Predigt-Gedanken zu Matthäus 21 und Jeremia 23 am Sonntag, den 28. November 2021 (1. Advent) im Evangelischen Gemeindezentrum in Ettlingen-Bruchhausen

28.11.2021

Predigt-Gedanken zu Matthäus 21
Liebe Gemeinde! Eine Geschichte – mir vertraut seit meiner Kindheit! Ein Bild, so eindrücklich, dass wir es in der Kunst vielfach dargestellt finden. Menschen, dicht gedrängt am Rand der Straße, während da einer Einzug hält.

So dicht stehen die Menschen in meiner Vorstellung, wie sie heute gar nicht stehen dürften. Heute gilt anderes. Heute wäre der Einzug abgesagt. Zu wenig Abstand. Viel zu riskant. Nicht einmal unter 2G plus dürfte der Einzug stattfinden. Die Behörden würden ihn gar nicht erst genehmigen.

Dieser Einzug – er hätte auch damals nicht stattfinden dürfen. Der Esel, auf dem dieser eine daherkommt – er ist nicht einfach das Lasttier der kleinen Leute. Es ist das Zeichen des Messias. Der lang ersehnten Retterfigur! Die religiösen Autoritäten hatten Jesus nicht zum Messias erklärt, Eher zum religiösen Außenseiter. Zum Aufwiegler der Massen. Und am Ende sogar zum Staatsfeind Nr. 1.

Kein Wunder, dass diese Geschichte vom Einzug in Jerusalem im Kirchenjahr ein zweites Mal gelesen wird. Am Palmsonntag. Am Beginn der Karwoche. Für den Mann auf dem Esel endet sein Ritt durch die Massen tödlich. Auch ohne Virus.

Jesus, so scheint‘s, lässt es drauf ankommen. Er geht aufs Ganze. Lässt dem Volk seinen Willen. Doch vom „Hosianna“ bis zum „Kreuzige ihn“ ist es ein kurzer Weg. Wer mit den Massen emporsteigt, geht am Ende auch mit ihnen unter.

Jesus hat den Triumphzug nicht bestellt. Er hat ihn nicht organisiert. Er setzt nie auf die Massen. Aber immer auf die Menschen. Immer auf den einzelnen oder die einzelne. Auf den kleinen Mann auf dem Baum. Auf Zachäus. Auf die Frau am Brunnen. Auf die Kinder, die er den Erwachsenen als Beispiel vor Augen stellt. Gott kommt ihnen nah, weil einer ihnen als Mensch begegnet. Als Mitmensch. Und zugleich zum Fenster, zur Tür in die Wirklichkeit Gottes wird.

Die Sehnsucht nach Heilsbringern ist groß. Heute nicht geringer als vor 2000 Jahren. Einer soll‘s bitte richten. Einer soll sagen, was Sache ist. Und die Zügel in die Hand nehmen. Jesus möchte dieser eine nicht sein. Zumindest nicht im Sinne einer medial vermarkteten Heilsfigur. Er will nicht bejubelt werden. Er will eher ein Wegweiser sein. Ein Wegweiser ins Leben. Eine Quelle, die den Durst nach Leben für immer löscht.

Auf so einen zu warten lohnt sich. Gerade im Advent. Auch im Advent 2021. Darauf liegt am Ende ein Segen. Ganz bestimmt.

 

Predigt-Gedanken zu Jeremia 23
Dieser König, das wär’s doch, liebe Gemeinde! Die Hoffnung zu setzen auf den einen, der’s schon richten wird. Gefährlich war das schon damals. Vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren. Und heute ist das nicht anders.

Überall schießen sie aus dem Boden, diese selbsternannten Weltenretter. Ob, wie vor nicht allzu langer Zeit, in den USA. Oder in Russland. Ob in der Türkei oder in Ungarn. Von Neuem ist heute die Zeit der Hoffnungsträger mit ihren großen Versprechungen. So ganz anders sind die Zeiten heute also nicht.

Auch die Menschen in Israel und Juda haben’s getan. Haben ihrem König vertraut. Der war schließlich ein Nachkomme des berühmten Ahnherrn David. Des großen Königs der Vorzeit, dem Gott geschworen hatte: Deine Nachkommen sollen König sein für immer.

Es hat den Menschen nichts geholfen. Ausgenutzt wurden sie von ihren Königen. Zu harter Fronarbeit wurden sie verpflichtet. Zu hohen Abgaben. Und zur Unterstützung der militärischen Abenteuer ihrer Könige. Am Ende sind sie alle in der Katastrophe gelandet. Der letzte König aus der Nachkommenschaft Davids – er wird gefoltert und verschleppt. Und mit ihm die wichtigsten Angehörigen seines Volkes. 587 vor Christus ist das gewesen.

Da leben die Menschen nun als Verschleppte in Babylon im Exil. Da trauern sie um die verlorene Zukunft. Und Jeremia, der Prophet, er spielt weiter die alte Leier. Jeremia singt das Lied vom Nachkommen Davids, der’s schon richten wird. Das Lied von der bevorstehenden besseren Welt. Wir haben’s eben gehört.

