GEISTLICHES WORT ZUM PFINGSTSONNTAG

30.05.2020

Ich kann mich nicht erinnern, das Pfingstfest je so herbeigesehnt zu haben wie in diesem Jahr. Bei den großen Festen im Kirchenjahr schwingt – neben ihrer theologischen Botschaft – immer auch eine ganz weltliche Gestimmtheit und Erwartung mit. Weihnachten stillt unsere Sehnsucht nach Licht in der Dunkelheit und nach einer heilsamen Unterbrechung des Alltags. Ostern lässt uns alle etwas von der Kraft neu aufbrechenden Lebens spüren.

Und Pfingsten? Dieses Fest macht viele sprachlos. Eigentlich schade! Ich finde, dieses Jahr 2020 bietet einen neuen Zugang zum besseren Verstehen, was es mit dem Heiligen Geist auf sich hat. Eine Mischung unterschiedlicher Gefühle bestimmt diese Tage. Die Unsicherheit, wie es mit der allmählichen Öffnung nach dem Herunterfahren in vielen Bereichen des Lebens weitergeht. Was wieder möglich wird – wie die Gottesdienste in den Kirchen und die Begegnung mit den Menschen, die uns am Herzen liegen. Die Sorge auch, dass wir die Chance, hinterher manches bleibend anders zu machen, vertun könnten.

Wo sich zudem der Ungeist scheinbar heimlicher Verschwörung breit macht, kann der Geist von Pfingsten klärende Wirkung entfalten. Das war auch vor zweitausend Jahren so. In der Apostelgeschichte wird von Menschen berichtet, die dadurch auffallen, dass sie Klartext reden. Kein bedenkenvolles „ja, aber“. Kein unentschlossenes „hin und her“. Kein die eigene Sicht verbergendes „sowohl als auch“. Stattdessen eine klare Botschaft. Alle verstehen, was gemeint ist.

Wen wundert’s, dass andere das für ein untrügliches Zeichen überhöhten Alkoholkonsums halten. „Sie sind voll süßen Weins!“ Wahrheit, vorgetragen wie im Rausch. Und Hörerinnen und Hörer, denen plötzlich aufgeht, dass sie gemeint sind. Und die genau deshalb so entsetzt reagieren. Denn wer so offen ausspricht, was Sache ist, kann nicht ganz bei Trost sein. Ober bezieht seinen Trost eben aus ganz anderen Quellen.

Als Kind hat man mir in Anlehnung an die biblische Beschreibung der Ereignisse in Jerusalem fünfzig Tage nach Ostern ein sehr anschauliches Bild vermittelt. Geistzungen, senkrecht vom Himmel herabkommend, die sich wie Feuerflämmchen auf den Köpfen der Menschen in einer tanzenden Menge festmachen. Ein Festtag purer Lebendigkeit inmitten einer Umgebung, in der von österlicher Freude nichts zu spüren war. Eine geistliche Inbesitznahme, die Menschen ergreift mit einer Wucht, der sie nichts entgegenzusetzen haben.

Auch wenn ich erst einmal nicht begriffen habe, worum es an Pfingsten wirklich geht – ganz abwegig war dieses Bild nicht. Denn diese besondere Art geistgetränkter Erfahrung macht Kirche für viele attraktiv und lässt sie wachsen – weltweit, bis in unsere Tage. Allerdings war diese Weise geistlicher Ekstase schon Paulus in manchem nicht wirklich geheuer. Er liefert einen klaren Maßstab, worauf es auch bei pfingstgeprägter Rede am Ende ankommt. Verstehbarkeit für Außenstehende, das ist das Kriterium, das er an unser geistliches Reden anlegt. Auch Petrus, so berichtet die Apostelgeschichte, setzt an Pfingsten nicht alles allein auf die charismatische Karte. Er predigt. Er erklärt. Er deutet, die Gegenwart aus dem Schatz der Tradition, indem er den Propheten Joel zitiert: „Auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen!“

Petrus weiß: Der Glaube muss nicht nur erlebbar, er muss auch befragbar und hinterfragbar bleiben. Und er hat das Recht, in ganz unterschiedlicher Spielart daherzukommen. Jeder soll im Rahmen seiner Möglichkeiten verstehen, worum es im Reden von Gott eigentlich geht. Am ersten Pfingstfest war das so. Und es ist heute nicht anders.

