Predigt über Apostelgeschichte 5,1-11 im Rahmen der Sommerpredigtreihe "Liebegeschichten in der Bibel" in der Heiliggeistkirche in Heidelberg

01.08.2021

Liebe Gemeinde! Soll man der Bibel alles glauben? Wenn’s um die Liebe geht, dann schon, denke ich. Schließlich ist ja Gott ihr Thema. Und wenn Gott die Liebe ist, müsste die Bibel hier ein vorzüglicher Ratgeber sein.

Liebesgeschichten in der Bibel! Da ist die Bibel bei ihrem Eigentlichen, müsste man meinen. Und Sie dürfen gespannt sein, wie die Predigerinnen und Prediger in den nächsten Wochen die große Liebe Gottes in die Münzen der verschiedensten biblischen Liebesgeschichten wechseln. Ruth und Boas, Esther und Xerxes, Delilah und Samson, das Hohelied der Liebe – keine Frage, das werden spannende Gottesdienstzeiten in den kommenden Wochen.

Wenn’s um die Liebe geht, kennt die Bibel kein Halten mehr – meistens jedenfalls. Von der Jerusalemer Gemeinde der ersten Christinnen und Christen wird berichtet, sie hätten eine große Liebesfamilie gebildet. Manche sprechen sogar vom urchristlichen Liebeskommunismus.

In der Apostelgeschichte des Lukas wird dieser Liebeskommunismus mit folgenden Worten beschrieben:

Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Land oder Häuser hatte, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

"Jeder nach seinen Fähigkeiten. Jedem nach seinen Bedürfnissen“ Karl Marx, der mit diesen Worten sein kommunistisches Ideal beschreibt – an dieser Gemeinde hätte er seine Freude gehabt. Kein Wunder, dass die religiösen Sozialisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Traum von einer besseren und gerechteren Welt nicht zuletzt in dieser Beschreibung der Apostelgeschichte den Wurzelgrund für ihre Ideen gefunden haben.

Soll man der Bibel alles glauben, liebe Gemeinde. Zum Eingang der Predigt habe ich schon einmal so gefragt. Der Liebeskommunismus der Apostelgeschichte führt auf rutschiges Gelände. Ganz so einfach war’s damit auch schon am Anfang der Kirche wohl nicht. Denn gleich im Anschluss an diese Beschreibung der angeblich heilen urchristlichen Welt kommen wir schnell wieder auf den Boden der Tatsachen. In einer Liebesgeschichte ganz eigener Art. Um die soll’s bei mir heute gehen.

Da heißt es also:

Ein Mann aber mit Namen Hananias und seine Frau Saphira verkauften einen Acker, doch er hielt mit Wissen seiner Frau etwas von dem Geld zurück und brachte nur einen Teil und legte ihn den Aposteln zu Füßen. Petrus aber sprach: Hananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den Heiligen Geist belogen und etwas vom Geld für den Acker zurückbehalten hast? Hättest du den Acker nicht behalten können, als du ihn hattest? Und konntest du nicht auch, als er verkauft war, noch tun, was du wolltest? Warum hast du dir dies in deinem Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen. Als Hananias diese Worte hörte, fiel er zu Boden und gab den Geist auf. Und es kam eine große Furcht über alle, die dies hörten. Da standen die jungen Männer auf und hüllten ihn ein, trugen ihn hinaus und begruben ihn.

Es begab sich aber, etwa nach drei Stunden, da kam seine Frau herein und wusste nicht, was geschehen war. Aber Petrus sprach zu ihr: Sag mir, habt ihr den Acker für diesen Preis verkauft? Sie sprach: Ja, für diesen Preis. Petrus aber sprach zu ihr: Warum seid ihr euch denn einig geworden, den Geist des Herrn zu versuchen? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Tür und werden auch dich hinaustragen. Und sogleich fiel sie zu Boden, ihm vor die Füße, und gab den Geist auf. Da kamen die jungen Männer und fanden sie tot, trugen sie hinaus und begruben sie neben ihrem Mann. Und es kam eine große Furcht über die ganze Gemeinde und über alle, die das hörten.

Eine Liebesgeschichte der ganz anderen Art! Eine Liebe, deren Ende bei denen, die dieses Ende miterleben, Furcht auslöst. Und mitnichten dankbares Staunen, wozu die Liebe fähig ist. Eine befremdliche, ja eigentlich grausame Liebesgeschichte. Und es sind nicht nur die beiden Liebenden selber, die dazu ihren Beitrag leisten.

