Choräle und Arien aus dem Weihnachtsoratorium / Kantate BWV 51 „Jauchzet Gott in allen Landen“ am 26. Dezember 2021 (2. Weihnachtstag) in der Heiliggeistkirchen in Heidelberg (CrossOverChor HD-Wieblingen und Weihnachtschor der Studentengemeinde Heidelberg

26.12.2021

Text 1 / Begrüßung
Ihnen allen ein herzliches Willkommen an diesem Nachmittag des 2. Weihnachtsfeiertages 2021! Schön dass Sie gekommen sind – trotzdem gekommen sind. Um noch einmal Weihnachten zu feiern. In der musikalischen Variante! Um zu hören: Auf das Kammerorchester der Heiliggeistkirche. Auf Sängerinnen und Sänger aus dem CrossoverChor der Kreuzkirche Wieblingen: Aus dem Weihnachtschor der Heidelberger Studentenkantorei. Und natürlich auf Janina Staun und Johannes Fritsche als Solistin und Solist – und alles unter der Leitung von Anna Vogt und Christoph Andreas Schäfer.

Auch wenn in diesem Jahr so vieles anders ist – das eine bleibt: Kein Weihnachten ohne Jubel. Um das Jauchzen kommen wir nicht herum. Mag sich das Virus nicht um Weihnachten scheren. Wir lassen dieses Fest nicht los. Die Form muss sich wandeln. Den Umständen geschuldet. „Kein Jauchzet, frohlocket“ in diesem Jahr. Kein Bach‘sches Weihnachtsoratorium mit festlichem Eingangschor. Ein Wandel ist das - den Corona-Bedingungen geschuldet.

Aber die Lust zum Jauchzen bleibt! Sogar zum Jauchzen mit Bach. Statt „Jauchzet, frohlocket“ nun also „Jauchzet Gott in allen Landen!“ Auch so kann es Weihnachten werden. Mit der bekannten Kantate BWV 51. Mit Solostimme, Chor und Orchester. Ein weihnachtliches Hoffnungssingen, weil das Leben stärker ist. Weil Musik unseren Herzen Flügel verleiht.

Eine Kantate hören wir - ursprünglich für den 15. Sonntag nach Trinitatis komponiert, aber laut handschriftlichem Bach’schen Zusatz für jeden Anlass und Zeitpunkt geeignet – als hätte Bach an uns hier gedacht. Eine Kantate sommerlich-wärmender Hoffnung hier in diesem Corona-Winter 2021.

Eingeladen sind Sie, Ihre Seele weihnachtlich aufzuwärmen. Lassen Sie sich die Kantate zu Herzen gehen

Text 2
„Und sie fürchteten sich sehr!“
So wird die Reaktion der Hirten auf das weihnachtliche Erscheinen der Engel beschrieben. Die einen wünschen sich Engel herbei. Und die, denen sie erscheinen – mitten in ihrem Alltag – die fürchten sich. Ganz abwegig ist ihre Furcht nicht. Eher eine angemessene Reaktion auf die Erfahrung, dass der Himmel die Erde berührt. Dass nichts mehr beim Alten bleiben wird.

Doch Furcht lähmt bekanntlich. Führt dazu, die Ursache der Furcht zu verdrängen. Der Engel, der die Geburt dieses einen ankündigt, dieses Menschen par excellence, göttlich, weil er so radikal menschlich ist, - der Engel ahnt: Seine Botschaft wird ins Leere laufen. Der eine Engel verstärkt seine Botschaft. Auch Engelsworte müssen manchmal geboostert werden.

Und auf einmal ist da nicht nur der eine. Auf einmal sind da ganz viele. Das Universum gerät ins Schwingen. Die Erde gerät aus den Fugen. Und den Hirten wird der Boden unter den Füßen weggezogen. 

Gute neue Mär, aber eben: Mär: Das „Ehre sei Gott“ – hoch droben im Himmel. Abgehoben. „Frieden auf Erden!“ Weit entfernt. Damals und heute. Wenn Furcht das Letzte wäre. Vorläufig ist alle Furcht. Vorübergehend. Ehe ich zu einer anderen Perspektive finde. Und das Licht der Engel die alte Wirklichkeit in ein neues Licht rückt. Himmlischer Lichtschutz auf dem neuesten Stand. Und die neue Welt bricht ein – mitten in die alte!

 Text 3
„Schaut hin, im Stall … „
Ich habe mir oft überlegt, warum der Evangelist das zentrale Ereignis der Weihnachtsgeschichte in einen Stall verlegt. Wenn ich an die High-Tech-Ställe denke, in die ich immer wieder komme, denke ich: Das ist doch gar kein schlechter Ort. Wenn ich mir die alten Darstellungen der Geburt Jesu anschaue, den Stall in romantisches Licht getaucht, behaglich, warm, engelslichtdurchflutet, die Tierwelt, Ochs und Esel im unüberschaubaren Einvernehmen mit Eltern und Kind, dann denke ich, einen besseren Ort für die Geburt hätte es doch gar nicht geben können.

