beneidenswerten Furchtlosigkeit schreibt. Und es ist einer der Sätze des Neuen Testaments, die Menschen unmittelbar einleuchten – und wie an der eben beschrieben Erfahrung zu sehen – auch Menschen, die vom 2. Timotheusbrief womöglich noch nie etwas gehört haben.

Der Schreiber dieses Briefes hält mit seiner Haltung der Furchtlosigkeit nicht hinterm Berg. Er tut dies allerdings nicht aus einem besonders ausgeprägten Selbst-Bewusstsein heraus. Ursache seiner besonderen Weise, mit den Herausforderungen der Welt umzugehen, ist eher eine Art Sendungs-Bewusstsein. Es ist die Tatsache, dass da einer den Tod in seine Schranken gewiesen hat, die ihn so furchtlos mit den sich auch damals hoch auftürmenden Wogen des Lebens umgehen lässt. Die Erfahrung des Ostermorgens hat ihn noch einmal mit einer ganz anderen Wucht „umgehauen“ wie das Banner mit dem Bibelvers die Moderatorin Thea Dorn. Und sie bringt ihn zum Reden und zum Schreiben – wie seine Kollegin zweitausend Jahre später im Studio in Hamburg.

Die äußeren Rahmenbedingungen waren zwei oder drei Generationen nach den Ereignissen um Jesus aus Nazareth sicher nicht sorgloser als die unsrigen – Corona und allem, was das Leben beeinträchtigt zum Trotz. Krankheiten zu Hauf – ohne schnell erreichbare High-Tech-Kliniken mit ihren Intensivstationen. Dem Überschwang der ersten Jahrzehnte einer wachsenden Zahl von Menschen und zahlreichen Gemeindegründungen ist der Notwendigkeit gewichen, die neu aufwachsenden Strukturen der Kirche zu erhalten und zu stabilisieren. Geistliche Trittbrettfahrer nutzen die Gelegenheit, in der allgemeinen Verunsicherung den Grundbestand des Glaubens in Frage zu stellen und eigene Botschaften unter die Leute zu bringen. Jetzt sind Zeiten der Konsolidierung angesagt. Damals war das so! Heute, wie ich finde, auch! Da geht es nicht darum, die eigenen Reihen fest geschlossen zu halten. Im Gegenteil. Eine Mentalität des Rückzugs aus der Welt ist meist der Anfang des Endes einer Bewegung. Da halte ich mich lieber an die Weisheit Jesu: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns!“ (Markus 9,40)

Ohne den Geist Gottes kann ich hier leicht die Bodenhaftung verlieren.

·      Deshalb vertraue ich dem Geist der Kraft, der mich aus der Lethargie des Unglaubens herausreißt und mutig meine Schritte setzten lässt.

·      Deshalb vertraue ich dem Geist der Liebe, weil mich dieser Geist aus meiner Selbstbegrenzung und dem ewigen um sich selber Kreisen herausreißt.

·      Deshalb vertraue ich nicht zuletzt auch diesem Geist voll Besonnenheit. Schließlich will ich nicht blindlings gleich an der nächsten Ecke scheitern, sondern meine Kräfte sinnvoll einsetzen.

Dieser Geist tut uns in diesen Tagen gut. Der Welt wie der Kirche. Mir als Einzelnem wie der ganzen Gesellschaft, in der ich lebe. Und er lässt niemanden „strukturell eher trostlos“ zurück. Ehrlich gesagt: Ich hätte schon auch gerne etwas mehr von der Unbefangenheit, mit der sich Thea Dorn diesem Satz aussetzen konnte. In ihrer Erfahrung, dass es sie irgendwie „umgehauen“ hat, war genau dieser Geist am Wirken. Und hat den vielen Berufungsgeschichten eine neue, ganz andere, hinzugefügt. Zu schön ist das, um nicht wahr zu sein!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.