Ist das denn überhaupt eine Liebesgeschichte? Ist das nicht eher ein Geschäftsmodell zweier Menschen? Ein Deal zum je eigenen Vorteil? Ich möchte ehrlich gesagt lieber nicht so fragen. Der Beziehung zweier Menschen liegt ja nicht selten eine Art Bilanz zugrunde. Da muss doch auch einiges passen, wenn’s gut gehen soll. Und das dann doch auch möglichst ein Leben lang. Ich habe vor einiger Zeit einen Aufsatz gelesen, da werden Paarbeziehungen genau als Deal beschrieben. Und wenn sie gelingen sollen, müssen Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Ob das wirklich stimmt – ich komme nachher noch einmal darauf zurück.

Hananias und Saphira haben das, so vermute ich, ähnlich gesehen. Wir wissen nicht viel über sie. Sie werden in der Bibel nur in dieser einen Geschichte erwähnt. Sein Name ist hebräischer Herkunft, ihrer griechisch. Ein Mann aus Jerusalem und eine Frau aus der Diaspora. Vielleicht hat eine gute Geschäftsidee sie vermögend gemacht. Vielleicht hat er oder sie auch gut geerbt. Wir wissen es nicht. Was wir wissen, ist nur, dass sie zu den wohlsituierten Gemeindegliedern gehören. Und dass sie ihr Unterstützungsleistung nicht irgendwie bei einem fürs Geld zuständigen Gemeindeglied abgeben, sondern bei Petrus persönlich. Sie sind ja nicht irgendwer, werden sie wohl gedacht haben.

Ein vermögendes Jerusalemer Yuppie-Paar, das sich vom Glauben an diesen getöteten und auferstandenen Jesus von Nazareth hat faszinieren lassen. Das Christentum war nie nur eine Religion der kleinen Leute. Auch später, in Korinth, sind einige der wohlhabenden Bürgerinnen und Bürger der Stadt in die christliche Gemeinde eingetreten.

Diese Mischung von arm und reich ging häufig nicht ohne Konflikte ab. Wieder ist es vor allem die Gemeinde in Korinth, aus der wir solche Konflikte kennen. Die Reichen haben schon ausgiebig getafelt und gegessen, bis die Hafenarbeiter dann endlich auch zum Abendmahl kommen können. Die Reichen gehen ins Tempelrestaurant der alten heidnischen Gottheiten, um dort ein Fleischmenue zu bestellen. Und sie stören sich nicht daran, dass die anderen sich das nicht leisten können. Und dass sie dazu auch noch Skrupel haben, dieses Fleisch, das den alten Gottheiten geopfert worden war, zu essen.

Doch zurück nach Jerusalem! Die Kluft zwischen arm und reich muss gewaltig gewesen sein. Ein Kapitel weiter in der Apostelgeschichte wird auch von einem Konflikt ums Essen berichtet. Bei der Armenspeisung werden nicht wenige Menschen immer wieder vergessen. Als Lösung wird ein eigens dafür verantwortliches Team eingesetzt. Die Diakone! Sie waren so etwas wie ein frühchristliches Sozialteam.

In unserer Liebesgeschichte geht’s ums Geld. Die Erwartung, dass sie mit ihrem Vermögen einen Beitrag zur Unterstützung der Ärmeren Gemeindeglieder leisten, trifft auch die beiden. Hananias und Saphira. Das Paar, das seinen Lebensstandard nicht gefährdet sehen will. Das Paar, das sich genau darin ähnlich ist, dass ihnen materielle Werte mehr bedeuten, als die herausfordernde Ethik ihres neuen Glaubens ihnen zugestehen will. In ihrer – vermutlich - jüdischen Herkunftsreligion wäre dieser hohe ethische Standard im Übrigen nicht anders gewesen.

Hananias und Saphira - wir haben keinen Grund anzunehmen, dass sie sich nicht in Liebe verbunden, dass sie kein Liebespaar sind. Vielleicht nicht nach einem modernen Ideal einer romantischen Zweierbeziehung. Aber zumindest in dem Sinn, dass sie als Paar wahrgenommen werden – wir hätten ansonsten ja nicht beide Namen im Verbund überliefert. Was sie tun, tun sie in gegenseitiger Absprache. Die Kommunikationsstrukturen ihrer Beziehung haben wohl durchaus funktioniert. Ihre Problemzonen liegen auf einem anderen Feld.

