Predigt über Jesaja 66,12-14
Fernseh-/Youtube-Gottesdienst
am Sonntag, 22. März 2020 (Laetare)
Peterskirche Weinheim

22.03.2020

Liebe Gemeinde, wo und wie immer sie uns zuschauen!

Heute ist alles anders. Ein Gottesdienst vor leeren Bänken. Die Erwartungen, worum es heute geht, viel klarer und eindeutiger als sonst. Nein, nicht einfach gute Worte, ja die auch! Nicht einfach die Aussicht, es könnte auch noch besser werden. Irgendwann. Und irgendwie. Klare Botschaften sind es, die mich jeden Tag erreichen. Manchmal stündlich Neues.

Dazu dieses Gefühl, dass wir irgendwie die Kontrolle verloren haben. Dass wir nichts tun können als abzuwarten. Als zu hoffen, dass von den Schrecken der Gegenwart am Ende nur noch die dunklen Erinnerungen bleiben.

Nein! Auch morgen ist alles anders. In ein paar Wochen. In ein paar Monaten. Dann können wir uns aufrichten an dem, was am Ende dennoch als Gewinn bleibt. Der Wert menschlicher Nähe. Das Aufatmen in der unfreiwilligen Unterbrechung. Doch der Preis der Gegenwart ist zu hoch, um so zu bilanzieren. Schon gar nicht heute.

Seufzen und Klagen. Bitten und Flehen, möglichst viele mögen bewahrt bleiben. Und ihr Leben als Geschenk davontragen. Und quer zu dem, was mich bestimmt, dann dieser Sonntagstext, der anscheinend ganz unbeschwert dazu auffordert, sich zu freuen.

Schon vor zweieinhalbtausend Jahren war alles anders. Nicht ertragen könnte ich diesen Text, wenn ich nicht wüsste: Die, an die sich dieser Text ursprünglich richtet, schauen auf eine Zeit zurück, hinter der die unsre als eine behütete erscheint. Krieg. Jahrzehntelange Verschleppung. Die Heimat dem Erdboden gleich gemacht. Der Tempel dazu. Unzählige Opfer grausamen Machtstrebens der babylonischen Herrscher.

Doch dann das Bild einer neuen Zukunft. Die wüste Vergangenheit – sie ist vorbei. Aufbauzeit ist angesagt. In ergreifenden Worten rückt Gott ins Zentrum der Gefühle. Nicht im Bild eines orientalischen Königs. Auch nicht im Bild des Vaters, das Jesus so gerne benutzt. Nein, Gott als Mutter. Den Menschen zugewandt wie eine Stillende ihrem Kind. Hört, in welch überraschenden Worten die Bibel von Gott spricht.

Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei Jerusalem den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

1. Durch das Dunkel hindurch scheint der Himmel hell. / Durch das Dunkel hindurch scheint der Himmel hell. So hell soll auch die Erde sein, / steht auf, steht auf, steht auf, / so hell soll auch die Erde sein, steht auf!

Heute ist alles anders. Wir leben mitten in stürmischen Zeiten – so wie in der Geschichte, die wir als Lesung gehört haben. Und die Wasser um uns herum, im Elsass, in Italien oder in Spanien, sie sind noch viel stärker aufgewühlt als bei uns. Nein, kein freut euch. Eher ein: Bringt euch in Sicherheit. Und dadurch auch die anderen.

Bei Gott ist alles anders. Keine heilsame Distanz. 1Meter50. Oder 2Meter. Gott wendet sich zu. Wie eine Mutter sich ihrem Kind zuwendet. Nichts anderes hat Gott zu bieten als Nähe. Nichts anderes als Trost. Nichts anderes als die Kost, von der Neugeborene leben. Gott als stillende Mutter! Als Mutter, die ihr Kind auf den Armen trägt

Heute ist alles anders. Großeltern, die ihre Enkel nicht sehen dürfen. Kranke, die auf Besuch verzichten müssen. Kurven der Neuerkrankungen, die steigen. Nur die Kurse der Aktien fallen. Wer trifft jetzt den richtigen Ton? Wer hat das rechte Wort auf den Lippen? Nicht Worte vernünftiger Umgangsregeln. Diese Worte finden die Verantwortlichen aus Politik und Medizin derzeit meist sehr beeindruckend.