An Pfingsten wird der Verstand nicht einfach außer Kraft gesetzt. Auch nicht in diesem besonderen Corona-Jahr 2020. Unser Fragen und und unser Sorgen werden nicht geistlich ertränkt. Unser Hoffen und Feiern aber auch nicht per Verordnung verboten. Und Pfingsten ist schon gar nicht ein Festtag der heilsamen Isolation. Zwischen Gott und Mensch besteht kein Abstandsgebot, das wissen wir seit Weihnachten. Dem Shutdown des Lebens durch todbringende Mächte setzt Ostern ein kraftvolles Ende. Seit Pfingsten gilt: Es gibt kein Schutzkonzept, um sich den Heiligen Geist vom Leib zu halten. Pfingsten lockt uns heraus aus dem Kokon der Verunsicherung und des Rückzugs, in den sich in den letzten Wochen nicht wenige Menschen eingesponnen haben. Eine Kirche, die sich von Pfingsten her versteht, bietet dazu ein Gegenmodell. Mutig macht sie Aufhebens von sich, indem sie sagt, was an der Zeit ist! Schließlich liegt nicht einfach im “endlich weiter wie vorher!“ der Schlüssel für eine gedeihliche Zukunft.

  • Der Geist der Pfingsten ist ein Geist der Umkehr! Einer Umkehr in eine Zukunft freilich, die sich von manchen Einwicklungen der Vergangenheit und von manch liebgewordenen Gewohnheiten und Lebensmustern verabschiedet und sich allem Irrglauben an grenzenloses Wachstum mutig in den Weg stellt.

  • Der Geist der Pfingsten ist ein Geist der Globalisierung! Einer Globalisierung der Liebe freilich, die die Grenzen unserer Möglichkeiten überschreitet, unsere Gestaltungsräume weitet und gerade dadurch nicht ohne klare Wirkung bleibt.

  • Der Geist der Pfingsten ist ein Geist der Gemeinschaft! Einer Gemeinschaft freilich, die sich im Gottesglauben verbunden weiß und deshalb nie aufhört, immer neu ihre Verbundenheit zu gründen und zu feiern.

  • Deshalb ist der Geist von Pfingsten auch der Geist der Wahrheit – einer Wahrheit freilich, die hilft, die nächsten Schritte voller Gottvertrauen zu gehen. Eine Wahrheit, die nicht nur gefällig sein will, sondern mithilft zu entdecken, worauf es in meinem Leben ankommt.

Diesen Geist von Pfingsten möchte ich gerade in diesem Jahr nicht missen. Deshalb bin ich sicher: Wenn Herz und Verstand von diesem Glauben voll sind, geht auch mir der Mund über. Und wenn andere mich dann glaubenstrunken erleben – mir soll’s recht sein. Und der Nachahmung sei’s nur empfohlen! Wann, wenn nicht an Pfingsten 2020?

O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.

Du Heilger Geist, bereite ein Pfingstfest nah und fern;
mit deiner Kraft begleite das Zeugnis von dem Herrn.
O öffne du die Herzen der Welt und uns den Mund,
dass wir in Freud und Schmerzen das Heil ihr machen kund.

(Philipp Spitta 1827/1833)

Gebet (in Anlehnung an Kurt Marti)

Du willst uns noch einmal ganz neu haben, beleben mit deinem Geist, du, Gott, der du alles verwandelst. Lass uns, wenn’s drauf ankommt, im Gegner den Bruder, in der Störerin die Beleberin, im Unangenehmen den Bedürftigen, in der Süchtigen die Sehnsüchtige, im Prahlhans den einst Gedemütigten und im Schwarzmaler den Licht- und Farbenhungrigen erkennen. Leicht ist das nicht. Es bräuchte dazu, o Gott, die Gegenwart deines Geistes. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.