Darum lohnt sich jetzt dann doch der genauere Blick in die Bibel. Die Wahrheit steht auch da oft in den kleinen Sätzen.

Den Liebeskommunismus, wie ihn manche erträumen, hat es so nie gegeben. Die Abgabe der Spende mag man erwartet haben. Verpflichtend war sie nicht. Wenn Hananias und Saphira also einen Acker vekaufen, zeigt das, dass ihnen die Gemeinde am Herzen liegt. Sie wollen eine großzügige Spende machen. Aber sie möchten einen Teil des Erlöses einstweilen zurückbehalten.

Was in der Geschichte dann folgt, lässt nicht nur die Menschen damals in Furcht zurück. Ehrlich gesagt: mich genauso. Petrus, durchaus ja auch kein Mensch ohne Fehl und Tadel, denken wir nur an die Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag zurück, nimmt die beiden ins Kreuzverhör. Ja, es stimmt, sie sagen ihm nicht die Wahrheit. Ihr Schein soll heller leuchten als ihr Sein. Hananias und Saphira, sie wollen als edle Sponsoren dastehen. Dass sie auch an ihre eigene Firma denken, unterschlagen sie geflissentlich. Wie jene angeblichen Wohltäter unserer Tage, die Milliardensummen für eine Stunde Schwerlosigkeit im Weltraum investieren – tot umgefallen ist dabei keiner. Nicht einmal die Schamesröte hat‘s ihnen ins Gesicht getrieben.

Dass Hananias und Saphira für ihr Vergehen im Grunde beide mit ihrem Leben bezahlen, das erschreckt mich dann doch. Und da hadere ich dann doch schon etwas mit diesem grausigen Ende. Soll ich der Bibel auch das glauben? Vielleicht sind beide einfach in zeitlicher Nähe verstorben. Womöglich gezeichnet vom Stress der Vorsorge für ihr materielles Wohlergehen. Und für die Absicherung ihrer Zukunft. Ich weiß es nicht.

Aber ich weiß, dass Gott, so wie ich an ihn glaube, will, dass alle Menschen einen Weg finden, in ihrem Leben Liebe zu erfahren. Und auch Gott selbst als die Kraft, die die Quelle aller Liebe ist. Das Liebespaar Hananias und Saphira – sie haben ihre Zukunftsvorsorge zu sehr auf ihre materielle Absicherung gegründet. Und zu wenig darauf, einfach der Liebe zu vertrauen.

Das Liebespaar Hananias und Saphira – ihre schwache Seite, ja ihr Irrtum war zu glauben, dass Liebe ein Deal ist. Liebe und ein Deal – einen größeren Gegensatz kann ich mir gar nicht vorstellen. Liebe liebt absichtslos. Aber natürlich nie ohne Folgen. Liebe rechnet sich nicht. Aber sie ist nie davor gefeit, auch zu scheitern.

Die Liebe von Hananias und Saphira – am Ende ist sie auf eine tragische Weise gescheitert. Aber auch dieses Scheitern ist nicht das Letzte, was über die beiden zu sagen ist. Dass wir noch heute von ihnen wissen – es könnte seinen Grund doch auch darin haben, dass am Ende die Barmherzigkeit Gottes über ihren Geschäftssinn triumphiert. Und dass in der großen Liebe Gottes am Ende auch die kleine Liebe der beiden ans Ziel kommt. Anders als sie es geplant hatten. Anders als wir es womöglich gerne hätten. Eine reiche Frau und ein reicher Mann, die ihren Reichtum für sich behalten und so dem Reich Gottes im Wege stehen.

Von Dietrich Bonhoeffer stammt der Satz: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist!“ Und er macht das konkret in der Aufforderung, die Kirche müsse all ihren Besitz verkaufen und den Erlös an die Notleidenden verschenken. So weit sind wir als Kirche noch lange nicht. Und ich weiß nicht einmal, ob das richtig ist. Da stehe ich also mit Hananias und Saphira gemeinsam vor Gott. Und hoffe, dass Gott mir und den beiden am Ende seine Gerechtigkeit angedeihen lässt. Bis dahin verlasse ich mich darauf, dass Gott die Liebe will und selber die Liebe ist. Das genügt. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.