Nein, nicht um diese Worte geht es, wenn Gott ins Spiel kommt. Gerade dann, wenn es ernst ist. Um das Wort geht es, das mir die Wahrheit zuruft, wenn Trost zur Mangelware wird.

Durch das Dunkel hindurch ist dieses Wort hörbar. Ein Wort, das mich getröstet leben lässt. Ein Wort, das mich getrost auf die Wege entlässt, die ich ohne diese Wort nicht zu gehen wage. „Fürchte dich nicht!“, heißt dieses Wort das eine mal. Das andere Mal: „Im Stille sein und Hoffen gewinnt ihr eure Stärke!“ Oder auch ganz einfach „Lebe. Und liebe! Denn In der Liebe ist keine Furcht!“

Ein Wort, das mich leben lässt. Getröstet. Gestillt. Still geworden. Dem Vertrauen anheim gefallen, dass ich Zukunft habe. Auch jetzt, wo alles anders ist. Bei Gott, der mich so ganz anders hoffen lässt, als ich es ohne ihn könnte. 

2. Durch das Dunkel hindurch dringt ein neues Wort. / Durch das Dunkel hindurch dringt ein neues Wort. / Das Wort wird uns zur Zuversicht, steht auf, steht auf, / steht auf, das Wort wird uns zur Zuversicht, steht auf!

Heute ist alles anders. Zuversicht – das ist für mich das wichtigste Wort, ja mehr noch die wichtigste Haltung in diesen Tagen. Nicht Wachstum. Nicht Effizienz. Nicht: „Wir haben alles im Griff!“ Zuversicht hat nichts im Griff. Sie lebt von einem hoffenden Gemüt und einem liebenden Herzen. Alles, was sie braucht, lässt sie sich schenken. Alles, was ich wirklich brauche, das ist diese Zuversicht.

Dass Zuversicht das Leitthema der diesjährigen Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ ist – ich kann’s nicht anders begreifen als dass es ein prophetisches Zeichen ist. Zuversicht, die mich vertrauen lässt – gegen alle Zahlen. Zuversicht, die mich glauben lässt - gegen alle Erfahrungen des Bösen. 

Nirgendwo anders finde ich diese Zuversicht als in meinem Gottesglauben. Nirgendwo anders als in der Erfahrung: Gott ist in der Welt präsent - in jenem einen, dem Furcht und Zittern nicht erspart geblieben sind. An ihm halte ich mich fest, weil er selber ein Gehaltener geblieben ist. Gehalten im Leben. Als Rebell gegen den Tod.

Rebellen des Lebens gegen den Tod, die haben wir nötig in diesen Tagen. Rebellen der Gemeinschaft, wo Einsamkeit sich breit macht. Rebellen des Glaubens, wo alles wegbricht. Ein Rebell des Gebets möchte ich sein. Oder möchte neu lernen, es wieder zu werden. 

Ja, ein Rebell der Freude möchte ich sein. Vertrauensvoll getragen wie jene, denen Gott sich als Mutter zugewendet hat, als alles anders war.

„Euer Herz soll sich freuen. Und euer Leib soll grünen wie Gras.“ Das ist‘s, was der unbekannte Prophet den Menschen ins Herz schreibt. Wenn’s nur das ist, was heute ins Herz geht, dann ist es schon mehr als genug. Dann ist wirklich alles anders. Schon jetzt. Amen

3. Durch das Dunkel hindurch führt ein neuer Weg. / Durch das Dunkel hindurch führt ein neuer Weg. / Der Weg wird unsre Zukunft sein, / steht auf, steht auf, steht auf, / der Weg wird unsere Zukunft sein, / steht auf!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.