Nicht die überfüllte Stube, in die die Gäste sitzen, nicht die zugige Kammer, verdreckt, voller Ungeziefer. Ich bin mir sicher: Der Stall ist die bessere Wahl. Wäre die bessere Wahl.  

In der Erzählung der Weihnacht ist der Stall der Ort, am weitesten entfernt von allem Menschlichen. Der Ort, an dem alle Humanität in die Krise gerät. Würde Lukas sein Evangelium für uns Heutige schreiben, das Kind käme hinter dem Stacheldraht zur Welt, mit dem Europa sich in Sicherheit bringt. Vielleicht in einer überfüllten Intensivstation. Im Seniorenheim, das unter Quarantäne gestellt ist.

Nein, nicht abgeschoben fände das Kind dort seinen Ort. Alle Veränderung der Welt hin zum Guten beginnt an den Rändern. Wo die tiefste Dunkelheit herrscht, kann das Licht seine beste Wirkung entfalten. Darum feiern wir Weihnachten gerade dann, wenn die Nächte am längsten dauern.

Der bittere Stall wird zum lieblichen Ort. „Schaut hin!“

Text 4
„... sich auf den Weg machen...“

(Ein Gedicht)

wegweihnacht –

natürlich
machen sich
maria und josef
auf den weg
es war schließlich
der wille des kaisers

wären es nur
die hirten
die für den weg
zum stall
ihre herde riskierten
ginge es mich nichts an
zu ihnen
kamen schließlich
die engel

die reichen herren
aus dem osten
hatten gut reisen
der himmel
wies ihnen den weg

unvorstellbar
dass sich
gott
heraushielte
aus der welt
und es vorzöge
sich schadlos
zu halten
im abseits
jenseitiger
sicherheit

wenn gott
mich herausreißt
aus vertrauten geleisen
bin ich doch
in guter
gesellschaft
unter den wegelagerern
der hoffnung
auf dem weg nur
kommt die
weihnacht
ans ziel

Text 5
„Wunder“
Eigentlich kein Wunder, was da geschildert und besungen wird! Eine junge Frau bekommt ein Kind – unter erbärmlichen Bedingungen. Eigentlich eher ein Skandal. Kein Raum! Keine Hebamme! Ohne Ultraschall und Vorsorge. Kein göttlicher Widerstand dann gegen das Morden des Herodes.

Am nächsten dran sind die Hirten. Sie hatte niemand auf dem Plan. Für sie war keine Rolle vorgesehen im göttlichen Welttheater. Die Hirten sind die im Dunkeln. Die, die man nicht sieht. Das Wunder der Weihnacht ist, dass sie bei den Hirten beginnt. Dass der Engel ihren Ort ganz weit draußen überhaupt findet. So wie er zuvor Maria gefunden hat. Die junge Frau, die erschrocken wäre, hätte sie auch nur geahnt, was man aus ihr machen würde.

Das Wunder der Weihnacht ist, dass es dennoch Weihnacht wird. Dass die Mächtigen Angst bekommen, wenn pure Humanität sich durchsetzt. Und das „Fürchtet beuch nicht!“ die alte Ordnung aus den Angeln hebt. Gott, heruntergekommen, zur Erde, inszeniert den neuen Anfang. Wenn das kein Wunder ist!

Text 6 (Schusstext)
Das dieses Konzert heue Nachmittag möglich war - ein kleines weihnachliches Wunder! Was bleibt? Von der Musik? Von Weihnachten? Von diesem zu Ende gehenden Jahr, das es uns allen wahrhaftig nicht leicht gemacht hat.
Die alte Geschichte bleibt! Und die Hoffnung auf den neuen Anfang.
Das Kind bleibt! Kinder bleiben Das Gesicht der Hoffnung auf Veränderung.
Der Engel bleibt. Ein ums andere Mal neben mir. In mir. Mir entgegen. Voller Hoffnungshauch. Oder anders gesagt:

über allem der engel
flügelleicht
mit geweitetem blick
voll gottesheiterkeit
ansteckende lebendigkeit
im antlitz
lässt mich
erblühen

das kind
gehalten
hält selber
im weltentaumel
alles zusammen

Vielen Dank, dass Sie sie mit uns weihnachtlich auf den Weg gemacht haben. Bleiben Sie auf dem Weg. Durch den Abend in einen neuen Tag. Durch Weihnachten hindurch ins neue Jahr. Die Klänge, die wir gehört haben, bleiben. Im Ohr und im Herzen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.