Alle Jahre wieder stimmen auch wir mit ein in diese scheinbar so alte Leier. Alle Jahre wieder! Erst Advent. Dann Weihnachten. Alle Jahre wieder begehen wir es von Neuem: dieses Warten! Wir warten auf den einen, der kommt, so heißt es. Und nach Weihnachten ist es auch nicht anders als vorher. Und am 1. Januar beginnt die alte Leier von Neuem. Und das Virus ist auch dann noch in der Welt.

Es lohnt sich, noch einmal in den Jeremia-Text zu schauen. Ist es wirklich dasselbe Lied, das Jeremia singt – das Lied vom kommenden Hoffnungsträger? Das Lied vom Nachkommen Davids, alle Jahre wieder?

Es ist ein neues Lied, liebe Gemeinde! Ein Lied mit ungehörten Tönen. Ein Lied mit einer anderen Botschaft als der vertrauten. Der neue König, er ist ganz anders. Ein Anwalt von Recht und Gerechtigkeit wird er sein. Einer, der die Menschen sicher wohnen lässt. Der neue König – er ist nicht mehr wie die alten. Die Zeiten werden sich ändern – gottseidank!

Dieser König setzt nicht nur auf seinen eigenen Möglichkeiten. Bei diesem König ist Gott im Spiel. Er ist keiner der die alten Namen trägt. Sein neuer Name ist ein Bekenntnis. Denn der lautet: „Der Herr, unsere Gerechtigkeit.“

Der neue König regiert an Gottes Statt. Und er lässt die Menschen die Menschenfreundlichkeit Gottes erfahren. Wenn Menschen an ihre eigenen Grenzen stoßen, dann ist Gott noch lange nicht am Ende. Es reicht nicht aus, seinen Stammbaum auf David zurückzuführen, wenn Gott selber nicht mit im Spiel ist. Jeremia nährt eine alte Hoffnung. Aber er füllt sie mit neuem Leben. Er gibt Gott auch einen neuen Namen.

Gott heißt nicht länger nur „der, der uns aus Ägypten in die Freiheit geführt hat.“  Gottes Name wird auch sein: „Der, der uns aus der Verbannung wieder in die Heimat geführt hat.“ Gott ist nicht nur der, der gehandelt hat in grauer Vorzeit. Gott handelt auch in der Gegenwart. In damaliger Zeit, indem er die Rückkehr aus der Verbannung ankündigt.

Gottes Geschichte mit den Menschen geht weiter. Gott ist der, der es nicht aushält in himmlischer Abgeschiedenheit. Gott ist der, der sich einmischt. Und der allen Ränkespielen des Bösen ein Ende macht. Kein Wunder, dass den Menschen 500 Jahre später die Worte des Jeremia in den Sinn kommen, als sie Jesus aus Nazareth begegnen. Kein Wunder, dass auch wir an diesen einen denken in jedem Advent, wenn wir die alten Worte des Jeremia lesen und hören.

Gottes Geschichte mit den Menschen geht weiter. Damals nach der Rückkehr aus dem Exil. Damals im Stall vor den Toren von Bethlehem. Gottes Geschichte mit uns schreibt sich weiter in jedem Menschenleben. Und Gottes Namen sind so, dass auch ich mich in ihnen wiederfinde. Und jede und jeder von ihnen genauso.

„Der die Teller füllt in Zeiten der Dürre“ – diesen Namen Gottes wünsche ich mir, wenn ich daran denke, dass ein Fünftel der Erdbevölkerung an Unterernährung leidet. Oder auch: „Der die Zäune niederreißt an den Grenzen Europas“ – auch so könnte Gott heute heißen. Genügend Menschen gibt es, die sich das wünschen. Oder auch: „Der dem Corona-Virus den Garaus gemacht hat“.  Wie schön, wenn Gott endlich auch diesen Namen tragen könnte.

Manchmal reicht es auch aus, wenn Gott den Namen trägt: „Der meine heimlichen Tränen trocknet“. Oder „Der mir in Zeiten der Einsamkeit Menschen ins Haus sendet“.

Namen der Hoffnung auf Gott sind das. Und Namen Gottes selber. Seit jenem ersten Advent können wir es wissen: Gott ist sich nicht zu schade, auch unsere Namen zu tragen. Den meinen und den ihren. Gott wird Mensch, damit wir menschlicher miteinander umgehen.

Auf den einen warten wir, in dem Gott selber sich einmischt. Auf den einen warten wir, der uns hilft, diese Spanne auszuhalten, die sich immer noch auftut zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Knapp vier Wochen Zeit haben wir jetzt, dieses Warten zu üben. Ehe wir dann feiern, dass Gott längst im Kommen ist. Klein und in einem Kind. Und doch groß. Und voller Hoffnung, dass die Welt sich verwandelt.

„Siehe, es kommt die Zeit!“ So hat Jeremia seine Worte begonnen. „Siehe, es kommt die Zeit!“ – das ist die Botschaft des Advents 2021. Ehe sie abgelöst wird vom Bekenntnis: Siehe, es ist längst schon wahr, worauf wir hoffen.

Das lasst uns feiern. Im Advent. Und an Weihnachten. Die Tür steht weit offen. Wir müssen nicht länger warten. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.